Alte Texte in neuen Medien. Aktuelle Projekte und Projektvorhaben der Universitätsbibliothek Leipzig
Die Universitätsbibliothek Leipzig (UBL) steht zur Sächsischen Akademie der Wissenschaften in einer speziellen Beziehung: Sie ist deren Archivbibliothek. Außerdem versorgt sie natürlich die Wissenschaftler der Akademie mit der von ihnen gewünschten wissenschaftlichen Literatur. Seit dem 19. Jahrhundert – dem Jahrhundert der Gründung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig – hat die Universitätsbibliothek Leipzig eine große Zahl an Schätzen des Weltschrifterbes erhalten, die sie bis heute bewahrt. Nun kommen im 21. Jahrhundert neue technische Möglichkeiten hinzu, und eine kleine Revolution ist perfekt: Alte Texte können in neuen Medien präsentiert bzw. veröffentlicht werden, die Erschließungsleistung der Bibliothekare kann unmittelbar für die Forschung bereitgestellt werden, darüber hinaus sind die Originale im Tresor der Bibliotheca Albertina gerade durch ihre erheblich verbesserte Zugänglichkeit über digitale Sekundärformen besser geschützt.
Die laufenden Projekte der Universitätsbibliothek kann man seit Anfang 2008 auf der Homepage der UBL (www.ub.uni-leipzig.de) eigens aufgelistet finden (s. dort unter ›Projekte‹). Sie lassen sich in vier Gruppen gliedern und sollen im Folgenden kurz erläutert werden. Neuere Projektvorhaben werde ich im Anschluss daran erläutern. Die vier thematisch-kulturellen Gruppen, innerhalb deren Katalogisierungs-, Erschließungs- und Forschungsleistungen an der Universitätsbibliothek Leipzig erbracht werden, sind 1. Texte der Antike, 2. Texte und Textträger des Mittelalters, 3. Texte aus dem orientalischen Kulturraum und 4. Quellentexte zur Wissenschaftsgeschichte der Neuzeit. Hier nicht erwähnt werden Projekte mit Online-Datenbanken wie die Bibliographie zur Leipziger Universitätsgeschichte, das ›International Dictionary of Intellectual Historians‹, die Virtuelle Fachbibliothek ›medien-bühne-film‹ und das für die Universitätsbibliothek zentrale Projekt einer retrospektiven Konversion der alten Kataloge in den Online-Katalog OPAC.
1. Texte der Antike
Der Codex Sinaiticus wiedervereint
In dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell unterstützten Teilprojekt einer Kooperation zwischen der British Library London, der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg und dem Katharinenkloster auf dem Sinai sorgt die Universitätsbibliothek Leipzig für die Erhaltung, wissenschaftliche Erschließung und Digitalisierung ihrer Blätter des Codex Sinaiticus sowie für die technische Vorbereitung der Webpräsentation aller Blätter im Rahmen des gemeinsamen internationalen Projekts. Das Projekt ist 2008 online gestellt worden: http://www.codex-sinaiticus.net.
Der Codex Sinaiticus in digitaler Form erlebbar gemacht
Von Hand geschriebene Texte sind komplizierte Dokumente, die normalerweise schwer zu lesen sind. Ihre Darstellung im Internet kann helfen, die Beschränkungen einer gedruckten Version zu überwinden. Zu diesem Zweck hat die Universitätsbibliothek Leipzig in einer Kooperation mit Microsoft Deutschland und dem Realisierungspartner Xplain an einer animierten Präsentation des Codex Sinaiticus gearbeitet, um den Zugang dazu für jedermann zu öffnen. Die Handschrift ist nicht nur direkt (als hochaufgelöste und vergrößerbare Digitalisate) zugänglich, sondern kann auch auf elegante Art, mit Hilfe der neuen Silverlight-Technologie, betrachtet, auf dem Bildschirmhintergrund verschoben und sozusagen virtuell angefasst werden: www.e-manuscripts.org.
Erschließung der mitteldeutschen Papyrussammlungen
Ziel des in Form einer Forschungskooperation zwischen den Papyrussammlungen in Halle, Jena und Leipzig durchgeführten Projektes ist die Inventarisierung, Digitalisierung, Sicherheitsverfilmung und Katalogisierung der jeweiligen Bestände sowie die Präsentation der Projektergebnisse im Internet. Ein Großteil der erst zu geringen Teilen publizierten ca. 5 000 in Leipzig, ca. 2 350 in Jena und 270 in Halle aufbewahrten Papyri mit griechischen und anderssprachigen antiken dokumentarischen und literarischen Texten vom 16. Jahrhundert v. Chr. bis ins 10. Jahrhundert n. Chr. wird damit erstmalig öffentlich zugänglich gemacht: http://papyri.uni-leipzig.de.
