Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche
denkstroeme-heft11_berichte_doering_1.jpeg

Johann Christoph Gottsched: Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe


Unter Einschluß des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Im Auftrage der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig herausgegeben von Detlef Döring und Manfred Rudersdorf 


Band 7: August 1740 – Oktober 1741. Herausgegeben und bearbeitet von Detlef Döring, Franziska Menzel, Rüdiger Otto und Michael Schlott. De Gruyter, Berlin/Boston 2013, LXI + 692 Seiten, Festeinband


Auch in Band 7 der Edition der Gottsched-Korrespondenz bleiben die Auseinandersetzungen um die »neue Philosophie« der Leibniz-Wolffschen Schule ein zentrales Thema vieler Briefe. Das gilt in den ersten Monaten besonders für den weiterhin intensiven Briefverkehr mit dem Reichsgrafen Ernst Christoph von Manteuffel, an dem sowohl Gottsched wie seine Frau beteiligt sind.1 In Berlin ist die von Manteuffel geleitete Gesellschaft der Alethophilen (Wahrheitsfreunde) weiterhin aktiv und steht mit ihrer Tochtergesellschaft in Leipzig in enger Verbindung. Eine weitere alethophile Sozietät bildet sich jetzt im Umkreis des herzoglichen Hofes von Sachsen-Weißenfels heraus. Gottsched und Manteuffel fördern deren Entwicklung mit allen Kräften. Das dokumentieren nicht nur die zwischen Berlin und Leipzig zirkulierenden Briefe, sondern auch die schriftlichen Kontakte Gottscheds zu den Weißenfelser Alethophilen, die noch durch gegenseitige Besuche ergänzt werden. Diese für die Ausbreitung des Wolffianismus hoffnungsvoll stimmenden Tendenzen erfahren im Herbst 1740 einen jähen Dämpfer. In Berlin werden die intensiven, der Weitergabe von geheimen Informationen dienenden Kontakte bekannt, die Manteuffel zu anderen Höfen pflegte. Der junge König reagiert darauf mit einer deutlich formulierten Aufforderung, der umtriebige Reichsgraf möge umgehend Residenz und Land den Rücken kehren. Manteuffel schlägt sein neues Domizil in Leipzig auf, was ihn in noch nähere Kontakte zu den Gottscheds bringt, uns aber der so reichhaltigen Quelle der Korrespondenz der beiden führenden Alethophilen beraubt.


In den Briefen dieses Zeitraumes schlagen sich auch andere unliebsame Nachrichten aus Berlin nieder. Am dortigen Hof und in der Akademie der Wissenschaften gewinnt nicht, wie gehofft, die »neue Philosophie« die Oberhand, sondern es setzen sich Strömungen der westeuropäischen Philosophie durch, was Gottsched und sein Kreis nur mit Sorge beobachten können. Dieses Thema wird in den Korrespondenzen der folgenden Jahren wachsenden Raum einnehmen. Aber es sind nicht allein die Vorgänge auf den Gebieten der Philosophie und der Wissenschaften, die die Blicke nach Preußen lenken. König Friedrich II. 
eröffnet Ende 1740 durch einen Überfall auf Böhmen den langjährigen Öster­reichischen Erbfolgekrieg, was in Gottscheds Briefwechsel erstmals Anlass gibt, ausführlicher politische Themen zu berücksichtigen. Außerdem erfahren wir einiges über die militärischen Vorgänge auf dem weitläufigen Kriegsschauplatz. In diesem Zusammenhang spielt auch die im September 1740 einsetzende Kontaktaufnahme zu Reichsmarschall Friedrich Heinrich von Seckendorff eine Rolle. Diese Briefverbindung wird länger als zwanzig Jahre Bestand haben und neben politischen Themen vielfältige andere inhaltliche Schwerpunkte aufweisen. Seckendorff ist eine europäische Berühmtheit und noch stärker als Graf Manteuffel in fast alle Aktionsfelder der mitteleuropäischen Politik eingebunden. Daneben ist er lebhaft an den verschiedensten Wissenschaften interessiert. Ein Papier des Reichsgrafen über die sprachgeschichtlichen Untersuchungen eines slowenischen Gelehrten hatte den Anlass zur Aufnahme der Korrespondenz mit Gottsched geboten. Seckendorffs Wohnsitz ist der nicht weit von Leipzig entfernte Ort Meuselwitz, was persönliche Begegnungen der Ehepaare Gottsched und Seckendorff ganz unkompliziert ermöglicht. Wichtig für die Forschung ist die Tatsache, dass die Korrespondenz mit Seckendorff neben der mit Manteuffel die einzige von größerem Umfang ist, die vollständig überliefert ist (knapp 300 Briefe), d. h. es liegen auch Gottscheds Antwortschreiben vor. Davon werden noch alle folgenden knapp zwanzig Bände ­unserer Ausgabe ­profitieren, da in diesen Texten Gottsched unmittelbar zu Wort kommt und nicht, wie sonst, nur über die Reaktionen seiner Briefpartner.


