Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale (Die Deutschen Inschriften, Band 85, Leipziger Reihe, Band 4)
Gesammelt und bearbeitet von Franz Jäger, Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 2012. 634 Seiten, 90 Tafeln mit 266 s/w-Abbildungen, 2 Karten und 3 Tafeln mit Steinmetzzeichen und Marken, Festeinband
Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hat am 17. Januar 2013 in Halle (Saale) ihren vierten, in der Reihe »Die Deutschen Inschriften« erschienenen Band der Öffentlichkeit vorgestellt. Die ersten drei von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Inschriftensammlungen sind den Altkreisen Weißenfels und Querfurt in Sachsen-Anhalt und dem Dom zu Halberstadt gewidmet. Sie knüpfen an Vorarbeiten für Mitteldeutschland an, die in den 1950er und 1960er Jahren von der Berliner Akademie der Wissenschaften im Rahmen des interakademischen Forschungsvorhabens »Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit« geleistet wurden. Die Sächsische Akademie der Wissenschaften konnte erst 1996 mit der Gründung einer eigenen Arbeitsstelle in das seit etwa 75 Jahren bestehende Forschungsvorhaben eintreten, das zum Ziel hat, die in Deutschland, Österreich und Südtirol sowohl original erhaltenen als auch abschriftlich oder abbildlich überlieferten Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bis zum Jahr 1650 zu sammeln und als kommentierte Edition zu veröffentlichen. Der Band mit den Inschriften der Stadt Halle ist der 85. Band der traditionsreichen Reihe, die von sechs am Forschungsvorhaben beteiligten deutschen Wissenschaftsakademien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien gemeinsam herausgegeben wird.
Inschriften sind Texte, die nicht mit Methoden und Materialien des Schreibschul- und Kanzleibetriebs hergestellt wurden. Sie sind auf Trägern aus dauerhaftem Material, wie Stein, Metall und Holz, aber auch auf Glas oder Textilien angebracht und richten sich zumeist durch ihren Entwurf, ihre Ausführung und Anbringung an die Öffentlichkeit. Inschriften überliefern nahezu alles, was den Menschen mitteilens- und bewahrenswert war. Sie bilden eine historische Quellengattung eigener Art, die von verschiedenen historischen Disziplinen, wie Kirchen-, Kunst-, Sprach- und Landesgeschichte, genutzt wird. Die historische Hilfswissenschaft (oder besser Grundwissenschaft) der Epigraphik oder Inschriftenkunde hat für die Lesung der oft schlecht erhaltenen und wegen der Eigenart der Schriftformen sowie der Vielfalt der verwendeten Abkürzungen schwer zu entziffernden Inschriften eine eigene Methodik entwickelt. Für die textkritische Edition der Inschriften sind – sofern erhalten – die Originaltexte maßgeblich. Kopial, d. h. abschriftlich oder abbildlich überlieferte Texte werden nach der verlässlichsten Vorlage wiedergegeben. Neben seinem Kernstück, der Inschriftenedition, enthält jeder einzelne Artikel eines Inschriftenbandes eine Beschreibung des Inschriftenträgers unter Einbeziehung von Wappen und eine Übersetzung der in Latein, Griechisch, Hebräisch oder im Deutsch einer älteren Sprachstufe abgefassten Texte. Der jeden Artikel abschließende Kommentar kann u. a. wesentliche Aspekte der Herstellung und Überlieferung des Inschriftenträgers und Besonderheiten der Schriftformen behandeln sowie Erläuterungen zum Inhalt und historischen Hintergrund der Inschrift geben. Der Kommentar soll das Verständnis der Inschrift erleichtern und sie für weiterführende Fragestellungen erschließen. Eine dem Katalog vorangestellte Einleitung bietet dem Leser den geschichtlichen Kontext sowie eine nach Trägergruppen geordnete zusammenfassende Darstellung und eine nach Schriftformen gegliederte paläographische Auswertung des Inschriftenbestandes. Zahlreiche Register und Abbildungen ausgewählter Inschriften bzw. Inschriftenträger erschließen und illustrieren die Edition.
