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Editorial


»Das Wort ›Freiheit‹ klingt so schön, dass man es nicht entbehren könnte, und wenn es einen Irrtum bezeichnete.« Goethes Ausspruch, so problematisch er ist, lässt erahnen, dass Wunschdenken nicht zu Fortschritt, sondern zu komplexen Formen des Selbstbetrugs führen kann, zu denen auch alle Arten selbstverschuldeter Provinzialität zählen. In dieser Ausgabe der Denkströme finden sich zahlreiche Belege für solche Gefahren und deren Überwindung – so zum Beispiel in den Beiträgen über die Künste im doppelten Deutschland, die sich in Ost und West bei Weitem nicht nur nach Kants Idee eines interesselosen Wohlgefallens als freies Spiel der Erkenntniskräfte beurteilen lassen mussten; über die Kritik an der Vermachtung von aus freier Wissenschaft gewonnenem Wissen und der Konventionalisierung von Kultur, die bereits in der Zivilisationskritik Jean-Jacques Rousseaus formuliert wurde; über den öffentlichen Ge- und Missbrauch im privat-geschützten Raum entstandener Briefe, wie ihn bereits Friedrich Heinrich Jacobi bemängelt; bis hin zur Verwässerung des Begriffs »Nachhaltigkeit«, heute zum inflationär gebrauchten »Plastikwort« verkommen, der in seinem Kern – wie ihn vor 300 Jahren Hans Carl von Carlowitz, Oberberghauptmann in Freiberg, entwickelt hat – jedoch klare und grundlegende Normen für einen sinnvollen Umgang mit naturgegebenen Ressourcen liefert.


Unter dem Titel »Autonomie und Lenkung. Die Künste im doppelten Deutschland« haben die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und die Sächsische Akademie der Künste im April 2013 ein gemeinsames Symposium veranstaltet, das erstmalig den Versuch unternahm, die Situation aller Künste in Ost und West in einem ganzheitlichen Zugriff und in einem breit gefächerten Dialog zwischen Künstlern, Wissenschaftlern, Zeitzeugen und Zeithistorikern kritisch zu hinterfragen. Der Einführungsvortrag von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse ist an erster Stelle im Heft abgedruckt. Nicht nur in den Wissenschaften, auch in den Künsten hat es offenbar fast 25 Jahre gedauert, bis sich die auf sich selbst beschränkten Binnensichten auf die Welt aus Deutschland Ost und Deutschland West sowohl geographisch als auch geschichtlich langsam auflösen und wir heute, hoffentlich, in einem nicht mehr bloß in Kleinstaaten zerteilten Europa selbstbewusst aufatmen könnten – wenn wir denn die Chancen ergreifen, die zu ergreifen sind. Ein solcher Fortschritt ist gerade nicht dadurch zu erreichen, dass man sich selbst auf der Seite des Fortschritts wähnt. Das zeigt Heinz Thomas Erinnerung an die Versprechen der Aufklärung und die Rückschläge ihrer optimistischen Zukunftserwartungen, welche bis heute unter dem leicht irreführenden Titel einer »Geschichtsphilosophie« firmieren – und dies, obwohl schon bei Hegel jede Geschichte in der ­jeweiligen Gegenwart endet. Gerade die Selbstüberschätzung nach einem gewissen Erfolg und vorschnelle Optimismen führen häufig zurück in ein provinzielles Denken, so wie andererseits wenig so provinziell ist wie die Meinung, das (zukünftige) Zentrum der Welt sei anderswo, oder wie die Nostalgie als ­Heroisierung einer scheinbar vollkommeneren Vergangenheit.


Ein Raumordnungskonzept für Mitteldeutschland als eine der ­europäischen Metropolregionen könnte zukunftsweisend sein, wenn es entsprechende politische Entscheidungen leiten würde, wie ein weiterer Betrag zeigt. Hinzu kommt eine Vergleichsstudie, in welcher sich statistisch bestätigt, was man aus allgemeiner Lebenserfahrung vermuten würde, nämlich dass Akademiker, besonders, wenn sie sich geistig rege halten, eine höhere Lebenserwartung haben. Unterschiede zwischen Süd, West und Ost sind hier nicht signifikant.


Unsere Diskussion in diesem Heft behandelt das Thema Promotion, deren Qualitätssicherung und die Frage nach einer Ausweitung des Promotionsrechts auf Fachhochschulen. Dabei ist schon die Frage brisant, wer im Fall des Verfahrens um die Dissertation von Frau Schavan die gravierendsten Fehler gemacht hat: die eben in die junge Universität eingegliederte Pädagogische Hochschule, die junge Studentin, eine allgemeine Überschätzung wichtigtuerischer 
Whistleblower oder die offenbar bis heute in ihrem Kontrollverfahren noch nicht ausgereifte Universität Düsseldorf. Das alles bestätigt das strukturtheoretische Urteil, dass die Leitung der Promotionsverfahren wohl am Besten an einer universitären Fakultät mit ihrer Erfahrung bleiben sollte – was dann 
allerdings bedeutet, dass in den relevanten Fällen die Kooperationen mit Partnerinstitutionen, von Max-Planck-Instituten bis zu ausgewählten Fachbereichen an Fachhochschulen, entsprechend gut auszugestalten sind. 


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Heft 10 (2013)
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der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

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