Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

»Europäische Metropolregion« – ein Raumordnungs­konzept für Mitteldeutschland


Seit etwa 20 Jahren gibt es zahlreiche nationale und europäische Diskurse zum Raumordnungskonzept der Metropolregionen in Europa und Deutschland. Dies führte dazu, dass sich Metropolregionen immer mehr als strategisches Element der Raumordnungspolitik im Hinblick auf die europäische und globale Wettbewerbsfähigkeit der Städte durchgesetzt haben. In diesem Zusammenhang hat in jüngster Zeit das Wirken der Europäischen Union an Bedeutung gewonnen. Hervorzuheben ist die »Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt« vom Mai 2007. Sie enthält programmatische Leitlinien zur Entwicklung der Metropolregionen in Europa. In der Präambel heißt es dazu: »Ziel ist eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Stadt und Land und zwischen Klein-, Mittel- und Großstädten innerhalb von Stadt- und Metropolregionen. Die allein auf eine Stadt bezogene Betrachtung stadtentwicklungspolitischer Probleme und Entscheidungen muss überwunden werden. Unsere Städte sollten Kristallisationspunkte der stadtregionalen Entwicklung sein und Verantwortung für den territorialen Zusammenhalt übernehmen. Dafür ist es hilfreich, wenn sich unsere Städte zukünftig stärker auf europäischer Ebene vernetzen. Integrierte Stadtentwicklungspolitik bietet ein in vielen europäischen Städten bereits bewährtes Instrumentarium zur Entwicklung moderner, kooperativer und wirkungsvoller Governance-Strukturen«.1

Die deutsche Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) hat mit ihrem Beschluss zum »Raumordnungspolitischen Orientierungsrahmen« (ORA) 1993 sowie zum »Raumordnungspolitischen Handlungsrahmen« (HARA) 1995 die Bedeutung der Metropolregionen in Deutschland bereits unterstrichen. Vor allem der raumordnungspolitische Handlungsrahmen enthält wesentliche Aussagen zu Städtenetzen und europäischen Metropolregionen.2

Seit Erstellung der beiden Dokumente Mitte der 1990er Jahre sind neue gesellschaftliche Herausforderungen – wie die zunehmende Globalisierung, der demographische Wandel, die verstärkte europäische Integration sowie die Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung – in den Vordergrund gerückt. Als Reaktion darauf hat die Ministerialkonferenz für Raumordnung (MKRO) im Jahr 2006 ein neues raumordnerisches Leitbild unter dem Titel »Leitbilder und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland« verabschiedet.3 In den drei strategischen Leitbildern: »Wachstum und Innovation«, »Daseinsvorsorge sichern« und »Ressourcen bewahren, Kulturlandschaften gestalten« erfolgte in der Bundesrepublik Deutschland eine Neuakzentuierung der Raumordnungspolitik, in der die Metropolregionen und ihre europäische Dimension eine Schlüsselstellung einnehmen. Die Leitbilder richten sich an die Entscheidungsträger in Bund und Ländern, einschließlich der regionalen Planungsträger. Sie bieten darüber hinaus dem privaten Sektor Orientierungshilfen für künftige Investitionsentscheidungen.


1. Metropolregionen im europäischen Kontext


Die neue Raumordnungskategorie »Europäische Metropolregion« hat sich als strategisches Element der Raumentwicklung auf europäischer und nationaler Ebene erfolgreich durchgesetzt, denn »Metropolräume zeichnen sich durch eine hohe Konzentration von Funktionen aus, die sie in überregionalen europäischen und globalen Netzwerken von Gesellschaft und Wirtschaft wahrnehmen«.4 Die Beschreibung dieser metropolitanen Funktionen und die Analyse ihrer räumlichen Verteilung ist auch in Deutschland schon länger Gegenstand der Raumforschung. Bereits 1995 hat die MKRO die Bedeutung der Metropolregionen in Deutschland unterstrichen: »Als Motoren der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung sollen sie die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit Deutschlands und Europas erhalten und dazu beitragen, den europäischen Integrationsprozess zu beschleunigen«.5 Metropolregionen sind wichtige Impulsgeber und Wachstumsmotoren für die wirtschaftliche Entwicklung des Standortes Deutschland. In den letzten Jahren hat sich stärker ein funktionales Begriffsverständnis durchgesetzt. Demnach werden Metropolregionen als Knoten in global vernetzten Personen-, Kapital-, Waren-, Dienstleistungs- und Informationsströmen aufgefasst.6

Ausgehend von dem Konzept der funktionalen Differenzierung sozialer Systeme und gestützt auf regionalökonomische Theorien sind für die Knotenfunktionen der Metropolregionen fünf in ihnen lokalisierte metropolitane Funktionsbereiche entscheidend:


  • »Politik« mit den internationalen Bezügen der nationalstaatlichen Regierungen und überstaatlichen Organisationen,

  • »Wirtschaft« mit den globalen Produktions-, Handels- und Finanzbeziehungen,

  • »Wissenschaft« mit den global bedeutsamen Universitäten, Forschungsnetzwerken und Innovationen,

  • »Verkehr« mit seiner Bedeutung für die weltweite Vernetzung von Personen, Gütern und Informationen und

  • »Kultur« mit den Ereignissen in Kunst und Sport.7

Metropolfunktionen sind ein Spiegelbild der Leistungsfähigkeit und interna­tionalen Einbindung der Metropolräume.


