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Die Rolle der Universitäten bei der Herausbildung der modernen Wissenschaften

Im Jahre 2009 wird die Universität Leipzig den 600. Jahrestag ihrer Gründung begehen. Als eine der wenigen deutschen Hochschulen kann sie damit auf eine Geschichte zurückblicken, die die Entwicklung der Wissenschaften über den weiten Zeitraum vom Spätmittelalter bis auf unsere Tage umfasst. Dem wird eine fünfbändige Gesamtdarstellung der Universitätsgeschichte Rechnung tragen, an der von einem Kollektiv Leipziger Historiker seit Jahren gearbeitet wird. Ein zweites größeres Vorhaben, das sich der Geschichte der Alma mater Lipsiensis widmet, bildet die geplante Jubiläumsausstellung im Alten Rathaus der Stadt. Diese wird im Gegensatz zu den sonst gängigen Expositionen zu Hochschuljubiläen den Schwerpunkt auf ein Thema legen, nämlich die Wissenschaftsgeschichte, und sie wird sich in der Hauptsache einer Epoche zuwenden, der Zeit der Aufklärung. Dem liegt folgende Überlegung zugrunde: Die Universitätsgeschichte besitzt sicher die vielfältigsten Dimensionen, nicht zuletzt politische und ökonomische, aber zuerst und vor allem ist die Universität eine Einrichtung, die der Förderung und der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu dienen hat. Es erscheint daher als legitim, einmal diesen Aspekt in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Die Wahl des Zeitabschnittes ist in der Behauptung begründet, dass die Epoche der Aufklärung wesentliche Bedeutung für die Entstehung der modernen Wissenschaften besitzt. Dazu tritt als zweite These die Feststellung, dass die deutschen Universitäten an jener Entwicklung zentralen Anteil genommen haben. Im Folgenden sollen diese Aussagen etwas näher begründet werden.

Für viele der heute längst etablierten Wissenschaftsdisziplinen ist damals, im 17./18. Jahrhundert, der Grundstein gelegt worden. Diese Entwicklung vollzog sich nicht allein an den Universitäten, aber ihr Anteil daran war doch groß. Das steht nur scheinbar in einem Kontrast zu der Tatsache, dass es an den meisten Universitäten Jahrzehnte gebraucht hat, bis eine solche neue Disziplin mit einem Lehrstuhl bedacht worden ist und damit gleichsam in der Öffentlichkeit sichtbar wurde. Die neuen Wissenschaften entwickelten sich im Schoß der bereits aus dem Mittelalter überlieferten Fächer der wohlbekannten sieben freien Künste. Entweder beschäftigen sich die entsprechenden Lehrstuhlinhaber selbst in Forschung und Lehre mit neuen wissenschaftlichen Ansätzen, oder es ist die große Zahl der Mitglieder des modern gesprochen ›akademischen Proletariats‹ (nach heutigen Begriffen außerplanmäßige Professoren, Privatdozenten, Assistenten usw.), die innerhalb der etablierten Disziplinen Teilaspekte aufgreifen, die später als neue Fächer in Erscheinung treten sollten. Die Geographie z. B. wird zwar erst im 19. Jahrhundert ein wirklich eigenständiges Fach, aber bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert kommt es im Rahmen der Lehrangebote für Geschichte und Mathematik zur Vermittlung von geographischem Wissen. Auch die Germanistik ist eine Wissenschaft, die sich erst nach den Freiheitskriegen von 1813–1815 feste Organisationsformen gibt. Schon 1695 hat jedoch in Leipzig Erdmann Neumeister eine erste Geschichte der deutschen Literatur vorgelegt. Im 18. Jahrhundert ist Johann Christoph Gottsched einer der ersten, der sich intensiv mit der mittelalterlichen Literatur zu befassen beginnt. Gelehrte wie Johann Georg Wachter und Johann Christoph Adelung erarbeiten umfassende Wörterbücher zur deutschen Sprache. Die Geschichtswissenschaft, bisher mehr der Klassischen Philologie oder der Moralphilosophie zugeordnet, gewinnt jetzt ihre Eigenständigkeit. Die Montanwissenschaft erhält noch im 18. Jahrhundert in Freiberg (weltweit) eine erste eigene Ausbildungsstätte, aber auch hier reichen die Wurzeln tiefer, denn schon Jahrzehnte zuvor sind entsprechende Kenntnisse im Physikunterricht der Universität Leipzig vermittelt worden. Die Entstehung neuer Disziplinen erfährt auch Anstöße aus Bereichen außerhalb der Universität. So ist die Entstehung der Gerichtsmedizin mit der Existenz zahlreicher Dikasterien in Leipzig in Verbindung zu bringen. Die Technikwissenschaften erfahren in ihrer Entwicklung einen bedeutsamen Schub durch die Verbindung mit den reichen Traditionen des Leipziger Handwerks.

