Versprechen und Verantwortung in der ›Grünen Gentechnik‹
1.
Die Anwendung gentechnischer Verfahren an Pflanzen, die ich im Folgenden unter ›Grüne Gentechnik‹ zusammenfassen will, hat wie kaum ein anderer Ertrag aus wissenschaftlich-technischer Forschung zu tiefen Zerwürfnissen zumindest in den deutschsprachigen Ländern geführt.1 Diese, in anderen Teilen der Welt höchst erfolgreiche Innovation,2 erfuhr und erfährt massive Ablehnung, z. B. auf Seiten vieler Nichtregierungsorganisationen (NGO); gleichzeitig wird ihr Wert zum Beispiel von vielen Wissenschaftlern nach wie vor hochgehalten.
Ein möglicher Grund für diesen Dissens, auch für die radikale und bedingungslose Ablehnung, so die These dieses Beitrags, liegt in einer Ambivalenz der Versprechen. Es gibt eine eigenartige Dialektik in den Versprechen von Wissenschaft, die ich an diesem Beispiel herausstellen möchte. Die Dialektik zeigt sich folgendermaßen: Je höher die Ziele gesteckt sind, die mit wissenschaftlich-technischen Fortschritten erreicht werden sollen, desto skeptischer werden diese Fortschritte beäugt. Das ist trivial für den Fall, dass die hochgesteckten Ziele nicht erreicht werden und die Wissenschaft sich mit leeren Versprechen selbst desavouiert. Es kann aber auch der Fall sein, und das ist bei der Grünen Gentechnik gut zu sehen, dass selbst das Erreichen von Zielen, die den Wissenschaftlern als Ausweis der Richtigkeit des eigenen Tuns taugen, von außen besehen gerade eben nicht reine Erfolgsmeldungen sind. Aus Sicht der Wissenschaftler bewährt sich der Erfolg der Forschung in ihrer Anwendung und das umso nachdrücklicher, je größer die Aufgabe ist, die damit bewältigt wird. Aus Sicht ihrer Kritiker beweist der technische Erfolg, welche Gefahr von ihr ausgeht: Wissen ist Macht! In diesem Bild von Wissenschaft ist die Erweiterung des Machbaren Zeichen und Folge von Machtfantasien. Die Tauglichkeit in der Praxis beweist nur die Verflechtung von Wirtschaft und Wissenschaft, jener »entfesselte Prometheus, dem die Wissenschaft nie gekannte Kräfte und die Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt«, wie es bei Hans Jonas heißt.3 2005 veröffentlichte Greenpeace unter dem Titel Falsche Versprechen, wahre Lügen einen Text, der wegen der satten Diktion hier im Ganzen zitiert sei:
Seit die Wissenschaftler Francis Crick und James Watson Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Struktur der Erbsubstanz entschlüsselt haben, hat sich in der Forschung vieles verändert. Eifrig werden seitdem Pflanzen ›verbessert‹. Euphorische Forscher träumen von genmanipulierten Wundertieren, wie der sprichwörtlichen ›eierlegenden Wollmilchsau‹. Grundlagenforschung wie sie von Crick und Watson gemacht wurde, gibt es zwar immer noch. Im Vordergrund stehen heute jedoch die Absichten der Industrie, neue wissenschaftliche Erkenntnisse für ihre Interessen zu nutzen. Auf der Suche nach neuen Märkten werden immer wieder ›Wunderpflanzen‹ angekündigt. Diese erfüllen zumeist nicht die in sie gesetzten Erwartungen.4
In dieser Perspektive wird aus der Dialektik ein Dilemma: Scheitert Wissenschaft an den »Wunderpflanzen«, hat sich die Gentechnik als ineffizienter Irrweg erwiesen. Sollte der Durchbruch zur »eierlegenden Wollmilchsau« gelingen, dann ist die Kumpanei zur »Industrie« bestätigt, denn schließlich geht es nur um die Suche nach neuen Märkten, also um wirtschaftlichen Erfolg. Das klingt reichlich polemisch und ist es auch. Die Überzeichnung gerade eben des Potenzials der Grünen Gentechnik lässt Forschern, die sich mit ihr beschäftigen, keinen Ausweg zwischen Versagen und Größenwahn.
2.
Wie groß waren und sind die Versprechen auf Seiten der Beteiligten? Bei Literaturrecherchen, bei denen wir uns auf die Gründerzeit der Grünen Gentechnik konzentriert haben, sind uns erstaunlicherweise keine übertriebenen Erwartungen begegnet. Allerdings hat die DFG in einer nicht unumstrittenen Publikation 2010 durchaus werbende Töne angeschlagen:
Weltweit wird zudem mit Hochdruck daran gearbeitet, Pflanzen widerstandsfähiger gegen abiotischen Stress zu machen, auf dass sie auch an ungünstigeren Standorten gedeihen können. Denn in vielen Regionen der Erde erschweren widrige Umweltbedingungen wie Trockenheit oder salzige Böden den Anbau von Kulturpflanzen erheblich oder verhindern ihn ganz. […] Nun eröffnet die Gentechnik völlig neuartige Möglichkeiten, solche Toleranzen zu erzeugen.5
Wenn die Beobachtung richtig ist, dass große Versprechen große Angriffsflächen eröffnen, dann sind es solche Ankündigungen, die vermutlich von den Kritikern leicht in ihr Gegenteil verkehrt werden können. Nehmen wir noch einen Satz aus der DFG-Publikation:
Kürzlich wurden bedeutsame Fortschritte bei der gentechnischen Verbesserung der Trockenheits-Toleranz beschrieben, die einen universell einsetzbaren Mechanismus – ähnlich wie bei Bacillus thuringiensis – vermuten lassen. Die starken Aktivitäten zur Verbesserung der Stresstoleranz, die weltweit unternommen werden, spiegeln sich nicht zuletzt in zahlreichen Freilandversuchen mit gentechnisch veränderten Pflanzen wider.6
Lesen wir diesen Text durch die Augen einer kritischen NGO, dann werden wir erst einmal abwarten, ob sich Resultate tatsächlich einstellen. So unterstellt Franz-Theo Gottwald im Wesentlichen eine Kommunikations-Offensive:
Mit dem Ausbleiben erhoffter Vorteile sowie dem wachsenden Widerstand gegen gv-Saatgut in Europa und anderen Teilen der Welt ändert sich die Kommunikationsstrategie, mit der die Befürworter der Grünen Gentechnik diese Technologie durchsetzen wollen. Neuestes Hauptargument ist die Hungerbekämpfung: Durch gentechnische Veränderungen könnten Pflanzen geschaffen werden, die sich an widrige Umweltbedingungen besser anpassen und so auch in extrem trockenen oder nährstoffarmen Böden besser gedeihen könnten.7
Im derzeitigen Streitfeld können die Kritiker leicht darauf verweisen, dass solche Durchbrüche immer wieder angekündigt werden, vielleicht sogar punktuell schon realisierbar sind, aber im Gesamt der Verwendung Grüner Gentechnik keine Rolle spielen. Die Bekämpfung des Hungers ist nämlich keineswegs ein neues Argument. Aber von den denkbaren Einsatzgebieten werden in großem Maßstab, ja in gigantischem Maßstab eigentlich nur zwei Effekte genutzt, nämlich die Toleranz gegen den Wirkstoff Glyphosat, v. a. im Herbizid Round-Up, und die Fähigkeit von Pflanzen, ein eigenes Pestizid zu produzieren, das des Bacillus thuringiensis, weshalb man bei entsprechenden gentechnisch veränderten Pflanzen von Bt spricht.