1995 bestimmte die MKRO sechs »Europäische Metropolregionen« als strategisches Netz der Raumentwicklung in Deutschland: Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg, Frankfurt/Rhein-Main, Hamburg, Rhein-Ruhr, Stuttgart und München. 1997 kam das »Sachsendreieck« hinzu und im Jahr 2006 die Metropolregionen Bremen-Oldenburg, Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg, Nürnberg und Rhein-Neckar. Damit hat sich die Zahl der Metropolräume in Deutschland auf 11 erweitert (Abb. 1). Weitere Initiativen sind in Vorbereitung. Die von der MKRO benannten Regionen haben sich bereits 2001 im Rahmen eines vom Bund geförderten Projektes zu einem informellen Initiativkreis Europäische Metropolregionen in Deutschland zusammengeschlossen.8

Für die Analyse von Metropolregionen sind möglichst präzise räumliche ­Bezüge erforderlich. Die konkrete Abgrenzung der Europäischen Metropolregionen erfolgte in Deutschland auf der Basis administrativer Kreisgrenzen. Damit kann für den Beitrag auf relevante und verfügbare Indikatoren aus dem Datensatz des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung zurück­gegriffen werden. Die Abgrenzung entspricht den Meldungen der Metropol­regionen zum Stichtag 1. Juli 2010.


Abb. 1: Europäische Metropolregionen in Deutschland, Karte: Universität Leipzig, Institut für Geographie.
 Abb. 1: Europäische Metropolregionen in Deutschland, Karte: Universität Leipzig, Institut für Geographie.


2. Die politisch-planerische Umsetzung des Metropolenkonzeptes in Mitteldeutschland


Erste Ansätze für die Aufstellung eines Generalsiedlungsplanes für den engeren mitteldeutschen Industriebezirk gehen bereits auf das Jahr 1925 zurück. So führte der Aufbau der Landesplanung am 1. April 1925 zur Gründung des Planungsverbandes für den engeren mitteldeutschen Industriebezirk.9 Nach dem Zweckverband Groß-Berlin (1912) und dem Siedlungsverband Ruhrkohlen­bezirk (1920) entstand damit der dritte überkommunale Zusammenschluss mit landesplanerischen Aufgaben. Während der Siedlungsverband Ruhrkohlen­bezirk trotz mehrfachen Wechsels von Name und Zuständigkeiten bis zum heutigen Tage eine ungebrochene Kontinuität aufweist, wurde an die Tradi­tionen des Landesplanungsverbandes in Mitteldeutschland nach der Auflösung 1933 nicht wieder angeknüpft. Gleichwohl entwickelte sich aus planungstheoretischer Sicht die Raumplanung in Mitteldeutschland zu einer Methode regionaler Standortplanung weiter, die auch die räumliche Begrenzung ortsbezogener Planungen in der Vergangenheit teilweise überwunden hat, beispielsweise bei der Braunkohlenplanung.


Im ersten Landesentwicklungsplan Sachsen wurde 1994 die ursprüng-
lich als »Sachsendreieck« bezeichnete Metropolregion ausgewiesen, die sich anfänglich aus den drei Kernräumen Dresden, Leipzig, Chemnitz/Zwickau – etwas später kam Halle/Saale dazu – zusammensetzte (Abb. 2). Damit sollten die raumplanerischen Voraussetzungen für die Entwicklung einer leistungs­fähigen Wirtschafts- und Technologieregion geschaffen werden. Das Hauptziel bestand darin, die Infrastrukturnetze so weit auszubauen, dass ein Koopera­tionsraum von europaweiter Bedeutung entsteht.10 1995 wurde die Region durch die MKRO im Raumordnungspolitischen Handlungsrahmen als »Potentielle Europäische Metropolregion« eingestuft und 1997 durch Beschluss der MKRO als »Europäische Metropolregion« definiert. 2002 haben Sachsen und Sachsen-Anhalt eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich aus den kommunalen Vertretern der fünf Kernstädte zusammensetzte. 2005 wurde ein Handlungskonzept vorgelegt, auf dessen Basis gemeinsame Projekte initiiert werden konnten. Die MKRO erkannte in diesem Konzept einer länderübergreifenden Metropolregion für den Wirtschaftsraum Mitteldeutschland eine besondere Chance, sich im europäischen Wettbewerb zu positionieren. Sie regte an, auch die Thüringer Städtereihe Gera, Jena, Weimar und Erfurt sowie die beiden Kernräume Magdeburg und Dessau-Roßlau in die Entwicklung einer mitteldeutschen Metropolregion einzubeziehen. Diese Kernräume kooperierten bereits seit 2005 länderübergreifend bei unterschiedlichen Themenstellungen miteinander. 2007 erhielt die Stadt Jena, als Vertretung der »ImPuls-Region« Erfurt-Weimar-Jena und der Stadt Gera, ein Stimmrecht, um an den Entscheidungen der Gremien der Metropolregion mitwirken zu können. Die Stadt Magdeburg nahm ebenfalls ab 2007 als Beobachterin an den Beratungen der Ausschüsse teil und vertrat darüber hinaus die Interessen der Stadt Dessau-Roßlau. Im Mai 2009 hatten die Gründungsmitglieder der Metropolregion eine strategische Neuakzentuierung eingeleitet, indem sie die formale Erweiterung unter Einbeziehung der bisher kooperierenden Städte und zugleich die Um­benennung in »Metropolregion Mitteldeutschland« beschlossen.


Abb. 2: Metropolregion Sachsendreieck, Karte: Universität Leipzig, Institut für Geographie.
 Abb. 2: Metropolregion Sachsendreieck, Karte: Universität Leipzig, Institut für Geographie.


Seit dem 1.1.2010 besteht die Europäische Metropolregion Mitteldeutschland aus den 11 Kernstädten: Chemnitz, Dessau-Roßlau, Dresden, Erfurt, Gera, Halle/Saale, Jena, Leipzig, Magdeburg, Weimar, Zwickau. Damit sind der Kernraum, d. h. das Zentrum der Region und der Peripherieraum klar benannt. Diese räumliche Konstruktion ist über einen Zeitraum von 15 Jahren entstanden und entspricht nun weitgehend den tatsächlichen räumlichen Gegebenheiten (Abb. 3).


