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Zur Rolle des Promotionsrechts bei der Ausdifferen­zierung des deutschen Hochschulwesens2

Die Diskussionen um die Abgrenzung zwischen Fachhochschulen und Universitäten halten an. In der Politik herrscht Uneinigkeit darüber, ob eine klar definierte Dichotomie noch zweckmäßig ist. Neuerdings heißen die Fachhochschulen nicht mehr Fachhochschulen, sondern Hochschulen für Angewandte Wissenschaften – 
auf Englisch ›Universities of Applied Sciences‹. Die Finanzierungen der beiden Hochschultypen gleichen sich an – in meinem eigenen Bundesland Brandenburg gibt es, was den wichtigen Indikator Euro pro Studienplatz angeht, kaum noch Differenzen. Die Kolleginnen und Kollegen aus den (Fach-)Hochschulen wehren sich gegen die Einstufung als »Underdogs« (ZEIT vom 23.8.2012) oder »2. Bundesliga« (ZEIT vom 16.5.2012), während der in vielen Hochschulfragen progressiv denkende frühere Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Turner an dem Zweiartensystem festhalten will. Jedenfalls sieht er keine Möglichkeit, die beiden Paradigmen unter einem Dach zu vereinen.


Ungeachtet der tagespolitischen Auseinandersetzungen stellt sich die Frage, ob ein strikt definiertes Zweiartensystem auf Dauer haltbar oder wünschenswert ist. In dem von dem HRK-Vorsitzenden Hippler gewählten Bundesliga-Analogon mag dies funktionieren. Aber Hochschulen sind keine Fußballvereine. Statt des Blicks in die Bundesliga empfiehlt sich wieder einmal der Blick in die Welt. Da gibt es schon lange den Unterschied zwischen promo­tionsfähigen (›doctoral degree granting‹) und nicht-promotionsfähigen Hochschulen. Bei ersteren gibt es oft auch den internen Unterschied zwischen den­jenigen Fakultäten oder Fachbereichen, die den begehrten Ritterschlag erhalten haben und denen, die dies noch vor sich haben. 


Meines Erachtens kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass sich das deutsche Hochschulsystem in diese Richtung entwickeln wird. Ergebnis dieser Ausdifferenzierung wird (hoffentlich, dazu gleich noch mehr) eine Verteilung mit vier Clustern sein: zwei großen in der Mitte und je einem kleinen an den beiden Enden.


An einem Ende der Verteilung wird es einige wenige Spitzenuniversitäten geben, die in allen Fachbereichen internationale Sichtbarkeit aufweisen – die Exzellenzinitiative bietet einige Hinweise, wer sich in dieser Spitzengruppe wiederfinden mag. Diese Hochschulen zeichnen sich durch eine klare Forschungsorientierung aus, vergleichbar den oft als Vorbild dienenden nordamerikanischen Spitzenuniversitäten. Um dies zu ermöglichen, wird die Politik über eine nachhaltige Finanzierung derartiger Hochschulen nachdenken müssen – zum aktuellen Tarif sind sie schlichtweg nicht zu haben. Zusätzliche Finanzierung ist erforderlich, nicht nur für Labore und Geräte, sondern auch für international wettbewerbsfähige Gehälter, mehr wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deutlich unter 8 bis 9 Semesterwochenstunden (SWS) liegende Lehrdeputate für Spitzenforscher (wobei darauf geachtet werden muss, dass diese sich nicht vollständig aus der Lehre verabschieden, sondern auch weiterhin in Bachelor- und Masterprogrammen lehren). Nicht jedes Bundesland wird sich derartige Spitzenuniversitäten leisten können.


Ein zweiter, deutlich größerer Cluster von forschungsorientierten Hochschulen wird in einigen, wenn nicht allen, Fachbereichen international sichtbar sein und so eine klar überdurchschnittliche Mittelausstattung rechtfertigen. Viele – wenngleich nicht alle – der derzeitigen Universitäten werden sich in diesem zweiten Cluster wiederfinden, ebenso wie einige der bisherigen Fachhochschulen, die sich durch konsistente und exzellente Forschungsleistungen ausgezeichnet haben. Das Lehrdeputat in diesem Segment wird durchschnittlich höher liegen als bei den Hochschulen im ersten Cluster, und es ist zu wünschen, dass mehr Hochschulen die von Seiten des Gesetzgebers oft bereits gegebene Möglichkeit zur internen Flexibilisierung noch stärker nutzen als bisher. Mehr als 8 SWS werden es im Durchschnitt nicht sein können, da sonst die inter­nationale Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben ist.


