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Neue Regionalismen in Afrika und Lateinamerika – 
Globale Ordnungsprozesse im Wandel


Um die Herausbildung des Phänomens des Regionalismus zu verstehen und die sie begleitenden akademischen Auseinandersetzungen neu zu modellieren, unterstützt das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kultur (SMWK)innerhalb des Programms »Geisteswissenschaftliche Förderung« am Centre for Area Studies (CAS) Universität Leipzig das Projekt »New region­alisms in a changing global order – Mapping Latin America and Africa«.1 Innerhalb des Projektes wird die Debatte des Neuen Regionalismus historisch eingebettet sowie deren Ergebnisse und Defizite gleichermaßen reflektiert. Im Blickfeld der ersten Phase der zweijährigen Laufzeit liegen die konzeptionelle und akteursgeleitete Weiterentwicklung des Regionalismusbegriffes2 und die Anwendung dieser theoretischen Linse auf zwei empirische Fälle in Zentralafrika und in Zentralamerika. Der vorliegende Beitrag fasst die Erkenntnisse der ersten sechs Monate des Forschungsprojektes zusammen. Hierzu werden eingangs die konzeptionell-theoretischen Debatten wiedergegeben, an die das Projekt und die Diskussionen mit Gastwissenschaftlern im Rahmen des Forschungsseminars »New Regionalisms« im Sommersemester 2013 an der Universität Leipzig anknüpfen. Im Anschluss werden die daraus hervorgegangenen empirisch ausgerichteten Unterprojekte vorgestellt.


Der Bedeutungszuwachs transnationaler Verflechtungen – in ökonomischer, politischer und kultureller Hinsicht – wird häufig mit dem analytisch unscharfen Begriff der Globalisierung beschrieben.3 Im Allgemeinen wird darunter die rezente Transformation oder auch Entgrenzung des Handlungs- und Wahrnehmungsrahmens gesellschaftlichen und individuellen Lebens verstanden. In der wissenschaftlichen Diskussion wurde Globalisierung als Begriff und empirisches Phänomen zunächst entweder als eine Art europäisch geprägte Modernisierung4 bzw. als eine marktgeleitete Liberalisierung5 verstanden. Zwei wissenschaftssoziologische Innovationen haben diese Sichtweise infrage gestellt: die Globalgeschichtsschreibung und die raumtheoretische Wende in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Globalgeschichtsschreibung hat diesen Globalisierungsbegriff hinreichend historisiert, um ihn als ein ideologisches oder politisches Projekt zu entlarven.6 Parallel hierzu hat der spatial turn zu einem Perspektivwandel geführt, der es erlaubt, das dialektische Wechselspiel zwischen Prozessen der Enträumlichung oder Deterritorialisierung sozialer Praktiken einerseits und Prozessen der Reterritorialisierung andererseits in den Blick zu nehmen.7

Die unter den Stichworten spatial turn und cultural turn geführte Debatte8 begreift die rezenten Globalisierungsprozesse dabei zunächst als eine Veränderung der Verknüpfung von sozialen Handlungen und Praktiken an hauptsächlich national oder subnational bestimmten Orten, Plätzen oder Grenzen. Damit verbunden ist eine Dechiffrierung des bis dato vorherrschenden Forschungsparadigmas, soziale Beziehungen und deren Anordnung in territorial abgegrenzten Nationalstaaten zu analysieren.


Aus dieser Perspektive muss Globalisierung konsequenterweise in dialektischen Prozessen verstanden werden: Einerseits brechen transnationale Handels-, Kommunikations-, Wissens- und Migrationsströme die nationalstaat­liche Raumorganisation sozialer Beziehungen auf. Andererseits formieren sich auf verschiedenen räumlichen Ebenen – lokal, national oder regional – neue Projekte territorialer Organisationsformen, durch deren Umsetzung die Akteure im Zuge von Deterritorialisierungsprozessen verloren gegangene Souveränität wieder zurück erlangen wollen.9 Demzufolge führen Prozesse der Globalisierung nicht allein zu einer Deterritorialisierung der nichtglobalen Raumbezüge, sondern gleichzeitig in einer dialektischen Interaktion zu Momenten von Reterritorialisierung, in denen neue Praktiken der sozialen Verräumlichung auf verschiedenen Ebenen ausgehandelt oder produziert werden.


Eine der aktivsten Reterritorialisierungsebenen par excellence ist der makroregionale10 Raum, in dem Territorialität und Souveränität unter Druck stehen und neu konfiguriert werden.11 Dies geschieht sowohl in formalisierten Kontexten, wie regionalen Institutionen und Normen, als auch in informellen Prozessen zwischen transnationalen Akteuren.


Als empirisches Phänomen sind Prozesse der Regionalisierung bereits während der Kolonialzeit als imperiale Projekte zu beobachten. Mit den Unabhängigkeitsbewegungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Lateinamerika bzw. Mitte des 20. Jahrhunderts in Afrika traten neue Formen der regionalen Kooperation auf, die im weiteren Verlauf zwischen Fremdbestimmung und Autonomie oszillierten und eine Vielzahl an Projekten hervorbrachten. Hierzu gehörten sowohl panafrikanische und panamerikanische Initiativen als auch subkontinentale Zusammenschlüsse mit thematischen Schwerpunkten. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann die Epoche der Integration auch in Europa. Letztere löste einen Schub der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Theoriebildung aus. Zunächst wurde versucht, das Phänomen des Regionalismus mit dem politikwissenschaftlichen Instrumentarium an Theorien der Internationalen Beziehungen (IB-Theorien) zu erklären, wobei die IB-Theorien der beiden Hauptströme Liberalismus und Realismus die Bildung von Regio­nen – meist mit dem Begriff ›regionale Integration‹ umschrieben – nur als Ergebnis auf die Frage nach der Kooperation zwischen Staaten ansehen.


Eine rein auf sicherheitspolitische Aspekte zielende Erwähnung von Regio­nalismus findet sich in der realistischen Schule der IB-Theorien. Danach gehen Staaten regionale Kooperationen ein und bauen Institutionen auf, um in ­einem anarchisch geprägten internationalen System ihr Überleben zu sichern.12 Ähnlich wie in der realistischen Sichtweise wird Regionalismus in der (neo-)funktionalistischen Theorieschule nur als ein institutionelles Arrangement ­begriffen, welches sich als Folge wachsender politischer und ökonomischer Verflechtungen ergibt.


