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Ausweitung des Promotionsrechts – Dr. für alle?


I.


Im Blick auf die Debatten, die von prominenten Plagiatsfällen (jenseits der Personen und ihrer Schicksale) angestoßen wurden, sollte man meinen, dass nicht die Ausweitung des Promotionsrechts auf weitere Institutionen, sondern Beschränkung und Qualitätssicherung die Gebote der Stunde sein müssten. Arbeitet man an diesem Thema, dann stellt man ja bald fest, dass man es bei der Qualitätsfrage nicht mit einzelnen Plagiatsfällen, sondern mit einem Systemproblem des deutschen Hochschulsystems zu tun hat. Den problematischen Status der Promotion (und von akademischen Prüfungen überhaupt) kann man deshalb auch nicht allein von aktuellen Einzelfällen aus diskutieren, sondern muss ihn in historischer Perspektive sehen, als traditionsreiches Merkmal des deutschen Universitätssystems,1 zudem in einer Gesellschaft, in der akademische Titel immer noch spezifische Funktionen haben. Auch bei ­einem solchen Blick liegt eher das Plädoyer für eine Einschränkung als für eine Ausweitung des Promotionsrechts nahe.


II.


Fragen der Qualitätssicherung von Promotionen, nimmt man sie zuerst in den Blick, sind Thema, seit es die Universität gibt,2 ja die moderne Universität wird ausdrücklich mit dem Anspruch gegründet, die Prozesse von Graduierung und Titelvergabe endlich qualitativ angemessenen, nämlich rein wissenschaftlichen Maßstäben zu unterwerfen. Die Universität zu Berlin, 1810 gegründet, zieht einen Teil ihres frühen Ruhmes aus der Tatsache, dass sie die Promotion in absentia nicht zulässt und auch sonst strenge Regeln für Promotions- und Habilitationsverfahren einführt: von der Erwartung einer eigenen schriftlichen Leistung bis zu eigenständigen mündlichen Prüfungen. Sie hat, zu ihrem Ärger, damit an den deutschen Universitäten nicht Schule bilden können, das alte Elend setzte sich fort. 1876 klagt Theodor Mommsen erneut über »die deutschen Pseudoctoren« und fordert »die Promotionsreform«.3 Aber noch um 1900 diskutieren die preußische und die deutsche Konferenz der Rektoren4 einige als dringend notwendig eingeschätzte Maßnahmen zur Steigerung der Qualität der Promotion. Dabei werden Fragen der Themenvergabe, der Betreuung, zumal angesichts von Doktorfabriken, und der disziplinspezifisch sehr variierenden Qualitäts- und Bewertungsstandards in den Graduierungsverfahren aufgeworfen, die man bis zum Ende des 20. Jahrhunderts immer neu hören kann. Diesen Problemen ist der Wissenschaftsrat ja auch bis in die aktuelle Gegenwart mit Vorschlägen zur Reform der Promotionsverfahren begegnet.5 Im Grunde sind daher auch die Verfahren und Standards bekannt und hinreichend diskutiert, mit denen die Qualität gesichert werden kann. Die Universitäten haben jetzt die Bringschuld.


Die Vergabe des Promotionsrechts an andere als universitäre Einrichtungen – die Fachhochschulen sind aktuell Thema, aber die außeruniversitären Forschungseinrichtungen zeigen ebenfalls Interesse – ist deshalb auch zuerst die Frage danach, ob neu hinzukommende Einrichtungen die notwendigen Qualitätsstandards sichern können, und zwar personell wie organisatorisch. Bei diesem Blickwinkel ist unverkennbar, dass allein die Universitäten nach den Rekrutierungsmustern ihres Personals und nach der Ordnung der Zuständigkeiten in ihrer Binnenorganisation ganz wesentlich durch die Erwartung geprägt sind, Qualitätsstandards in Graduierungsverfahren durchzusetzen, und zwar fachnah, aber nicht isoliert, sondern immer mit Transparenz für andere universitäre Akteure, Personen wie Disziplinen. Konkret heißt das, bezogen auf die Personen, denen man Graduierungsrechte einräumt, dass sie selbst ihre Kompetenzen nicht allein in einer Promotion, sondern in einem weiteren wissenschaftlichen Prüfungsverfahren nach der Promotion, mit Habilitationen oder habilitationsäquivalenten Leistungen nachzuweisen haben, und dass sie zudem in einem Verfahren berufen wurden, in dem auch die Kompetenz zur selbstständigen Forschung sowie, wenn die Berufungsverfahren gut sind, zur Betreuung von Forschung eigens geprüft wurde. 