Gar nicht zu überschätzen ist die Tatsache, dass zentrale und bis heute gültige Formen und Methoden der Wissensvermittlung und des Wissensaustausches in der Zeit der Aufklärung entstanden sind. Zuerst zu nennen ist da die Publikation wissenschaftlicher Periodika. Der Austausch von Informationen und Meinungen wird damit im Vergleich zu den Jahrhunderten zuvor auf eine völlig andere Grundlage gestellt. In Leipzig erscheint mit den Acta Eruditorum (1682 ff.) die erste wissenschaftliche Zeitschrift Deutschlands überhaupt. Ihre Herausgeber und Verfasser sind zum größten Teil Universitätsgelehrte, ihre Leser findet sie in ganz Europa; noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigen die Mönche eines Klosters auf Sizilien voller Stolz ihrem Gast Seume ihre Sammlung an Bänden der Acta. Andere Periodika folgen, so die Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen (1715–1785), deren Form und deren Berichterstattung aus der weiten Welt der Respublica litteraria im gesamten deutschsprachigen Raum Schule machten. Sind die Acta und die Zeitungen noch Publikationsorgane, die die gesamte Palette der damaligen Wissenschaften im Auge haben, so kommt es doch bald zur Edition von Fachblättern, was angesichts der fortlaufenden Ausdifferenzierung der Disziplinen unvermeidlich ist. Zum modernen Wissenschaftsbetrieb gehört auch die Existenz außeruniversitärer Einrichtungen mit akademischer Orientierung. Das sind in Deutschland lange Zeit weniger die Akademien, wie sie in England und Frankreich eine Rolle spielten, sondern wissenschaftliche Gesellschaften (Collegia), die meistens in enger Verbindung zu einer Universität stehen. In Leipzig ist z. B. die Deutsche Gesellschaft zu nennen, die sich mit der Erforschung der deutschen Sprache und Literatur beschäftigt. Ihre maßgebenden Mitglieder, allen voran Gottsched, sind Angehörige der Universität. Andere Sozietäten beschäftigen sich mit der Ökonomie, der Medizin, den Naturwissenschaften. Verwiesen sei schließlich noch auf das Anlegen wissenschaftlicher Sammlungen. Moderne Wissenschaft ist ohne solche Einrichtungen nicht denkbar. Deren Ursprünge liegen in den Kunst- und Naturalienkammern, die im 17. Jahrhundert in Mode kommen. Sammler sind auch, aber keineswegs allein, Universitätsangehörige. Es sammeln auch Ärzte, Apotheker, Kaufleute und Beamte. Entscheidend ist jedoch, dass diese Sammlungen zu Stätten der wissenschaftlichen Forschung wurden, dass sie die dafür notwendigen Voraussetzungen zu bieten vermochten.