Der dritte – vielleicht größte – Cluster wird aus einer Vielzahl von Hochschulen bestehen, die sich vornehmlich der Lehre zuwenden. Forschung wird an diesen Hochschulen keine zentrale Rolle spielen, ein Promotionsrecht gibt es hier nicht. Das durchschnittliche Lehrdeputat wird sich etwas unterhalb dem der bisherigen Fachhochschulen einpendeln. Aspirierende Nachwuchswissenschaftler werden sich diesen Hochschulen nur zuwenden, wenn sie an den Hochschulen des ersten und zweiten Clusters keine Anstellung finden oder aus persönlichen Gründen einer bestimmten Region zuneigen. Das ist aber kein Schaden; die enorme gesellschaftliche Relevanz dieses dritten Clusters wird sich am Stellenmarkt erweisen und selbst perpetuieren. Diesen Hochschulen könnte und sollte quantitativ noch ein höherer Anteil am tertiären Sektor zuwachsen, da sie auch im Vergleich zu den forschungsorientierten Hochschulen sehr gute Lehre anbieten und ihre Absolventen für hochwertige Berufsbilder in der Praxis qualifizieren. Zudem sind sie – in Euro pro Studierendem gemessen – 
deutlich kostengünstiger als forschungsorientierte Hochschulen. Nicht etwa, weil sie schlechtere Arbeit leisten – daher auch keine 2. oder 3. Liga sind – sondern weil Forschung Geld kostet. Durch Profilierung und Spezialisierung kann es Hochschulen allerdings gelingen, Forschungskompetenzen aufzubauen und so zumindest in einigen Fachbereichen das Promotionsrecht zu erwerben und zum zweiten Cluster aufzuschließen – so sie dies denn wollen. Für private ­Anbieter wird dieser dritte Cluster das attraktivste Segment darstellen, da Forschung in den wenigsten Fällen kurz- oder mittelfristig rentabel ist.


Der vierte Cluster besteht aus Hochschulen, die sich ausschließlich der praxisorientierten und berufsnahen Lehre widmen. Diese Hochschulen werden sich insbesondere durch Offenheit gegenüber Bildungsaufsteigern auszeichnen und es so manchem ermöglichen, auch spät im Leben noch eine Hochschulbiographie anzugehen. In den Vereinigten Staaten sind derartige Lehreinrichtungen unter dem Begriff ›Community College‹ bekannt, viele junge Menschen erwerben hier ihre ersten akademischen Erfahrungen. Die Kosten pro Studien­platz liegen typischerweise noch einmal unter dem, was im dritten Cluster investiert wird. Um zu vermeiden, dass dies auf Kosten der Ausbildungsqualität geht, werden Regulierungsmaßnahmen der öffentlichen Hand geboten sein. Auch in diesem vierten Cluster wird es viel Raum für private Anbieter 
geben. 


Die Grenzen zwischen diesen vier Hochschultypen werden fließend sein, und es ist alles andere als klar, ob die Aufteilung in Cluster im Gesetz fest­geschrieben sein muss, so wie das jetzige Zweiartensystem im Gesetz definiert ist. Vielmehr könnte man darüber nachdenken, ein Artensystem de jure abzuschaffen und sämtliche öffentliche Hochschulen stattdessen anhand ihres Forschungsprofils zu evaluieren und die zu erbringende Lehrleistung, aber ins­besondere auch die zuzuwendenden Haushaltsmittel entsprechend zu bemessen. Um ein Kaputtsparen des Hochschulsektors zu vermeiden, sollten vorab klare Regelungen getroffen werden, wie viele Mittel insgesamt in die Hochschulen des Landes fließen. Dabei können auch Vergleiche zu anderen Ländern bzw. Bundesländern eine Rolle spielen, z. B. gemessen als Anteil am Brutto­inlandsprodukt. Die Aufteilung auf die einzelnen Hochschulen muss dann ­allerdings in dem genannten Sinne flexibel sein und könnte für einen mehrjährigen Zeitraum über Hochschulverträge fixiert werden.


Wenn solche neuen Organisationsmodelle Fuß fassen sollen, muss des Weiteren über Transitionspfade zwischen den Clustern nachgedacht werden. Die Schließung und anschließende Neugründung von Hochschulen par ordre du mufti kann hier kein Vorbild sein. Vielmehr muss über Anreize nachgedacht werden, die die freiwillige Migration von Hochschulen und Hochschullehrern in die neuen Strukturen belohnen – verbunden mit Qualitätssicherungsmaßnahmen, die Trittbrettfahrer identifizieren und sanktionieren.