Die polyzentrische Struktur der Metropolregion und ihre große räum­liche Ausdehnung stellen besondere Anforderungen an ihre Akteure und die Zusammenarbeit. Das betrifft vor allem den effizienten Einsatz und die Steuerung vorhandener Ressourcen sowie die partnerschaftliche Einbindung einer Vielzahl von heterogenen Interessen und Potenzialen. In einer Presserklärung der Metropolregion Mitteldeutschland vom 26. März 2010 heißt es dazu: »Bindende Klammer und Gemeinsamkeit aller Partner der Metropolregion Mitteldeutschlands ist ihre Innovationskraft in Zeiten des Wandels. Die Region hat den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruch als große Chance verstanden. In Kooperation mit interessierten Akteuren aus den Verwaltungen, der Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft werden auf verschiedenen Handlungsfeldern konkrete Projekte der Zusammenarbeit entwickelt, um die Region als Ganzes zu stärken. Die Region Mitteldeutschland bildet dabei eine geeignete Plattform, um flexibel über administrative Grenzen hinweg unterschiedliche Interessenlagen zu bündeln und dadurch einen Mehrwert für die beteiligten Akteure zu schaffen. Als ›Netzwerk der Netzwerke‹ will sie die Kräfte, Identitäten, Potenziale und Interessen in der Region vereinen.«11

Abb. 3: Zentrale Orte höherer Stufe in Mitteldeutschland, Karte: Universität Leipzig, ­Institut für Geographie.
 Abb. 3: Zentrale Orte höherer Stufe in Mitteldeutschland, Karte: Universität Leipzig, ­Institut für Geographie.


Die länderübergreifende Kooperation wird von den drei beteiligten Landes­regierungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgetragen, die Handlungsschwerpunkte umfassen die vier Bereiche:


  • Wirtschaft und Wissenschaft

  • Kultur und Tourismus

  • Verkehr und Mobilität

  • Familienfreundlichkeit.


Realisiert wird die Zusammenarbeit durch einen »Gemeinsamen Ausschuss«, einen Lenkungsausschuss, Arbeitsgruppen sowie eine Geschäftsstelle für die Metropolregion, die aller zwei Jahre ihren Hauptsitz wechselt (seit August 2012 Sitz in Leipzig). Die wichtigsten Aufgaben umfassen die überörtliche Planung und Bereitstellung von Infrastruktur, die regionale Wirtschaftsförderung 
und die Initiierung leistungsfähiger Formen der regionalen und überregionalen Kooperation, mit der Zielsetzung, ein spezifisches Standortprofil und eine regionale Identität für die Europäische Metropolregion Mitteldeutschland zu befördern.


Seit 1995 hat die neue Raumordnungskategorie »Europäische Metropolregion« eine bemerkenswerte Durchsetzungskraft in Deutschland gewonnen. Damit bestätigt sich wieder einmal die These von Hans-Dieter Schulz »Räume sind nicht, Räume werden gemacht«.12

3. Die Siedlungs- und Raumstruktur der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschlands


Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind durch eine gemeinsame Geschichte und Kultur verbunden. »Die einzigartige Kulturlandschaft stellt als weicher Standortfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung ein besonderes ­Potenzial dar«.13

Die Industrialisierung des mitteldeutschen Raumes erfolgte im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Aus wirtschaftsgeographischer Sicht stellte sich die Region Anfang des 20. Jahrhunderts als eine Abfolge unterschiedlicher Standortkomplexe dar, die auf eine räumliche Spezialisierung und Arbeitsteilung rohstoffgebundener Industriezweige zurückzuführen war. Die Siedlungsentwicklung verlief weitgehend spontan und ungeordnet. Kennzeichnend waren das rasche Wachstum der großen Städte unter Einbeziehung der Umlandgemeinden und die Herausbildung von Verdichtungsgebieten. Die insgesamt sehr heterogene Wirtschafts- und Siedlungsstruktur ist vor allem auf die politische Zersplitterung im mitteldeutschen Raum zurückzuführen. Trotzdem festigte sich bereits vor 80 Jahren über die administrativen Grenzen der Länder und Provinzen hinweg das Bewusstsein einer regionalen Gemeinsamkeit, die sich bis heute in vielen Namen, z. B. von Rundfunkanstalten, Vereinen, Verbänden und Tageszeitungen, ausdrückt. Auch in dieser Hinsicht kann Mitteldeutschland als »verspätete« Region bezeichnet werden.14

Die Metropolregion Mitteldeutschland ist heute mit einer Fläche von 35.969 Quadratkilometern und 6.901.813 Millionen Einwohnern (2008) zwar die zweitgrößte Metropolregion in Deutschland. Im Unterschied zu den ­anderen deutschen Metropolregionen ist die Bevölkerungsdichte mit 192 Einwohnern pro Quadratkilometer (2008) und die Siedlungsdichte von 1.606 Einwohnern pro Quadratmeter Siedlungsfläche jedoch relativ niedrig (Tabelle 1). Die Ursachen sind u. a. in der polyzentrischen Struktur des mitteldeutschen Städtenetzes, dem Fehlen eines dominanten städtischen Kerns und, im Vergleich zum Ruhrgebiet, einem deutlich niedrigeren Urbanisierungsgrad zu 
suchen.


Quelle: Laufende Raumbeobachtung BBSR, Bonn 2010.

Tabelle 1: Bevölkerungs- und Siedlungsdichte in den Metropolregionen.