Wäre es nicht wunderbar, auch für andere Merkmale von Pflanzen ein ebenso universales Instrument zu finden? Dies bedeutete für die Forscher, die sich in der DFG-Broschüre ausdrücken, ein Meilenstein. Das kann, aus anderer Warte betrachtet, nach dem genauen Gegenteil aussehen: Ein solch mächtiges Werkzeug in den Händen Weniger, am Ende nur weniger Unternehmen, vielleicht sogar eines einzigen? Was für eine schlimme Machtakkumulation! Selbst wenn sie für einen unbestreitbaren Vorteil im Pflanzenbau stünde – der Wert der genannten wichtigen Einsatzfelder der Grünen Gentechnik würde selbst wiederum zum Gegenstand permanenten Streites. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP, der der letzten Bundesregierung zugrunde lag, hieß es noch:
Wir werden die verantwortbaren Innovationspotentiale der Bio- und Gentechnologie weiterentwickeln, auch um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern und unserer globalen Verantwortung gerecht zu werden. […] Wissenschaft, Wirtschaft und Landwirtschaft brauchen klare Signale für die Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen und deren Einsatz auf der Grundlage des geltenden Rechts. Die grüne Gentechnik kann einen Beitrag zur Bekämpfung des Welthungers leisten.8
Das kann sie. Vielleicht. Die gegenwärtige Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen zielt, wie gesagt, auf ganz andere Effekte, die wirklich wichtigen traits, die heute genutzt werden, sind Herbizidtoleranz und Schädlings resistenz.
Zunächst: Dass die Pflanzenbiotechnologie nicht gegen den Welthunger hilft, spricht nicht eo ipso gegen ihre Nutzung. Entfaltet sie die Wirkungen, die ihr ihre Unterstützer zuschreiben, nämlich zum Beispiel eine Reduktion der verwendeten Pestizide, etwa auch beim Anbau von Baumwolle, dann ist dies ein Gewinn, unabhängig von einem positiven Beitrag zum Hungerproblem. In unserem Kontext noch wichtiger: In forschungsethischer Perspektive folgt aus dem ausstehenden Erfolg natürlich nicht eo ipso, das Potential der Gentechnik gerade mit Blick auf das Hungerproblem auszublenden. Im Gegenteil: Ein allgemeines Wohlfahrtsprinzip und ein sinnvolles Vorsorgeprinzip blicken auch auf die Gentechnik von morgen. Um es in einer beißenden Formel von Hans Jonas zu sagen, können wir uns nicht darauf verlassen, dass »immer noch ›unterwegs‹ Zeit ist, wenn ›wir‹ (das heißt Spätere) sehen, was wird.«9 Spätere werden nämlich nach Lösungen für Probleme suchen müssen, die wir ihnen hinterlassen. Stagnierender Züchtungsfortschritt bei schwindender Fläche und steigendem Bedarf zwingen zur Suche nach neuen Antworten. »Die Gentechnik-Industrie will das Problem mit trockenresistenten Pflanzen und Hochertragssorten lösen.«10 Das funktioniert derzeit nicht und wird auch so nicht funktionieren; dazu sind die Probleme einer flächendeckenden und ausreichenden Versorgung mit Lebensmitteln viel zu komplex. Die Rolle, das Welthunger-Problem lösen zu wollen, schreiben der Grünen Gentechnik besonders ihre Gegner zu, weil sie damit abermals das Dilemma von großem Versprechen und grandiosem Scheitern aufmachen. Zu beachten ist außerdem, dass Gentechnik in mannigfaltiger Gestalt nicht nur beim Anbau, sondern schon bei der Züchtung von Pflanzen eine wichtige Rolle spielt. Hier gilt: Wir sind auch für die Forschung verantwortlich, die wir unterlassen. Gentechnik allein wird keine Lösung bieten, könnte aber Teil einer Lösung sein; wer die Forschung heute einstellt, könnte morgen das Fehlen der Produkte bedauern. Zu beachten ist außerdem, dass sich die Methoden erheblich verfeinert haben. Neben die Formen von Gentechnik, gegen die sich der Widerstand einst formierte, ist eine ganze Palette anderer getreten: Es geht nicht mehr allein um Pflanzen, in die Gene über Artgrenzen hinweg eingebracht werden, also transgene, sondern auch um Gentransfer innerhalb einer Art (cisgene) und eine ganze Reihe andere Verfahren wie das smart breeding.11
Das alles ist in informierten Kreisen nicht neu – aber der Widerstand bleibt hartnäckig. Woraus speist sich dieser Widerstand? Anders gefragt: Wo überhaupt liegt der Konflikt?
3.