Eine Grundvoraussetzung für die Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft bildet die Trennung zwischen Theologie und Philosophie, wobei letztere ihre bisherige der Theologie gegenüber über die Jahrhunderte hinweg gepflegte dienende Funktion aufgibt und sich emanzipiert. In Verbindung damit steht die Erlangung der Gleichberechtigung zwischen den sogenannten höheren Fächern Theologie, Jurisprudenz sowie Medizin auf der einen Seite und den in der Philosophischen Fakultät zusammengeschlossenen Disziplinen auf der anderen. Das ist das Thema in Kants berühmter Schrift über den Streit der Fakultäten, wobei die angedeutete Entwicklung zum Zeitpunkt des Erscheinens jenes Textes bereits weit vorangeschritten ist. Damit einher gehen wesentliche Veränderungen in der Methodik wissenschaftlichen Arbeitens; sie ist bis heute grundlegend geblieben. Die sich herausbildende, vor allem in Frankreich entwickelte historisch-kritische Methode der Quellenkritik stellt die Texte der bisher unhinterfragbaren kulturellen Überlieferung in ihrer Gültigkeit in Frage, seien es die der Antike oder, besonders brisant, die der biblischen Schriften. Die überlieferten Textzeugnisse werden auf ihre Zuverlässigkeit kritisch untersucht, die Textinhalte werden auf ihren Wahrheitsgehalt befragt. Das ist nicht nur ein Thema der Philologie, auch die moderne historische Forschung findet hier ihre Grundlagen. Barthold Niebuhr und Leopold Ranke, die als Pioniere der neueren Geschichtsschreibung gelten, sind in ihrem Auftreten ohne die Vorarbeiten des 18. Jahrhunderts nicht denkbar. Gleiches gilt für die alt- und neutestamentliche Wissenschaft, die in den folgenden Jahrhunderten völlig neue Erkenntnisse und Auffassungen über die Entstehung der biblischen Schriften und die Frühgeschichte des Christentums entwickeln wird. Auf den Gebieten der Naturwissenschaften und der Medizin ersetzt das Experiment als grundlegende Methode wissenschaftlichen Forschens die bisher gepflegte Auslegung überlieferter Autoritäten. In der Medizin ist es insbesondere der heute als selbstverständlich erscheinende Besuch am Krankenbett, der den Studenten mit der Praxis seines Faches vertraut macht. Leichensektionen, bis tief in die Neuzeit aus religiösen Gründen verpönt, werden selbstverständlich.

Die bisherigen Ausführungen haben bereits erkennen lassen, dass den Universitäten bei der Herausbildung der modernen Wissenschaften eine gewichtige Rolle zukommt. Diese Feststellung soll jetzt noch etwas vertieft werden. Das herkömmliche, wenn auch heute nicht mehr absolut dominierende Bild über die Bedeutung der Universitäten im Zeitalter der Aufklärung sieht anders aus. Ein englischer Bildungsforscher formuliert das so: »As intellectual centres the German universities had been in decline almost since the Reformation. By the eighteenth century they had become little more than repositories of religious orthodoxies and sanctuaries for student ruffians [...]«1 Die neu gegründeten Universitäten Halle und Göttingen gelten in dieser Sichtweise als gewisse Ausnahmen, ansonsten sei der Siegeszug der modernen Wissenschaften über die Akademien erfolgt: »Es waren vor allem die Gelehrten Gesellschaften, die den Hort des wissenschaftlichen Fortschritts bildeten und sich dann zu Akademien fortbildeten [...] Ihnen war gemeinsam, daß sie mit ihren Sektionen und Abteilungen Fachgebiete der philosophischen Fakultät besetzten, um dort Forschungen zu leisten, die im Universitätsbetrieb nicht möglich waren.«2 Die Universitäten seien ganz einer sterilen Traditionspflege verbunden gewesen und hätten sich außerdem allein mit der Lehre beschäftigt.

