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Zwischentöne zu einem universitären Streichkonzert 
aus dem Orchestergraben einer Akademie


Im Jahre 2009 beging die Universität Leipzig mit großem Pomp ihr 600-jähriges Bestehen. »Aus Tradition Grenzen überschreiten« lautete das Motto ­einer Insti­tution, die anlässlich dieses Jubiläums mit immensem Aufwand ihre ­eigene Geschichte in sechs Bänden geschrieben und der Öffentlichkeit unterbreitet hat.1 Darin finden sich auch Institutsgeschichten, die sich – von der eigenen Geschichte bereits überrollt – wie ein Schwanengesang ausnehmen.


Wer sollte zu dem genannten Anlass nicht ganz überwiegend stolz auf die Geschichte seiner Anstalt sein können, Mitglieder dieser alma mater wie Bürger einer so traditionsreichen und -bewussten Großstadt und dem gesamten Bundesland des Freistaats Sachsen? Dieses Land leistet sich seit der Wende von 1989 eine Volluniversität in Leipzig mit einem Fächerspektrum, das seinesgleichen sucht, zumindest in den neuen Bundesländern. Es darf mit Fug und Recht vermutet werden, dass der damalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und sein Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Hans Joachim Meyer diese Breite in bester Absicht aufgestellt haben, und dies sicherlich im Hinblick auf die Zukunft insgesamt. Diese Weitsicht wünscht man sich heute in der Regionalpolitik erneut; aber nun heißt es Streichen. Nahezu alle Fakultäten sind oder werden davon betroffen, es geht dabei scheinbar gerecht zu, sollte man meinen. Aber die Frage, ob ein solches Vorgehen klug und wohlbedacht ist, darf getrost gestellt werden. Die sogenannten Geistes- und Sozialwissenschaften gehören zu denjenigen Disziplinen, die am wenigsten im Verdacht stehen, das Brutto­sozialprodukt eines gesamten Landes oder eines Bundeslandes zu fördern, oder gar innovativ zu sein. Sie sind – im Gegensatz zu den Lebenswissenschaften – permanentem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, weil sie vermeintlich keine klingende Münze produzieren, sondern das Staatssäckel nur belasten. Dass sie erheblich zum ­Anwachsen geistigen Kapitals in einer funktio­nierenden Demokratie und einer Nation, die kulturell und intellektuell etwas auf sich hält, ­beizutragen vermögen, ist wohl unbestritten, nur leider in der politischen Klasse längst nicht mehr All
gemeingut.


Wenn also an der Universität Leipzig ab 2015 weitere 24 Personalstellen im Bereich von Forschung und Lehre dem Rotstift geopfert werden sollen, dann kann hierzu auch die Sächsische Akademie der Wissenschaften nicht schweigen und nach kurzem Seufzer zur Tagesordnung übergehen. Von ihren Ordentlichen Mitgliedern wird erwartet, dass sie sich gewissermaßen als Dank für ihre Wahl in diese erlauchte Gesellschaft um die Einwerbung von Langzeitprojekten bemühen, die in zahlreichen Fällen von ›ordentlichen‹ Mitgliedern der Universitäten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen geleitet werden. Die Akademien organisieren so eine Art ›Max-Planck-Institut für Geisteswissenschaften‹ an den deutschen Universitäten. Akademie und Universität bilden folglich eine Symbiose; an ersterer wird dasjenige langfristig betrieben, was an der Universität mit ihren zumeist kurzfristigen Projekten überhaupt nicht mehr geleistet werden kann. Im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften bieten die Akademien einen der Garanten für nachhaltig verwertbare Grundlagenforschung, deren Projektleiter nehmen diese Aufgabe ehrenamtlich, aber, so sei ihnen unterstellt, mit Begeisterung und Herzblut wahr. Bricht nun in ihrer Dienststelle, der Universität, ein Fach nach dem anderen aus dem Fächerkanon weg, muss à la longue und nolens volens auch die Akademie Federn lassen. Mit anderen Worten: Die Beschneidung der über ihr Fächerspektrum gestellten universitären Kapazitäten führt auch zu einer Reduzierung ihrer Diversität. Langfristforschung wird weiterhin und immer stärker einer fast food-Förderung kurzfristiger Unternehmungen hintan­gestellt, deren Hauptzweck sich in der Promotion von Nachwuchs ohne Aussicht auf deren weitere akademische Beschäftigung erschöpft.


