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Brauchen wir ein Promotionsrecht für Fachhochschulen?


Diese Frage bewegt gegenwärtig viele Lehrende an Universitäten und Fachhochschulen. Die Sichtweisen unterscheiden sich von Gesprächspartner zu Gesprächspartner, hängen von den persönlichen Berufserfahrungen und auch davon ab, an welcher Einrichtung man tätig ist. Nicht zuletzt ergeben sich aber in Abhängigkeit von der eigenen Fachdisziplin unterschiedliche Aussagen. Es sei vorausgeschickt, dass die Autorin vor fast 50 Jahren an der Bergakademie in Freiberg ein Ingenieurdiplom erworben hat und diese Sicht die folgenden Überlegungen stark beeinflusst. Weiterhin war sie über 30 Jahre als Hochschullehrerin an der Technischen Hochschule bzw. dann Technischen Universität Ilmenau tätig und hat 45 Doktoranden zur Promotion geführt, darunter in letzter Zeit auch Absolventen von Fachhochschulen.


Ein technischer Prozess funktioniert in seiner Gesamtheit nur, wenn alle an ihm Beteiligten fehlerlos arbeiten – wie für ein Getriebe gilt auch hier, dass alle »Zahnräder« lückenlos ineinandergreifen müssen. Dabei erfüllen die Beteiligten an einem solchen Prozess sehr unterschiedliche Aufgaben. Dies sind z. B. die Leitung des Gesamtprozesses; die Erforschung der Werkstoffe, Erzeugnisse und Verfahren; die softwareseitige Verknüpfung aller Einzelschritte oder die direkte Bedienung der Maschinen. Es geht um mechanische und elektrische Wartungsarbeiten, die Instandhaltung der Haustechnik und letztlich auch um die Reinhaltung der Werkräume. Jede dieser Aufgaben erfordert Fachleute mit einem speziellen Kenntnisfeld, Kenntnisumfang und Kenntnisniveau. Unabhängig davon wird jedes Rädchen benötigt. Sonst funktioniert das Ganze nicht. 


Wenn dem aber so ist, werden auch alle Ausbildungsformen, wie sie bisher erfolgreich existieren, benötigt, natürlich in jedem Fall mit höheren Ansprüchen als vielleicht vor 50 Jahren. Es könnte sein, dass auch die Reinigungskraft in absehbarer Zeit ihre Hilfsmittel über eine Software in Gang setzen muss – für viele Fensterputzer trifft das bereits zu. Es geht also um das höhere Niveau in jeder Disziplin, obwohl z. B. der »Informatiker« mittlerweile ein eigenständiger Beruf und die »Informatik« ein eigenständiges Ausbildungs- und Studienfach ist. Aber dennoch darf nicht vergessen werden, dass die wissenschaftlichen Methoden und praktischen Grundoperationen eines technischen Prozesses nach wie vor beherrscht werden müssen. Dafür gibt es die Universitäten, Fachhochschulen und die berufsbildenden Einrichtungen; zusätzlich spezielle Akademien und Einrichtungen mit analogen Aufgaben. 


Je weiter die Aufgabenstellung noch vor dem konkreten Prozess angesiedelt ist, umso mehr wird der Fachmann mit einer universitären, breit gefächerten Ausbildung benötigt. Der Absolvent einer Fachhochschule wird mit seinem Spezialwissen in den technischen Vorgängen wirksam. Und vor Ort sind diejenigen tätig, die eine – hoffentlich – ausgezeichnete Berufsausbildung absolviert haben. Diese Dreiteilung stellt die Stärke des deutschen Ausbildungssystems aus Sicht anderer Länder dar. An ihr sollte nicht gerüttelt werden. Die Umsetzung erfolgt in der Hoheit der einzelnen Bundesländer. Deswegen unterscheiden sich auch die Definitionen für die verschiedenen Bildungseinrichtungen von Land zu Land geringfügig.


Im Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz-HG) vom 31. Oktober 2006 (die Auswahl erfolgte willkürlich) kann man z. B. lesen:


§ 3


  1. Die Universitäten dienen der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie der Pflege und Entwicklung der Wissenschaften durch Forschung, Lehre, Studium, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und Wissenstransfers […].