Was die Akademien in Deutschland angeht, so sei nur darauf hingewiesen, dass sie auf der Landkarte nur sporadisch zu finden sind, die vielbeschworenen großen Forschungsleistungen also mangels Masse gar nicht vollbringen konnten. Auch verstanden sie sich in der Regel nicht als Konkurrenzunternehmen zu den Universitäten, wie das heute oft suggeriert wird, sondern eher als deren Ergänzung.3 Wichtiger noch ist die Beobachtung, dass die Hochschulen eben nicht in erster Linie Stätten klopffechtender orthodoxer Theologen waren, wie es das obige Zitat von Karl A. Schleunes als Tatsache hinzustellen versucht. Die wissenschaftlichen Tendenzen der Zeit fanden vielmehr Eingang in die Universitäten und erlebten hier ihre Förderung. Wir blicken zuerst auf die Naturwissenschaften, um die es an den Hochschulen angeblich besonders schlecht bestellt gewesen sein soll. Die Acta Eruditorum wurden schon erwähnt. Diese Zeitschrift berichtet geradezu schwerpunkthaft über Publikationen zu den Naturwissenschaften, vor allem aber druckt sie eigenständige Beiträge zu diesen Disziplinen einschließlich Mathematik und Medizin ab. Leibniz’ berühmter Aufsatz, mit dem er die Infinitesimalrechnung begründete, ist z. B. in den Acta erschienen. Regelmäßig werden dort die Ergebnisse astronomischer Beobachtungen publiziert. Zu einem guten Teil stammen sie von Leipziger Astronomen, u. a. von dem Mathematikprofessor Christoph Pfautz. Aus dessen Feder stammen auch etliche Berichte über technische Neuerungen. 1683 z. B. informiert ein Artikel des Gelehrten über die Konstruktion von Unterseebooten. Zu Beginn stellt Pfautz fest, dass es das Glück des gegenwärtigen Säkulums bedeuten würde, dass sich in ganz Europa die Wissenschaften mehr und mehr entwickeln; die Gelehrten hätten sich ganz der Verfolgung dieses Zieles verschrieben. Die dabei erzielten Fortschritte beträfen auch die Kunst des Tauchens, die für die Bergung von Kostbarkeiten aus den Tiefen des Meeres von Bedeutung sei. Vorgestellt wird dann der Entwurf eines Tauchbootes von Alphons Borelli, mit dem sich Menschen gleich den Fischen lange unter Wasser bewegen könnten.4

Vertreten sind die Naturwissenschaften auch im Vorlesungsbetrieb. So wird Pfautz’ Lehrangebot wiederholt folgendermaßen beschrieben: »[...] in loco Bibliothecae Academicae Paulinae utriusque Globi, coelestis & terrestris usum commonstrando & explicando, Auditores in Geographiae pariter atque Astronomiae notitiam deducet.«5 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wird in Leipzig eine ordentliche Professur der Chemie eingerichtet. Das ist für die Zeit noch alles andere als selbstverständlich. Die kurfürstliche Regierung in Dresden betrachtet es als unumgänglich, den neuen Lehrstuhl mit einem Laboratorium auszustatten, da »deßen [des Professors] Thun nicht in bloßen Lesen, alß wovon die studirende Jugend wenig Nutzen haben würde, sondern in öffentlichen Laboriren und Demonstriren zugleich bestehen solle.«6 Johann Christoph Scheider, der neue Professor, erhält bald Besuch seitens einiger Mitglieder der Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften. In dem uns vorliegenden Bericht findet auch das Laboratorium Erwähnung, »welches überaus behend und artig eingerichtet« sei. Zugleich diene es Scheider als »auditorium, woselbst er seine lectiones hält.« Überhaupt kann nur Gutes über den Professor berichtet werden: »Er ist ein Mann der von sich und seinen Dingen nicht viel wesens macht, noch heimlich ist mit seinen Künsten, sondern alles gerne zum gemeinen besten beiträgt.«7 Ein anderer renommierter Naturwissenschaftler ist der Physikprofessor Johann Christian Lehmann. Auch ihn suchen die Berliner Gelehrten auf: »Er sey ein curieuser Mann, und habe einen schönen Vorraht von allerhand raritäten, daran er auch kein Geld sparet. Unter andern habe er ein Systema Copernicanum in Machina, welches durch ein gewißes rad, so auf den 24stündigen Umlauf gerichtet, also kan gestellet werden, daß man alle stunden, die phaenomena planetarum genau sehen und bemerken kan.« Schließlich besitze er auch ein »großes gerüst«, in dem »alle die verschiedene Bergwerksarbeit [...] samt allen zugehörigen Gebäuden, Werkzeugen und Rüstungen « vorgestellt werden.