Metropolregionen 2008Fläche in km2BevölkerungEinwohner/km2Siedlungsdichte
Berlin-Brandenburg30.3735.954.168196,041.805,7
Bremen-Oldenburg13.7492.726.186198,281.288,1
Frankfurt/Rhein-Main14.7555.521.908374,232.190,5
Hamburg19.8024.286.123216,451.635,0
Hannover-Braunschweig-Göttingen18.5783.879.373208,811.494,3
Mitteldeutschland35.9696.901.813191,861.606,3
München24.9335.601.830224,682.033,4
Nürnberg21.4373.598.323167,861.430,7
Rhein-Neckar5.6372.361.435418,932.366,1
Rhein-Ruhr11.73811.693.041996,203.007,7
Stuttgart15.4295.291.507342,972.260,8
Metropolregionen gesamt212.40057.815.707272,201.942,7
Deutschland357.09482.002.356229.641.739,7

Quelle: Laufende Raumbeobachtung BBSR, Bonn 2010.


Die charakteristische polyzentrische Siedlungsstruktur Mitteldeutschlands ist das Ergebnis eines langen Prozesses menschlicher Interaktionen im Raum und bildet die Voraussetzung für künftige räumliche Entwicklun-
gen.


Entsprechend der differenzierten Einwohner- und Siedlungsdichte sowie der arbeits- und versorgungsräumlichen Beziehungen kann die Metropol­region in Gebiete mit unterschiedlicher Raumstruktur gegliedert werden, denen spezifische Funktions- und Entwicklungsaufgaben zugeordnet werden. Zu den Hauptkategorien der Raumgliederung, die sich am Konzept der »dezentralen Konzentration« orientieren, gehören die 11 Kernstädte (Oberzentren) mit einer hohen Konzentration von Bevölkerung, Wohn- und Arbeitsstätten und die Trassen, Anlagen und Einrichtungen der Infrastruktur in den überregionalen Kooperationsachsen. Die Mittelzentren in der Metropolregion sind weitere wichtige Kristallisationspunkte für Dienstleistungs- und Versorgungsfunktionen sowohl für ihre eigene Wohnbevölkerung als auch für die außerhalb des Metropolraums angrenzenden peripheren Kooperationsräume in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.


Die räumliche Organisation des Städtenetzes ist eine wichtige Voraussetzung für die Ausweisung der europäischen Metropolregion Mitteldeutschland gewesen, da sie die Standortvorteile der Region vor dem Hintergrund tief ­greifender Veränderungen aufzeigt. Dazu zählen die rasch voranschreitende Internationalisierung und Globalisierung und ein weiter zusammenwachsendes Europa. Die Folgen sind eine vertiefte internationale Arbeitsteilung, eine zunehmende Wirtschaftskonkurrenz und eine Neubewertung von Standortqualitäten.


Ein wesentliches Element der Raumstruktur sind die überregionalen ­Kooperationsachsen in der Metropolregion. Sie bündeln über die Grenzen der Region hinaus die Verkehrs- und Kommunikationsströme. Der Metropolraum ist gut in die nationalen und transnationalen Netze eingebunden. Die Fernverkehrsachsen werden durch regionale Entwicklungs- und Verbindungsachsen ergänzt. Damit die Einbindung in leistungsfähige transeuropäische Netze verbessert wird und die Netzlücken zwischen den Teilräumen der Region, insbesondere zwischen den Kernstädten, geschlossen werden, ist der weitere Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, entsprechend dem Dokument Verkehrsprojekte Deutsche Einheit, umzusetzen.


4. Ansätze zur Kooperation – Clusterbildung mit überregionaler Ausstrahlung


Die Metropolregion Mitteldeutschland gehört zu den dynamischsten Wirtschaftsregionen Europas. Die Höhe des Bruttoinlandproduktes betrug 2008 rund 160 Mrd. Euro. Die Wachstumsraten beim Bruttoinlandprodukt und der Arbeitsproduktivität lagen in den letzten Jahren über dem gesamtdeutschen Durchschnitt (Tabelle 2).


Quelle: Laufende Raumbeobachtung BBSR, Bonn 2010.

Tabelle 2: Beschäftigte und Wirtschaftsleistung.

Metropolregionen 2008Erwerbs­tätigeAnteil AK im Tertiärsektor in %Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbs­tätigem in €Sozialver-
sicherungs­beschäftigte gesamt
Berlin-Brandenburg2.686.00077,853.2151.818.779
Bremen-Oldenburg1.294.00066,560.142856.386
Frankfurt/Rhein-Main2.873.00074,571.5382.007.523
Hamburg2.125.00074,269.5401.430.330
Hannover-Braunschweig-Göttingen1.861.00067,560.4021.276.970
Mitteldeutschland3.193.00068,349.9842.306.394
München3.064.00067,673.1882.078.074
Nürnberg1.902.00060,661.6761.318.354
Rhein-Neckar1.152.00063,765.000792.380
Rhein-Ruhr5.691.00071,065.4943.827.986
Stuttgart2.755.00056,966.1031.933.325
Metropolregionen gesamt28.596.00068,763.59619.646.501
Deutschland40.279.00066,961.96327.457.715

Quelle: Laufende Raumbeobachtung BBSR, Bonn 2010.


Die Metropolregion Mitteldeutschland stellt keine neue Verwaltungseinheit dar, sie ist in erster Linie ein geeigneter regionaler Bezugsrahmen für kooperative Projekte. 


Für den Raum besteht die Chance, länderübergreifend die Potenziale seiner Städte zu bündeln und neue Formen überregionaler Partnerschaften zu entwickeln. Entsprechend der Spezifik der Metropolregion fällt der erfolgreichen Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft eine wichtige Rolle zu. DieMetropolregion zählt deutschlandweit zu den leistungsfähigsten Wissenschaftsstandorten (Tabelle 3). Mit neun Universitäten, 25 Hochschulen und rund 100 Forschungsinstituten und Kompetenzzentren, die vorzugsweise in den 11 Kernstädten konzentriert sind, verfügt die Region über ein dichtes Netz von Einrichtungen der wissenschaftlichen Infrastruktur.


