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Heiße Doktor gar …


Die Institution der Promotion am Beispiel des Falls Schavan1

Die ironisch-kritische Distanz, mit der Goethes Faust auf seine akademischen Würden verweist, wünscht man auch heute noch all jenen, die promoviert wurden, wie eben auch denen, die das Recht zu promovieren ausüben. 


Vor mehr als 30 Jahren beschloss die Promotion ein mehr oder weniger intensives und in die Länge gezogenes Studium zumal in geisteswissenschaft­lichen Fächern für all jene, die nicht in den Schuldienst gehen und Lehrer werden wollten. Die Promotion setzte einst erfolgreich bestandene Rigorosen (keineswegs immer gestrenge Fachprüfungen) und eine Dissertation (ausführliche Erörterung) voraus, deren Verfasser(in) mit ihr die Eignung zu selbständiger wissenschaftlicher und die Wissenschaft fördernder Arbeit nachwies. Was dies im Einzelnen bedeutet(e), ist und war immer Gegenstand endloser Diskussionen.


Die Dissertation galt und gilt heute noch als (wissenschaftliches) Erstlingswerk, sie ist, Gott sei Lob und Dank, meist auch das letzte Werk. Bei jährlich zigtausenden in Deutschland geschriebenen Dissertationen wäre es fatal, wenn jede von ihnen Urquell immer üppiger fließender Wissensergüsse wäre. Des Büchermachens war freilich immer schon kein Ende … Es gibt, zumal im geisteswissenschaftlichen Bereich, nur ganz wenige Dissertationen, die der wissenschaftlichen Debatte eines Faches eine neue Richtung oder einen auch nur halbwegs bemerkbaren neuen Inhalt gegeben haben. Wie qualitätsreich auch immer: In Deutschland müssen Doktorarbeiten publiziert werden, sie füllen Bibliotheksregale und sind doch wahre inedita. Nach fünf, spätestens nach zehn Jahren sind sie, wie fast alle wissenschaftliche Literatur, völlig vergessen. Die Qualität einer Dissertation hat für all jene, die sich nicht um eine wissenschaftliche Karriere bemühen, kaum einen Wert. In der Schule, in kulturellen oder kulturpolitischen Bereichen haben jene, die Personalentscheidungen treffen, weder Zeit noch Interesse, die Dissertation eines Bewerbers oder einer Bewerberin wirklich und urteilsbildend zu lesen. Es gelten andere Kriterien, und andere Qualitäten als die einer ›guten‹ Dissertation haben Gewicht.


Wenn dem so ist: Welche Motive sollte jemand heute oder vor 30 Jahren in den Geisteswissenschaften haben, sich mit fremden Federn zu schmücken und sich arglistiger Täuschung schuldig zu machen? Jemand, der Doktor heißen will, aber nicht selbständig denken kann und seine Unfähigkeit verbergen will – vor wem? Hier kommen die Gutachter ins Spiel. Dissertationen waren und sind bis heute keine Einzelleistungen. Man promoviert nicht, sondern man wird promoviert. Eine Doktorarbeit entsteht im Gespräch mit einem mehr oder weniger guten Betreuer. Seine erste wichtige Leistung besteht darin, ein Thema zu finden oder formulieren zu helfen, das die Chance eröffnet, in absehbarer Zeit mit einem wie auch immer konkreten Ergebnis bearbeitet zu werden. Als Betreuer einer Dissertation hätte ich alles darangesetzt, meiner Doktorandin ein Thema wie »Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung« aus dem Kopf zu schlagen. Herrn Professor Dr. Wolfgang Wehle ist dies nicht gelungen. Aber vielleicht hat er es auch gar nicht versucht. Ich weiß nicht, ob er dem Thema ­gewachsen war, vielleicht aber hat er seiner Doktorandin zugetraut, es zu bewältigen und ihm gewachsen zu sein. Die Arbeit an einer Dissertation begründet ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis. Der Betreuer vertraut auf die Fähigkeit, den Leistungswillen und die kritische Lernbereitschaft seiner Doktorandin; diese auf das Engagement und die Qualität ihres ›Doktorvaters‹, sie zu beraten, ihr über Klippen hinwegzuhelfen und auf Fehler hinzuweisen.