Im Funktionalismus werden regionale Bündnisse als Ergebnis einer zunehmenden Diskrepanz zwischen funktional-technischem Erfordernis und institutioneller Einbettung (form follows function) betrachtet.13 Im Gegensatz zu dieser funktional-technokratischen Betrachtungsweise internationaler Kooperation versteht die neofunktionalistische Sichtweise14 die Etablierung regio­naler Bündnisse und Organisationen als durch politische Eliten imitierte und durch zunehmende ökonomische und politische Verflechtungen notwendig erachtete Projekte. In der neofunktionalistischen Sichtweise ergeben sich die besten Bedingungen für einen Integrationsprozess in Politikfeldern – hier vor allem die Wirtschaftspolitik – mit wenig Konfliktpotential zwischen den beteiligten Staaten. Tangierte Politikbereiche werden aufgrund bestehender Inter­dependenzen zunächst indirekt durch den Integrationsprozess beeinflusst, wodurch aufgrund des wachsenden Bedarfs einer Regelung eine Ausweitung des Integrationsprozesses einsetzt (Spillover-Effekte). In beiden funktionalis­tischen Ansätzen wird Regionalismus aus einer staatszentrierten Betrachtungsweise analysiert, wobei der erste Ansatz regionale Kooperation nur als ein funktionales Äquivalent staatlicher Organisation und der zweite Ansatz Regionalisierung als Folge von Verhandlungen nationaler Eliten ansieht. 


Nicht nur für die (neo-)funktionalistische, sondern auch für die liberale Theoriegenerierung fungierte dabei das in den 1950er Jahren beginnende euro­päische Integrationsprojekt als eine empirische Blaupause. Ein formales Regionalismusprojekt und dessen Organisation sind aus intergovernmentalistischer Sicht15 das Produkt wachsender Konvergenzen nationaler Interessen und Präferenzen und ruhen daher auf bewussten Verhandlungsentscheidungen zwischen den beteiligten Staaten. Hier verschiebt sich das Forschungsinteresse auf die nationale Präferenzbildung, gleichwohl Regionalisierung auch hier nur statisch – als Ergebnis – und formal territorial fixiert analysiert wird.


Den konventionellen Regionalismustheorien sind somit mehrere ontologische und theoretische Grundannahmen zu eigen. Zunächst basieren sie alle auf einem methodologischen Nationalismus, der den Nationalstaat als den zentralen und wichtigsten Akteur im internationalen System und im Integrations­prozess ansieht. Zweitens vertreten alle bisher vorgestellten theoretischen Ansätze eine ausnahmslos modernisierungstheoretische Position, indem sie die europäische Gesellschaftsstruktur als Bedingungsfaktor für Integrationsprozesse ansehen. Drittens ähneln sich die Theorieangebote der vorherrschenden IB-Theorien nicht nur in der theoretischen Perspektive der Analyse von Regionalismusprojekten, sondern auch in ihrem begrifflichen Verständnis von Region und Regionalisierung. Spezifische Themenfelder bilden einen festen Rahmen für das analytische Verständnis von eindimensionalen und exklusiven Regionen. Somit wurden beispielsweise die Sicherheits- oder Wirtschaftspartnerschaften (NATO, Warschauer Pakt, European Free Trade Area) während des Kalten Krieges festen Gebilden einer Region (Ost und West) zugeschrie
ben.16

Regionalisierung wird dabei folglich weniger als Prozess der Verflechtung, sondern vielmehr unter Beachtung ihres formellen Ergebnisses untersucht. Dabei ist auffallend, dass nicht nur die Politikwissenschaften, sondern auch die Wirtschaftswissenschaften17 Globalisierung und Regionalisierung normativ besetzen und einander gegenüberstellen. Während Globalisierungsprozesse und die damit verbundene Auflösung territorialer Bindungen von sozialen Interaktionen mit Modernität und Fortschritt gleichgesetzt werden, wird das politische Projekt einer Regionenbildung als Strategie konnotiert, die – je nach Normativität – entweder als Globalisierungshindernis oder Beschleuniger fungiert. Gleichzeitig impliziert diese Dichotomisierung einen modernisierungstheoretischen Impetus, der weniger einer dialektischen Dynamik als vielmehr einem Nullsummenspiel gleicht, in dem das Globale gewinnt, was das Lokale (oder hier Regionale) verliert – oder umgekehrt. Darüber hinaus gilt in diesen Theorien der Nationalstaat in der räumlichen Betrachtung als das dominante Verräumlichungsregime, in dem alle Phänomene der Globalisierung (Entgrenzung) und Regionalisierung (Begrenzung) untersucht werden.18

In ähnlicher Weise ist auch das Angebot der EU-Integrationstheorien einzuordnen. In den EU Studies wird die europäische Integration zwar nicht als Reaktion bzw. Moment gegen einen Globalisierungsprozess, sondern vielmehr als ein durch stark institutionalisierte Staaten in Eigendynamik entstandenes Projekt verstanden.19 Zunächst aufbauend und anknüpfend an bestehende ­Integrationstheorien werden dabei vor allem formelle Institutionalisierungs­aspekte der europäischen Integration untersucht. Beschränkte sich die EU-Inte­grationsforschung in den ersten Jahren auf die Untersuchung der Bedingungen und Ursachen der Integrationsdynamiken der europäischen Gemeinschaft respektive Union, so entstand in den 1990er Jahren besonders infolge der Herausbildung eines eigenständigen politischen Systems und von Institutionen auf EU-Ebene durch den Maastricht-Vertrag von 1994 ein zweiter Strang der EU-Studies. Hierbei lag der Schwerpunkt der Analysen zunehmend auf dem Akteurs-Charakter der Europäischen Union. Letztlich sind die EU-Studies nicht unter einen bestimmten theoretischen Zugang zu verorten, sondern bestechen gerade aufgrund ihrer theoretischen und epistemologischen Vielfalt – hier auch unter Einbezug kritischer oder sozialkonstruktivistischer Ansätze.20 Gleichwohl verharrt die Disziplin in einer verbreiteten sui generis Kategorisierung der EU.21 Diese erschwert vergleichende Untersuchungen regio­naler Koo­perationsprojekte und führt dazu, dass tatsächlich durchgeführte Vergleiche sich entweder auf westliche Gesellschaften konzentrieren oder in einen Leistungsvergleich für andere Integrationsvorhaben verfallen, bei dem die EU den Maßstab darstellt. Regionalismusmodelle des Südens können in dieser Perspektive nur als Adaptation und nicht als eigenständig wahrgenommen werden, sondern müssen anderen Feldern wie der Entwicklungsökonomik oder den Area Studies zugeordnet werden.