Quelle: Laufende Raumbeobachtung BBSR, Bonn 2010.

Tabelle 3: Wissenschaftsstruktur in den Metropolregionen.

Metropolregionen 2008HochschulenForschungszentrenUniversitäre
 Sonderforschungs-bereicheBeschäftigte in wissenschaftlichen Bereichen
Berlin-Brandenburg425330184.000
Bremen-Oldenburg1211956.000
Frankfurt/Rhein-Main301813238.000
Hamburg20124153.000
Hannover-Braunschweig-Göttingen162016102.000
Mitteldeutschland434919162.000
München262622214.000
Nürnberg1861889.000
Rhein-Neckar1581173.000
Rhein-Ruhr444538380.000
Stuttgart281111160.000
Metropolregionen gesamt2942591911.811.000
Deutschland4013162442.284.000

Quelle: Laufende Raumbeobachtung BBSR, Bonn 2010.


In aktuellen regionalwissenschaftlichen Diskussionen und regionalökonomischen Theorien wird dem Funktionsbereich Wissenschaft ein hoher Stellenwert eingeräumt. Dabei wird die These vertreten, dass die Entwicklungsaussichten von Städten und Regionen in hohem Maße von ihren Potenzialen und Kapazitäten im Bereich Wissenschaft bestimmt sind. Neben innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen ist der Funktionsbereich Wissenschaft und damit einhergehend die Möglichkeit der Vernetzung in der Region von entscheidender Bedeutung. Diese Faktoren begründen erfolgreiche Innovationen und bilden die Basis für eine regionalwirtschaftliche Entwicklung von Kompetenznetzwerken und Clusterprozessen in der Region. Unter diesem Blickwinkel wachsender Verflechtungen werden gerade die Metropolstandorte als die räum­lichen Ankerpunkte der enger werdenden globalen Vernetzung betrachtet. 


Kennzeichnend für die Netzwerke und Clusterstrukturen sind eine enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen.


Besonders in den Wachstumsbranchen Maschinen- und Fahrzeugbau, Chemie, Mikroelektronik, optische Industrie, der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie der Photovoltaik haben sich bereits international erfolgreich konkurrierende Kompetenznetzwerke und Clusterprozesse herausgebildet.15

Der Wirtschaftszweig Automotive und Maschinenbau hat Tradition in der Metropolregion, vor allem im Raum Chemnitz/Zwickau, aber auch in Halle, Leipzig und Magdeburg.Basis ist die lange, bis ins 18. Jh. zurückreichende Tradition im Bereich des Maschinenbaus. Heute sind moderne Fertigungsanlagen und Forschungskooperationen für diesen Wirtschaftszweig charakteristisch. Über 50 Forschungseinrichtungen und eine Vielzahl von Fertigungsstandorten sind derzeitin diesem Bereich in Netzwerken eingebunden. Mit der länder­übergreifenden, regionalen Kooperation von mehr als 40 Hauptakteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft gelingt es, den Vorsprung der Metropolregion Mitteldeutschland als weltweit führende Photovoltaik-Region weiter auszubauen.


Beispielhaft sind die 2003 eingerichtete Verbundinitiative Maschinenbau Sachsen, die 2000 gegründete Automotive Thüringen e. V. mit über 100 Mitgliedern sowie das Kompetenznetzwerk der Automobilzulieferer MAHREG in Sachsen-Anhalt, deren Zusammenarbeit durch eine gezielte Verknüpfung von Unternehmen und Forschungseinrichtungen gekennzeichnet ist. Bereits seit rund 170 Jahren zählen die Forschungs- und Bildungseinrichtungen für den Maschinenbau in Mitteldeutschland zu den führenden ihrer Art in Deutschland. In den letzten Jahren hat sich im Kernraum der Teilregion Sachsen die Fraunhofer-Gesellschaft mit acht Instituten zu einem Schwerpunkt im Bereich Produktionstechnik und »Neue Materialien« entwickelt. Ein weiteres Zentrum für die produktionstechnische Industrieforschung bilden die Technische Universität Chemnitz und das Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik in Chemnitz.


Zu den traditionellen Industriebranchen in der Metropolregion zählen auch die Chemische Industrie und die Kunststoffproduktion. Das Cluster Chemie und Kunststoffe weist hohe Vernetzungsgrade der Chemieparks in der Region auf. Das Chemiedreieck Bitterfeld-Wolfen, Buna-Leuna und Böhlen-Espenhain bildete sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts heraus. Von diesen Standortkomplexen gingen entscheidende Impulse für eine europaweite Entwicklung aus. Nach 1990 wurden umfassende Sanierungsmaßnahmen und Neubauinvestitionen vorgenommen, die den Standort wieder zu einem der wichtigsten und innovativsten der chemischen Industrie machten. Das Netzwerk der Chemieparks CeChem-Net – Central European Chemical Network – ist von der Europäischen Union bereits als best-practice Beispiel benannt. Von entscheidender Bedeutung ist die Interaktion der Chemieparks und Unternehmen mit 17 Forschungseinrichtungen an Universitäten und Hochschulen und 16 außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der Region. Zum Cluster Chemie und Kunststoffe gehören in der Metropolregion die Chemieparks und Chemiestandorte:


  • Chemiestandort Leuna

  • DOW Valuepark Schkopau

  • ChemiePark Bitterfeld Wolfen

  • Chemie- und Industriepark Zeitz

  • BASF Schwarzheide GmbH

  • Industriestandorte Böhlen-Lippendorf

  • Industriepark Guben

  • Industriepark Premnitz

  • Solvay Bernburg Industrie Park


Der Dow Valuepark Schkopau hat sich mit seinen Standorten in Schkopau, Böhlen, Leuna und Teutschenthal und ca. 2.300 Mitarbeitern bei der Produktion chemischer Grundstoffe, Kunststoffe und synthetischen Kautschuks zu den modernsten Chemiestandorten der Welt entwickelt. Mit dem Fraunhofer Pilotanlagenzentrum für Polymersynthese und -verarbeitung in Schkopau sowie dem Fraunhofer Zentrum für Silizium-Photovoltaik Halle stehen zudem international ausgewiesene Forschungseinrichtungen zur Verfügung. 