Ein bekanntes, aber in den letzten Jahren im Briefwechsel weniger berührtes Thema bildet das Theater. Um 1740 wendet sich Gottsched wieder verstärkt diesem Bereich zu. Wie schon in den früheren Jahren sucht er dabei den Kontakt zu Theatergesellschaften. Dabei tritt an die Stelle der Schauspielertruppe des Ehepaars Neuber der Schauspieldirektor Johann Friedrich Schönemann. Er war zuvor am Unternehmen der Neubers beteiligt, betreibt aber jetzt ein Konkurrenzunternehmen. Gottsched hofft, mit Hilfe Schönemanns seine ­Theaterpläne besser in die Realität umsetzen zu können als bei den Neubers. Auch in anderen Korrespondenzen kommen Theaterangelegenheiten zu Wort, so im Kontakt zu dem Königsberger Dozenten Cölestin Christian Flottwell, der mit aller Energie gegen die theaterfeindlichen Bestrebungen der ostpreußischen Pietisten ankämpft. Einen großen Aufwand betreibt Gottsched bei der Suche nach Texten von Theaterstücken und Opern der vergangenen Jahrzehnte. Viele seiner Briefpartner sind ihm dabei behilflich. So besorgt der für die Musikgeschichte nicht ganz unbedeutende Wolfenbütteler Kantor Heinrich Bokemeyer Materialien zur Geschichte des Theaters in Braunschweig. Gottscheds Aufmerksamkeit gilt nicht nur der Bühne der Vergangenheit, sondern auch der aktuellen Theaterproduktion. In nicht unbeträchtlicher Zahl treffen bei ihm Manuskripte angehender Bühnendichter ein, die sein Urteil als Kenner der Schaubühne einfordern. Gottscheds Blick geht auch über das deutsche Sprachgebiet hinaus. So animiert er den jungen Georg August Detharding, Lustspiele des dänischen Erfolgsautors Ludvig Holberg zu übersetzen. Bekanntlich zählt Holberg noch heute zu den Hauptvertretern der dänischen Nationalliteratur. 


Aus der Fülle der innerhalb der Briefe angesprochenen Themen seien nur noch einige herausgegriffen. Lange Monate geht es um die etwaige Berufung Gottscheds an die Universität Marburg als Nachfolger Christian Wolffs, der dem Ruf des Preußenkönigs nach Halle Folge geleistet hatte. Gottsched bleibt schließlich in Leipzig; die in diesem Zusammenhang gewechselten Briefe lassen jedoch die Mechanismen der damaligen Berufungspraxis erkennen. Aus Kaufbeuren im Allgäu berichtet Jakob Brucker, wie schon in den Briefen, die in den vergangenen Bänden ediert wurden, über die Arbeit an seiner vielbändigen »Historia Critica Philosophiae« und an dem »Bildersaal«, einer Porträtgalerie der berühmtesten Gelehrten der Gegenwart, deren Ausstattung mit aufwendigen Kupferstichen große Mühe bereitet. Bemerkenswert ist die Berücksichtigung gelehrter Frauen, darunter auch Frau Gottsched. Überhaupt ist Luise Adelgunde Victorie Gottsched Empfängerin von Briefen verschiedener Korrespondenten, darunter beispielsweise von Silvius Leopold Weiss. Er gilt noch heute als bedeutendster Lautinist des 18. Jahrhunderts. Eine seinem Schreiben beigelegte, der Empfängerin gewidmete Komposition hat sich leider nicht erhalten. Mehr der Kuriosität halber erwähnt seien die Briefe des Hofmeisters Johann Andreas Kramer in der Oberlausitz. Er ist in eifriger Weise auf Brautschau und erhofft sich in dieser Angelegenheit von Frau Gottsched tatkräftige Unterstützung. Das zeigt einmal mehr die große thematische Bandbreite der Gottsched-Korrespondenz, die uns die vielfältigsten Dimensionen des Lebens im Zeitalter der Aufklärung vor Augen stellt.


Band 8 wird den Briefwechsel der Zeit vom November 1741 bis zum Oktober 1742 erschließen. Er erscheint im Sommer 2014.


loading ....
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1