Ich schrieb eingangs, dass die Entwicklung »hoffentlich« in die obengenannte Richtung geht. Warum »hoffentlich«? Auch hier hilft der Blick über die Grenzen, um zu zeigen, welche Fehlentwicklungen eine solche Ausdifferenzierung – die im Grunde längst stattfindet und meines Erachtens auch langfristig unumkehrbar ist – zeitigen kann. Ganz wichtig ist: Eine Orientierung der zuständigen Souveräne – in Deutschland also vor allem der Landesregierungen – auf den Spitzencluster darf nicht dazu führen, dass gute Hochschulen im Mittelfeld finanziell ausgetrocknet und in eine Abwärtsspirale gedrängt werden. Im Endergebnis hätte man sonst eine extrem ungleichgewichtige Verteilung mit einer kleinen Spitzengruppe von Flaggschiffen und einer großen Gruppe von Community-College-artigen lokalen Ausbildungseinrichtungen, an denen keine Wissenschaft mehr stattfindet und auch die Lehre leidet. Eine derartige Hochschullandschaft ist einem Hochtechnologieland nicht nur aus kulturell-ethischen Erwägungen heraus nicht angemessen. Sie würde auch nicht ausreichen, um die für das Land notwendigen Personalressourcen zu generieren; der Fachkräftemangel würde sich vertiefen und ließe sich auch durch mehr Einwanderung nicht mehr kompensieren.


In einer derart ausdifferenzierten Hochschullandschaft sind Kommunikationsmaßnahmen wichtig, die die Charakteristika unterschiedlicher Hochschultypen deutlich machen, um so den jungen Menschen die Wahl der passenden Hochschule zu erleichtern. Wer eine Forschungsuniversität wählt, sollte intrinsisch daran interessiert sein, Wissenschaft zu betreiben und dafür auch den nötigen zeitlichen Einsatz zu betreiben. Wer hingegen zügig in die beruf­liche Praxis strebt, sollte von vornherein die Stärken der anwendungsorientierten Hochschulen nutzen – die engen Kontakte zu Unternehmen, die typischerweise intensivere Betreuung und die anwendungsorientierte Darbietung der Studieninhalte. Dies ist dann eben kein Studium in der ›2. Bundesliga‹, sondern eine bewusste Entscheidung gegen eine wissenschaftliche Laufbahn. Dies heißt nicht, dass diese Studierenden nicht in den Genuss einer wissenschaftsorientierten Lehre à la Humboldt kommen sollten – ›Bildung durch Wissenschaft‹, wie die Humboldt-Universität es sich zum Motto erkoren hat, sollte durchweg das Ziel sein. Aber dies bedeutet nicht, dass 55 % eines Altersjahrgangs – so viele studieren derzeit in Deutschland (Stand: 2011, Quelle: BMBF, Bildungs­bericht 2012) – an Hochschulen studieren müssen, deren Professorenschaft ­aktiv Spitzenforschung betreibt. Dies könnte kein Land dieser Welt finanzieren, und das resultierende Ausbildungsprofil wäre auch für viele spätere Arbeitgeber in Wirtschaft und Verwaltung wenig brauchbar. 


Wichtig ist des Weiteren eine hohe Durchlässigkeit zwischen den unterschiedlich profilierten Hochschulen. Prioritäten in einem Leben können sich ändern, gerade in den ersten Lebensjahrzehnten. Der natürliche Meilenstein des abgeschlossenen Bachelor eignet sich für eine solche Kurskorrektur in besonderem Maße. Insbesondere ist dies der richtige Zeitpunkt für wissenschaftlich orientierte und interessierte Studierende, den Sprung an eine Forschungsuniversität vorzunehmen, so sie denn nicht schon ihren Bachelor an ­einer solchen abgelegt haben. Erfahrungsgemäß ist die Orientierung in Richtung Promotion wesentlich einfacher zu bewerkstelligen, wenn schon der Master an einer forschungsorientierten Hochschule abgelegt wurde.