Einen umfassenderen, postmodern geprägten Blickwinkel auf regionale Projekte versucht der New Regionalism Approach (NRA) zu entwickeln – ­
unter Einbeziehung politischer, ökonomischer sowie sozialer und kultureller Aspekte.22 Sein Entstehen ist erstens eng verknüpft mit der empirischen ­Zunahme neuer, vor allem außereuropäischer, Regionalismusprojekte nach dem Ende des Kalten Krieges und der damit verbundenen Auffächerung der empirischen Fallauswahl jenseits des gemeinhin als sui generis isolierten europäischen Integrationsprozesses. Zweitens reagiert der NRA auf den konzeptionellen Staatszentrismus der dominanten Theorie und seiner auf rein formale Integrations­ergebnisse beschränkten Sichtweise, mit dem den empirischen Phänomenen der neuen Regionalismen – die auch informellen Charakters sein können – nicht adäquat begegnet werden. Dem NRA liegt vielmehr eine dynamische Sichtweise von Regionenbildung als einem multidimensionalen Prozess23 zugrunde, welcher in einem dialektischen Verhältnis zu Globalisierungsprozessen verstanden wird. 


Ein regionales Projekt wird somit nicht nur allein als Gegenprojekt zu Globalisierungsprozessen gefasst – wie es dem Verständnis der klassischen Integrationstheorien entsprechen würde –, sondern gleichermaßen als Moment der Ent- oder Begrenzung von Globalisierung verstanden. Diesem doppelseitigen Verständnis folgend beinhalten Regionalismen den Anspruch, die durch Globalisierungsprozesse ausgelösten fortschreitenden Deterritorialisierungen nationaler Raumbezüge zu verstärken und gleichzeitig mit der Absicht einer Reterritorialisierung durch die Produktion einer Region territoriale Kontrolle und regionaler Kohärenz zu überlagern.24

Unter Berücksichtigung der theoretischen Verortung – politökonomische bzw. sozialkonstruktivistische Ansätze – hebt sich der NRA von den bis dato angebotenen theoretischen Modellen zum Thema regionale Integration in vier Punkten ab: (1) In seiner explizit prozessualen sowie (2) ›multidimensionalen‹ Betrachtungsweise regionaler Integration – durch Hinzunahme der Analyse kultureller und sozialer Aspekte, (3) in der Ablehnung von natürlichen oder deterministischen Regionen und (4) in dem dialektischen Verständnis von Globalisierungs- und Regionalisierungsprozessen. Trotz des Versuchs einer theoretischen Neuausrichtung innerhalb des Spektrums der Integrationstheo­rien bleibt das Bild des NRA besonders im Hinblick auf den methodologischen Nationalismus jedoch ambivalent: Einerseits wird der methodologische Staatszentrismus mit der Analyse von Mikroregionen ›nach unten‹ aufgebrochen, indem in kleinflächigen Gebieten die Entstehung von Regionen aufgrund wachsender grenzüberschreitender Verflechtungen vor allem subnationaler und privater Akteure untersucht wird. Damit wird dem empirisch feststell­baren Phänomen eines pluralen und mehrdimensionalen Akteursgeflechtes in Regionalismusprojekten Rechnung getragen. Andererseits wird diese Betrachtungsweise konsequent jedoch nur in der Analyse von Mikroregionen eingenommen. Hier liegen theoretisch durchaus ambitionierte Arbeiten etwa zum Themenfeld Mikro-Regionalismen vor;25 auch der Konstruktionscharakter von Regionen wird kritisch reflektiert, etwa wenn Hurrell26 argumentiert, dass Regionen nie von vornherein festgelegt sind, sondern sich je nach Blickwinkel und Zielsetzung verändern. Die analytische Kategorie Region wird aus ihren ›natürlichen‹, geografischen und politischen Grundfesten gerissen und durch die Auflösung des methodologischen Nationalismus in einem anderen Kontext aufgewertet. Insbesondere im Bereich der Makro-Regionalismen hinkt diese Entwicklung jedoch noch hinterher. Hier wird weiterhin der Begriff ›regionale Integration‹ genutzt, der mit einer zunehmenden Kooperation von Regierungen und Staatsoberhäuptern gleichgesetzt wird. In empirischer Hinsicht ist die Forschung zu den Neuen Regionalismen bislang weiterhin durch Ansätze dominiert, in denen Regionen mit Staaten und deren Territorien zu großen Teilen gleich­gesetzt werden. Andere Akteurskonstellationen sind allenfalls am Rande Teil der Analyse. Diese Arbeiten sehen sich der aus den Reihen der Kritischen Geografie bzw. Neuen Politischen Geografie geäußerten Kritik am methodologischen Nationalismus ausgesetzt: Gefangen in einer territorial trap,27 geraten wichtige andere, konkurrierende und für das Alltagserleben vieler Akteure relevantere Raumbezüge, Territorialisierungsregime und Verräumlichungspraktiken aus dem Blick.28 Der vorherrschende Bezug auf den Staat als allein relevantes Ordnungsprinzip transnationaler Verflechtungen29 engt die Diskussion über den Zusammenhang von Neuen Regionalismen und aktuellen Globalisierungsprozessen also unnötig ein. Die Relevanz des Staates bei der Ausrichtung und Etab­lierung regionaler Ordnungen wird zwar an dieser Stelle nicht grundsätzlich infrage gestellt, aber im Spannungsfeld transnationaler Verflechtungen jenseits des Staates verortet. Obgleich sich Regionalismen oftmals als staatsgesteuert präsentieren, sind sie auch Ausdruck konkreter Aushandlungsprozesse zwischen Akteuren unterschiedlicher Prägung, die um konkrete Verräum­lichungen immer auch ringen.


