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Ist die Idee der (deutschen) Universität am Ende?

1. Humboldts Erbe

Die gegenwärtigen Reformprozesse (nicht bloß der ›Bologna-Prozess‹) werfen die Frage auf, welche Funktion die (seit Humboldt ›klassische deutsche‹) Universität heute und in Zukunft vernünftigerweise erfüllen kann und soll, und zwar vor dem Hintergrund guter und schlechter Erfahrungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert mit dieser Institution in Deutschland und durchaus auch im Ausland. Dabei geht es nach wie vor um die Idee einer selbstbewussten (und nicht etwa bloß spätromantisch-großbürgerlichen) universitären Bildung, und zwar in Abgrenzung von gewissen Missverständnissen. Professor Jarausch sieht zum Beispiel – als Historiker – in der ›Humboldt-Universität‹ im Wesentlichen die preussische Staatsuniversität mit der Aufgabe der Ausbildung einer Beamtenelite. Das Ende dieser Idee, wenn sie denn die Humboldts gewesen wäre, wäre zu verschmerzen.1 Dennoch gibt es darüber hinaus die Gefahr einer Selbstaufgabe der Universität und ihrer Idee zugunsten kurzfristiger Taktiken zur Effizienzsteigerung einer bloßen Ausbildung von ›Skills‹. In Gefahr gerät dabei das Resterbe einer an der Idee des Wissenschaftlichen ausgerichteten Bildung. Gefährdet wird dieses Erbe gerade auch durch Anpassung an ein in seiner höchst begrenzten Bedeutsamkeit nicht autonom hinterfragtes Ranking (etwa das Zählen von Nobelpreisen und Pseudonobelpreisen in Shanghai). Wenn daher keine deutsche Universität unter den ersten 50 in diesem Ranking zu finden ist, ist das möglicherweise viel weniger signifikant, als etwa Konrad Jarausch sagt bzw. als Feuilletons und Wissenschaftspolitiker uns glauben machen. Denn das Streben einer Universität wie etwa der Katholischen Universität in Santiago de Chile oder vieler anderen Universitäten von Korea bis Finnland, in einem solchen Ranking unter die ersten 100 oder die ersten 50 zu kommen, hat am Ende etwas rührend Komisches. Um das zu sehen, bedenke man unter anderem dieses: Quantitative Bewertungen sind im Unterschied zu qualitativen abstrakt und grob. Quantifizierungen entdifferenzieren immer. Damit werden sie gerade aufgrund ihrer numerischen Exaktheit wissenschaftlich fragwürdig. Es gibt außerdem zwei Formen der Provinzialität. Die erste besteht in der Meinung, das Zentrum des wissenschaftlichen Fortschritts sei jeweils woanders, sagen wir in Oxford oder Harvard, und es gehe darum, die entsprechenden Institutionen zu kopieren. Die zweite besteht in der Meinung, das Zentrum der wissenschaftlichen Welt sei je hier, sagen wir in Berlin, Heidelberg, München oder dann eben auch wieder: in Oxford, Harvard oder New York, also je dort wo wir gerade selbst sind. Die zweite Form der Provinzialität ist als solche noch schwieriger zu begreifen als die erste, die Selbstprovinzialisierung. Wissenschaftliches Denken und Handeln verlangt jedenfalls die Verabschiedung beider Formen von Provinzialität, die der Selbstunterschätzung wie die der Selbstüberschätzung.

Eine entsprechende wissenschaftliche Bildung hat dabei als positives Ziel nicht etwa eine so und so bewertete Person, sondern, wenn man es so sagen darf, eine voll literalisierte Person. Nur eine solche beherrscht nicht bloß die elementare Fachsprache einer Einzelwissenschaft mit ihrem speziellen materialbegrifflichen Grundwissen und den entsprechenden praktischen Techniken, wie sie für eine Anfangsbeschäftigung in der Arbeitswelt notwendig ist. Sondern sie hat die Kompetenz der lebenslangen Selbstweiterbildung und der Verortung des immer bloß partikularen Wissens in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen.

Dabei ist Wissen per definitionem nachhaltiges Wissen. In idealer Weise überhöhen wir diese Tatsache üblicherweise dadurch, dass wir, freilich kontrafaktisch, von ewigen Wahrheiten sprechen. Das Richtige an dieser Idee bzw. diesem Ideal ›ewigen‹ Wissens ist dieses: Nur nachhaltig geprüftes Wissen soll in den Kanon einer disziplinären Lehre aufgenommen werden. Das aber bedeutet, dass gute transdisziplinäre Kenntnisse nur möglich sind auf der Grundlage disziplinären Wissens.