Der vorliegende Band über die Inschriften der Stadt Halle präsentiert in 530 Katalogartikeln und einem Anhang mit 72 Artikeln die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften aus dem heutigen Stadtgebiet von Halle. Die Verluste am originalen Denkmalbestand, die die Stadt durch urbane Modernisierung und Krieg in den letzten beiden Jahrhunderten erlitt, werden durch eine umfangreiche, im 17. Jh. einsetzende kopiale Überlieferung teilweise ausgeglichen. Sie umfasst etwa 50 % des edierten Inschriftenbestandes. Zu den ältesten, vor allem auf Glocken überlieferten Inschriften treten seit dem späten 14. Jh. Inschriften hinzu, die Bauarbeiten an den Stiften und Klöstern sowie an städtischen Bauwerken, insbesondere an der Stadtbefestigung, dokumentieren. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jh. bekunden auch Inschriften an und in den Häusern des Bürgertums den gewachsenen repräsentativen Anspruch der Bauherren.
Die Stadtherrschaft der Erzbischöfe von Magdeburg schlug sich kaum in der epigraphischen Überlieferung nieder, bis Erzbischof Ernst von Sachsen im Jahr 1503 in der von ihm erbauten Moritzburg eine ständige Hofhaltung etablierte. Inschriften aus dem Umfeld des Erzbischofs von Magdeburg und Mainz, Kardinal Albrecht von Brandenburg, der von 1514 bis 1541 in Halle residierte, belegen für das Neue Stift, den heutigen Dom, und die erzbischöfliche Burg Giebichenstein eine rege Bau- und Stiftungstätigkeit. Der erzbischöfliche Hof erweist sich als ein Kunstzentrum dieser Zeit, für das namhafteste Künstler, wie der Maler Hans Baldung Grien und der Bildhauer Loy Hering, tätig waren.
Viele Inschriften des 16. Jh. sind durch Reformation und Konfessionalisierung geprägt und lassen schwelende Religionskonflikte aufscheinen. Herausragende epigraphische Denkmale der in Halle 1541 durchgeführten Reformation sind die Inschriften an den von 1549 bis 1554 erbauten Emporen der Marktkirche und an den 1557 begonnenen Arkaden des Stadtgottesackers. Für die Inschriften der ältesten Arkaden wurde auf eine Empfehlung Martin Luthers zur epigraphischen Ausschmückung von Friedhöfen zurückgegriffen. Den Schwerpunkt des Inschriftenkatalogs bildet der zum größten Teil kopial überlieferte Bestand an frühneuzeitlichen Grabinschriften. Sie dienen dem Gedenken der städtischen und höfischen Eliten und veranschaulichen deren familiäre und ständische Einbindung. Die Grabmäler für Hofbedienstete sind die wichtigsten Denkmale der Hofhaltung der lutherischen Administratoren des Erzstifts Magdeburg aus dem Haus Brandenburg, die bis 1625 in Halle residierten. Grabmäler in dem als Hofkirche genutzten Dom erinnern an die Schicksale adliger Offiziere tschechischer, lettischer oder flämischer Herkunft, die als Opfer des Dreißigjährigen Krieges in Halle bestattet wurden.
Ein wichtiges Medium ständischer und konfessioneller Repräsentation in der Frühen Neuzeit waren mit Inschriften versehene Porträtgemälde von Amtsträgern, wie Superintendenten, Pfarrern und Beisitzern des hallischen Schöffenstuhls, von denen einige erhalten blieben. Die Bildnisse der Superintendenten vergegenwärtigen auch, dass Halle ein kirchliches Zentrum mit überregionaler Ausstrahlung war, in dem eine orthodox-lutherische Lehrtradition gepflegt wurde. Die einst im Rathaus gezeigten Porträtzyklen der fürstlichen Stadtherren und der Kurfürsten des deutschen Reiches dienten städtischer Selbstdarstellung.
Die in der vorliegenden Edition bearbeiteten Inschriften vergegenwärtigen viele Aspekte des städtischen Lebens in einer vergleichsweise großen, in manchen Belangen autonom agierenden Landstadt; die über anderthalb Jahrhunderte blühende hallische Hofkultur hingegen findet hauptsächlich in den Inschriften der Grabmäler ihren Niederschlag. Der Dreißigjährige Krieg und der endgültige Verlust des Residenzstatus’ infolge des Übergangs der Stadt in brandenburgische Herrschaft 1680 führte zu einem erheblichen Verlust an Sachzeugen und Inschriften des höfischen Lebens.