Danach ist es oft zu spät, wie die leidvollen Erfahrungen vieler Fachhochschulstudierenden zeigen. Trotz guten Willens aller Beteiligten und kräftigen Rückenwinds der Politik ist der Weg zur Promotion für begabte Masterabsolventen einer Fachhochschule schwierig: Zwar sind viele universitäre Promotionsordnungen inzwischen offen für die Promotion von Fachhochschulabsolventen. Dies löst aber nicht das Problem für Promotionsinteressierte, einen Betreuer oder eine Betreuerin an einer Universität zu finden. Fast jeder Universitätsprofessor und jede Universitätsprofessorin hat schon Interessenten für eine Promotion zurückgewiesen – Interessenten, wohlgemerkt, mit universitären Abschlüssen – weil die Qualifikationen zwar formal ausreichen, nicht aber in der Qualität, d. h. was die Noten und Schwerpunktsetzung angeht, oder auch weil die eigene Betreuungskapazität schlichtweg erschöpft ist. Das Recht, eine solche Auswahl zu treffen, gehört aus gutem Grund zu den ureigenen Privilegien, die mit einer Universitätsprofessur verbunden sind. Umgekehrt hat niemand das Recht darauf, promoviert zu werden – eine Zwangszuweisung von Doktoranden zu Professorinnen und Professoren gibt es nicht, und auch dies aus gutem Grund. Der resultierende Wettbewerb um – im Regelfall knappe – Promotionsplätze ist für Fachhochschulabsolventen besonders hart, teils aus fachlichen, teils aber auch aus wissenschaftssoziologischen Gründen. 


Dieses Dilemma lässt sich meines Erachtens nur lösen, indem bereits während des Masterstudiums die Perspektive Promotion mitverfolgt und im Curriculum reflektiert wird. Freilich müssen solche forschungsorientierten Masterstudiengänge nicht nur an den bisherigen Universitäten angesiedelt sein. Auch bisherige Fachhochschulen, die ihre Forschungsstärke nachgewiesen haben, könnten in den oben beschriebenen zweiten Cluster aufrücken und wenigstens in einigen, wenn nicht in allen Bereichen, entsprechende Studiengänge anbieten. Auch das ist eine Form der Durchlässigkeit, die mittelfristig unbedingt geboten scheint. 


Dies mag, wie gesagt, dazu führen, dass in derselben Hochschule Fachbereiche mit Promotionsrecht und Fachbereiche ohne Promotionsrecht koexistieren. Eine derartige Hybridstruktur mag für uns noch ungewohnt klingen, ist international aber durchaus nicht unüblich. Die bisherigen deutschen Experimente mit einem solchen Modell, insbesondere die in den 70er-Jahren gegründeten Gesamthochschulen, stimmen diesbezüglich allerdings nicht allzu optimistisch. Hier muss über neue Organisationsmodelle nachgedacht werden, die das Nebeneinander von unterschiedlichen professoralen Personalkategorien unter einem Dach, verbunden mit unterschiedlichen Kompetenzprofilen, Lehrdeputaten und Besoldungsgruppen konstruktiv gestalten. Der Titel ›Professor‹ hätte damit seine klassische Bedeutung und Prestigeträchtigkeit endgültig verloren. Bei näherem Lichte betrachtet bezeichnet er freilich aber schon heute nur noch die Lehrtätigkeit an irgendeiner Hochschule – eine effiziente Qualitätskontrolle, die auf international wettbewerbsfähige wissenschaftliche oder künstlerische Leistungen abhebt, findet heute de facto in vielen Bundesländern nicht mehr statt. Auch hier haben wir uns an die internationalen ­Usancen angeglichen.


Einen Königsweg stellen in gewisser Weise die zunehmend populären, strukturierten Promotionsprogramme dar, da sie die Zusammenarbeit von Betreuern aus Universitäten und Fachhochschulen auf vergleichsweise einfache Weise ermöglichen. Findet hier eine belastbare Qualitätskontrolle statt, wie dies z. B. bei DFG-Graduiertenkollegs zweifelsohne der Fall ist, können forschungsorientierte Kolleginnen und Kollegen aus den Fachhochschulen auf Augenhöhe in die Promotionsverfahren einbezogen werden. Qualifizierte FH-Absolventen können sich um Aufnahme in derartige Programme bewerben und dort anschließend mit einer klaren Betreuungsperspektive rechnen. 


Apropos Dissertation: Wenn die Profilierung einer Hochschule sich maßgeblich auch über ihr Promotionsrecht definiert, stellt sich natürlich die Frage, warum diesem Punkt, der nur 2,5 % der Studierenden (Quelle: OECD: Bildung auf einen Blick 2012) betrifft, eine derart entscheidende Bedeutung eingeräumt werden sollte. Gründe sind die enorme gesellschaftliche Relevanz von Forschung sowie der Sachverhalt, dass die Anfertigung von Promotionen und wissenschaftlichen Publikationen einer wissenschaftlichen Infrastruktur bedarf, die im wissenschaftlichen Personal und insbesondere auch der öffentlichen ­Finanzierung reflektiert sein muss. 