Eine Dissertation wurde einst maschinenschriftlich verfasst, vom Betreuer in Teilen und dann als Ganzes vorkorrigiert, dann verbessert offiziell ein­gereicht und schließlich durch zwei unabhängig voneinander urteilende Gutachter bewertet. Mit der Unabhängigkeit ist das aber so eine Sache. Im Regelfall tauschen die Gutachter ihre Meinungen im Vorfeld durchaus aus, streben ­einen gewissen Konsens an und tragen unüberbrückbare Differenzen möglichst nicht in eine hilflose Fakultät hinein. Und das ist gut so. Im Regelfall stellen die Gutachter ihre Elaborate den DoktorandInnen zur Verfügung, die sie für die Erstellung der Druckfassung benützen können. Mit der Drucklegung der Dissertation endet die Zusammenarbeit, nicht aber die vertrauensbasierte Zusammengehörigkeit von Universität, Fakultät, Hochschullehrern und Absolventen. Sie ist nicht einseitig aufkündbar, auch nicht nach 30 Jahren.


Zwischen 1933 und 1945 sind in Deutschland, zwischen 1938 und 1945 auch in Österreich tausende ›geisteswissenschaftliche‹ Dissertationen entstanden, für die man sich heute schämen muss. Ihren Verfassern ist der Doktortitel regelhaft nicht aberkannt worden. Ich glaube, zu Recht. Der historische Mangel ihrer Leistungen ist nicht ungeschehen zu machen und einseitig aufzuheben dort, wo die Institution Universität versagt hat wie alle anderen Zeitgenossen auch – und kein Spätgeborener soll leichtzüngig darüber reden. Ob es richtig war, nach der sogenannten ›Wende‹ bei Dissertationen an Universitäten der DDR anders, wie man sagt ›strenger‹ oder ›genauer‹ zu verfahren, sei hier ­gefragt. Ich persönlich bezweifle es.


Wenn es ihn denn geben sollte, so hat im sogenannten Plagiatsfall Schavan auch und gleichermaßen die Universität Düsseldorf versagt. Sie kann sich aus der Verantwortung nicht stehlen, indem sie behauptet, es hätten seinerzeit die Möglichkeiten gefehlt, die Täuschungen zu enttarnen. Und sie kann sich nicht ent-schuldigen mit dem Verweis auf ein Heftchen, in dem der Doktor­vater von Frau Schavan zusammen mit einem Kollegen über Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens und korrekten Zitierens handelt. Dieses Heftchen zeigt, dass an der noch jungen, 1965 gegründeten Universität Düsseldorf, die 1980 die Pädagogische Hochschule Neuss integrierte, das korrekte Zitieren noch nicht selbstverständlich war und man just im Handwerklichen der Nachhilfe bedurfte. Herr Wehle kannte die Regeln, ihre Missachtung fand er so schlimm offenbar dann nicht, wenn die ›Gesamtleistung stimmte‹. Ich weiß nicht, wie viele Frauen er bis 1980 in Neuss oder Düsseldorf promoviert hatte – auf Frau Schavan und ihre Promotion wird er gewiss und wohl auch mit Recht stolz gewesen sein. Ob die Fakultät in Düsseldorf berechtigt ist, diese Promotionsleistung nach 30 Jahren und ohne Parteienanhörung in Zweifel zu ziehen, ist zu bezweifeln. Gewiss aber ist mir, dass die Handlungsweise der Fakultät und ihrer Mitglieder falsch und würdelos ist. Sie fügt einer Person ganz persönlich ungefügen Schaden zu und beschädigt das Ansehen der Universität Düsseldorf und der Universitäten überhaupt. Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Fakultät vor Frau Schavan stellt und ruft: Mea culpa, mea culpa, nostra maxima culpa. Nach mehr als 30 Jahren, nach einer Verjährungsfrist, die nur bei Tötungsdelikten nicht rechtswirksam ist, entscheidet eine Fakultät, einer ihrer Studentinnen nicht nur einen akademischen Titel, sondern zugleich einen regulären Abschluss eines Studiums abzuerkennen. Geht das? Ist das ›verhältnismäßig‹?