Das nun dekretierte Ende der Klassischen Archäologie, der Physikalischen Chemie und der Theaterwissenschaft an der alma mater lipsiensis, womöglich gar im Paket mit der Pharmazie und weiteren noch nicht benannten Todeskandidaten wird zu einer wissenschaftlichen Verarmung nicht nur dieser Institution, sondern des gesamten Freistaates führen. Erfolgreiche Studiengänge fallen weg bzw. ziehen andere daran beteiligte in Mitleidenschaft, der disziplinäre Kollateral- und darüber hinaus der Imageschaden für Sachsen wird immens und vor allem irreparabel sein. Ein gezielter ministerieller Blick über die engen Landesgrenzen hinaus auf die Wahrnehmung des geistes- und sozialwissenschaftlichen Spektrums an Fächern der Leipziger Universität und deren nationale wie internationale Vernetzungen wäre sicher von größerem Respekt getragen als kleinstaaterische Rotstiftpolitik.


Überlebenswichtige Disziplinen wie Pharmazie und Physikalische Chemie zu streichen, ist grobe Fahrlässigkeit. Lebenswichtige und für das kulturelle Selbstverständnis unverzichtbare Disziplinen wie Archäologie und Thea­terwissenschaft beantworten Fragen nach dem Woher unserer Zivilisation und Kultur, nach ihrem relativen Stellenwert vor dem Rest der Welt und im Konzert der Globalisierung insbesondere vor dem Mittleren und Fernen Osten. Wie sollen wir diese Welten in all ihrer kulturellen, linguistischen und ethnischen Vielfalt verstehen? Dabei spielt die historische Tiefe der einzelnen Disziplinen meines Erachtens gar nicht die entscheidende Rolle, sondern die Akzeptanz, dass wir heutigen Europäer auf den Schultern antiker Philosophen, Dichter und Künstler stehen, aus West wie Ost, die nicht zuletzt ihre Künste schon auf dem Wege öffentlichen Theaters zu ­einer ersten Bekanntheit und Blüte getrieben haben. Glaubt denn in der politischen Klasse jemand ernsthaft, Archäologie des Mittelmeerraumes und Theater hätten nichts miteinander gemein, um nur diese beiden Wissenschaften zu nennen? Ist das antike Athen im engeren wie weiteren Horizont nicht die Geburtsstätte unserer heutigen Theaterbühnen? Sind nicht vor ca. 2.400 Jahren elementare Fragen des Menschseins auch schon auf die Bühne gebracht worden und haben bis heute nichts von ihrer Relevanz verloren, von der Philosophie ganz zu schweigen? Wird nicht durch die schnöde Abwicklung zweier für die europäische Kultur- und Geistesgeschichte so elementarer Disziplinen die stets und ermüdend eingeforderte Interdisziplinarität im inner- wie außeruniversitären Forschungsverbund massiv beschnitten? Wie soll eine Rumpfuniversität sich mit anderen Hochschulen vernetzen, wenn sie über kurz oder lang kaum noch über die Fäden für das Spinnen dieser Netze in ihrem Werkzeugkasten verfügt? Eine unkon­trollierte Fächerbeschneidung führt zu erneuter und ungewollter Nabelschau der übrigen Disziplinen und damit in das 19. oder in die 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, wo es um einzeldisziplinäre Besitzstandswahrung ging. Die Selbstdarstellung der Universität Leipzig auf einer ihrer Seiten im Internet wird dann ihre Glaubwürdigkeit verlieren müssen, wenn sie weiterhin von sich behauptet: »Nicht zuletzt gewinnt die Universität ihr wissenschaftliches Renommee in der Begegnung und Grenzüberschreitung von Natur- und Geisteswissenschaften.«2

Aber zurück zur oben gepriesenen Symbiose und Synergie aus Universität und Akademie, um die uns zahlreiche europäische Länder ohne solche Akademien mehr als beneiden. Sollte letztere Institution nicht zugleich ein Spiegelbild derjenigen Fächerspektren sein, personell repräsentiert von ihren aus diversen Hochschulen rekrutierten Mitgliedern? Bei entsprechender Wertschätzung auf wissenschafts- und finanzpolitischer Ebene dessen, was sie leisten, könnte ­daraus ein famoses Sinfonieorchester resultieren, dessen einzelne Instrumental­en­sembles zum Gesamtkunstwerk ›Wissenschaft‹ ihren Beitrag leisten. Im Gefolge fortschreitender Streichung einzelner Instrumente wird daraus nach und nach allenfalls ein Blasorchester, das irgendwann schlimmstenfalls nur noch ins gleiche Horn stoßen kann wie seine Ministerialdirigenten.


  1. 1Senatskommission zur Erforschung der Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte (Hg.), Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009, 5 Bde. (Bd. 4 in zwei Teilbänden), Leipzig 2009–2011.

  2. 2http://www.zv.uni-leipzig.de/universitaet/profil.html (10.2.2014).
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Heft 12 (2014)
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1867-7061

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