Organisatorisch trägt man zugleich der Tatsache Rechnung, dass trotz aller kriterialen Ordnung der Berufungsverfahren das Promotionsrecht nicht Personen zugestanden wird, sondern Gremien, und d. h. hier, im Fall der ­Promotionen und Habilitationen, den Fakultäten als Garanten der Qualität der Verfahren. Promotionsordnungen sind deshalb Fakultätsordnungen. Sie regeln, welche Personen an diesen Verfahren, gutachterlich oder als Betreuer, beteiligt werden; und das sind alle diejenigen, welche die notwendige Qua­lifikation nachweisen können. Die Ordnungen setzen dabei (heute) in der Regel auf Transparenz des gesamten Verfahrens, auf eigene Kriterien der Zulassung zum und der Betreuung im Verfahren, bis zur definitiven Befristung der Dauer, und mit eigenen Formen der Rechenschaftslegung. Diese Kriterien werden heute, schlechter Erfahrungen eingedenk, meist auch jenseits der früher üblichen Personenzentrierung realisiert, also jenseits der dominanten Rolle der Doktormütter oder Doktorväter. Das Kollegium der Fakultät behält dabei seine Prüfungsrechte, denn im Verfahren haben Auslagefristen die Funktion, Öffentlichkeit herzustellen und Stellungnahmen zu ermöglichen; mündliche Prüfungen sind öffentliche Prüfungen; für Dissertationen besteht eine Publikationspflicht. 


Dieses dichte Netz von Regelungen bekommt letztlich darin seinen Sinn, dass man die Stellung der Universitäten im Wissenschaftssystem berücksichtigt, aber auch die Funktion der Graduierungsverfahren. Inneruniversitär und im Wissenschaftssystem fungieren Graduierungsverfahren als akademischer Abschluss, vor dem Berufszugang oder vor dem weiteren Eintritt in eine wissenschaftliche Karriere, als erste Etappe vor der Habilitation oder einer hauptamtlichen wissenschaftlichen Tätigkeit, d. h. für die Qualifizierung des akademischen Nachwuchses. Als berufsbezogener Abschluss mit einer eindeutigen Zuordnung zu bestimmten Berufen hat dagegen die Promotion schon lange weitgehend ausgedient. Eine Zeit lang war sie für Mediziner notwendig, als es – vor 1869 – noch kein einheitliches Staatsexamen gab; inzwischen sind neben den Staatsexamina mit Diplom-, Magister- oder Masterprüfungen ­eigenständige berufsbezogene Abschlüsse flächendeckend eingerichtet. Werden dennoch Promotionen fachspezifisch annähernd zum Regelfall, wie es z. B. die große Zahl der Promotionen in der Chemie belegt, dann ist das eher ein Indikator, dass Führungspositionen in dieser Branche in der Regel nicht über das Diplom, den regelhaften ersten Abschluss, erreichbar sind. Promotionen sind auch in anderen akademischen Berufen karriereförderlich, aber nie conditio sine qua non. Sie mögen weiteren Aufstieg in Führungspositionen erleichtern, sind aber nicht unentbehrlich oder gar Karrieregaranten. Selbst bei der Auswahl aus ­Promovierten, also gleichwertig Qualifizierten, werden Führungspositionen nach sozialen Kriterien besetzt, nach ›Stallgeruch‹ etwa oder nach Milieuzugehörigkeit.6