In der Untersuchung von makroregionalen Kooperationen und Bündnissen, die einem umfassenden und institutionalisierten Elitenprojekt entstammen, konnte im NRA der methodologische Nationalismus wenn überhaupt somit nur zum Teil aufgebrochen werden. Oftmals fokussieren auch NRA-Untersuchungen auf ein durch Staaten geprägtes Akteursgeflecht. Nichtregierungsorganisationen (NRO), internationale Organisationen (IO), lokale Eliten oder andere Regionalismusprojekte werden als Einflussfaktoren und eigenständige Akteure in den Integrationsprojekten nur am Rande registriert. Zwar wird im NRA im Sinne der Kulturwissenschaftlichen Wende (cultural turn) durchaus der konstruierte Charakter von Regionen betont, allerdings wird in den Analysen regionaler Projekte die Region selbst in ihrem Raumcharakter lediglich mit den beteiligten Staaten und deren Territorien gleichgesetzt. Genau diese doppelte Bindung von Region an staatliche Akteure und nationalstaat­liches Territorium gilt es zu hinterfragen, da ein regionales Bündnis als Ganzes die unterschiedlichen Ausprägungen regionaler Verflechtungen überdeckt und deren einzelne Schichten nicht mit den nationalen Territorien gleichgesetzt werden können. Die Raumbezüge internationaler Politik haben sich aus vielfacher Sicht massiv zu verändern begonnen. Dies scheint zunächst tatsächlich einer veränderten Empirie geschuldet zu sein und zudem, so steht zu vermuten, einer sich wandelnden Wahrnehmung bereits früher eingesetzter transnationaler Verräumlichungspraktiken.


Die Dynamik der regionalen Reterritorialisierung geht über eine normative Projektion europäischer Politikprozesse hinaus;30 sie verweist jenseits der zunehmenden Proliferation von unterschiedlichen Akteurstypen nicht nur auf eine Mehrebenenverschränkung der Beziehungen dieser Akteure untereinander, sondern auch auf komplexe Aushandlungsprozesse, hinter denen sich auch eine Neuausrichtung des klassischen Machtbegriffs abzeichnet.31 Regionalismen stellen mithin permanente Aushandlungsprozesse über Grenzen, Macht, Identitäten und Außenwirkung dar. 


In diesem Kontext muss auch die Historizität der Regionalismen hinterfragt werden, um im Sinne eines kritischen Umgangs mit dem Diskursattribut des Neuen zu klären, welche Verflechtungszusammenhänge durch das vorherrschende Reden über den Nationalstaat als zentrale Verräumlichungsebene oder als dominantes Territorialisierungsregime in der bisherigen Forschung ausgeblendet worden sind, gleichwohl für bestimmte Akteure aber bereits vor dem Ende des Kalten Krieges einen relevanten Bezugsrahmen dargestellt haben. In beiden Regionen gab es in der postkolonialen Geschichte eine Reihe an Integrationsprojekten unterschiedlicher Prägung. Diese durchliefen in Abhängigkeit des dominanten Hegemons, ökonomischer Paradigmen und lokalen Eliten unterschiedliche Zyklen, deren Erfahrungen bis heute einen zentralen Orientierungspunkt liefern. Unterschiede in Rhetorik und Ausgestaltung der aktuellen Projekte in beiden Regionen hängen somit mit dieser Historizität zusammen. Diese Aspekte werden bei der Betrachtung Neuer Regionalismen oft vernachlässigt, steht hier doch die Abgrenzung zu den vorgehenden Inte­grationsprojekten im Vordergrund. Daher werden jenseits der Brüche die Kontinuitäten der Regionalismusgeschichte in den beiden untersuchten Regionen heraus­gearbeitet.


In der ersten Phase des Projektes stehen jenseits der von Regierungen geprägten Regionalismen insbesondere zwei Akteursentwicklungen im Vordergrund: Transnationale Kriminalität und Zivilgesellschaft. Die empirischen Studien hierzu bereiten den Weg für eine Umsetzung der konzeptionellen Öffnung des Regionenverständnisses. Der Bedeutungszuwachs transnationaler Verflechtungen und die Entstehung entsprechender Handlungsarenen werden in das zentrale Blickfeld der Regionalismusforschung gerückt. Hierbei treten neben Staaten und ihren regionalen und interregionalen Bündnissen (bspw. North American Free Trade Area, SICA, Mercosur, Southern African Development Community sowie ferner z. B. das trilaterale Dialogforum Indien-Brasilien-Südafrika) zunehmend auch andere Akteure in den Vordergrund: internationale Nichtregierungsorganisationen wie International Alert oder Greenpeace, advocacynetworks wie Human Rights Watch oder Global Witness, die Beteiligten des Kimberley-Prozesses zum Bann von Blutdiamanten32 oder den um das International Panel on Climate Change organisierten Aushandlungsprozess zum Klimawandel, ferner in den 1970er Jahren unter dem Stichwort Multinationale Konzerne diskutierte, international tätige privatwirtschaftliche Akteure ebenso wie das Management grenzüberschreitender Naturparks oder Investitionskorridore, aber auch das Wirken illegaler krimineller Netzwerke, die den Handel mit Menschen, Waffen oder Drogen betreiben.


Je mehr sich die überlappenden, aber selten deckungsgleichen Regionalismusebenen verdichten und je mehr Akteure den regionalen Raum als Projektionsfläche für Aushandlungsprozesse verstehen und nutzen, desto deutlicher wird die Notwendigkeit einer differenzierten und aufgefächerten Analyse von einzelnen Regionen und Regionalismusprojekten. Als eigenständige, aber verknüpfte Verhandlungsebenen globaler Ordnung stellen Regionalismusprojekte ein wichtiges Forschungsfeld der gegenwärtigen Globalisierung dar.


Im Falle Zentralafrikas trifft das Projekt auf eine Region, deren Existenz sowohl in der Fachliteratur als auch in der Wahrnehmung externer Akteure vielfach infrage gestellt wird. Freilich ist seit der Kolonialzeit eine Kontinuität an Regionalismusprojekten festzustellen, welche insbesondere im ökonomischen Bereich institutionalisiert worden sind. Hierbei spielt Frankreich als Hüterin der Gemeinschaftswährung und mittels militärischer Präsenz weiterhin eine zentrale Rolle für den Zusammenhalt. Gleichwohl führt die Abwesenheit von Regionalisierung in den Bereichen Infrastruktur, Migration und Handel sowie die Beständigkeit latenter und gewaltsamer Konflikte zu einer Wahrnehmung Zentralafrikas als ungeordnetes, herrenloses Gebiet, welches die als existent wahrgenommenen Regionen des südlichen, westlichen und östlichen Afrikas voneinander isoliert.33 Das Spannungsfeld zwischen einer Margina­lisierung Zentralafrikas als Region einerseits und den etablierten Regionalismen jenseits dieses Raumes andererseits bietet die Möglichkeit, den Blick auf eine konzeptionelle Weiterentwicklung zu schärfen. Wie wird der dominante institutionalisierte Regionalismus von Akteuren wahrgenommen, die nicht zur herrschenden Elite gehören? Wie werden regionale Aushandlungsprozesse gestaltet? Welche Vorstellungen Zentralafrikas treffen hierbei aufeinander? Und schließlich, wie interagieren die an den Regionalismusprojekten Zentralafrikas beteiligten Akteure mit jenen benachbarter Regionalismusprojekte?