Beispielhaft für die Entwicklung der Metropolregion Mitteldeutschland zum Hochtechnologiestandort ist seit einigen Jahren die Photovoltaik­industrie mit dem Cluster »Solarvalley Mitteldeutschland«. Das Konzept Solarvalley funktioniert nur durch überregionale Partnerschaften auf engstem Raum. Ein länderübergreifendes Netzwerk schließt 35 Unternehmen, 9 Forschungseinrichtungen und 5 Universitäten und 5 Hochschulen ein. Im Solarvalley Mitteldeutschland sind inzwischen 12.500 Arbeitskräfte in der Photovoltaikindustrie (2010) beschäftigt. Der Anteil am deutschen PV-Industrieumsatz beträgt 43 %. Bereits 75 % der in Deutschland produzierten Solarzellen kommen aus Mitteldeutschland, weltweit ist das ein Anteil von 14 %.16

Solarvalley Mitteldeutschland legt den Schwerpunkt seiner kooperativen Zusammenarbeit auf die Abstimmung der Forschungs- und Entwicklungsprogramme über alle Wertschöpfungsketten hinweg, auf den Ausbau eines länderübergreifenden integralen Bildungskonzeptes und auf die Entwicklung eines länderverbindenden Netzwerkes. Hauptziel dieser überregionalen Partnerschaften ist es, mit Innovationen die Kosten der Solarenergie zu senken und neue Arbeitsplätze zu schaffen. 


Bis zum Jahr 2020 soll die Zahl der Arbeitsplätze deutlich ansteigen. Ein Clustermanagement steht dem Solarunternehmen als zentraler Anlaufpunkt zur Seite. Es koordiniert die Photovoltaik-Aktivitäten in der Region und unterstützt den Ausbau eines Solarnetzwerkes. Im Rahmen der Hightech-Strategie der Bundesregierung Deutschland wird »Solarvalley-Mitteldeutschland« als Spitzencluster durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2008 gefördert. 


Vor allem die Jahre 2011 und 2012 waren für die mitteldeutsche Solarbranche allerdings eine äußerst schwierige Zeit. Ursachen für die Krise sind die derzeitigen Marktturbulenzen, die durch eine sinkende Nachfrage auf den bisherigen Kernmärkten sowie durch dramatische Preisrückgänge bei Komponenten für Photovoltaik-Anlagen, insbesondere bei Solarmodulen, bestimmt sind. Neue Strategien sind gefragt, um sich im nationalen und internationalen Wettbewerb zu behaupten. Entscheidend für den Weg aus der Krise wird sein, die Produktion noch enger mit Innovation, Forschung und Entwicklung zu verknüpfen. Es gilt, den Technologievorsprung zu halten und weiter auszubauen. Nur wenn die Innovationsgeschwindigkeit entlang der gesamtem Wertschöpfungskette auf hohem Niveau beibehalten wird und damit einhergehend Kosten reduziert werden, können die mitteldeutschen Photovoltaik-Unternehmen künftig mit den nationalen und internationalen Konkurrenten Schritt halten. Mit der länderübergreifenden, regionalen Kooperation von mehr als 40 Hauptakteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft gibt es dafür gute Chancen.


Zu einem der größten Arbeitgeber in der Metropolregion hat sich das Cluster Informationstechnologie und Medien entwickelt. Hier ist die Stadt Leipzig traditionell ein wichtiger Standort, aber auch Dresden, Halle, Erfurt und Magdeburg. Neben den Forschungskooperationen mit den Universitäten und Hochschulen haben sich spezialisierte Kompetenzzentren herausgebildet, wie z. B. die Leipzig School of Media und das Mitteldeutsche Multimediazentrum 
Halle. 


Ebenso ist die Logistik-Branche breit ausgefächert und vernetzt. Schwerpunkt ist der unternehmensübergreifende Austausch unterschiedlicher ­Logistik-IT-Systeme (Informationstechnologiesysteme). Die bedeutendsten Stand­­orte im Clusterprozess sind die Kernstädte Magdeburg, Erfurt, Gera, Leipzig und Dresden. Der Interkontinentalflughafen Leipzig/Halle besitzt in Verbindung mit der DHL ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, wenn es um »schnelle Logistik« in der Region geht. Erfurt ist der Sitz des 2008 gegründeten Clusters Logistik Netzwerk Thüringen e. V., dessen Ziel es ist, die Potenziale der Prozess­optimierung durch Logistik in Produktion und Dienstleistung zu 
erschließen.


Die Kreativ- und Kulturwirtschaft konzentriert sich vor allem in den Kernstädten der Metropolregion. Dazu kommen Weimar und Dessau als zwei weltweit bekannte Stätten der Kreativ- und Kulturwirtschaft. Das Bauhaus Dessau versteht sich vor allem als Werkstatt mit interdisziplinären Projekten, die sich mit dem Thema »Stadt« und den urbanen Herausforderungen der Zukunft beschäftigen. An der Bauhaus Universität Weimar liegt der Fokus auf der Verbindung von zeitgenössischer Kunst und Technik. Die Kooperation von Inge­nieurwissenschaften, Architektur, Medien und Gestaltung schafft ein kreatives Milieu, das sich vom Baumanagement über die Form- und Designoptimierung für die Automobilindustrie bis hin zur angewandten Bionik für Rohrleitungen erstreckt. Weitere wichtige Vertreter der Kreativwirtschaft sind die Hochschule für Kunst und Design Halle/Burg Giebichenstein, das Mitteldeutsche Multimediazentrum Halle, die Denkfabrik Magdeburg und die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.