Werten wir, um dies herauszufinden, die Vorwürfe gegen die Gentechnik aus. Greenpeace veröffentlicht unter dem Namen Essen ohne Gentechnik seit Jahren eine Broschüre, die »gentechnikfreie Lebensmittel« verzeichnet und empfiehlt. Seit Jahren ist die Litanei beinahe unverändert, mit der diese Publikation jedes Jahr neu beginnt und in der Greenpeace die Verfehlungen der Grünen Gentechnik geißelt:
Anders als bei der konventionellen Züchtung werden im Gentechnik-Labor Artgrenzen ignoriert. Gene aus Bakterien und Viren werden in Pflanzen hineinmanipuliert, um diese unempfindlich gegen Insektenfraß oder Spritzmittel zu machen. Gene haben jedoch komplexe Aufgaben: Ein Gen kann für das Wachstum einer Tomate und gleichzeitig auch für ganz andere Eigenschaften verantwortlich sein. Bei der Genmanipulation sind so unerwartete Nebenwirkungen nicht auszuschließen. Einmal in der Natur können diese neuen Pflanzen das ökologische Gleichgewicht zerstören. In genmanipulierten Lebensmitteln können neue Giftstoffe entstehen oder Eiweiße, die Allergien auslösen. Langzeitstudien zu Risiken von Gen-Food gibt es nicht. Wachsender Bedarf an Lebensmitteln und Tierfutter, Anfälligkeiten von Pflanzen Krankheiten und Umwelteinflüssen gegenüber sowie zunehmende Umwelt- und Klimaprobleme stellen die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Die Gentechnik bietet dafür keine Lösung. Riskante Gen-Pflanzen sind weder ertragreicher […] noch werden weniger Pestizide durch ihren Anbau eingesetzt. Den Gentechnik-Konzernen geht es darum, ihren Profit zu steigern. […] Einmal in die Umwelt gesetzt, sind Gen-Pflanzen nicht mehr rückholbar und breiten sich unkontrolliert aus. Etwa durch Pollenflug oder Insekten gelangt das veränderte Erbgut in herkömmliche Pflanzen. Wenn sich Gen-Pflanzen auf den Äckern vermehrt und sich den Weg in Lebensmittel gebahnt haben, gibt es für Bauern und Verbraucher keine Wahlfreiheit mehr. In Kanada hat sich Gen-Raps sukzessive über Pollenflug fast flächendeckend ausgebreitet. Viele Ökobauern mussten den Anbau von Raps aufgeben.12
Man verzeihe das überaus lange Zitat. Es sollte in der beinahe ungekürzten, vor allem in der ungeordneten Form jene Vorwürfe wiedergeben, mit denen die Grüne Gentechnik abgelehnt wird. Diese Batterie an Vorhaltungen findet sich so oder so ähnlich in vielen Stellungnahmen über die Grüne Gentechnik, also meist in Stellungnahmen gegen sie. Sie kommen, wie bei Greenpeace und bei vielen anderen eher rhapsodisch und ungeordnet daher. Kritisch schreibt Gottwald:
Tatsächlich blieb der beschworene Siegeszug aus. Nur wenige, relativ einfach zu realisierende genmanipulierte Pflanzen haben es bislang überhaupt bis zur Marktreife geschafft. Sie sind entweder herbizid- oder insektenresistent; manche Pflanzen enthalten auch eine Kombination aus beiden Resistenzen. Von einer nennenswerten, beständigen Ertragssteigerung kann keine Rede sein; ebenso wenig hat sich durch Agrogentechnik die Menge der eingesetzten Pestizide verringert.13
Viele von diesen Problemen kommen auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts14 zur Sprache. Es ist hier nicht der Ort, die Vorwürfe zu klären. Dies hieße, auf der einen Seite deren Sachhaltigkeit zu prüfen, also Evidenz beizubringen, was wirklich der Fall ist. Allein die Frage, ob die Technik zu einer Reduktion des Pestizid-Einsatzes geführt hat, ist äußerst schwierig unter wissenschaftlichen Bedingungen zu beantworten. Auf der anderen Seite müssten wir abwägen, wie die ermittelten Risiken, Gefahren, Schädigungen oder Beeinträchtigungen in Verhältnis zu den Vorteilen zu setzen sind, die aus der Nutzung der Technik erwachsen. Dies alles soll hier nicht geschehen. Mit der Darstellung der ethisch relevanten Fragen und deren Beurteilung befassen sich zahlreiche Publikationen.15 Im Folgenden sollen allerdings die wichtigsten Fragen zu einer verantwortbaren Anwendung der Grünen Gentechnik in einer sinnvollen Ordnung präsentiert und repräsentiert sein. Diese Ordnung soll helfen, in die meist unübersichtliche Diskurslandschaft zum Thema einen Pfad einzuziehen, der die wichtigsten Fragen wie Stationen abzuarbeiten erlaubt. Üblicherweise gehen sie nämlich, wie bei Greenpeace, ziemlich durcheinander.
4.
Die Kaskade, die ich vorschlage, sortiert die Argumente nach dem Prinzip, eine Frage erst zu stellen, wenn die ihr vorausgehenden Fragen mit ›Ja‹ beantwortet sind. Einfacher gesagt: Welche Fragen müssen positiv beantwortet werden, damit sich andere erst stellen? Als Gliederungsprinzip unterlege ich dabei die klassischen drei Säulen, auf die seit dem Gipfel von Rio 1992 Diskussionen um Nachhaltigkeit gestellt werden, nämlich die ökologische, die soziale und die wirtschaftliche Dimension. Dies bietet ein Schema, in welcher Reihenfolge die Legitimität der Nutzung je besonderer Grüner Gentechnik zu prüfen ist. Ohne dies jetzt für die realen und die denkbaren Einsatzmöglichkeiten durchexerzieren zu wollen, schlage ich folgende Reihung vor: Zuerst sind die (im weiteren Sinne) ökologischen Fragen zu beantworten, dann einige wichtige mit sozialem Belang und zuletzt die relevanten ökonomischen.