  2. Die Fachhochschulen bereiten durch Lehre und Studium auf berufliche Tätigkeiten im In- und Ausland vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden oder die Fähigkeit zu künstlerischer Gestaltung erfordern. Sie nehmen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben, künstlerisch-gestalterische Aufgaben sowie Aufgaben des Wissenstransfers (insbesondere wissenschaftliche Weiterbildung, Technologietransfer) wahr.


Hinterfragt man diese Aussagen, dann ist – stark verkürzt – die Universität für die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie die Befähigung ihrer Absolventen hierfür zuständig, während die Fachhochschulen durch Lehre und Studiumauf berufliche Tätigkeiten einschließlich der Anwendung bzw. der Überführung wissenschaftlicher Erkenntnisse vorbereiten. Auch, wenn es eine Wiederholung ist, beide Arten von Ingenieuren, der Absolvent einer Universität und der einer Fachhochschule, werden benötigt und besetzen im Berufsleben ihre eigenen Plätze. Ohne durch die Wissenschaft gesicherte und der praktischen Erfahrung entspringende Kenntnisse kann der Ausbildungsauftrag der Fachhochschulen nicht gesichert werden. Es geht um die Anwendung der Wissenschaften (applied sciences).


Das schließt nicht aus, dass an beiden Typen von Hochschulen geforscht wird. Fragt man, was Forschung ist, erhält man unterschiedliche Antworten. Eine knappe Aussage hält Wikipedia bereit: Forschung ist die geplante ­Suche von neuen Erkenntnissen im Gegensatz zum zufälligen Entdecken sowie ­deren systematische Dokumentation. Diese Definition lässt zunächst keinen Unterschied zwischen Universitäten und Fachhochschulen erkennen. Auf diesen trifft man erst, wenn man die Frage nach dem Gebiet der Erkenntnisse stellt. Im Fall der Technischen Universitäten geht es um die Erforschung wissenschaftlicher Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten sowie neuer technischer Prinzipien, die sich bei den Ingenieurdisziplinen nicht fern von einem Praxisbezug bewegen dürfen. Bei den Fachhochschulen steht die Erforschung der praktischen Prozesse im Mittelpunkt. Auch hier gilt: Das Eine bringt ohne Bezug auf das Andere keinen Sinn. Geforscht wird sowohl an Universitäten als auch zunehmend an Fachhochschulen. Das ist unstrittig.


Es steht aber die Frage im Raum, ob auf dieser Basis Fachhochschulen auch ein Promotionsrecht erhalten sollten. Dafür, was sich hinter einer Promotion verbirgt, gibt es unterschiedliche Definitionen. In der Regel hat jede Fakultät ihre eigene Promotionsordnung. Vielleicht kann man sich darauf einigen, dass mit einer erfolgreich abgeschlossenen Promotion der Nachweis erbracht wurde, selbständig neue, wissenschaftliche Erkenntnisse erarbeitet zu haben. Daraus folgt, dass es bei einer Promotionsschrift in erster Linie um die Vorlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und erst in zweiter Linie (obwohl das auch gewünscht ist) um die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse (applied science) geht. Daraus ergibt sich aber auch eine wichtige Abgrenzung zwischen Universitäten und Fachhochschulen. Was resultiert daraus?


Man sollte sehr genau unterscheiden, ob es um das Promotionsrecht der Fachhochschulen als Institution oder um die Promotionsmöglichkeit von Fachhochschulabsolventen geht. Im Leben eines jeden jungen Menschen gibt es wichtige Entscheidungsstufen, z. B. Berufsausbildung oder Abitur, Immatri­kulation an einer Fachhochschule oder einer Universität. In jedem Fall entscheidet sich (auf ingenieurtechnischem Gebiet) der Jugendliche für eine berufspraktische Tätigkeit, für eine leitende Tätigkeit in der Produktion oder eine eher forschungsorientierte Laufbahn. Die Art der Entscheidung hängt dabei nicht nur von Zensuren, sondern auch von den Interessen des Jugendlichen zum Entscheidungszeitpunkt ab. Das sollte primär respektiert werden. Die Sichtweise des Jugendlichen kann sich aber mit der Zeit ändern.