Als basales Medium der Unterscheidung innerhalb der Gesellschaft aber funktionieren Promotionen und Titel zweifellos weiterhin, mit Sicherheit in Deutschland. Hier hat der Doktortitel den Status eines Distinktionsmerkmals, vor allem seit sich von der alten Trias, des »General Dr. von Staat«, mit dem Thomas Mann die Mechanismen deutscher Elitenkonstruktion neben der Zugehörigkeit zum Adel vor 1918 beschrieb,7 die Rolle des Staatsbeamten ebenso verschlissen hat wie die Reputation des Militärs. 


III.


Man betritt also ein weites Feld von Funktionen und Erfahrungen, Deformationen und Leistungen – die gibt es natürlich auch! –, wenn man sich mit der Praxis der Promotionen in ihrer Geschichte und dem Promotionsrecht im ­institutionellen Kontext beschäftigt. Die Bedeutung der Tatsache, dass sich die Universitäten im Privileg der Graduierung zweifach abgrenzen – horizontal von der Akademie und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, vertikal von allen anderen Bildungseinrichtungen des tertiären Sektors, zumal den Fachschulen und anderen höheren Lehranstalten historisch, den Fachhochschulen aktuell – ist immer noch ein zentraler Mechanismus im Wissenschaftssystem. Darüber reguliert sich neben der Qualifizierung und aufgabenspezifischen Spezialisierung vor allem die Form der Anerkennung, die sich im Titel manifestiert. Aber das geschieht zweifach, in der Wissenschaft – denn Reputation ist auch hier ein Merkmal der Distinktion – wie in der Gesell­schaft. 


Begehrlichkeiten sind deshalb verständlich, auch und besonders im Wissenschaftssystem, weil es keinen vergleichbar einfachen, für Laien wie Experten signifikanten Indikator für die Anerkennung wissenschaftlicher Leistungen gibt, wie er mit der Vergabe des Doktortitels – in beiden Stufen, der Promotion und der Habilitation – gegeben ist. Preise, nicht nur der Nobel-Preis, sind zu selten; Publikationen in angesehenen Organen sind nur für den Experten sichtbar und dem Laien in ihrer Bedeutung kaum zu vermitteln; innerwissenschaftliche Reputation, wie sie von Entdeckungen oder Erfindungen ausgehen, ist ebenfalls meist nur insiderhaft kommunizierbar. Deshalb, also nicht ohne Grund, ist der Titel begehrt, individuell wie institutionell. Da andererseits ­wissenschaftliche Leistungen nicht nur in Universitäten erbracht werden, ist es durchaus verständlich, dass das Promotionsrecht eine wichtige Auszeichnung für Einrichtungen im Wissenschaftssystem darstellt. 


Reicht aber die offenkundige Tatsache von Leistungen in der Wissenschaft aus, das Graduierungsrecht auszudehnen, auch durch Ausweitung der Institutio­nen, die es wahrnehmen und damit Titel verleihen können? Konzentriert man sich bei dieser Frage nur auf die Fachhochschulen, dann entsteht eher Skepsis, denn sowohl die Mechanismen der Rekrutierung des Personals als auch die binnenorganisatorischen Traditionen, vor allem aber die spezifische Funktion im tertiären Sektor sprechen dagegen. Bei der Rekrutierung ihrer Lehrenden ist, in der Regel, neben einem wissenschaftlichen Abschluss, meist: die Promotion, vor allem die mehrjährige berufspraktische Erfahrung das ausschlaggebende Kriterium. Die Funktion der Institution ist auch nicht die selbstständige Rekrutierung des eigenen Nachwuchses durch die eigene Lehre, sondern die fachbezogene Qualifizierung für einen meist klar definierten Arbeitsmarkt. Das ist auch das Versprechen gegenüber den Studierenden, verdeutlicht also die spezifische Funktion im tertiären Sektor, dass hier berufsbezogen und praxisnah ausgebildet wird. Die Binnenorganisation der Fachhochschulen ist deshalb auch auf diese Aufgaben hin organisiert, jedenfalls nicht mit den Funktionen von Fakultäten vergleichbar. 