Zu den im weiteren Sinne ökologischen Anfragen ist zuvörderst die nach der Lebensmittelsicherheit zu beantworten, sofern es sich um Pflanzen handelt, die direkt oder indirekt zu Nahrungszwecken angebaut werden. In dieser Frage hatte sich die ›Union der Akademien‹ 2008 zu folgenden Statement veranlasst gesehen:
Nach Abwägung der vorangegangenen Erörterungen erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass beim Verzehr der in der Europäischen Union zugelassenen GVO-Nahrungsmittel ein höheres Gesundheitsrisiko besteht als beim Verzehr herkömmlicher Nahrungsmittel. Im Gegenteil: die GVO-Produkte sind umfassend geprüft, sind als sicher eingestuft worden und unterliegen strengen gesetzlichen Regelungen.16
Ob diese Argumentation durchträgt oder nicht, ein für die Bewertung wesentlicher Aspekt ist hier herauszuheben, weil er für die Prüfung den entscheidenden Standard setzt: Das ›Äquivalenzprinzip‹, nach dem Nahrungsmittel aus gentechnisch veränderten Organismen nicht ›sicher‹ sind, sondern nur ebenso sicher wie ihre konventionellen Äquivalente. Damit ist ein Maßstab gesetzt für die Prüfung der Zuträglichkeit dieser Nahrungsmittel. Taugen sie nicht zur Nahrung, weil sie zu hohe gesundheitliche Risiken bergen, stellen sich keine weiteren Fragen: Ihr Anbau ist unzulässig.
Das gilt auch für den Fall, dass wir die ökologischen Risiken für zu hoch einstufen. Diese Stufe müssen alle Nutzpflanzen nehmen, auch solche, die nicht selbst gegessen werden sollen oder die über Tiere in die Nahrungskette des Menschen gelangen, wie etwa der Bt-Mais. Auch Pflanzen, die etwa zur Produktion von Kleidung genutzt werden, z. B. Bt-Baumwolle, sind auf solche Risiken zu prüfen. Dahinter steht ein ganzes Portfolio von Fragen, wie nach der Fähigkeit der Pflanzen auszukreuzen, nach dem ›Gentransfer‹, aber auch nach der Wirkung der Pflanzen auf ›Nichtziel-Organismen‹, das heißt, auf andere als jene Schädlinge, gegen die sie sie durch die gentechnisch erzeugten Effekte schützen sollen. Erst wenn wir das Eingehen dieser Risiken als vertretbar eingestuft haben, können wir daran denken, die Pflanzen ›freizusetzen‹, das heißt, sie außerhalb von Gewächshäusern zu ziehen.
Erst dann stellen sich Fragen, die sozialen Ursprungs sind, also auf die Wirkung der Gentechnik im Gefüge menschlicher Interessen abzielen. Hier ergeben sich vor allem zwei Ebenen, auf denen die Freiheit derer, die gentechnisch veränderte Pflanzen nutzen wollen, mit denen kollidieren, die diese Nutzung ablehnen. Konflikte treten zunächst im wahrsten Sinn auf dem ›Konflikt-Feld‹ auf, auf dem Acker, bei der gleich-zeitigen und gleich-räumigen Bestellung von benachbarten Acker-Flächen mit konventionellen und mit Gv-Pflanzen, eventuell verschärft durch die noch höheren Ansprüche ›biologischen Landbaus‹ an die ›Reinheit‹ gegenüber der Gentechnik. Für eine neutrale Regelung, die keine Präferenz für oder gegen die Gentechnik durchsetzen will, wird die sogenannte ›Ko-Existenz‹ angestrebt, ein gleichberechtigtes Nebeneinander verschiedener Wirtschaftsformen. Darin sollen die Regelungen eines gerechten Ausgleichs verwirklicht werden als Voraussetzung für einen sozial akzeptablen Einsatz der Gentechnik. Die Wahrung der Freiheitsrechte der Verbraucher verlangt darüber hinaus nach Regelungen auch im Bereich der Konsumenten. Der Königsweg führt hier über eine entsprechende Kennzeichnung,17 die dem Konsumenten Wahlmöglichkeiten eröffnet. Es geht darum, ihm eine solchermaßen gestaltete Wahlfreiheit zu sichern, sodass er nicht genötigt ist, Gv-Pflanzen zu konsumieren oder sich durch sein Konsumverhalten indirekt an ihrem Anbau zu beteiligen. Die erste Forderung wird durch die derzeit geltende Regelung gut erfüllt, denn wenn Produkte gentechnisch veränderte Organismen oder Teile davon enthalten, müssen sie positiv gekennzeichnet werden. Schwieriger ist es, sich als Konsument aus der Produktion mittels gentechnisch veränderter Organismen ›herauszuhalten‹, denn dazu müssten auch Produkte gekennzeichnet werden, bei deren Entstehung sie beteiligt waren. Das ist derzeit nicht der Fall. Schließlich erlaubt das Recht, in werbender Weise darauf hinzuweisen, wenn das Produkt ›Ohne Gentechnik‹ entstanden ist. Die Details sind auch hier deutlich komplizierter; es geht hier nur darum, der Reihe nach jene Fragen zu sondieren, deren konsensfähige Beantwortung einer Nutzung der Grünen Gentechnik vorausgehen muss.
Bewertungen dieser Technik in ökonomischen Perspektiven bilden eine dritte Gruppe. Dazu gehört das außerordentlich komplizierte Gebiet der Patentie rung18 von Gentechnik als Technik. Wie bei anderen Erträgen technologischer Forschung und Entwicklung beanspruchen Biotechnologie-Firmen, ihre Ergebnisse exklusiv nutzen zu dürfen. Dem steht auf der anderen Seite v. a. der Hinweis entgegen, es handele sich in weiten Teilen nicht um patentierbare Erfindungen, sondern um Entdeckungen. Der Streit darüber ist Teil einer noch wichtigeren Frage, die mit Blick auf die Zukunft des Pflanzenbaus gestellt wird, nämlich die nach Konzentration und Monopolisierung. Der Zugang zu Saatgut in den Händen einiger weniger Firmen, oder gar nur einer einzigen? Welche Rolle spielt dabei die Gentechnik und dafür wiederum ihr rechtlicher Schutz durch Patente?