Als Folge daraus ergibt sich, dass in der Kaskade der Wissenschaftlichkeit interdisziplinäre Studien eher auf der Ebene der Schul- und Lehrtexte, wenn nicht manchmal gar der Bahnhofsliteratur oder der Fernsehbildung anzusiedeln sind, in denen das von der Wissenschaft bereitgestellte Wissen sozusagen populär aufbereitet wird, ohne dass der jeweilige Status dieses Wissens damit selbstständig voll begriffen wäre. Es ist daher die Mode, mit interdisziplinären Hybridfächern ein Studium zu beginnen, vielleicht selbst ein wesentlicher Teil einer Entprofessionalisierung der höheren Ausbildung und damit eher ein Teil des Problems. Mit anderen Worten, in diesen Formen der Interdisziplinarität wird die Ausbildung gerade nicht verwissenschaftlicht, sondern entwissenschaftlicht. Auch hierin würde ich das Urteil von Professor Jarausch modifizieren.

2. Ausbildungsprobleme an der Massenhochschule

Aus der Vermengung der Einführung in das professionelle und als solches immer schon disziplinär ausdifferenzierte und kanononisierte wissenschaftliche Arbeiten und Denken und der Ausbildung von bloßen Wissensanwendern ergeben sich die bekannten Ausbildungsprobleme an der Massenhochschule. Ich erinnere dazu an die folgenden im Grunde ebenfalls allgemein bekannten, aber immer wieder in ihrer Bedeutung vergessenen Fakten:

1. Die dramatische Diagnose eines Bildungsnotstands – übrigens in der Nachfolge des Sputnik-Schocks – hat in den 60er und 70er Jahren in der BRD zu einer Bildungsreform zunächst im Bereich der Oberschulen geführt. In deren Gefolge haben sich die vordem eher elitären Universitäten zu Massenhochschulen verwandelt und wurden zunächst entsprechend ausgebaut. Die heutige Universitätsreform, die sich nach meinem Urteil als Revolution des Hochschulwesens herausstellen wird, ist zunächst als Spätfolge einer entsprechenden Öffnung der Ober- und Hochschulen für die Breitenbildung in einem demokratischen Staat zu begreifen. Es geht jetzt um die überfällige strukturelle Anpassung der Universitäten an die neue Situation, nachdem die Expansionsphase der 70er und 80er Jahre hinter uns liegt, die insbesondere auf Grund der vielen Neugründungen auch eine Phase der Erprobung neuer Modelle war. Man denke an Stich- und Schlagworte wie ›Gruppenuniversität‹, ›Mitbestimmung‹, ›Elite-‹ und ›Campusuniversität‹ usf.

2. Nach 1989 wurden die Hochschulen in den Neuen Bundesländer nach den Modellen der alten BRD ›neu‹ strukturiert. Inzwischen befinden wir uns aber in einer neuen Phase sowohl der theoretischen Reflexion auf das Hochschulwesen als auch der praktischen Umsetzung neuer Modelle. Es geht jetzt nicht mehr nur, aber immer noch um die Expansion der Ober- und Hochschulausbildung. Es geht um die Leistungsfähigkeit und Effizienz der Hochschulen im transnationalen Wettbewerb.

3. Dass auch in Deutschland weiterhin der Zugang zum höheren Bildungswesen ausgeweitet werden muss, zeigt insbesondere eine Erinnerung an den bildungspolitischen ›Kreuzzug‹ Bill Clintons für seine zweite Amtsperiode deutlich genug. Das für unsere Betrachtung relevante Zieldatum ist das ›dritte‹ Prinzip in Clintons Offensive: Jeder (!) Achtzehnjährige soll eine Bildungsstätte auf dem Niveau des College, d. h. auf dem Niveau der Fachhochschule oder des Grundstudiums an einer Universität, besuchen können und nach Möglichkeit mit einem Examen auf dem Niveau des Bakkalaureats (›Bachelor‹) abschließen. Vgl. dazu Die Zeit, 14. 2. 97, S. 29: »Während andere Länder über zu viele Studenten klagen, weil sie ihre Universitäten nicht zu organisieren verstehen « – vielleicht aber auch, das bemerkt der kritische Leser, weil zu wenig Ressourcen und Gestaltungswille auf Seiten der Politik zur Verfügung gestellt und weil der Schwarze Peter immer nur zwischen Staat, Schulen und Hochschulen hin und her geschoben wird –, »hat Amerika mit seinen sehr viel besseren Hochschulen« – auch hier wird der Kenner die Allgemeinheit des Urteils durchaus bezweifeln – »erkannt, dass Investitionen in die Ausbildung die besten Investitionen in die Zukunft sind.« In Deutschland denkt man in diesen Dingen bemerkenswerterweise kurzfristiger als in den Vereinigten Staaten, die offensichtlich von der Übernahme der positiven Elemente des Humboldtschen Bildungsideals bzw. der durch die Denkschriften Fichtes und Schleiermachers aus dem Jahre 1808 angestoßenen preussischen Hochschulreform mehr profitieren als unser Land. Dabei stammen diese Autoren bezeichnenderweise aus den Reformuniversitäten des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Halle und Jena. Und sie plädieren für eine selbstbewusste Reform, nicht wie im scheinbar fortschrittlicheren Frankreich für eine Abschaffung der Universitäten nach dem Muster der hautes écoles.