Fachhochschulen sind deshalb auch nicht primär oder hauptsächlich den Kriterien verpflichtet, die mit der Funktion der Graduierungen an Universitäten und den dazu praktizierten Verfahren verbunden sind. Das schließt ein, mancher Selbstbeschreibung als University of Applied Sciences ungeachtet, dass die Institution die Reputation auch nicht verleiht, die im Wissenschaftssystem den Universitäten über Titel und Stelle oder den außeruniversitären großen Forschungseinrichtungen – von der Max-Planck-Gesellschaft bis zur Leibniz- oder Helmholtz-Gemeinschaft, zu schweigen von den wissenschaftlichen Akademien – über die Mitgliedschaft zukommt. Wer die Anerkennung sucht, die aus Titeln kommt, der ist in Fachhochschulen nicht gut bedient. Wer seine ­eigene Forschungspraxis – die es in Fachhochschulen ja unbestreitbar auch gibt – 
im eigenen Hause zugleich tradieren will, ebenfalls nicht; denn er kann seine Mitarbeiter, wie gut immer sie wissenschaftlich auch sein mögen, nicht im ­eigenen Hause graduieren.


Natürlich, diese Formen der Binnenorganisation des Wissenschaftssystems sind nicht in Erz gegossen oder überzeitlich, sondern änderbar. Die Vergabe des Promotionsrechts wäre ein erster, auch strategisch verständlich angesetzter Schritt zur Aufwertung der eigenen Organisation. Soll man heute diesen Schritt eröffnen? Ein Votum pro Fachhochschulen – und dann auch: pro außeruniversitäre Forschungseinrichtungen – sollte aber von Funktion und Status der Promotionen aus entschieden werden, nicht primär im Blick auf die Begehrlichkeiten der symbolisch in ihrem Status aufzuwertenden Institutionen. 


IV.


Im Blick auf die Promotionen liegt dann zuerst Begrenzung nahe, und zwar systemisch und insgesamt. Statt auf die Ausweitung sollte man auf die Einschränkung der Promotionsrechte und -verfahren im Wissenschaftssystem zielen, wenn es denn geht und Zustimmung findet: Fakultäten oder Universitäten z. B. das Recht zur Promotion, insgesamt oder nur zur Habilitation, nur noch auf Zeit einzuräumen, revidierbar, das wäre Teil eines solchen Programms. Den einzelnen Hochschullehrern nicht mehr als jeweils 10 Doktoranden gleichzeitig zuzugestehen, das könnte ebenfalls dazu gehören, und auch das nur, wenn sie in der Betreuung über einen längeren Zeitraum der nachprüfenden universitären Öffentlichkeit gezeigt haben, dass die Scheiterquote (gemessen an angemeldeten Verfahren) bei ihnen gering und die Arbeitszeit an der Promotion kurz ist. In jedem Fall sollte man die Verfahren so zuspitzen, dass sie qualitätsbezogen schärfer werden und die Promotion seltener, auch für Mediziner oder Chemiker sollte es allein wissenschaftliche, keine statusbezogenen Promotionen mehr geben.


Sollte man Fachhochschulen an solchen forschungsbezogenen Verfahren beteiligen, ihnen vielleicht sogar das Recht zur Promotion selbstständig einräumen? Aktuell kann man dies m. E. nicht, weil die Muster der Personal­rekrutierung und die Verfahrenslogik ihrer Gremien an dieser Funktion nicht ausgerichtet sind, auch disziplinäre Reproduktion nicht ihre Aufgabe darstellt. Natürlich könnten die Fachhochschulen versuchen, in künftigen Rekrutierungsverfahren und neuen Organisationsmodellen diese Standards durchzusetzen, aber das entspricht weder ihrer Aufgabe noch den Erwartungen der von ihnen bisher vorzugsweise bedienten Klientel. Es wäre, systematisch gesehen, ein Schritt zur Entdifferenzierung und funktionslosen akademischen Aufwertung, der die besondere Leistungsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems eher beeinträchtigen als steigern würde. 