Die Metropolregion Mitteldeutschland hebt sich von anderen deutschen Metropolregionen durch ihre touristisch attraktive, kulturelle Infrastruktur ab. Seit Jahrhunderten prägt die vielfältig ausgestattete Kulturlandschaft die Kultur- und Geistesgeschichte Europas in entscheidendem Umfang mit. Die Metropolregion besitzt einzigartige kulturelle und touristische Schätze und ist ein wichtiger Kultur- und Tourismus-Raum. Von 33 UNESCO Welterbestätten in Deutschland sind 7 in der Metropolregion Mitteldeutschland angesiedelt. Dazu kommt eine Vielzahl von historisch bedeutsamen Orten mit heraus­ragenden Entwicklungen in Architektur, Musik, Literatur und der Bildenden Kunst, u. a. das klassische Weimar, die Lutherstätten in Wittenberg und Eis­leben, Leipzig und Halle/Saale als Wirkungsstätten von Bach und Händel, Magdeburg als mittelalterliche Kaiserpfalz oder das barocke Dresden. Die Metropolregion Mitteldeutschland verfügt über eine lebendige Kunstszene und eine dynamisch wachsende Kreativwirtschaft. Die Kernstädte sind wichtige Reiseziele in der Region. Dresden hatte 2010 mit rund 9 Millionen Besuchern (rund 32 Millionen Tagesgäste) nach Berlin, München und Hamburg die vierthöchste Anzahl touristischer Gäste in Deutschland. Eine effektivere Vernetzung der kulturellen und touristischen Potenziale in der Region würde die Kultur- und Tourismusangebote für die Bewohner und Besucher der Region noch attraktiver machen.


5. Handlungsfelder und Zukunftsszenarien


Die Metropolregion versteht sich aufgrund ihrer polyzentrischen Siedlungsstruktur als überregionaler Städteverbund, in dem die 11 Kernstädte als Wachstumsmotoren und Innovationstreiber fungieren. Die räumliche Ausdehnung der Region und das Fehlen einer dominanten zentralen Kernstadt, die alle metropolitanen Funktionen auf sich vereint, stellt die Regionsakteure vor besondere Anforderungen in ihrer Zusammenarbeit. Das betrifft vor allem den effektiven Einsatz und die Steuerung vorhandener Ressourcen sowie die Wahrung der historisch gewachsenen individuellen Identitäten der Mitglieds-
städte.


Gleichzeitig besteht in der durch ihre Städte und Teilräume repräsentierten Vielfalt der Region eine wichtige Ressource für die künftige Entwicklung, die es zu nutzen und zu bewahren gilt. Ziel muss es sein, bessere Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich die Region als zukunftsfähiger Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort sowie als attraktiver Kultur- und Lebensraum im euro­päischen Wettbewerb behaupten kann. Ebenso tragen die Umlandzonen der Kernstädte und die ländlich geprägten Zwischenräume in erheblichem Maße zur Vielfalt der Lebensqualität und zu den wirtschaftlichen, kulturellen und touristischen Potenzialen der Region bei. 


Aufgrund ihrer zentralen Lage in Europa und ihrer historisch gewachsenen Verbindungen nach Osteuropa kann sich die Metropolregion als Ost-West-Gateway in der EU profilieren. Durch den gezielten Transfer von Know-how können die Unternehmen und Institutionen der Region die ökonomischen und sozialen Prozesse in Osteuropa unterstützen und an den Wachstumsprozessen partizipieren. Deshalb sind die Kontakte und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu den osteuropäischen Partnern auf allen Feldern zu intensivieren. 


Die Metropolregion besitzt vor allem in den drei Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft, Verkehr und Mobilität sowie Kultur und Tourismus herausragende Kompetenzen (Tabelle 4). Dazu kommt das querschnittsbezogene Handlungsfeld der überregionalen Kooperation.


Quelle: Laufende Raumbeobachtung BBSR, Bonn 2010.

Tabelle 4: Metropolfunktionsindex aller Standorte in der Region.

Metropolregionen 2008Bereich PolitikBereich WirtschaftBereich 
WissenschaftBereich Kultur
Berlin-Brandenburg83,422,829,561,4
Bremen-Oldenburg0,06,36,912,0
Frankfurt/Rhein-Main7,871,367,031,7
Hamburg3,423,823,324,3
Hannover-Braunschweig-Göttingen0,034,327,424,3
Mitteldeutschland0,018,827,055,9
München2,444,294,265,4
Nürnberg0,014,229,628,8
Rhein-Neckar0,07,144,017,4
Rhein-Ruhr11,384,472,594,3
Stuttgart0,019,368,830,4
Metropolregionen gesamt108,3346,5490,2445,9
Deutschland108,3381,2608,9560,4

Quelle: Laufende Raumbeobachtung BBSR, Bonn 2010.


Hauptziel muss es sein, den Wissenschaftsstandort Mitteldeutschland weiter zu stärken und den Ausbau der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten großer Unternehmen, einschließlich einer abgestimmten Vernetzung mit den Bildungsinstitutionen, voranzutreiben.