3. Kritik an zu schnellen Verurteilungen der Reformen

1. Bei allem Verständnis dafür, dass sich Bildungsplaner, Lehrende und Studierende gegen eine Umwandlung universitärer Bildung in eine berufsbezogene Ausbildung und damit gegen die (in der Tat drohende bzw. jetzt schon schleichende) Umwandlung der Universitäten in eine gehobene Art von Fachhochschulen wenden, bleibt zu bedenken, dass eine stärkere Gliederung des Studiums und eine Vorverlegung des ersten Hochschulabschlusses, etwa unter dem schon genannten Titel ›Bakkalaureat‹, für sich keineswegs schon bedeutet, dass man auch in Ausbildungsform und Bildungsinhalt dem amerikanischen, französischen oder britischen Vorbild folgen müsste. Denkbar und wünschenswert ist vielmehr eine strukturelle und modular-flexible Aufgliederung der bisherigen Magister-, Diplom- und Lehramtsstudiengänge unter Beibehalt des ›deutschen‹ Konzepts universitärer Bildung, d. h. dem Humboldts, Schleiermachers und Fichtes oder später Adolf von Harnacks, das wesentlich die Bildung zum selbstständigen Denken, Urteilen und Entscheiden zum Ziel hat und nicht bloß die Ausbildung in technischen Kunstfertigkeiten und enzyklopädischen Kenntnissen, wie sie nach wie vor diejenigen fordern, welche sich eine zu einfache, bürokratische, Vorstellung von einer gediegenen Berufsvorbildung und Berufsausbildung auf hohen Niveau machen.

2. Die formale Zuordnung des abgeschlossenen 6. Fachsemesters oder gar der Zwischenprüfung mit dem Abschluss des angloamerikanischen B. A., wie sie in den Informationsblättern unserer akademischen Auslandsämter zu finden war, war praktisch eine reine Chimäre gewesen. Denn nicht einmal der Deutsche Akademische Austausch Dienst (DAAD) vergab USA-Stipendien auf Graduiertenebene vor Abschluss des Magister- oder Diplomstudiums. Die deutschen Magister- und Diplomabschlüsse wurden im angelsächsischen Bereich vielmehr nur als erster Abschluss, also nicht höher als ein Bakkalaureat bewertet. Ein Abschluss mit dieser Wertigkeit könnte aber sicher auch nach drei Jahren erlangt werden. Die stärkere Gliederung und Verschulung des B. A.- Studiums sollte jetzt allerdings durch eine bessere Betreuung der begabten Studierenden in einem honor’s program, besonders aber der graduierten Studenten nach dem B. A. kompensiert werden. In dieser Richtung sind noch nicht einmal erste Ansätze in Sicht.

3. Eine feinere Struktur und eine bessere Ausbildung lässt sich immer kompatibel machen mit einer gröberen bzw. schlechteren.

4. Die Einwände, die in der neuen Struktur entstehende erhöhte Prüfungsdichte wirke für Studenten abschreckend und das Studium werde dadurch verschulter, treffen nicht unbedingt zu, und zwar aus mehreren Gründen: Den ›Kosten‹, die dadurch entstehen, dass das Bakkaulaureat eine erste Auslese bedeutet, steht der Nutzen gegenüber, dass es eine universitäre Abschlussprüfung ist. Dadurch erhalten Studenten eine größere Sicherheit. Denn die Gefahr, dass der Studienabschluss überhaupt scheitert, der im einphasigen System ja erst nach 4–6 Jahren möglich ist, wird so doch erheblich reduziert. Dies gilt umso mehr, als die idealen Anforderungen an den Magister bzw. das Diplom weit über dem Durchschnitt dessen gelegen haben, was die Studienabgänger faktisch geleistet haben. Das hatte gerade bei denjenigen Studenten, welche die Sache, ihr Studium, ernst nehmen, eine entsprechend hohe Erwartung an die eigenen Leistungen erzeugt und daher das Studium mitunter unnötig verlängert.