Natürlich bleibt das Problem der Anerkennung von Forschungsleistungen, die in Fachhochschulen erbracht werden, und das der Graduierung der dabei beteiligten Personen für weitere Karrieren im Wissenschaftssystem. Angesichts der quantitativen Dimensionen, nimmt man die Drittmittelquote als Maßstab, muss man dieses Problem aber nicht durch Systemtransformation lösen, sondern kann es durch Kooperation von Organisationen in geregelten Verfahren bearbeiten (wie es der Wissenschaftsrat ja auch vorgeschlagen hat). Aus der maladen und entwürdigenden Bittsteller-Rolle, in die manche Universitäten, Fakultäten oder Disziplinen dabei die Vertreter von Fachhochschulen drängen, können einfache gesetzgeberische Regelungen befreien, die solche Verfahren normalisieren und ohne Statusängste auf beiden Seiten realisierbar machen.


V.


Für die Promotion als Mittel der gesellschaftlichen Distinktion, diese verbreitete Erwartung darf man ja nicht ignorieren, könnte man schließlich ­einen Vorschlag von Hans Magnus Enzensberger – selbst Dr. phil. – ernsthaft prüfen.8 Enzensberger empfiehlt angesichts der Sucht9 nach dem Doktortitel: »Der Bundestag und der Bundesrat mögen gemeinsam beschließen, dass ­jedem deutschen Staatsbürger mit der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres der Doktortitel zusteht.« Er nimmt zugleich an, »eine Bearbeitungsgebühr, die Senioren und Arbeitslosen zu erlassen wäre, würde die meisten Interessenten kaum abschrecken.« Und er schlägt weiter vor: »Der Erlös sollte den darbenden Bildungseinrichtungen unseres Landes ungeschmälert zukommen.« 


So sympathisch mir dieser Vorschlag in vielen Aspekten ist, man sollte die Folgeprobleme nicht ganz aus dem Auge verlieren, die problematischen Folgen wie die unverhofften Chancen, die damit verbunden sein können. Die »darbenden Bildungseinrichtungen« müssten funktionale Äquivalente zu den jetzigen Graduierungsverfahren entwickeln, mit gleicher Transparenz, Sichtbarkeit, Einfachheit und Eindeutigkeit und sie müssten dann ja auch die Unterscheidbarkeit vom Dr. für alle sichern. 


Eine solche Universalisierung des Doktortitels würde allerdings die große Chance eröffnen, Begrenzungsprogramme durchzusetzen, damit neue – wissenschaftliche – Exklusivität zu symbolisieren und sich den lästigen Folgeproblemen alter Verfahren zu entziehen. Aber gibt es dafür eine einfache Lösung? Vielleicht wäre es ja gut, wenn die Universitäten den Titel nur noch bei der Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses vergäben und vergeben dürften, den einfachen Doktor streichen oder an Enzensbergers Verfahren verschenken würden, ansonsten aber nur noch ein Äquivalent zur Habilitation einrichteten und den Rest über leistungsabhängige Qualifizierung, Bezahlung und symbo­lische Reputationssteigerung im Karrieresystem der Wissenschaft organisierten. Aber wahrscheinlich werden sich Bundestag und Bundesrat schon den Enzensbergerschen Vorschlägen verschließen, so dass auch die Universität nicht in die bedrängende Lage kommt, ihre Reformfähigkeit in Graduierungsverfahren eindeutig unter Beweis zu stellen. Sie müsste dann vielleicht ja auch dem Reiz abschwören, der mit Meister-Jünger-Verhältnissen verbunden sein kann.