Ein übergreifendes Papyrusportal
Das Papyrus-Portal Deutschland führt alle in Deutschland befindlichen Papyrussammlungen unter einem Dach zusammen, so dass für den Benutzer des Portals eine effiziente und effektive Suche gleichzeitig in allen bereits digitalisierten Papyrussammlungen und eine einheitliche Präsentation der Treffer möglich ist. Die Ergebnisanzeige wird die wesentlichen Informationen zu den Objekten bieten. Von dort wird auf die umfangreicheren und detaillierteren Originaldaten verlinkt. Die inhaltlichen und informationstechnologischen Unterschiede in den einzelnen Datenbanken auszugleichen, ist eine wesentliche Aufgabe des Papyrus-Portals. Mit den für das Portal zu definierenden Erschließungskategorien und Festlegungen für Metadaten wird ein Standard geschaffen, der für die noch zur Digitalisierung anstehenden Sammlungen verpflichtend gemacht wird: http://www.papyrusportal.de.
Weitere Vorhaben
Geplant sind in diesem Segment die Digitalisierung und virtuelle Präsentation des Papyrus Ebers sowie die Digitalisierung und Erschließung der Ostraka der Universtätsbibliothek.
2. Texte und Textträger des Mittelalters
Unter den Projekten des Handschriftenzentrums der Universitätsbibliothek Leipzig gibt es ein neues Vorhaben, das mit der Digitalisierung des handschriftlichen Materials verbunden ist: Tiefenerschließung und Digitalisierung der deutschsprachigen mittelalterlichen Handschriften der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden. Ziel ist die wissenschaftliche Erschließung und vollständige Digitalisierung der deutschsprachigen Journal der Säischen mittelalterlichen Handschriften der SLUB. Der Bestand umfasst 165 Handschriften (darunter 17 Fragmente und 25 Stücke archivalischen Charakters) und zeichnet sich entsprechend seiner Herkunft aus einer fürstlichen Bibliothek durch einen sehr hohen Anteil an poetischliterarischen, historischen, didaktischen, juristischen und fachkundlichen Handschriften aus.
Die Erschließungsergebnisse werden wie bei den anderen Projekten des Handschriftenzentrums über die zentrale deutsche Handschriftendatenbank Manuscripta Mediaevalia publiziert: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/.
3. Texte und Textträger aus dem orientalischen Kulturraum
Orientalische Handschriften im Netz
Ein 2008 abgeschlossenes und gemeinsam mit dem Orientalischen Institut der Universität Leipzig durchgeführtes Projekt widmete sich der datenbankgestützten Erschließung und elektronischen Publikation einer Gruppe von 55 arabischen und persischen Handschriften, die die Universitätsbibliothek Leipzig 1995 und 1996 erworben hat. Das Projekt hat Modellcharakter, da erstmals die arabische Schrift in Verbindung mit den deutschen und englischen wissenschaftlichen Transkriptionssystemen in eine Datenbank des Universitätsrechenzentrums Leipzig integriert wird. Zugleich wird ein bislang völlig unbekannter Fundus orientalischer Handschriften der internationalen Arabistik/ Orientalistik zur Verfügung gestellt: http://www.islamic-manuscripts.net.
Erschließung der Refaiya-Bibliothek
Die wissenschaftliche Erforschung, datenbankgestützte Erschließung und digitale Präsentation der arabisch-islamischen Privatbibliothek der Familie Rifā‘ī aus Damaskus hat 2008 begonnen. Die Sammlung umfasst 487 Bände und stellt eine bis ins 19. Jahrhundert über mehrere Jahrhunderte hinweg vererbte und gepflegte Bibliothek dar, die den Namen »Refaiya« trägt. Sie ist der kostbare Kern der ca. 3 400 orientalischen Manuskripte, die in der Universitätsbibliothek Leipzig aufbewahrt werden. Es handelt sich dabei um ein wohl einmaliges Beispiel einer geschlossenen, traditionellen arabisch-islamischen Familienbibliothek, welche durch den Verkauf nach Deutschland (1853) unversehrt im historischen Bestand gesichert werden konnte.
4. Quellentexte zur Wissenschaftsgeschichte der Neuzeit
Auswertung der Vorlesungsverzeichnisse des 19. Jahrhunderts
Die Vorlesungsverzeichnisse der Universität Leipzig von 1814/15 (Beginn des regulären Lehrbetriebs nach den Kriegswirren) bis 1914 (Ende des regulären Lehrbetriebs vor dem Krieg) werden vollständig erschlossen und diese Erschließung durch ein Internetportal allgemein zugänglich gemacht. Das Portal erlaubt die Abfrage der Veranstaltungen selbst und aller damit zusammenhängender Daten, es ermöglicht auch wesentliche Einblicke in die Hierarchie der Disziplinen, die diachron erfasst werden kann. Das Portal wird erweitert zu einem online recherchierbaren Dozentenkatalog. Das Projekt geht noch 2008 online.