5. Nicht zu vergessen ist, dass die Einphasigkeit der Universitätsbildung, die oft gleich zum Doktorat geführt hatte, aus einer Zeit stammte, in der die Universitäten noch extreme Eliteeinrichtungen gewesen waren. Die Anzahl der Universitätsstudenten lag unter 1 % eines Jahrgangs. Es wäre daher einfach ein Anachronismus, wenn man sich heute auf diese ›Tradition‹ beruft. Im übrigen war im (amerikanischen und) britischen System die Ausbildung früher ebenfalls einphasig, da der M. A. als sehr hoher Abschluss galt.

6. Im modular gegliederten B. A.-System ergibt sich auch für die Lebensplanung der Studierenden eine größere Flexibilität: Man kann nach dem Bakkalaureat noch einmal entscheiden, ob man die akademische Ausbildung vertiefen will, oder ob man sich nach dieser akademischen Berufsvorbildung im Rahmen einer ersten Anstellung einer Berufsausbildung zuwenden möchte.

7. Als Maßstab für die mit Recht gefürchtete ›Verschulung‹ kann man übrigens nicht die Zeitpunkte und die akademieinternen Wertungen der Prüfungen heranziehen. Die Verschulung hängt nicht an den Formen der Prüfungen und der Abschlüsse, sondern an den Vermittlungsformen und den Inhalten, also daran, wie die Inhalte und Formen der Bildung, Ausbildung und Prüfungen bestimmt werden.

8. Es wäre zu wünschen, dass man in der wie immer zu spät kommenden Diskussion um die schon erfolgte Hochschulreform diese und andere Dinge hinreichend auseinander hält und nicht global und damit folgenlos daherredet, wie es leider üblich ist. Eine Reform der Inhalte ist von einer Reform der Struktur zu trennen, ebenso die Reform der Bürokratie oder der Evaluationen, auch wenn einige Dinge miteinander zu tun haben.

9. Durch eine Beachtung der strukturellen Notwendigkeiten könnten sowohl ernsten als auch mächtigen Kritikpunkten gegen unsere bisherige Universitätsausbildung die Basis entzogen werden, da sich diese, wenn man sich die Dinge überlegt, wesentlich gegen Folgen des einphasigen Ausbildungssystems und nicht so sehr gegen Inhalte gerichtet hatte. Es handelte sich um die Kritik an der großen Anzahl von Studienabbrechern und an der zu hohen Durchschnittsdauer des Studiums. Die Durchschnittsdauer eines Studiums war nämlich ohnehin immer bis zu einem ersten Studienabschluss zu rechnen, ebenso das Lebensalter für Hochschulabgänger. Diese Durchschnittsdauer und dieses Durchschnittslebensalter des erstens Abschlusses werden trotz der Probleme der ersten Jahre erheblich abgesenkt werden können.

10. Dass durch Einführung der gestuften Ausbildung mit einiger Sicherheit zugleich auch das Durchschnittsalter der Master und Doktoren gesenkt werden wird, sieht man vielleicht nicht so schnell ein. Außerdem ergibt sich eine bessere formale Kompatibilität des deutschen Bildungswesens in Kontinentaleuropa und mit dem der angelsächsischen Welt, wie sie im Zeitalter der immer stärkeren weltweiten Vernetzung der Ausbildung und der Berufe ohnehin immer drängender geworden war. Ein deutscher Student, der etwa nach dem Bakkalaureat oder nach dem Magister in England oder Amerika studiert, wird weniger Zeitverluste hinzunehmen haben als bisher.

11. Ein weiterer Nebeneffekt könnte die Intensivierung der Bildung und Ausbildung im Bereich des Verfassens schriftlicher Arbeiten sein. Die Verstärkung der Ausbildung im Schreiben, in der Fähigkeit, lesbare, übersichtliche und inhaltsvolle Texte zu verfassen, ist traditionell bei uns besonders notwendig. Die deutsche Ausbildung vernachlässigt nämlich im Vergleich zu anderen Ländern (Frankreich, GB, USA) bisher die schriftlichen Sprachkompetenzen: das Essay-Writing in den Geistes- und Sozialwissenschaften, das Verfassen von Papers in den Naturwissenschaften.