Der Ingenieurstudent an einer Universität kann während seiner Aufenthalte in Betrieben und der Erstellung studentischer Arbeiten seine »praktische Ader« feststellen. Das heißt aber nicht automatisch, sein Studium an der Universität abzubrechen und zu einer Fachhochschule zu wechseln, sondern es sollte ihn dazu befähigen – nach einer Einarbeitungszeit – auch direkt im Fertigungsprozess wirksam zu werden. 


Der Ingenieurstudent an einer Fachhochschule kann – umgekehrt – während des Studiums erfahren, dass er theoretische Zusammenhänge hervorragend begreift und auch in der Lage ist, solche im Rahmen der Forschung zu finden. Er sollte die Möglichkeit erhalten, das in einem Promotionsverfahren unter Beweis zu stellen. Hier sollte Chancengleichheit für alle Absolventen herrschen, was letztlich auch zu einer deutlich besseren Nutzung des fachlichen Potenzials führen würde. Aber die Promotion selbst muss dann dort erfolgen, wo – aufgabengemäß – die Generierung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Mittelpunkt der Tätigkeit steht. Entsprechende Festlegungen sollten, wo noch nicht erfolgt, sowohl in den Dokumenten der Universitäten als auch der Fachhochschulen fixiert sein.


Aufgrund des unterschiedlichen Aufbaus der Studieninhalte und -abläufe bei durchaus gleicher Benennung der Abschlüsse (Bachelor und Master) werden aber dem Absolventen einer ingenieurtechnisch orientierten Fachhochschule im allgemeinen Grundlagenkenntnisse vor allem in den Naturwissenschaften fehlen. Er hat statt deren besseres Wissen über die praktischen Fertigungsprozesse. Er muss sich die Kenntnisse über Zusammenhänge, die über Fachgebietsgrenzen hinausgehen, ggf. noch aneignen. Um nicht unnötig Zeit zu verschwenden (falls sich während der Erarbeitung der Promotionsschrift herausstellt, dass grundsätzliche Zusammenhänge doch nicht bekannt sind oder nicht verstanden wurden), hat sich das von vielen Technischen Universitäten, z. B. der Technischen Universität Ilmenau, in unterschiedlicher Art und Weise angebotene Eignungsfeststellungsverfahren bewährt. Ob der promotionswillige Fachhochschulabsolvent viel Zeit für die Ablegung des Eignungsfeststellungsverfahrens benötigt (er wird sich die fehlenden Kenntnisse ggf. noch aneignen müssen), oder ob er sofort und ohne Aufwand die vorgegebenen Nachweise erbringt, hängt nicht nur vom Absolventen, sondern auch dem Ausbildungsprofil der entsprechenden Fachhochschule ab.


Wenn der Fachhochschulabsolvent nach der Übergabe der Abschluss­urkunde Mitarbeiter an der Fachhochschule bleibt und dort auch forscht, werden einerseits seine neu erworbenen, zusätzlichen Kenntnisse über die – vor allem – naturwissenschaftlichen Grundlagen die Forschung an der Fachhochschule beflügeln. Andererseits besagt die an den Technischen Universitäten gewonnene Erfahrung mit der Promotion eines (bisher) Dipl.-Ing. (Fachhochschule), der das Eignungsfeststellungsverfahren erfolgreich absolviert hat, dass die vorgelegte Promotionsschrift in der Regel ein hervorragendes Niveau hat – 
eine Promotionsschrift im Sinne der Erforschung neuerwissenschaftlicher Erkenntnisse, die durchaus einen engen Praxisbezug aufweisen kann.


Mein Fazit lautet: Jeder Hochschultyp hat seine spezifischen, anspruchsvollen Aufgaben. Daraus abgeleitet, sollten allein die Universitäten, deren Aufgabe in der Generierung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse besteht, das Promotionsrecht behalten.

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Heft 10 (2013)
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