Ein anderes Thema der Zeit bildet der Wechsel der Wissenschaftssprache. Bisher war dies mit großer Selbstverständlichkeit Latein. Am Ende des Aufklärungszeitalters wird sich allgemein das Deutsche durchgesetzt haben, auch an den Universitäten. Wenn es auch immer wieder seitens der Obrigkeit den Versuch gegeben hat, durch administrative Maßnahmen diese Entwicklung zu stoppen, so hatten die Hochschulen und viele ihrer Angehörigen einen ganz erheblichen Anteil an der Ausformung des Deutschen zu einer Sprache, die fähig ist, auch komplizierte Sachverhalte innerhalb aller wissenschaftlichen Disziplinen darzustellen. Natürlich ist in diesem Zusammenhang zuerst Christian Thomasius zu nennen. Seine Vorlesungen und seine Zeitschriften, allen voran die berühmten Monatsgespräche, haben ganz entscheidend dazu beigetragen, die deutsche Sprache sozusagen salonfähig zu machen. Dem Universitätsprofessor Gottsched und der von ihm geleiteten Deutschen Gesellschaft kommen die größten Verdienste zu, was die Sprachforschung und -pflege angeht und was die Beschäftigung mit der Literaturgeschichte betrifft. Der Leipziger Johann Jacob Mascov hat mit seiner Geschichte der Teutschen erstmals eine umfassende (wenn auch unvollendete) deutsche Geschichte in der Muttersprache vorgelegt. Der Juraprofessor Karl Ferdinand Hommel veröffentlicht 1763 sein Buch Teutscher Flavius, das ein ›antibarbarisches Wortverzeichnis‹ enthält. Unzählige lateinische Fachausdrücke aus dem Bereich des Rechtswesens werden dort verdeutscht; viele dieser Wortschöpfungen sind noch heute im Gebrauch, z. B. Rechtsstreit für Prozess und Haft für Arrest. Der Techniker Johann Jacob Leupold publiziert sein deutschsprachiges Monumentalwerk Theatrum machinarum generale, das auf 20 Bände geplant die gesamte Technikwissenschaft der Zeit zur Darstellung bringen sollte. Wenn auch nur neun Bände erschienen sind, so haben diese die Entwicklung einer Fachterminologie auf dem Gebiet der Technik wesentlich gefördert.

Die Universität ist schließlich ein Ort, wo die Orientalistik als neue Wissenschaft Verankerung findet. Anfangs steht sie noch in einer näheren Abhängigkeit zur Theologie, aber das wandelt sich im Laufe des Aufklärungsjahrhunderts. Ein Pionier der neuen Disziplin ist Andreas Acoluthus, der von 1675 bis 1682 an der Leipziger Universität wirkt. Acoluthus vermittelt Sprachkenntnisse im Arabischen, Äthiopischen, Persischen, Türkischen, Hebräischen, Syrischen, Samaritanischen, Armenischen, Koptischen und sogar im Chinesischen. Er legt eine z. T. noch heute in Leipzig erhaltene orientalische Handschriftensammlung an und publiziert das erste armenische Buch in Deutschland. Johann Christian Clodius ist dann sogar der erste Professor für Arabisch, den es überhaupt an einer deutschen Universität gegeben hat. Sein Schüler wiederum ist der geniale Johann Jakob Reiske, den man vielleicht überhaupt als Begründer der modernen Orientalistik in Deutschland bezeichnen kann. Er vor allem war es, der die Trennung von Theologie und Philologie mit aller Entschiedenheit durchführte. Seiner Karriere war das freilich nicht förderlich. Dass Reiske auch unter die Gründergestalten der Byzantinistik zu rechnen ist, sei an dieser Stelle zumindest vermerkt.