  1. 1Als guten Überblick zur akademischen Prüfungskultur vgl. Rainer C. Schwinges (Hg.), Examen, Titel, Promotionen. Akademisches und staatliches Qualifikationswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert, Basel 2007.

  2. 2Zur Promotion neben den Beiträgen in Schwinges auch die – deutlich kritische und warnende – Rezension von Ulrich Rasche zu dem – von ihm als »wertloses Ärgernis« bezeichneten – Buch von Siegfried Wollgast, Zur Geschichte des Promotionswesens in Deutschland, Bergisch-Gladbach 2001. Rasche destruiert nicht nur dieses Buch, das z. T. grob plagiiert, sondern gibt in seinen Kommentaren und in den Anmerkungen zur Rezension einen konzisen Überblick zur Literatur des Promotionswesens an europäischen Universitäten, in H-Soz-u-Kult, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/GA-2002-012 vom 5.3.2002 (2.4.2013).

  3. 3In den Preußischen Jahrbüchern 1876, hier zitiert nach Rasche (Fn. 2), der auch weitere Hinweise zur Rezeption und Diskussion der Mommsen-Kritik gibt.

  4. 4Die amtlichen preußischen Rektorenkonferenzen nehmen das Thema u. a. in ihrer 1. Tagung vom 5. bis 9. Oktober 1898 auf (TOP 11: Das Promotionsverfahren), vgl. GSTA-PK, I. HA, Rep. 76 V a Sekt 1, Tit. III No 10, Bd. 1, Die Rektorenkonferenzen, Bl. 61 v oder auch Bd. 3, wo Ernst Troeltsch auf der 10. Preußischen Rektorenkonferenz vom 12./13. März 1913 in Halle über die »Mißstände« im Promotionswesen berichten sollte (der TOP wurde allerdings vertagt) (vgl. Bl. 28). Die am 13.3. tagende 3. Deutsche Rektorenkonferenz in Halle bestimmte das Thema als TOP für die 4. Deutsche Rektorenkonferenz, die in Halle am 12.3.1914 stattfand, aber scharfe Stellungnahmen und Maßnahmen vermieden hat, weil manche Rektoren zu große Befürchtungen vor einem »Scherbengericht« haben, das damit ausgelöst würde (so der Rektor von Greifswald, vgl. Bl. 41 v).

  5. 5Vgl. Wissenschaftsrat (Hg.), Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, Saarbrü­cken 2002 sowie ders., Anforderungen an die Qualitätssicherung der Promotion, Positionspapier, Köln 2011. Als Themenbereiche der »Empfehlungen zur Qualitätssicherung der Promotion« werden genannt (S. 14 ff.): Stärkung der kollegialen Verantwortung; Betreuungsvereinbarungen; Betreuungsverhältnisse; Integration externer Doktorandinnen und Doktoranden; Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten; Unabhängige Begutachtungen; Anpassung der Notenskala; Inhaltliche Standardbildung; Standards von publikationsbasierten Dissertationen; Wissenschaftlichkeit der medizinischen Promotion.

  6. 6Die Arbeiten von Michael Hartmann bestätigen das immer neu, vgl. z. B. Michael Hartmann, Der Mythos von den Leistungseliten, Frankfurt a. M. / New York 2002.

  7. 7Vgl. Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen (1919) (Politische Schriften und Reden, Bd. 1), Frankfurt a. M./Hamburg 1960, zit. S. 184.

  8. 8Hans Magnus Enzensberger, »Dr. Dr. Dr.«, inFrankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.02.2013, S. N 5, von dort die folgenden Zitate.

  9. 9Allerdings, klassenspezifisch: »wo man Deutsch spricht und schreibt, gehört ein solcher schmückender Namenszusatz offenbar zum Existenzminimum der Upper Middle Class.«
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Heft 10 (2013)
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