12. Im neuen System wird der ›Bachelor‹ (die Sprachentscheidung ist unglücklich) zu einer wirklichen Zwischenauslese. Es ist ein Analogon zur Gesellenprüfung. Der ›Master‹ wird zum Analogon einer akademischen Meisterprüfung, das Staatsexamen in seinen zwei Teilen entspricht der beruflichen Meisterprüfung: Danach arbeitet ein Lehrer ja selbstständig.

13. In diesem System erreicht man eine akademische Aufwertung von Master und Doktorat, die angesichts des Verfalls der Wertigkeiten der Abschlüsse deutscher Universitäten fast schon überfällig ist. Zugleich dämpft man ein Problem, das seit der Bildungsreform, der Umwandlung der früher elitären Gymnasien und Hochschulen in Anstalten der Massenbildung, aus strukturellen und nicht bloß historisch kontingenten Gründen virulent geworden ist: das Problem der Zugangsberechtigung zur Hochschule, der Aufnahmeprüfung bzw. des Numerus Clausus. Denn das Bakkalaureat kann gerade deswegen, weil es ein möglicher Hochschulabschluss ist, anders als die Zwischenprüfung eine echte Auslese derer bewirken, die akademisch weiter und tiefer ausgebildet werden. Die Zwischenprüfung kann dies nicht erreichen. Hier hat ein Nichtbestehen bestenfalls den Abbruch des Studiums zur Folge. Eine mögliche Beendigung des Studiums bei mittleren Leistungen und eine Umorientierung auch bei guten Leistungen ist nicht vorgesehen.

14. Analoge Vorteile entstehen für die Frage der Weiterführung von Stipendien und der BAFöG-Förderung. Auf die möglichen finanziellen Einsparungen durch die genauere Bestimmung der Förderwürdigkeit brauche ich dabei nicht einzugehen. Freilich wird gerade dieser Aspekt von Studenten propagandistisch gegen diesen Vorschlag gewendet werden, da es hier ja durchaus auch Pfründe zu verteidigen gibt. Man wird Schlagworte wie ›Einführung der Klassengesellschaft für die Studenten‹ prägen oder so ähnlich, um die Zumutung abzuwehren, dass nicht mehr alle Studenten bis zur Master-Ebene gefördert werden.

15. Und doch würde die neue Struktur in einem gewissen Ausmaß nur die Anpassung an eine in der Praxis längst schon beobachtbare Tendenz bedeuten. Denn es ist ein offenes Geheimnis, dass von der doch erheblichen Anzahl der Studienabbrecher (es sind immer noch ca. 1/3 der Studienanfänger) die meisten keineswegs als akademische Versager zu werten sind. Das zeigt sich gerade auch in den späteren Karrieren dieser Studentengruppe. Es ist sogar ein interessanter Widerspruch zu beobachten zwischen der Realität und der verbreiteten Vorstellung vom Studienabbrecher als Versager. Studienabbrecher, die frühzeitig einen Beruf ergreifen, haben nämlich ihren akademischen Kollegen oft etwas Wichtiges voraus, nämlich eine früher beendete Berufsausbildung. Es hat sich längst herumgesprochen, dass viele nach dem 4. bis 6. Semester nicht deswegen ihr Studium abbrechen, weil sie akademisch nicht weiterkommen, sondern weil sie im Lauf der langen Studienphase eine Entscheidung gegen eine verfeinerte theoretisch-akademische Ausbildung und für eine praktische Berufsausbildung fällen.

16. Dabei kommt ihnen die Erfahrung der Bildung und Ausbildung der ersten Studienjahre dennoch in der Regel sehr zu gute. Ich nenne nur die Erfahrungen der Selbständigkeit, der autonomen Bemühung um vertiefte Bildung im eigenständigen Forschen, Denken, ›höheren‹ Lesen, ›höheren‹ Schreiben etc. Ein erfahrener Personalchef wird daher für entsprechende Stellen Studienabbrecher durchaus z. B. den jüngeren Abiturienten und manchmal auch den scheinbar für den Beruf besser, spezieller, vorbereiteten Absolventen akademischer Ausbildungsgänge vorziehen, bzw. er ist oder wäre oft gut beraten, wenn er dies tut. Er wird, heißt das, manchen Studienabbrecher einem Studienabgänger vorziehen, und zwar womöglich nicht bloß auf Grund des jüngeren Alters, sondern vielleicht auch deswegen, weil der Studienabbrecher wenigstens einmal in seinem Ausbildungsleben einen nicht einfachen eigenständigen Entschluss gefasst hat. Es bedeutete nur die Institutionalisierung dieser Praxis und die Aufhebung des Stigmas des Studienabbrechers, dass man den B.A. einführte.