Wir müssen diesen ganzen Fragenkatalog jetzt nicht abarbeiten. Aber für die Anwendung von Grüner Gentechnik kann er zu einem Prüfstein der moralischen und der rechtlichen Legitimität werden. Ging es um die Frage, ob man den Einsatz der Gentechnik verantworten kann, könnte eine Kaskade wie die vorgeschlagene als Prüfliste herangezogen werden und dann käme man zu einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Nutzung auf dem Acker und gegebenenfalls zu den Maßnahmen, die sie begleiten müssen. Nur wenn in dieser Kaskade auf alle Fragen eine taugliche und akzeptable Antwort gefunden wurde, lässt sich der Einsatz rechtfertigen. Dann allerdings haben diejenigen, die eine Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen realisieren wollen, auch einen Anspruch, dies tun zu dürfen. Ja, vielleicht gäbe es mit Blick auf die positiven Effekte sogar einen moralischen Imperativ, sie nutzen zu sollen. Im Jahr 2000 hatte die Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) in ihrem Statement on Biotechnology vorgegeben:
FAO supports a science-based evaluation system that would objectively determine the benefits and risks of each individual GMO. This calls for a cautious case-by-case approach to address legitimate concerns for the biosafety of each product or process prior to its release. The possible effects on biodiversity, the environment and food safety need to be evaluated, and the extent to which the benefits of the product or process outweigh its risks assessed.19
Dies hört sich nach einer verantwortungsbewussten und rationalen Strategie an, nämlich wissensbasiert und wissenschaftsbasiert für jeden Einzelfall umsichtig und rechtzeitig zu prüfen und anschließend benefits gegen risks, Chancen gegen Risiken abzuwägen.
Dies wiederum scheint mir unter den gegenwärtigen Bedingungen in Mitteleuropa nicht der Fall zu sein, ja noch nicht einmal mehr denkbar. Dies wiederum führte zur Frage, woran die Technik in weiten Teilen Europas scheitert, während sie andernorts auf breiter Basis reüssiert. Vor allem: Warum lässt die Diskurslage hierzulande so überhaupt keinen Kompromiss mehr erwarten? Eine Kosten-Nutzen-Analyse auf Basis wissenschaftlicher Befunde steht nicht mehr im Zentrum der Diskussion. Sie würde noch nicht einmal einen Rückhalt finden.
5.
Stattdessen prallen fundamentale Glaubenssätze und Gegensätze aufeinander. Die These lautet, dass wissenschaftliche Ergebnisse selbst wiederum Gegenstand von Deutungen werden, die nicht Folge der Rezeption von wissenschaftlichen Daten sind, sondern umgekehrt diese Rezeption steuern. Gestützt auf R. Busch hat es Evelyn Coleman Brantschen treffend so formuliert: »In die Deutungen fließen aber individuelle Moralvorstellungen, Konzepte eines gemeinsamen guten Lebens, aber auch politische Vorlieben ein. Der Dialog wird dadurch erschwert, wenn nicht gar blockiert.«20 Gestützt wiederum auf eine Analyse von Manuel Eisner legt sie außerdem ein instruktives Schema vor, vor dem Hintergrund welcher Moralvorstellungen diese Deutungen statthaben:
Befürworter und Gegner nehmen für sich in Anspruch, die einzig wahre moralische Konzeption für die Gentechnik zu vertreten und unterstellen der jeweils anderen Position eine spezifische Anti-Moral. Dabei bringen sie in bezeichnender Weise unterschiedliche Themen zur Sprache. Während die Befürworter der Entwicklung und Anwendung der Gentechnik vor allem Gesundheit, Vernunft und Wohlstand berücksichtigen, beziehen die Gegner der Gentechnik vor allem die Themen Natur, Macht und Gefährdung in ihre Argumentation ein. So lässt sich veranschaulichen, wie der gesellschaftliche Streit um die Gentechnik dadurch an Schärfe gewinnt, dass der jeweils anderen Fraktion eine Anti-Moral unterstellt wird: Sie sei gegen die Therapie von Krankheiten (bei der Weißen und der Roten Gentechnik) und die Beseitigung von Mangelerscheinungen (bei der Grünen Gentechnik), gegen wirtschaftlichen Wohlstand, gegen Aufklärung und Fortschritt – bei der Gentechnik überhaupt. Von der anderen Seite betrachtet, werden die moralischen Defizite in ganz anderen Dimensionen lokalisiert: Die Befürworter von Gentechnik strebten die schrankenlose Verfügung über die Natur an, sie seien von Profitdenken geleitet und würden potentielle Risiken der Technologie einfach negieren. Die Gegenüberstellung verdeutlicht: Die jeweils andere Position wird verzerrt oder kommt überhaupt nicht in den Blick. Ein Kompromiss, der für die unterschiedlichen Überzeugungen Platz ließe, scheint nicht in Sicht.
Während für die Befürworter die Gentechnik einen Beitrag zur technischen Überwindung dringender Probleme leistet, steht sie für die anderen im Kontext der Ausbeutung einer zutiefst schützenswerten Natur. Die moralischen Codes stehen damit in der Perspektive von zwei diametral entgegengesetzten moralischen »Rahmenhandlungen«, wie sie Bernhard Irrgang21 einmal sehr klar dargelegt und gegenübergestellt hat. Auf die eine Seite stellt er eine »eine Ethik pragmatischer Therapeuten und innovativer Bio-Ingenieure« und ihr Paradigma des »Verbesserns, Konstruierens und Heilens« zur »Unterstützung des Entwicklungspotentials« von Lebewesen. In diesem Horizont haben »Nutzenerwägung und Schadensvermeidung«22 ihren Platz. Dagegen steht eine Ethik der »konservativen Lebensschützer«, zu der »eine gewisse Konservierung der bestehenden Natur« mit »möglicherweise leichten Ansätzen einer Reparatur bzw. Wiederherstellung, also eine Ethik des Bewahrens (die Würde des Tieres und des Menschen)«, gehöre.23
6.
Eine prägnante und signifikante Formulierung für eine solche biokonservative Haltung fanden die Schweizer bei einer Volksabstimmung 1992, als sie sich im Kontext der Gentechnik die »Würde der Kreatur« in ihre Bundesverfassung24 schrieben.