Forschung kostet Geld – für die Forschungsarbeiten per se, aber auch zur Ausfinanzierung eines klar forschungsorientierten Ausbildungsprofils und zur aufgabengerechten Finanzierung von Promotionen und ihrer Betreuung. Deswegen sind Universitäten von jeher finanziell besser ausgestattet als Fachhochschulen – nicht etwa weil die Fachhochschulen weniger arbeiten, bezüglich des Lehrdeputats gilt ja gerade das Gegenteil – sondern weil dort im Regelfall weniger geforscht wird. Deshalb kostet ein Bachelorabschluss an einer Fachhochschule den Steuerzahler nur 12.900 Euro, während ein Uni-Bachelor mit 28.200 Euro zu Buche schlägt (Stand 2009, Quelle: v. Grünberg / Sonntag, ZEIT v. 23.8.2012). Andere Kennzahlen sehen ähnlich aus: Universitäten erhalten bundesweit pro Student 8.540 Euro pro Jahr, Fachhochschulen 3.890 Euro (Stand 2009, Quelle: Statistisches Bundesamt, Hochschulen auf einen Blick, 2012). Eine Universitätsprofessur kostet 579.250 Euro pro Jahr, eine FH-Professur 172.740 Euro (Stand 2009, Quelle: v. Grünberg / Sonntag ebd.). 


Diese Zahlen spielen natürlich auch bei der Diskussion eines Promo­tionsrechts für Fachhochschulen eine zentrale Rolle. Mit der Verleihung eines solchen Rechts ohne die Unterlegung einer angemessenen Finanzierung sind zukünftige Qualitätsprobleme vorprogrammiert. Aber woher soll eine solche angemessene Finanzierung kommen? Dies ist zu klären, bevor über eine Ausweitung des Promotionsrechts Fakten geschaffen werden.


Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die höheren Mittelzuweisungen für forschungsorientierte Hochschulen sind auch fiskalisch gesehen außerordentlich gut angelegt: Forschung ist die Grundlage eines jeden nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolges – aus betrieblicher Sicht ebenso wie aus volkswirtschaftlicher Sicht. Öffentliche Investitionen in Forschung führen mittelfristig zu einer höheren Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft, zu mehr Zu- und Einwanderung qualifizierter junger Menschen aus anderen Regionen und Ländern und damit wiederum zu mehr Steuereinnahmen. Andererseits kann Forschung nicht jeder, und es ist, wie bereits ausgeführt, auch nicht sinnvoll, 55 % eines Altersjahrgangs forschungsorientiert auszubilden. Forschungsbasiert ja, aber nicht forschungsorientiert. Die Kunst zukünftiger Politik wird darin bestehen, eine wohlfahrtsmaximierende Verteilung zwischen den genannten vier Clustern zu sichern und jungen Menschen dabei zu helfen, die für sie geeignetste Hochschule zu finden. 


Was nicht geht, ist forschungsorientierte Hochschulen anzulegen und sie dann nicht angemessen auszufinanzieren. Ich schreibe hier durchaus als Betroffener: Meine eigene Universität, die Universität Potsdam, erhält pro Studierendem ungefähr 5.000 Euro pro Jahr vom Land Brandenburg. Dies reicht schlichtweg nicht aus, um hochkarätige Forschung und qualitativ hochwertige Lehre auf Dauer zu sichern – so gerät dann entweder das eine oder das andere hehre Ziel unter die Räder. Forschung kostet Geld, und das muss sich auch in unterschiedlichen Kostensätzen für die oben genannten Cluster widerspiegeln. Bei den Hochschulen im ersten Cluster scheinen Kostensätze zwischen 15.000 und 30.000 Euro pro Studierendem im internationalen Vergleich keineswegs unangemessen. So liegt die öffentliche University of California at Berkeley trotz extremer Haushaltprobleme bei 18.000 Euro pro Studierendem (Stand 2009), wovon allerdings knapp die Hälfte von Studiengebühren gedeckt wird. Im zweiten Cluster erscheinen wegen der internen Mischfinanzierung mittelfristig Sätze von 10.000 bis 15.000 Euro pro Studierendem angemessen. Im vierten Cluster hingegen sind möglicherweise 2.000 bis 3.000 Euro pro Studierendem ausreichend, um die Einhaltung von sinnvollen Mindeststandards in der Qualität der Lehre einfordern zu können. 