4. Bildung, Forschung und Berufsausbildung

Aus der Beobachtung von Fakten wie den langen Studienzeiten und der hohen Zahl der Studienabbrecher haben viele Bildungspolitiker und auch die Sprecher der Personalabteilungen der Wirtschaft oft einen falschen Schluss gezogen. Man glaubte nämlich, es müsse die Ausbildung an den Hochschulen straffer und berufsbezogener ausgelegt werden. Und man glaubte, es läge an der Qualität der Universitätslehre, wenn (immer mehr) Studenten sich gegen die allzu akademische und theoretische, zu wenig praxisbezogene Ausbildung wenden, ihr den Rücken kehren. Es könnte jedoch sein, dass weniger der Ausbildungsinhalt das Problem war als die einphasige Ausbildung, die nicht flexibel genug war, Anforderungen zu klassifizieren, und zwar nach den Gruppen der Interessen der Studenten und den Anfordernissen der Berufe, denen sie sich zuwenden wollen. Das Problem könnte also eher in der mangelnden Flexibilität der Ausbildungsstruktur und der mangelnden Gliederung gelegen haben als in der Ausbildung selbst.

Natürlich kann sich nach dem Bakkalaureat eine stärkere Berufsqualifizierung anschließen. An der Universität angeboten werden dazu, wie gesagt, die 2jährigen Lehramtsstudiengänge in zwei Hauptfächern bzw. in einemtistiken.</p> <p class="ParagraphNormal">Wir braandere weiterführende Berufsausbildungen etwa des Typs, wie ihn Fachhochschulen anbieten mögen. Eine Mittelstellung bildeten die Diplomstudiengänge, die übrigens immer nur partiell den Charakter der Berufsausbildung hatten, zumindest an den Universitäten im Unterschied zu den Fachhochschulen.

Ich denke, die neuen modularisierten Studiengänge sollten diesen allgemeinen Grundlagencharakter nicht verlieren. Es ist ja die Aufhebung der Trennung zwischen universitärer Bildung und Berufsausbildung an den Fachhochschulen nicht eine Lösung eines Problems, sondern selbst das Problem. Dies zeigen durchaus auch die (schlechten) Erfahrungen in Großbritannien und in Deutschland selbst. Zwar sind Abgänger von Fachhochschulen schneller von der Industrie ›verwertbar‹. Es steht aber außer Zweifel, dass die Kompetenz der eigenverantwortlichen und besonders der kreativen Entwicklung grundsätzlich neuer Ideen und Verfahren an Fachhochschulen allzu oft nur sekundär (und dann gewissermaßen zufällig, je nach Auffassungsgabe der einzelnen Studenten) vermittelt wird.

Dies ist nicht etwa eine Kritik an den Fachhochschulen. Es ist vielmehr eine strukturelle Folge dessen, wie sich Fachhochschulen von Universitäten unterscheiden: Die Ausbildung an Fachhochschulen muss die Aneignung vorgegebener Schemata als Schwerpunkt haben, eben weil sie Berufsausbildung ist, mit dem Ziel der Anwendung von Techniken. Die akademische Ausbildung an den Universitäten ist dagegen grundsätzlich immer nur Berufsvorbildung. Wer dies nicht sieht und in seiner einseitigen Perspektive auf Effizienz und Verwertung die Angleichung der Universitätsausbildung an die Fachhochschulausbildung fordert, kennt mit Sicherheit auch die zu erwartenden Folgen und Gefahren dieses Missverständnisses nicht.

Eine Gesellschaft, welche die Effizienz bzw. Anwendung überschätzt und nicht wahrnimmt, dass in der heutigen Welt die ökonomische Auseinandersetzung auf der Ebene der Ideen, der Kreativität geschieht und damit von den Ressourcen an autonom denkenden Personen abhängt, wird die Folgen zu tragen haben. Oft hilft die Perfektionierung vorgegebener Techniken nämlich weniger als man glaubt – wie der enorme Aufstieg der Informationstechnologie in den USA zeigt. Man denke an die Art, wie Firmen des Zuschnitts von Microsoft, Apple und andere, in Ansätzen inzwischen auch IBM, strukturiert sind.