Nicht nur an lange Zeit weitgehend marginalisierte holistische und biozentrische Vorstellungen vom Verhältnis des Menschen zur Natur, die zum Beispiel in Form der Tier- und Naturschutzbewegung in die Gegenwart reichen, konnten die Mütter und Väter des neuen Verfassungsprinzips anknüpfen. […] Dass sich, oft im direkten Anschluss an Jonas, begonnene Debatten um ›Eigenrechte der Natur‹ intensivierten, die dann zum Beispiel in der Schweiz im Jahr 1992 in den besagten Verfassungsartikel mündeten, ist kaum überraschend.25
Dies schreibt Ina Praetorius, Mitautorin eines wichtigen und einflussreichen Gutachtens,26 das diesen zentralen Begriff umfassend ausgelegt hat. Ihr Hinweis auf Hans Jonas als exponierter Vertreter dieser biokonservativen Denkungsart ist übrigens voll berechtigt, denn er war einer der ersten, die noch eher zögerlich nach einem Schutz der bedrohten Lebensfülle um ihrer selbst willen fragten,27 was sehr auf der Linie von Irrgangs Beschreibung biokonservativer Ansätze als »Schutz der vorhandenen Lebensformen und Organismen«, eben »eine gewisse Konservierung der bestehenden Natur«28 liegt. Es ist bemerkenswert, wie Ina Praetorius das Umfeld schildert:
Auch wenn der Trend, den menschlichen Verfügungswahn konzeptionell und real zurückzunehmen, noch längst nicht alle relevanten Akteure, nicht einmal alle Ethikkommissionen, erreicht hat, die sich seit den achtziger Jahren darum bemühen, den Kontroll- und Manipulationswünschen des wissenschaftlich-industriellen Komplexes mittels kasuistischer Eingriffe Einhalt zu gebieten, so scheint die eingeschlagene Richtung des Denkens doch unumkehrbar zu sein.29
Aus dieser Perspektive gehören Wissenschaft und Industrie schon zusammen, Beherrschung der Natur, totale Verfügung ist ihr gemeinsames Ziel, und wie kaum ein anderer Bereich von Forschung repräsentiert die Gentechnik diese machtvolle und unheilvolle Allianz.
Diese Zuschreibung ist, wie ersichtlich, nicht neu. Die Wissenschaft wird hier nicht zur Schiedsrichterin bestellt, sondern als Partei im Streit porträtiert, und zwar von außen bzw. von der Gegenseite. Dass die Kriterien, nach denen die Wissenschaft einen Gegenstand wie die Gentechnik prüft, selbst wieder wissenschaftlich sind, und damit in den eigenen Plausibilitätshorizont gehören, ist Teil dieser Zuschreibung. Anders gesagt: Dass man Effekte der Gentechnik nach wissenschaftlichen Standards messen und bewerten kann, ist Teil einer ›Wissenschaftsgläubigkeit‹, die viele ihrer Kritiker gar nicht teilen.
Der Streit geht um das Vertrauen, wer überhaupt zu den richtigen Bewertungen und den richtigen Prognosen kommen kann. Die Zuverlässigkeit von Aussagen dazu aus der Wissenschaft wird gerne von denen in Zweifel gezogen, die ihr schon bei ihren Versprechen misstrauten.
Was sich in jüngerer Zeit zu verschärfen scheint, ist die zunehmende Desavouierung von Wissenschaft, die von manchen NGOs nicht intendiert, wenn es aber um Gentechnik geht, sicher nicht abgelehnt wird. Nicht oder nicht nur die Zuverlässigkeit streitet man ihr ab, zunehmend auch die Redlichkeit. Die Folgen sind allerdings über die Gentechnik hinaus bedrohlich. Solche Operationen sind geeignet, das Ansehen der Wissenschaft in der Öffentlichkeit und damit ihre Wirkkraft zu unterminieren. Franz-Theo Gottwald sieht Befürworter und Kritiker der Gentechnik hier auf demselben Niveau:
Der aktuelle Stellungskrieg ist nämlich auch dadurch gekennzeichnet, dass sich die Gegner bei der Suche nach Gründen für ihre technologische Präferenz selektiv verhalten. Sie lassen nur das als Argument zu, was ihrer je eigenen Beweisabsicht entgegenkommt. Sie verschweigen und verdrängen, was gegen sie selbst sprechen würde. Rationalisierungen, also unwahrhaftige Begründungen, werden vorgenommen, um die persönlichen oder unternehmensspezifischen Interessen so zu bemänteln, dass es dem Selbstinteresse einseitig entgegenkommt. Im medialen und politischen Raum werden ideologische Vorzugswertungen entsprechend in Argumente gekleidet, die ebenfalls kommunikativ verzerrend, weil nur teils wahrhaftig wirken.30
Gottwald zieht, und das ist für unser Thema wichtig, manche Wissenschaftler selbst in diesen Dunstkreis von Täuschung und Manipulation. Besonders im Fokus steht bei ihm – wie bei einigen anderen31 – die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA).
Man könnte […] annehmen, dass für die Risikoforschung aufwändige unabhängige Untersuchungen durchgeführt werden. […] Vielmehr wurde der EFSA von Anfang an eine gewisse Industrienähe unterstellt. Der […] Wechsel der langjährigen Leiterin der Abteilung für Gentechnik, Suzy Renckens, zum schweizerischen Saatguthersteller Syngenta zieht die Unabhängigkeit der Behörde weiter in Zweifel, so das Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie, TestBiotech e.V.32
Unter der Hand wird die NGO zum Schiedsrichter, die Gottwald übrigens gleich im nächsten Satz gegen den Zweiten Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Stellung bringt. Dazu kommt noch eine weitere Forderung, die Gottwald erhebt, nämlich den Blick der Wissenschaft zu erweitern:
Tatsächlich ist die Sichtweise der Wissenschaft häufig sehr eng; Pflanzen werden auf ihren genetischen Aufbau reduziert, mehr noch, auf einzelne Gene und deren Manipulierbarkeit. Damit war die Ausrichtung der Wissenschaft in Bezug auf die Erforschung von Nutzen und Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen in der Vergangenheit stark reduktionistisch geprägt. Betrachtet werden ausschließlich Gensequenzen im Labor, kaum jedoch die ökologischen, und schon gar nicht die sozioökonomischen Folgen.33
Das aus der Feder eines gelernten Theologen und Philosophen ist, nebenbei bemerkt, schwer verdaulich. Auch die sogenannten Geisteswissenschaften bzw. Sozialwissenschaften sind Wissenschaften, die, wenn sie sich mit jenen Perspektiven von Gentechnik beschäftigen, über naturwissenschaftliche Fragen hinausgehen. Selbstverständlich ist eine trans-disziplinäre Wertung und Bewertung der Gentechnik nicht nur wünschenswert, sie ist auch für eine Klärung der gesellschaftlichen Ansprüche unerlässlich. Dazu allerdings braucht es wiederum eine naturwissenschaftlich geklärte Faktenlage, die gerade nicht von Wertungen durchzogen ist, die vor anderen Werthorizonten vollzogen werden. Damit stehen wir wieder vor der Frage, ob die Wissenschaft, hier also die Naturwissenschaft, noch unabhängig genug ist, gerade ohne vorgängige Wertungen und interferierende Interessenlagen Auskunft zu geben. Wer aber, wenn nicht die ›Wissenschaft‹?