In der empirischen Untersuchung Zentralafrikas im Rahmen des Projektes wird deutlich, wie das Potential einer regionalen Zivilgesellschaft durch die etablierte Struktur des Regionalismus behindert wird. Die institutionalisierte Wirtschaftsgemeinschaft der zentralafrikanischen Staaten (CEEAC im französischem Akronym) bietet den Regierungen der Mitgliedsstaaten einen Raum, um Konflikte zu lösen, um nationalstaatliche Strukturen zu festigen und um den von internationalen Akteuren wie der EU und der Afrikanischen Union erhobenen Erwartungen zu entsprechen. Hierbei bleibt der Regionalismus ein Projekt einzelner politischer Eliten im Präsidentenpalast und in ausgewählten Ministerien, welches in Isolation der anderen gesellschaftliche Akteure entworfen und betrieben wird. In den meisten Ländern der Region werden Gewerkschaften und NRO von den herrschenden Regierungen grundsätzlich als Gefahr für Regimestabilität angesehen. Die Marginalisierung, Korrumpierung und Kooptation zivilgesellschaftlicher Organisationen auf nationaler Ebene fördert die Entregionalisierung gleich zweifach: In den Nachbarstaaten herrschen meist ähnlich autoritäre Machtverhältnisse. So sorgt die Kooperation zwischen politischen Eliten, die mitunter mit der Deportation von Oppositionellen einhergeht, für eine Extrapolation des Misstrauens gegenüber der eigenen Regierung auf die Staaten der Region. Die Überlebensstrategie von NRO ist derweil auf die Kooperation mit externen, meist westlichen, Partnerorganisationen sowie Regierungen ausgerichtet. Eine regionale Vernetzung findet folglich bestenfalls durch eine gemeinsame Koordination externer diplomatischer und finanzieller Unterstützer statt, aber sie entsteht nicht aus einer eigenständigen Dynamik heraus.34

Im Unterschied zum zentralafrikanischen Fall wird Zentralamerika in keiner Weise als Region infrage gestellt. Es ist gewissermaßen die kohärenteste Region Lateinamerikas. Historische Erfahrungen mit Regionalismen reichen bis in die spanische Kolonialzeit zurück (Generalkapitanat Guatemala) und begründeten die ›Kernregion‹ Zentralamerikas mit den damaligen Provinzen (und heutigen Ländern) Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua und Costa Rica. Auch nach der Unabhängigkeit ist für Zentralamerika eine Kontinuität an Regionalismusprojekten festzustellen, die besonders im politischen35 und im ökonomischen36 und zum Teil auch im Sicherheitsbereich37 institu­tionalisiert wurden. Gleichzeitig zeichnet sich Zentralamerika im Sicherheitsbereich durch eine neue Dynamik seit der Beendigung der bewaffneten Konflikte und Bürgerkriege aus: In den letzten zwanzig Jahren wurden eine Reihe von regionalen Sicherheitskooperationen38 etabliert, die sich in ihrem Sicherheitsfokus zunehmend auf ein Phänomen – transnational organisierte Kriminalität (TOK) – konzentrieren bzw. eben nur zu dessen Bekämpfung initiiert 
wurden. 


Dies korrespondiert mit einer intensiven Diskussion über TOK in Zen­tralamerika, in der TOK als die größte Gefahr für die Sicherheit der gesamten zentralamerikanischen Region angesehen wird.39 Gleichzeitig ist diese Debatte eingebettet in einen globalen Diskurs, der TOK (hier besonders Waffen-, Drogen- und Menschenhandel) neben den Phänomenen des ›Terrorismus‹ und ›terroristische Staaten‹ als eine der zentralen Bedrohungen für die internationale Sicherheit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt. Die Bedrohung, die der TOK zugeschrieben wird, materialisiert sich vor allem in geografischen hotspots des globalen Südens. Einer dieser hotspots, in dem das Problem der TOK besonders virulent sei, ist Zentralamerika.40 Darin erfährt Zentralamerika aber nicht nur die Charakterisierung eines Bedrohungsraumes für regionale und internationale Sicherheit, sondern auch den Zuspruch und die Notwendigkeit einer Intervention zur Eindämmung von TOK. (Sicherheits-)Regionalismen als adäquate Interventionsmodi gewinnen hierbei spürbar an Popularität, sodass die zentralamerikanische Region als Interaktionsarena (im Sicherheitsbereich) an Relevanz gewonnen hat (bzw. gewinnt). Zugleich werden in der Diskussion um TOK neue Ideen und Perspektiven über die zentralamerikanische Region transportiert und verhandelt. 


Das deutlich sichtbare diskursive Zusammenspiel von Sicherheit und ­Region in Zentralamerika soll in diesem Forschungsprojekt im Fokus der Betrachtung stehen und folgenden übergeordneten Fragen nachgehen: Wie entstehen und verändern sich regionale Verräumlichungen durch die diskursive Problematisierung von TOK als zentrale Sicherheitsbedrohung? Welche unterschiedlichen Perspektiven von der zentralamerikanischen Region treffen auf­einander? Wie tragen diese ›Sicherheitspraxen‹ zur Konstruktion und Veränderung der zentralamerikanischen Region bei? 