Die Gefahr besteht wirklich, dass eine allzu große Konzentration auf Berufsausbildung eine ökonomische Gesellschaft zweiten Ranges schafft, welche fremde Erfindungen bloß in der Produktion umsetzt, etwa gute Geräte für den Haushalt, gute Werkzeugmaschinen und gute Autos herstellt, aber ansonsten, insbesondere im Bereich der Patente (der copyrights und damit auch der royalties), den Anschluss verpasst. Womöglich wird zurzeit bei uns vergessen, dass es das Konzept der freien Bildung war, das die Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert wesentlich positiv geprägt hat und weltweit Anerkennung und Nachahmung gefunden hat.

Dies alles ist gerade deswegen so denkwürdig, wenn und weil manche Politiker, gerade auch manche Forschungs- und Wissenschaftsminister, aber auch Vertreter der deutschen Industrie und Publizisten, wie man in den Lamentos der Zeitungen sieht, offenkundig die Ausbildungsform und das Bildungsziel der Universitäten mit denen von Fachhochschulen verwechseln. Etwa wenn die Entwicklung der deutschen Universitäten in Richtung ›moderner‹, sprich: technisch verwertbarer, Ausbildung gehen soll, wie man meint, ohne zu bemerken, dass das, was gebraucht wird, immer auch eigenständig denkende Forschertypen sind. Womöglich ist die ökonomische Rolle nicht ökonomisch geprägter – humanistischer oder auch theoretisch-naturwissenschaftlicher – Bildung noch überhaupt nicht begriffen.

Die Gefahr, in der sich die Universitäten befinden, besteht daher darin, dass man sie zu reinen Lehrhochschulen verkommen lässt und Forschung und Wissenschaft wie in Russland wesentlich in außeruniversitäre Institutionen wie z. B. Max-Planck-Institute auslagert. Es ist übrigens kein Wunder, dass Akademiemitglieder in Russland heute ihre (relativen) Luxusinstitutionen bezeichnenderweise mit Hinweis auf die Max-Planck-Institute rechtfertigen. Doch mit dieser Auslagerung wird nicht nur ein scheinbar bloß hehres Ideal der Einheit von wissenschaftlicher Forschung und Lehre lädiert. Es wird nicht begriffen, dass ein Hochtechnologieland hinreichend viele wissenschaftlich gebildete und nicht bloß fachlich ausgebildete Personen braucht. Und es wird nicht gesehen, dass es vieler Forscher bedarf, damit einige etwas Nachhaltiges erkennen oder entdecken. Nichts gegen das Harnack-Prinzip des personalen Vorbilds und der Personenförderung, wie es die Max-Planck-Gesellschaft praktiziert. Es ist nur zu kurz gedacht, wenn man dieses Prinzip, das für jede freie Wissenschaft und Lehre zentral ist und das zugleich das allgemeine Prinzip eines Ethos der Wissenschaftler ist, aus den Universitäten in andere Institutionen auslagert.

Es wird damit auch der partiell immer nötige Luxus der Freiheit zur Forschung verkannt. Andererseits müssten viele Luxusakademien ›russischen Typs‹, insbesondere diejenigen mit sozial- und geisteswissenschaftlichen Schwerpunkten, wieder enger an die Universitäten herangeführt werden. Es könnten in diesen Bereichen die Länderakademien nachhaltige Forschung in enger regionaler Verbindung mit den Universitäten wahrscheinlich besser koordinieren und flexibler organisieren. Freilich müsste man dabei den strukturellen Vorteil einer solchen von einer Akademie getragenen Forschung begreifen, ohne bloß auf faktische Verhältnisse zu achten, auch wenn sich gerade in den genannten Bereichen die Ergebnisse der Akademien durchaus sehen lassen können. Es ist hier aber nicht der Ort einer solchen Nutzen-Kosten- Analyse.