Die Attraktivität einer Region hängt wesentlich von ihrer Lebensqualität ab. Deshalb bilden familienfreundliche Strukturen und Bedingungen zum Leben, Wohnen und Arbeiten eine nachhaltige Strategie, um auf die Herausforderungen des demographischen Wandels zu reagieren. Nach Prognosen der Bundesagentur für Arbeit (BfA) wird die Bevölkerung in der Metropolregion von 6,9 Millionen Einwohnern 2008 bis 2030 auf 5,6 Millionen Einwohner (um 18,2 %) zurückgehen.17 Auf der Agenda steht deshalb das Leitbild einer familienfreundlichen Metropolregion, d. h. der Ausbau einer bedarfsgerechten sozialen Infrastruktur. Die Unternehmen in der Region müssen eine fami­lienorientierte Beschäftigungspolitik verfolgen, um damit einen attraktiven Arbeits- und ­Lebensraum für Fachkräfte zu schaffen und weiterer Abwanderung entgegenzuwirken.


Dies schließt auch die Förderung von kulturellen Angeboten, die Bewahrung historischer Kulturgüter, den Schutz der natürlichen Ressourcen und die Erhaltung einmaliger Kultur- und Naturlandschaften ein.


Fazit


Die »Europäische Metropolregion Mitteldeutschland« ist bis heute administrativ nicht festgelegt. Mit Paasi18 könnte von einer Region »in the making« gesprochen werden. Das Raumkonzept Metropolregion ist ein dynamisches Konzept, das sich für alle organisatorischen Belange des gesellschaftlichen Lebens als zweckmäßig erweist. Synergien und wirtschaftliche Vorteile sind in den nächsten Jahren für die Praxisfelder Wirtschaft, Wissenschaft, Verkehr und Kultur zu erwarten. Dazu bedarf es nicht in erster Linie der Bildung eines administrativen, großen, mitteldeutschen Flächenstaates mit der Hauptstadt Leipzig oder Dresden, sondern der Festigung überregionaler Partnerschaften zur regionalen Kooperation, Vernetzung und gemeinsamer großräumiger Verantwortung der Akteure. Für eine zukünftig durchaus sinnvolle Länderfusion besteht kein Zeitdruck. Die Metropolregion Mitteldeutschland ist ein Raum, der durch eine lange Geschichte verbunden ist und immer die Tendenz gehabt hat, ökonomisch, kulturell und planerisch zu einer Einheit zusammenzuwachsen. Ob die Europäische Metropolregion in den nächsten Jahren den gesamt­gesellschaftlichen Herausforderungen gewachsen sein wird, wird dann auch über die Frage des zukünftigen Regionszuschnitts entscheiden.


  1. 1Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt, Leipzig 2007, S. 3, http://www.bmvbs.de/cae/servlet/contentblob/34480/publicationFile/518/leipzig-charta-zur-nachhaltigen-europaeischen-stadt-angenommen-am-24-mai-2007.pdf (7.5.2012).

  2. 2Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau [BMBau] (Hg.), Raumordnungspolitischer Handlungsrahmen, Beschluss der Ministerkonferenz für Raumordnung in Düsseldorf, Bonn 1995.

  3. 3Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hg.), Leitbilder und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland, Ministerkonferenz für Raumordnung, Berlin 2006.

  4. 4Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hg.), »Metropolräume in ­Europa«,inBBSR-Berichte KOMPAKT 4 (2010), S. 1.

  5. 5BM Bau (Hg.), Raumordnungspolitischer Handlungsrahmen (Fn. 2), S. 27.

  6. 6Sandra Passlick und Achim Prossek, »Das Raumordnungskonzept der Europäischen Metropolregionen«, inGeographische Rundschau 11 (2010), S. 14–21.

  7. 7»Netzwerk Regionen der Zukunft« im Rahmen des Programms »Modellvorhaben der Raumordnung«, finanziert vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (jetzt: Bauministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung), betreut vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung.

  8. 8Initiativkreis Europäische Metropolregionen in Deutschland (Hg.), Werkstatt: ­Praxis 52 (2007).

  9. 9Stephan Prager, »Vorarbeiten für die Aufstellung eines Generalsiedlungsplanes für den mitteldeutschen Industriebezirk«, inZeitschrift für Bauwesen, Hochbauteil, Heft 4–6 (1925).

  10. 10Landesentwicklungsplan Sachsen 1994, Freistaat Sachsen, Staatsministerium für Umwelt und Landesentwicklung.

  11. 11Presseerklärung vom 26. März 2010, Metropolregion Mitteldeutschland, ­Geschäftsstelle Chemnitz.

  12. 12Hans-Dieter Schulz, »Räume sind nicht, Räume werden gemacht«, inEuropa ­Regional 1997, S. 2.

  13. 13Initiative Mitteldeutschland, Agenda der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für eine attraktive Region der Herzen Europas, o. J., S. 3, http://www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Files/Agenda.pdf (7.5.2012).

  14. 14Christian Marx, »Der Landesplanungsverband für den engeren Mitteldeutschen Industriebezirk – Gründung vor 80 Jahren«, inDie neue Stadt. Europäische Zeitschrift für Städtebau, Ausgabe II/VI (2005).

  15. 15Sabine Tzschaschel und Christian Hanewinkel, »Der mitteldeutsche Wirtschaftsraum zwischen industriellen Netzwerken und Marketingkonstruktion«, inGeographische Rundschau, 59/6 (2007), S. 18–27.

  16. 16http://www.solarvalley.org (17.9.2012).

  17. 17Quellen: Bertelsmann Stiftung, Statistische Landesämter, Institut für Entwicklungsplanung GmbH, Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

  18. 18Anssi Paasi, »Bounded spaces in the mobile world: Deconstructing regional identity«, inTijdskrift voor economische en sociale geografie 93/2 (2002), S. 137–148.
loading ....
Artikel Navigation
Heft 10 (2013)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1