7.
»Die Wissenschaft hat zur Versachlichung beizutragen und nicht der Wirtschaft den Weg zu bereiten, sonst verliert sie ihre Glaubhaftigkeit«, schreibt Wolfgang Fritsche,34 gleich mit einem instruktiven Beispiel: »Dass Befürworter der Gentechnik diese vielfach als eine Art von ganz normaler Züchtungspraxis heruntergespielt haben, hat zur Polarisierung beigetragen und Gegner zu Horrorvisionen veranlasst.«35 Dies ist ein informativer Zusatz zur Dialektik von Wissenschaft und Versprechen, denn alle nicht zutreffenden Darstellungen bergen das Risiko, im nächsten Zug, im Gegenzug auf die Verlässlichkeit von Wissenschaft zurückzuschlagen.
In einer Situation, in der Orientierung in der Sache auch und gerade für den öffentlichen Diskurs von zentraler Bedeutung ist, hütet die Wissenschaft einen Schatz an Vertrauen, der ihr nicht nur um ihrer selbst willen ausgehändigt ist. Ohne damit ein Urteil in Sachen Aufrichtigkeit oder Wahrhaftigkeit über die Gentechnik zu sprechen: Die Wissenschaftslandschaft und die Rahmenhandlung von Wissenschaft unter heutigen Bedingungen sind keine Garanten für die unabhängige Position eines Berichterstatters in so wichtigen und zu strittigen Feldern. So werden etwa in der Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030 aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung folgende Töne laut:
Für eine dynamische Entwicklung in der Bioökonomie ist ein schneller und kontinuierlicher Technologietransfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Allerdings ist er teilweise noch zu langsam und nicht effizient genug. Ein wirkungsvoller Ansatz des Technologietransfers sind Kooperationsprojekte zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie die direkte Ausgründung aus dem wissenschaftlichen Umfeld. Voraussetzung für einen neuen Gründerboom ist neben den gründungsrelevanten Rahmenbedingungen die Stärkung des Unternehmergeistes an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie generell die Bereitschaft für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft.36
Die Verhältnisse sind differenzierter zu betrachten und sollen jetzt auch nicht zu Stereotypen vereinfacht werden. Wenn aber die möglichst kurzen Wege zwischen Wissenschaft und Industrie so ausdrücklich propagiert werden, dürfte es umgekehrt schwer fallen, Wissenschaftler in genau der Rolle zu halten, die sie in sensiblen Feldern spielen sollen, nämlich die unabhängiger Experten. Für diese Rolle sind sie unersetzlich. Auch einer informierten und interessierten Öffentlichkeit wird es schwer fallen, die Wissenschaft und die Forschung nicht einfach als homogene Größen zu sehen und zu beurteilen. Der zitierte Passus klingt wie eine Vollzugsmeldung dessen, was Hans Jonas vor 30 Jahren noch als eine Art Warnung an die Wissenschaft ausgegeben hat, als er schrieb:
Die pure Ökonomie der Sache verlangt die Mitwirkung der öffentlichen Kasse oder sonstige finanzielle Patenschaft, und solche Fundierung des gutgeheißenen Forschungsprojektes, selbst wenn formell an keine Gegenleistung gebunden, erfolgt natürlich in der Erwartung irgend eines späteren Gewinns im praktischen Bereich. […] Kurz, es ist dahin gekommen, dass die Aufgaben der Wissenschaft zunehmend von äußeren Interessen anstatt von der Logik der Wissenschaft selbst oder der freien Neugier des Forschers bestimmt werden.37
In dem Maße, in dem Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung nutzbringend ›verwirtschaftet‹ werden, wird es ihr schwer fallen, sich ihre unverzichtbare Position als eine Art ›Gutachterin‹ im öffentlichen Interesse zu bewahren. Verdeckte oder offene Verdächtigungen, sie sei nicht mehr neutral und rein sachorientiert, ›objektiv‹, wie viele sagen, werden sich mehren, auch gegenüber denen, auf die es nicht zutrifft.
8.
Gehört unter diesen heutigen Bedingungen von Wissenschaft das Versprechen nicht zum Geschäft? Die ›Erwartung irgendeines späteren Gewinns im praktischen Bereich‹ verleitet dazu, die Versprechen größer zu machen, als man ihre Einlösung absehen kann. Die Dialektik von großen Zielen und kleinen Schritten, die in der Wissenschaft naturgemäß ja auch ins Nirgendwo führen können, mahnt zu besonderer Vorsicht.
Im skizzierten institutionellen Umfeld werden Versprechen, die nicht eingelöst werden oder eingelöst werden können, vermutlich zu einer Erosion des Vertrauens in Wissenschaft beitragen. Für einen sachlichen Diskurs in einer offenen Gesellschaft wäre dies fatal.
Im skizzierten gedanklichen Umfeld sollten gerade Wissenschaftler, die sich von ihren Erkenntnissen großen ›Fortschritt‹ für die Lebensverhältnisse erwarten, daran denken, dass ihre Befähigung zum technischen Fortschritt von anderen als Ausweis ihrer Macht und ihres Machtanspruches gesehen wird. Nicht alles, was im Paradigma der Optimierung als Fortschritt gefeiert wird, wird im biokonservativen Paradigma genauso bewertet. Dem kann die (Natur-) Wissenschaft kaum abhelfen, in dem sie umso energischer auf das pocht, was sie ›objektiv weiß‹. Hier ist dialektisches Denken gefragt, das in der Lage ist, die eigenen Argumente auch im Horizont der fremden Bewertung zu lesen. Eben nicht nur als Verheißung, auch als Bedrohung.
Besonders in der Verbindung dieser Motive hat die Wissenschaft eine ganz besondere Verantwortung für ihre Versprechen.