Inzwischen verfestigt sich durch täglich neue positive Kommentare die Idee, es müsse sich am Ende unser Land ca. 4 Eliteuniversitäten leisten. Doch man kann keineswegs vorhersagen, wo wirklich Wichtiges entdeckt werden wird, in einem Patentamt in Zürich, in einer Universität oder an einem Kaiser- Wilhelm-Institut. Nur wenn ein Land wie England im Wesentlichen nur zwei Universitäten hat, Oxford und Cambridge, so dass ein Wettbewerb mit anderen Universitäten faktisch nicht stattfindet, kann man relativ sicher sein, dass nur dort innovatives Wissen kreativ entwickelt wird. In Deutschland und den USA konkurrieren dagegen viele Institutionen um die besten Studierenden, Forscher und Lehrer, und das ist auch gut so. Eine deklarative Ernennung von Eliteuniversitäten ist daher grundsätzlich kontraproduktiv. Das Verfahren ist nur oberflächlich attraktiv, da es erstens Geld spart und zugleich werbewirksam ist. Leider verhält sich die mit einiger Notwendigkeit zu erwartende Selbstwerbung der ernannten Eliteuniversitäten zu wirklichem wissenschaftlichen Erfolg der in ihnen geleisteten Arbeiten so ähnlich wie eine bloße Selbsteinschätzung zu echtem Selbstbewusstsein. Echter wissenschaftlicher Erfolg ergibt sich, wie echtes Selbstbewusstsein, am Ende eben erst aus der nachhaltigen Anerkennung der Leistungen durch andere, nicht aus bloßen Worten und Statistiken.

Wir brauchen dann freilich generell in unserem Land ein viel besseres Zahlenverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden, als es heute ist. Und dazu brauchen wir nicht etwa bloß den Ausbau an Stellen für Professoren, sondern eine Karriereleiter über ›tenured lecturer positions‹ (bzw. assoziierte Professoren, ggf. mit höherer Lehrbelastung), die zu vollen Professuren führen kann. Wir brauchen außerdem eine gewisse Koppelung der Finanzierung von Doktoranden mit der Teilnahme an der Lehre. Und wir brauchen ein institutionell (finanziell und personell) gut abgesichertes honor’s program auf der B. A.-Ebene, damit eine Ausdifferenzierung der B. A.-Ausbildung in einen wissenschaftlichen Zweig und einen Ausbildungszweig stattfinden kann. Ohne diese Zweigliederung besteht die Gefahr, dass die Bachelor-Ausbildung zu einer bloßen Tertiärstufe in einer am Ende nicht etwa bloß 12, sondern 15 Jahre dauerenden Schule wird. Wir brauchen regionale Autonomie und den Wettbewerb der klassischen Universitäten statt die self-fulfilling prophecies mehr oder weniger willkürlich mit dem Titel Exzellenz versehener Universitäten und Forschungscluster. Dazu bedarf es eines dialektisch-institutionellen Denkens, welches die nachhaltige Wettbewerbsfeindlichkeit von Einzelconcours nach Art der Exzellenzinitiative strukturell durchschaut und stattdessen Incentives für nachhaltig richtungsrichtige Entwicklungen schafft. Wir brauchen auch wieder ein institutionell nachhaltiges Denken jenseits des Daueraktivismus, wie er durch das CHE und andere mehr oder minder selbsterklärte Hochschulevaluatoren nach Art von Beratungsfirmen und im Bildungsbürgerfeuilleton unserer Medien Einzug gehalten hat. Dazu brauchen wir mehr Vertrauen in die Selbstorganisation der Wissenschaften, gerade auch der Fachverbände. Außerdem brauchen wir eine nachhaltige Forschung. Der allgemeine Rahmen der DFG-Programme und der Verfahren der Bewilligung hat leider dazu geführt, dass die DFG wesentlich Nachwuchsforschung finanziert – was ja auch Professor Jarausch in seinem Beitrag so sieht.

Das Problem der deutschen Universität ist im Kern eine Vertrauenskrise. Ironischerweise zeigt gerade die gegenwärtige Wirtschaftskrise, wie viel von Vertrauen abhängt, und warum Kooperationen ohne Vertrauen scheitern. Das gilt besonders auch für die Wissenschaften. Es ist aber strukturell absurd, das nötige Vertrauen durch administrative Kontrolle ersetzen zu wollen, ohne den Patienten, die Wissenschaft, noch nachhaltiger zu schädigen, als es die (immer noch recht wenigen) sicher tun, welche durch Missbrauch des Vertrauens das Problem möglicherweise hervorgerufen haben.

  1. 1Zur gleichen Einschätzung bezüglich der HumboldtschenIdee der Bildung, die unabhängig von den Strukturbedingungen der historischen Beamtenuniversität Preussens zu bewerten ist, kommt – wenngleich seine Überlegungen aus einer etwas anderen Richtung kommen – auch Malte Herwig in »No Porno«, Süddeutsche Zeitung, 11./12.10.2008.
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Heft 1 (2008)
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