Theoretisch betritt das Projekt mit der Verbindung von Versicherheit­lichung und Regionalismus in einem ›nicht-westlichen‹ Kontext ein bisher kaum untersuchtes Feld. Mit der Integration des Ansatzes der Versicherheit­lichung (securitisation) in den NRA werden zwei Ziele verfolgt. Erstens soll 
die bestehende Lücke bei der empirischen Untersuchung diskursiver Aushandlungsprozesse von Regionen geschlossen werden. Auch der Ansatz der securitisation geht von einem diskursiven Aushandlungsprozess seiner analytischen Kategorie (hier Sicherheit) aus. Die internationale Diskussion über die diskursive Aushandlung von Sicherheit ist besonders weit fortgeschritten41 und kann somit für den NRA nutzbar gemacht werden. Zweitens leistet die Untersuchung einen Beitrag im Hinblick auf das Zusammenspiel von Region und Sicherheit. In theoretischer Hinsicht werden beide Kategorien als Effekte diskursiver Aushandlung angesehen und es wird angenommen, dass das Zusammenwirken beider die Konstituierung eines (regionalen) Raumes wesentlich beeinflusst. In empirischer Hinsicht eröffnet sich durch die Betrachtung mehrerer 
(Sicherheits)Regionalismen die Möglichkeit, die jeweiligen Ideen, Konzepte und Perspektiven von einer Region gegenüberzustellen und gegebenenfalls zu kon­trastieren. 


Die beiden empirischen Fälle bieten einen Einblick in die Vielfalt der Logik von Regionalismusprojekten. In beiden Fällen besteht ein starker Außen­bezug auf global geführte Diskurse sowie eine Appropriation der institutionellen Verwirklichung des Regionalismus von herrschenden Eliten. Gleichzeitig sind deutliche Unterschiede festzustellen, insbesondere bezüglich der Akteurs­dynamik und Konstellation. In Zentralamerika fügt sich der Regionalismus in ein existierendes Geflecht privater und staatlicher Akteure ein, während der interne Antrieb einer Regionenbildung in Zentralafrika nur punktuell wahrnehmbar ist.


Über den bisherigen Forschungsstand zu den Neuen Regionalismen hinausgehend werden mittels der Kombination der beiden Fälle zwei innovative Perspektiven eingeführt: Erstens wird aus einer Akteursperspektive der Staatszentrismus des politikwissenschaftlichen mainstreams hinterfragt. Zweitens wird die Engführung des vorherrschenden Regionalismusbegriffs, der sich häufig auf die Gestaltung einzelner Politikfelder konzentriert, zugunsten eines Verständnis als Diskurs- und Aushandlungsraum erweitert. Empirisch gilt es, zwei Weltregionen in den Blick zu nehmen, die in der bisherigen Forschung zu den Neuen Regionalismen eher im Abseits standen: Zentralafrika und Zentralamerika. Der Weltregionen überspannende Vergleich unterschiedlicher Akteurskonstellationen und ineinander greifender Verräumlichungsebenen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Handelns soll im Sinne eines Kartografierens die Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit Neuer Regionalismen in den beiden Weltregionen dokumentieren. Diese Kartografie findet zunächst sinnbildlich statt, indem die Abbildung einer Region durch einen Regionalismus hinterfragt und dekonstruiert wird. So lassen sich zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Themengebieten teils kongruente, teils entrückte Verräumlichungen differenzieren. Die Selbstprojektion des Regionalismus wird entlang seiner Verflechtungen seziert, um aus einer an den Akteuren interessierten Perspektive seine Grenzen und Kernstücke zu bestimmen.


Aus globaler Perspektive bietet die flächendeckende Ausbreitung von Regionalismen eine Ordnungsfunktion, in der Sicherheit, Wirtschaft, Migration und sektorale Kooperation vertikal und horizontal monopolisiert wird. Kontinentalorganisationen wie die Afrikanische Union oder die Organisation Amerikanischer Staaten stützen ihre Integrationsprozesse auf regionale ›Bausteine‹, gleichzeitig werfen überlappende Mitgliedschaften, wie sie in Zentralafrika und Zentralamerika entstanden sind, in Regionalismusprojekten Identitätsfragen auf und führen zu Abgrenzungsprozessen oder einer Vielschichtigkeit an konkurrierenden Projekten. Ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung von Regio­nalismen für globale Ordnungsprozesse findet sich in beiden Regionen in der Hierarchisierungsdynamik, die zwischen Selbstbild und Fremdprojektion der Institutionen entsteht. In Zentralafrika werden benachbarte, Regionalismen nicht nur als Partner oder Konkurrent wahrgenommen, sondern auch hinsichtlich ihres perzipierten Erfolges beurteilt. Es entsteht eine Wahrnehmung von guten und schlechten Vorbildern, die zu einer globalen Normative des Regionalen beiträgt. Wenn die zentralafrikanischen Regionalismusakteure Westafrika mit Verweis auf praktizierte Freizügigkeit zum Muster gelungener Regionalisierung erheben und es als Referenzpunkt für die Verhandlungen über das Migrationsregime fungiert, dann festigt sich ein homogenisierend wirkendes globales Ideal des Regionalismus. In Zentralamerika gewinnt die regionale Ebene als Aushandlungs- und Interaktionsraum durch zentralamerikainterne und externe Zuschreibung an Bedeutung. Regionalismen werden hierin als ­alternative Möglichkeit zur Bereitstellung von Sicherheit in ihrer Relevanz aufgewertet und verstärkt institutionalisiert. Gleichzeitig trägt dies auch zu einer Festigung von Regionalismen als (alternatives) globales Ordnungsmuster bei. 


In der zweiten Phase des Projekts werden die beiden hier vorgestellten empirischen Fälle vertieft bzw. in ihrem Blickwinkel erweitert. Der zentralamerikanische Fall wird sich auf das diskursive Zusammenspiel zwischen Sicherheit und Region konzentrieren. Nach einer Rekonstruktion der Diskussion um TOK und dessen Verortung in Zentralamerika werden die regionalen Effekte dieses Diskurses näher untersucht. Konkret werden die regionalen Auswirkungen anhand von drei unterschiedlichen Sicherheitsregionalismen in Zentralamerika analysiert. Im Falle Zentralafrikas wird ein komparativer Ansatz entwickelt, in dem der südamerikanische Regionalismus einbezogen wird. Letzterer ähnelt dem zentralafrikanischen Fall hinsichtlich der institutionellen Überlappungen, aber er unterscheidet sich durch das Vorhandensein einer Regionalmacht. So soll die unterschiedliche Rolle von Regionalismen bei der gegenwärtigen Aushandlung einer neuen Weltordnung sowie der Neukonfiguration von Machtverhältnissen seit dem Kalten Krieg berücksichtigt werden. Regionale Projekte entstehen um aufstrebende Mächte wie Brasilien und Südafrika oder um das Fehlen ebensolcher zu füllen. Regionalmächte wie auch marginalisierte Staaten beziehen gleichermaßen Legitimität und regionale Kontrolle aus ihren Regio­nalismen und betten diese gezielt in ihre Außenpolitik ein. Diese Aushandlungen und Instrumentalisierungen gilt es somit durch einen vergleichenden Ansatz näher zu beleuchten.