- 1Vgl. Nikolaus Knoepffler u. a., Grüne Gentechnik und Synthetische Biologie – keine Sonderfälle, Freiburg/München 2013, hier bes. S. 15–18.
- 2Ebd., S. 11: »Mehr als 90 Prozent der Gesamtanbaufläche von 170 Mio. ha im Jahr verteilte sich auf insgesamt 28 Staaten, davon wiederum 152 Mio. ha auf fünf Staaten, nämlich die USA mit 69,5 Mio. ha, Brasilien mit 36,6 Mio. ha, Argentinien mit 23,9 Mio. ha, Kanada mit 11,6 Mio. ha, Indien mit 10,8 Mio. ha und China mit 4,0 Mio. ha.«
- 3Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt a. M. 1979, S. 7.
- 4Greenpeace, Falsche Versprechen, wahre Lügen. Die Genindustrie und ihre Verheißungen für die Landwirtschaft, 23.9.2004, S. 1, http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/gentechnik/greenpeace_falsche_Versprechen_wahre_luegen.pdf (4.2.2014).
- 5Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Grüne Gentechnik, Weinheim 2010, S. 42, http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_magazin/forschungspolitik/gruene_gentechnik/broschuere_gruene_gentechnik.pdf (4.2.2014).
- 6Ebd., S. 43
- 7Franz-Theo Gottwald, »Agrarethik und Grüne Gentechnik – Plädoyer für wahrhaftige Kommunikation«, inAus Politik und Zeitgeschichte 5–6 (2010), S. 24–31, hier S. 29.
- 8Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode, S. 64, http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Ministerium/koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile (4.2.2014).
- 9Jonas, Prinzip Verantwortung (Fn. 3), S. 68.
- 10Informationsdienst Gentechnik, »Gentechnik hilft nicht gegen den Hunger«, http://www.keine-gentechnik.de/argumente/risiken-der-gentechnik.html#c18451 (4.2.2014).
- 11Vgl. dazu den aktuellen Überblick in Knoepffler u. a., Grüne Gentechnik (Fn. 1), S. 32–41.
- 12Greenpeace, Essen ohne Gentechnik. Einkaufsratgeber für gentechnikfreien Genuss, 2010, S. 4 f.
- 13Gottwald, Plädoyer (Fn. 7), S. 27.
- 14BVerfG, 1 BvF 2/05 vom 24.11.2010, http://www.bverfg.de/entscheidungen/fs20101124_1bvf000205.html (4.2.2014).
- 15Vgl. Knoepffler u. a., Grüne Gentechnik (Fn. 1), bes. Teil 3.
- 16Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften, Kommission Grüne Gentechnik, Gibt es Risiken für den Verbraucher beim Verzehr von Nahrungsprodukten aus gentechnisch veränderten Pflanzen?, Memorandum erarbeitet im Auftrag der GMO Initiative des InterAcademy Panel, S. 4, http://www.akademienunion.de/_files/memorandum_gentechnik/MemorandumGG.pdf (4.2.2014).
- 17Vgl. Lieske Voget-Kleischin, »Die Nachfrage nach gentechnikfreien Lebensmitteln als Beispiel der politischen Dimension von Kaufentscheidungen«, in Franz Theo Gottwald und Isabel Borgen (Hg.), Essen & Moral, Beiträge zur Ethik der Ernährung, Marburg 2013, S. 87–95, hier bes. S. 91.
- 18Vgl. Bettina Locklair, »Patente auf Tiere und Pflanzen«, in Uwe Meier (Hg.), Agrarethik, Landwirtschaft mit Zukunft, Clenze 2012, S. 165–178.
- 19FAO, »Statement on biotechnology«, http://www.fao.org/biotech/fao-statementon-biotechnology/en/ (4.2.2014).
- 20Evelyn Coleman Brantschen, Gentechnologie im Ausserhumanbereich, Chavannes-près-Renens 2006, S. 19.
- 21Vgl. Bernhard Irrgang, »Ethik der Gen- und neuen Biotechnologie«, in Julian Nida-Rümelin (Hg.), Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung. Ein Handbuch, Stuttgart ²2005, S. 648–689, hier S. 654 f.
- 22Ebd.
- 23Ebd.
- 24Der Passus findet sich heute in der Bundesverfassung der Schweiz als Art. 120 Gentechnologie im Ausserhumanbereich: ¹Der Mensch und seine Umwelt sind vor Missbräuchen der Gentechnologie geschützt. ²Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen.
- 25Ina Praetorius, »Auf dem Weg in eine postsäkulare Metaphysik oder: Der 17. Mai 1992 als Schlüsseldatum«, in Sabine Odparlik, Peter Kunzmann und Nikolaus Knoepffler (Hg.), Wie die Würde gedeiht. Pflanzen in der Bioethik, München 2008, S. 85–110, hier S. 86.
- 26Ina Praetorius und Peter Saladin, Die Würde der Kreatur, Bern 1996.
- 27Vgl. Peter Kunzmann, »Der stumme Appell um Schonung. Hans Jonas und der systematische Ort einer ›Würde der Kreatur‹«, in Walter Schweidler (Hg.), Wert und Würde der nichtmenschlichen Kreatur, Sankt Augustin 2009, S. 263–281.
- 28Irrgang, Ethik (Fn. 21), S. 654.
- 29Praetorius, Auf dem Weg (Fn. 25), S. 86.
- 30Gottwald, Plädoyer (Fn. 7), S. 26.
- 31Etwa http://www.keine-gentechnik.de/dossiers/efsa-reform.html (4.2.2014).
- 32Gottwald, Plädoyer (Fn. 7), S. 30.
- 33Ebd.
- 34Wolfgang Fritsche, »Welche Anwendungen der grünen Gentechnik tragen zum kul turellen Fortschritt bei?«, in Sabine Odparlik, Peter Kunzmann und Nikolaus Knoepffler (Hg.), Wie die Würde gedeiht. Pflanzen in der Bioethik, München 2008, S. 223–242, hier S. 230.
- 35Ebd.
- 36Bundesministerium für Bildung und Forschung, Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030. Unser Weg zu einer bio-basierten Wirtschaft, Bonn/Berlin 2010, S. 11.
- 37Hans Jonas, Technik, Ethik und Medizin, Frankfurt a. M. 1985, S. 96 f.