In Verbindung mit dem Projekt der Sächsischen Akademie »Rekonstruktion der wissenschaftsphilosophischen Diskurse in Ostwalds ›Annalen der Naturphilsosophie‹« sind die 14 Bände dieser Zeitschrift (1901–1921) aus dem Bestand der Universitätsbibliothek (und mit Hilfe des Digitalisierungszentrums der SLUB Dresden) digitalisiert und über die Projektseite auf www.ub.uni-leipzig. de zugänglich gemacht worden. Eine Portalanzeige auf den Seiten der SAW ist in Vorbereitung.
Weitere Vorhaben
In der Planung befinden sich in diesem Segment ein Projekt zur Erschließung der Inkunabelsammlung an der Universitätsbibliothek, zur Digitalisierung und Auswertung der Sittenzeugnisse des Leipziger Universitätsarchivs, ein Projekt zu biographischen Drucken des 16. Jahrhunderts und ein Projekt in Verbindung mit der Bayerischen Staatsbibliothek zur Volltexterfassung des Vollständigen Universal-Lexicon des Leipziger Verlegers Johann Heinrich Zedler, außerdem in Verbindung mit den Städtischen Bibliotheken Leipzig ein Projekt zur Digitalisierung der Becker-Bibliothek und ein anderes in Verbindung mit dem Institut für Kommunikationswissenschaft zur Erschließung des Nachlasses von Karl Bücher.
Ausblick
Alle Projekte an der Universitätsbibliothek Leipzig entstehen in enger Zusammenarbeit mit Fachwissenschaftlern innerhalb und außerhalb der Bibliothek. Insbesondere die Ressourcen der Universität Leipzig und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig sind entscheidend für das Zustandekommen neuer Projektvorhaben. Da in der aktuellen Förderstruktur kaum ein Projekt ohne Digitalisierung definiert wird und alle Projekte direkt im Netz abfragbar sind, ist ihre Zweckbindung an die wissenschaftliche Nachfrage unmittelbar gegeben. Auf der anderen Seite erneuern sich die Fragen der Wissenschaftler in Auseinandersetzung mit den Beständen einer so reichen Sammlung wie der Universitätsbibliothek Leipzig und führen so zu neuen Projektvorhaben.
Die Universitätsbibliothek Leipzig wird sich auch künftig bemühen, wissenschaftliche Ressourcen für die Katalogisierung und Erschließung des in ihr lagernden und für die Wissenschaft interessanten Materials zu organisieren. Auf vielen Gebieten ist das mehr als wünschenswert, sei es zur Ersterfassung, sei es zur Vertiefung der Erschließung. Ich erinnere nur daran, dass unter den zahlreichen Schriften aus dem ostasiatischen Raum, die unlängst Gegenstand einer kleinen Ausstellung im Konfuzius-Institut waren, viele noch einer Katalogisierung und Erschließung harren. Auch sind längst noch nicht alle Papyri verzeichnet. Das Papyrusportal sollte in eine internationale Richtung ausgebaut werden; Gespräche mit der British Library sind bereits in Gang gekommen. Das Jubiläum der Thomaskirchengemeinde im Jahre 2012 wird zu einer verstärkten Beschäftigung mit den Buchbeständen der Thomaskirche führen, die seit den 1920er Jahren in der Universitätsbibliothek Leipzig lagern. Auch die begonnene Ersterfassung der mittelalterlichen Handschriften, die im Segment der medizinischen, philologisch-historischen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Schriften vorangetrieben werden wird, könnte auf neue Projektideen führen. Aus dem reichen neuzeitlichen Material des Bereichs Sondersammlungen ergeben sich eine Fülle von Projektvorhaben, für deren Koordinierung und Organisation der seit 2007 wirkende neue Leiter des Bereichs Sondersammlungen, Herr PD Dr. Thomas Fuchs, zuständig ist.
Die Universitätsbibliothek Leipzig ist – jenseits der täglich erbrachten Dienstleistungen in Sachen moderne wissenschaftliche Literatur (herkömmlich wie auch digital) – dank ihrer herausragenden Bestände ein Instrument der Forschung, das neue Fragestellungen immer dann gerne aufgreift, wenn dabei wichtige Bestände erschlossen und bekannt gemacht werden können. Es geht darum, in der Auseinandersetzung mit konkretem historischen Material sowohl Licht in die Vergangenheit zu bringen als auch unsere Erkenntnisfähigkeit in der Gegenwart zu verbessern.