In Deutschland ist es zunehmend angängig, dass Institutionen, deren Angehörige sich Vergehen oder Verbrechen schuldig gemacht haben, das Recht für sich in Anspruch nehmen, die Aufklärung des Tatbestandes und die Strafzumessung in eigene Hände zu legen. Aber so wenig Kirchen, Schulen oder Sportvereine bei Missbrauchsdelikten »Selbstaufklärung« betreiben und Bußleistungen festlegen dürfen sollten, so wenig sollten Universitäten das Recht haben, in eigener Sache zu ermitteln und Strafmaßnahmen zu ergreifen – und Dissertation und Promotion sind nicht nur Leistungen Studierender, sondern Leistungen der Universitäten, ihre Urteile sind Urteile in eigener Sache!


Düsseldorf ist überall. Wenn sich herumspricht, wie leicht Fakultäten ­einer anonymen Anzeige folgen, öffentlichem Druck nachgeben und der Versuchung erliegen, sich einer persönlichen und institutionellen Verantwortung dadurch zu entziehen, dass man eine Einzelperson ins purgatorio schickt, um selber ­tadellos zu erscheinen, dann legen sich die Universitäten selbst in Ketten und lassen zu, dass Diffamierung von Personen an die Stelle von historischem ­Bewusstsein, von wissenschaftlicher Verantwortung und politischer Auseinandersetzung tritt.


Frau Professor Schavan hat wie kaum ein anderer Mann oder eine andere Frau nach 1945 erfolgreich Wissenschaftspolitik betrieben und die Wissenschaften gefördert, in Baden-Württemberg ebenso wie im Bund. Sie hat (deshalb) nicht nur Freunde. Ich hoffe sehr, dass sich jene, die sich nicht mit eigenen Leistungen, sondern mit der Verurteilung einer bekannten Person ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gestellt haben, eben dort nicht allzu wohl fühlen. Ob es ihnen peinlich ist, dass jemand, an dessen moralischer Qualität sie zweifeln, sich jetzt wie stets moralisch untadelig erwiesen hat? Es geht um Fairness und um Regeln. An sie hätte sich auch der Vorsitzende des Hochschullehrerverbandes zu halten gehabt. Es stand ihm von Amts wegen nicht zu, Frau Professor Schavan öffentlich und vor laufender Kamera zum Rücktritt zu raten, da sie gerade als Ministerin für Wissenschaft und Forschung unglaubwürdig geworden sei. 


Ach, und eben dieses scheinheilige Argument mit der Glaubwürdigkeit. Als ob Paulus unglaubwürdig ist, nur weil er einst Saulus war. Und als ob Augustinus nicht der größte Lehrer der Kirche ist, nur weil er Jugendsünden begangen hat. Ob Frau Professor Schavan Jugendsünden nachgesagt werden dürfen, weiß ich nicht. Und das ganze Gerede über sie sollte auch niemanden interessieren, da sie vielleicht doch etwas »gescheiter ist als alle die Laffen, Doktoren, Magister, Professoren und Affen …«. Frau Professor Schavan kann auf den Düsseldorfer Doktortitel leichten Herzens verzichten, ob wir auf sie als Wissenschaftsministerin leichthin verzichten können, wird sich noch erweisen.


  1. 1In leicht veränderter Form ist der Text bereits erschienen in der Hamburger Ausgabe der Welt am Sonntag vom 17. Februar 2013, S. HH4.
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Heft 10 (2013)
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