Eine vergleichsweise hohe Varianz innerhalb der Cluster darf nicht überraschen; vor allem die Gewichtung von naturgemäß kostenaufwändigen Fächern wie der Medizin und den Ingenieurwissenschaften einerseits und naturgemäß kostengünstigen Fächern wie den Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften andererseits rechtfertigt hier unterschiedliche Ausstattungen von Hochschulen, die bezüglich ihrer Forschungsintensität und -qualität durchaus vergleichbar erscheinen. Dies ändert aber nichts an den grundsätzlich höheren Mittelbedarfen forschungsorientierter Hochschulen.


Ein letztes Wort zu den in diesem Kontext des Öfteren angesprochenen ›Praxispromotionen‹ und ›Berufsdoktoraten‹. Gemeint ist damit, den Doktorgrad für besondere Leistungen bei der Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Praxis zu verleihen. Dies kann man gerne tun, aber von dem ursprünglichen Sinn des Doktorgrads ist dies weit entfernt. Ich zitiere aus meinem eigenen Artikel »Warum promovieren wir?« aus dem Jahre 2009 (Forschung und Lehre 7/09): »Ziel einer jeden Dissertation sollte sein, der Menschheit etwas grundlegend Neues mitzuteilen.« Dieser Vorsatz gilt für jede forschungsorientierte Promotion, während er bei Praxispromotionen und Berufsdoktoraten von vornherein keine Zielsetzung darstellen mag. 


Insofern bietet es sich an, bei dem zu verleihenden Titel zwischen den unterschiedlichen Zielsetzungen klar zu unterscheiden. Man sollte einem Grad ansehen, ob es sich bei der Arbeit um eine Forschungsarbeit mit neuen Erkenntnissen handelt (bzw. handeln sollte), ob eine interessante Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgezeichnet wird (Praxispromotion), ob die Arbeit lediglich eine Zusammenfassung von vorliegenden Erkenntnissen oder eine empirische Unterlegung laufender Forschungsarbeiten darstellt (Berufsdoktorat). Letztere Fälle gelten für viele medizinische Promotionen und auch für so manche Arbeit aus den Rechtswissenschaften und anderen Bereichen. Für diese sollten dann auch andere Titel gelten – die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen haben es uns mit dem D. Eng. (Doctor of Engineering), dem M. D. (Medicinae Doctor) und dem J. D. (Juris Doctor) im Gegensatz zu dem klar forschungsorientierten Ph. D. (Philosophiae Doctor, der aber längst nicht nur in der Philosophie verliehen wird) seit langem vorge-
macht. 


Diese Frage ist aber letztlich unabhängig von der Frage der Ausfinanzierung von Forschung im Allgemeinen und Promotionen im Besonderen. Der politische Souverän ist aufgerufen, die Rollen von Hochschulen und Forschung zu erkennen und zu bewerten. Ausgehend von der konkreten Haushaltslage, der aktuellen und zukünftigen Demographie und der wirtschaftlichen Situation liegt es an den Landesregierungen, den für sie richtigen ›Mix‹ von Hochschulen unterschiedlichen Typs zu definieren. Forschungsorientierte Hochschulen mit Promotionsrecht sind dabei angemessen zu berücksichtigen und den interna­tionalen Maßstäben entsprechend auszufinanzieren – sonst blutet das (Bundes-) Land sich selber aus. Dass es den außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft) gelang, diesen Gedanken in die Politik hineinzutragen, ist schön für die Kolleginnen und Kollegen an diesen Einrichtungen und auch gut für das Land. Dass es bisher nicht gelang, auch für die forschungsorientierten Hochschulen entsprechende Finanzierungs­zusagen zu erwirken, ist ausgesprochen bedauerlich. 


Eine Fortführung der aktuellen systematischen Unterfinanzierung forschungsorientierter Hochschulen wäre katastrophal für unser Land. Landesregierungen insbesondere müssen hier gegensteuern – sei es über höhere direkte Zuwendungen, sei es über Verhandlungen über eine stärkere Beteiligung des Bundes, die allerdings auch verfassungsmäßig abgesichert werden muss – so z. B. über eine längst überfällige Änderung des Artikels 91b Grundgesetz, der derzeit der Mitfinanzierung der akademischen Lehre durch den Bund sehr enge Grenzen setzt.


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Heft 10 (2013)
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