Die Verlagerung zentraler Politikfelder wie Handels- oder Sicherheitspolitik auf die regionale Ebene erfordert eine Vielzahl an Kompromissen zwischen den teilnehmenden Akteuren. In diesem Zuge werden regionale Konflikte und Herausforderungen dem direkten Zugriff internationaler Organisationen entzogen, während gleichzeitig der indirekte Einfluss über den Transfer bestimmter Regionalismusnormen steigt. Der Aufbau von regionalen Institutionen bietet zahlreichen lokalen und internationalen Akteuren die Möglichkeit, auf deren Ausgestaltung einzuwirken. Regionalismen sind somit in der Lage, die im Zuge aktueller Globalisierungsprozesse zunächst bedrohte Souveränität einzelner Akteure zu bewahren oder gar zu erweitern.42 Für das Gesamtprojekt gilt es hierbei, die Debatte über Neue Regionalismen als eine diskursive Arena der Aushandlung von unterschiedlich begründeten Souveränitätsansprüchen und empirische Formen des Regionalismus als ein spezifisches Territorialisierungsregime im Zuge der Neuaushandlung der Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges zu verstehen. Die ersten empirischen Erkenntnisse weisen auf eine dynamische Wechselbeziehung zwischen den unterschiedlichen Ordnungsebenen hin. In den beiden untersuchten Fällen ist ein regelrechtes Dogma des Regionalismus zu erkennen, obgleich zahlreiche in der Literatur vorgegebene Kriterien zur Regionenbildung fehlen und die Institutionen nur schwach ausgeprägt sind. Die Schaffung regionaler Mechanismen wird ungefragt als Notwendigkeit angenommen, um den Anforderungen globaler und externer Akteure zu entsprechen. Hierbei findet die institutionelle Etablierung einer konformen Region allerdings oftmals nur auf der Oberfläche statt. Hinter der Fassade von Regionalorganisationen und ihren scheinbar universellen Komponenten findet eine zentralisierte Entscheidungsfindung statt, welche sich in die Logik der jeweiligen politischen Systeme einbettet. So ist ein Regio­nalparlament keineswegs als Zeichen eines universalistischen Regionalismus demokratischer Prägung zu werten. Eine solche Einrichtung bedient zwar die Erwartungshaltung eines globalen Diskurses, gleichzeitig aber ist deren konkrete Ausgestaltung auch Ausdruck der Machterhaltungsstrategien autoritärer und kleptokratischer Regime.


  1. 1Beteiligt sind Ulf Engel und Heidrun Zinecker (Projektleitung), Frank Mattheis und Thomas Plötze (wissenschaftliche Mitarbeiter) sowie Constanze Blum und Simon von Krosigk (studentische Hilfskräfte).

  2. 2Regionalismus wird im weitesten Sinne als ein Projekt zur Bildung einer Region verstanden. Die Umsetzung der Idee einer Region drückt sich meist mittels einer Institu­tionalisierung in Form einer Regionalorganisation aus.

  3. 3Zum dominanten Bild der Globalisierung vgl. Manfred Steger, The Rise of the Global Imaginary, New York 2008.

  4. 4Vgl. George Modelski, Principles of world politics, New York 1972.

  5. 5Vgl. Kenichi Ohmae, The End of the Nation State: The Rise of Regional Economies, New York 1995.

  6. 6Vgl. Matthias Middell und Katja Naumann, »Global history and the spatial turn: from the impact of area studies to the study of critical junctures of globalization«, inJournal of Global History 5 (2010) S. 149–170.

  7. 7Vgl. Helmut Berking, »Globalisierung«, in Nina Baur u. a. (Hg.), Handbuch Soziologie. Wiesbaden 2008, S. 117–137. Siehe auch Neil Brenner, »Beyond state-centrism? Space, territoriality, and geographical scale in globalization studies«, in Theory and Society 28 (1999), S. 39–78 und Matthias Middell und Ulf Engel, »Bruchzonen der Globalisierung, globale Krisen und Territorialitätsregimes – Kategorien einer Globalgeschichtsschreibung«, in Comparativ 2 (2005), S. 5–38.

  8. 8Vgl. David Harvey, The condition of postmodernity. An enquiry into the origins of cultural change, Cambridge 1992.

  9. 9Vgl. Middell und Engel, Bruchzonen der Globalisierung (Fn. 7).

  10. 10In Abgrenzung zu subnationalen Räumen, die vielfach auch als ›regional‹ bezeichnet werden, wird ›regional‹ in diesem Beitrag mit ›makroregional‹ im Sinne eines Raumes zwischen der staatlichen und der globalen Ebene gleichgesetzt.

  11. 11Vgl. Björn Hettne, »Globalization and the New Regionalism: The Second Great Transformation«, in Björn Hettne, András Inotai und Osvaldo Sunkel (Hg.), Globalism and the new regionalism, London 1999, S. 1–24.

  12. 12Vgl. Kenneth Waltz, Theory of International Politics, New York 1979.

  13. 13U. a. David Mitrany, »The Functional Approach to World Organization«, inInternational Affairs 24 (1948), S. 350–363.

  14. 14Vgl. Ernst B. Haas, »The Challenge of Regionalism«, inInternational Organization 12 (1958), S. 440–458.

  15. 15Andrew Moravcsik, »Negotiating the Single European Act: National Interests 
and Conventional Statecraft in the European Community«, inInternational Organization 45 (1991), S. 19–56.

  16. 16Edward D. Mansfield und Helen V. Milner, »The New Wave of Regionalism«, inInternational Organization 3 (1999), S. 589–627.

  17. 17Jagdish Bhagwati, »Regionalism versus Multilateralism«, inWorld Economy 
15 (1992), S. 535–556.

  18. 18Brenner, Beyond state-centrism? (Fn. 7).

  19. 19Alberta Sbragia und Fredrik Söderbaum, »EU-Studies and the ›New Regionalism‹: What can be Gained from Dialogue?«, inJournal of European Integration 32 (2010), 
S. 563–582; Alex Warleigh-Lack und Ben Rosamond, »Across the EU Studies-New Regionalism Frontier: Invitation to a Dialogue«, in Journal of Common Market Studies 4 (2010), S. 993–1013.