Der Unterrichtsbetrieb der frühneuzeitlichen Universität kennt als Lehrformen in der Hauptsache die Vorlesung und die heute in ihrer damaligen Gestalt heute ganz unbekannte Disputation. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beginnen die Seminare die Disputationen abzulösen. Das geschieht also nicht erst im Zuge der Humboldtschen Reformen, wie man oft lesen kann, sondern reicht in den Anfängen bis ins 17. und frühe 18. Jahrhundert zurück. Damals existierten verschiedene Collegia (u. a. mit den Bezeichnungen Gellianum, Anthologicum, Philobiblicum, Heraldicum), in denen Vorträge gehalten, Texte gelesen und Quellenmaterialien gesammelt wurden. Das sind bereits Inhalte der späteren Seminararbeit, wie sie ab 1784 in der von Professor Christian Daniel Beck ins Leben gerufenen Philologischen Gesellschaft, die als erstes eigentliches Seminar in Leipzig gilt, betrieben wurde. In Göttingen war ihm in der Seminarbildung Christian Gottlob Heyne vorangegangen, aber der hatte in Leipzig studiert, wo Johann Matthias Gesner bereits in den dreißiger Jahren an der Thomasschule den Sprachunterricht revolutionierte: Das sture Auswendiglernen wurde abgeschafft und durch die Beschäftigung mit den Inhalten der Texte im Blick auf den praktischen Nutzen der geforderten Lektüre ersetzt.

Eine Ausstellung wird die im vorangegangenen Text angesprochenen Sachverhalte mit einer Auswahl von Exponaten, deren Ermittlung oft alles andere als einfach ist, nur bedingt verdeutlichen können. Dennoch bietet sie die Möglichkeit, breitere Kreise an das nur auf den ersten Blick spröde Thema der Wissenschaftsgeschichte heranzuführen. Die vielbeschworene Wissenschaftsgesellschaft hat in ihrer Ausformung in der Epoche der Aufklärung und speziell an den Universitäten einen starken Antrieb erhalten, der bis heute fortwirkt.

  1. 1Karl A. Schleunes, Schooling and society. The politics of education in Prussia and Bavaria 1750–1900, Oxford, New York, München 1989, S. 10.
  2. 2Rainer A. Müller, Geschichte der Universität. Von der mittelalterlichen Universitas zur deutschen Hochschule, München 1990, S. 61.
  3. 3Vgl. Detlef Döring, »Universitäten und gelehrte Sozietäten im 17. Jahrhundert«, in Richard Toellner, Uwe Müller, Benno Parthier und Wieland Berg, Hg., Die Gründung der Leopoldina »Academia Naturae Curiosorum« im historischen Kontext. Johann Laurentius Bausch zum 400. Geburtstag, Acta Historica Leopoldina, Nr. 4 9, Stuttgart 2008, S. 43–61.
  4. 4Vgl. Acta Eruditorum, Jg. 1683, S. 73–77.
  5. 5Vorlesungsanzeige 1693 (Universitätsarchiv Leipzig, Bestand Rektor, Rep. I/IX/1a).
  6. 6Universitätsarchiv Leipzig, Rep. I/VIII/34: Acta die neu angeordneten Professiones Juris Naturae et Gentium ... betr. 1711.
  7. 7Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Protokolle der physikal.-mediz. Classe 1711–1743, Bl. 9. Der Besuch fand 1712 statt.
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Heft 1 (2008)
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