  20. 20Vgl. Ben Rosamond, »Globalization, the ambivalence of European integration and the possibilities for a post-disciplinary EU Studies«, inInnovation: The European Journal of Social Science Research 1 (2005), S. 23–43.

  21. 21Der supranationale Ansatz versucht, den Staatszentrismus aufzubrechen, indem der Regionalismus als eigenständiger Akteur jenseits des Staates wahrgenommen wird. Hier bietet sich die Chance, die EU nicht nur als formalisierte intergouvernementale Struktur zu verstehen. Die Selbstdeutung des Supranationalismus als EU-Spezifikum führt indes zu einer theoriehemmendensui generis Kategorisierung.

  22. 22Zuerst Hettne, Globalization and the New Regionalism (Fn. 11), weiterhin Shaun Breslin, Richard Higgott und Ben Rosamond, »Regions in comparative perspective«, in Shaun Breslin u. a. (Hg.), New Regionalism in the Global Political Economy. Theories and Cases, London 2002, S. 1–19; Fredrik Söderbaum und Timothy M. Shaw (Hg.), Theories of New Regionalism. A Palgrave Reader, London 2003; Morten Boas, Marianne Marchand and Timothy Shaw (Hg.), The Political Economy of Regions and Regionalisms, Basingstoke 
2005.

  23. 23Der ›new regionalism‹ wird dabei von Hettne definiert als »[…] a multidimensional process of regional integration which includes economic, political, social and, cultural aspects«, Hettne, Globalization and the New Regionalism (Fn. 11), S. 17.

  24. 24Söderbaum und Shaw, Theories of New Regionalism (Fn. 22).

  25. 25Z. B. Fredrik Söderbaum und Ian Taylor (Hg.), Afro-Regions: The Dynamics of Cross-Border Micro-Regionalism in Africa, Uppsala 2008.

  26. 26Andrew Hurrell, »Regionalism in Theoretical Perspective«, in Andrew Hurrell und Louise Fawcett (Hg.), Regionalism in world politics: Regional organization and international order, New York 1995, S. 37–73, hier S. 38.

  27. 27John Agnew, »The territorial trap: the geographical assumptions of international relations theory«, inReview of International Political Economy 1 (1994), S. 53–80.

  28. 28Grundlegend hierzu siehe John Agnew, »Sovereignty Regimes: Territoriality and State Authority in Contemporary World Politics«, inAnnals of the Association of American Geographers 2 (2005), S. 437–461; Andreas Osiander, »Sovereignty, International Relations and the Westphalian Myth«, in International Organization 2 (2001), S. 251–287; Peter J. Taylor, »Embedded statism and the social sciences: geographies (and meta-geographies) in ­globalization«, in Environment and Planning A 32/6 (2000), 
S. 1105–1114.

  29. 29Paradigmatisch etwa bei Shaun Breslin und Glenn D. Hook, »Microregionalism and World Order: Concepts, Approaches and Implications«, in dies., Microregio­nalism and World Order, New York 2002. S. 3–39.

  30. 30Vgl. Ulf Engel und Gorm Rye Olsen, »Introduction. The African Exception. Conceptual Notes on Governance in Africa in the New Millennium«, in dies., The African Exception, Aldershot 2005, S. 1–13, hier S. 7 f.

  31. 31Auch hier hat die Neue Politische Geografie wichtige Impulse gegeben, bspw. John Allen, »Power«, in John Agnew u. a. (Hg.), A Companion to Political Geography, Malden 2003, S. 95–108.

  32. 32Andrew Grant, »The Kimberley Process at Ten: Reflections on a Decade of Efforts to End the Trade in Conflict Diamonds«, in Lujala Päivi and Siri Aas Rustad (Hg.), High-Value Natural Resources and Post-Conflict Peacebuilding, London 2012, S. 159–179.

  33. 33Vgl. die Anwendung der Theorie desregional security complex in Barry Buzan und Ole Wæver, Regions and Powers. The Structure of International Security, Cambridge 2003.

  34. 34Eine Ausnahme stellt der Sicherheitsbereich dar. Hier wird innerhalb zwischenstaatlicher regionaler Befriedungsinitiativen eine Kooperation und Unterstützung zivil­gesellschaftlicher Akteure verfolgt, obgleich hier westliche Partner ebenfalls eine Schlüsselrolle spielen.

  35. 35Zentralamerikanische Konföderation 1821–1838; Organisation zentralamerikanischer Staaten (ODECA) 1951–1991; Zentralamerikanisches Integrationssystem (SICA) ab 1991.

  36. 36Gemeinsamer zentralamerikanischer Markt (MCCA) 1960–1991; USA: Zentralamerikanisches Freihandelsabkommen (DR-CAFTA) ab 2006. 

  37. 37Zentralamerikanischer Verteidigungsrat (CONDECA) 1964–1991; Caribbean ­Basin Initiative (CBI) 1983–2006. 

  38. 38Das Forschungsprojekt widmet sich konkret drei regionalen Sicherheitsinitiativen: dem im Rahmen von SICA etablierten ›Tratado Marco de Seguridad Democrática en Centroamérica‹ (1995); der Regional Conference on Migration (1996) und der Central American Regional Security Initiative (2010).

  39. 39U. a. Mantilla Valbuen und Silvia Cristina, »Seguridad y narcotráfico en el Gran Caribe: geopolítica, integración regional y otros dilemas asociados«, inPapel Politico 16/1 (2011), S. 269–297; Iduvina Hernández, »Centroamérica. Los Desafíos Actuales del Tratado Marco de Seguridad Democrática«, in Hans Mathieu und Catlina Niño Guarnizo (Hg.), Anuario 2011 de la Seguridad Regional en América Latina y el Caribe, S. 68–75.

  40. 40U. a. United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC), The globalization of crime, A transnational organized crime threat assessment, Wien 2010 sowie Cynthia J. Arnson und Eric L. Olson (Hg.), Organized Crime in Central America, The Northern Triangle, Washington, D. C. 2011 (Woodrow Wilson Center Reports on the Americas, Bd. 29).

  41. 41Vgl. Thierry Balzacq (Hg.), Securitization Theory: How security problems emerge and dissolve, London 2010.

  42. 42Dieser Souveränitätsbegriff lehnt sich an John Agnew (Globalization and Sover­eignty, Lanham 2009) an und ist dezidiert anders begründet als der klassische, politikwissenschaftliche Souveränitätsbegriff, der allein vom Staat her gedacht werden kann.
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Heft 12 (2014)
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