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Kursächsische Kirchenpolitik unter Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen (1513–1532)


Über ein neues Akademieprojekt 


Staat und Kirche erscheinen heute als zwei nahezu getrennte Bereiche, obwohl sie historisch gewachsene Berührungspunkte aufweisen. Im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit hatten Staat und Kirche weit mehr Schnittstellen. Aufgrund des komplizierten Geflechts an Verträgen über Schutzvogtein, Rechten über die Vergabe von Pfründen, Ansprüchen auf Lehen oder territorialen Verschränkungen gab es keine klare Trennung zwischen Weltlichem und Geistlichem. Geistliche konnten ebenso Landesherren sein, wie Weltliche nach geistlichen Ämtern strebten. Im Verlauf der Reformation kam es sogar dazu, dass die evange­lischen Landesherren im Rahmen des sogenannten landesherrlichen Kirchenregiments an die Stelle der Bischöfe traten und die Leitung der Kirche übernahmen, die sie später an eine Verwaltungsbehörde, das Konsistorium, delegierten.


Mit derartigen Problemzusammenhängen setzt sich das neue Projekt an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften unter dem Titel Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532 – 
Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung auseinander. Offizieller Start des auf 15 Jahre angelegten Projekts war der 1. Januar 2014. Es wird von Armin Kohnle und Manfred Rudersdorf geleitet, Professoren der Universität Leipzig und Ordentliche Mitglieder der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Mitarbeiter des Projekts sind Stefan Michel (Arbeitsstellenleiter), Beate Kusche, Vasily Arslanov und Alexander Bartmuß. Ziel ist es, kirchenpolitische Quellen der beiden Ernestiner in einer mehrbändigen Edition, die auch im Internet zur Verfügung gestellt werden soll, zugänglich zu machen. Insgesamt kann das Projekt an die reiche Editionstradition der Sächsischen Akademie der Wissenschaften anknüpfen. So wurden hier bereits die kirchenpolitischen Quellen zu den albertinischen Herzögen Georg (1471–1539) und Moritz (1521–1553) herausgegeben.


Bei den beiden Protagonisten des Projekts, den Brüdern Friedrich (1463–1525) und Johann (1468–1532) von Sachsen, handelt es sich um zwei exponierte Fürsten des Reiches, die nacheinander das herausgehobene Amt eines Kurfürsten mit dem Rang eines Reichserzmarschalls begleiteten. Obwohl sie seit der Regierungsübernahme durch Friedrich im Jahr 1486 wichtige Entscheidungen durchaus gemeinschaftlich berieten, drang der ältere Bruder 1513 ­darauf, dass sich Johann stärker an der Regierung beteiligen sollte. Dies betraf vor allem Verwaltungsvorgänge. So kam es im Verlauf des Jahres 1513 zu einer Mutschierung, einer Teilung der Zuständigkeiten ohne Zerschlagung des Gesamtbesitzes. Friedrich wollte fortan den Kurkreis um Wittenberg und den Meißnischen Kreis verwalten, während Johann Thüringen und das Vogtland übernehmen sollte, um Regierungserfahrung sammeln zu können. Dies sollte sich auch als bitter nötig erweisen, musste doch Johann nach dem Tod seines Bruders mitten in der schwierigen Zeit des Bauernkriegs 1525 die Regierung Kursachsens übernehmen. Zwischen 1513 und 1525 tauschten sich die Brüder regelmäßig schriftlich, meist eigenhändig, über aktuelle Fragen aus. Auf diese in der Mutschierung verabredete Weise hielten sie sich kontinuierlich auf dem Laufenden und fällten so ihre Entscheidungen.


Für die Forschung bedeutet dies, dass eine Vielzahl kürzerer oder längerer Briefe noch zu entdecken ist. Schon jetzt kann man sich von dem brüderlichen Austausch ein Bild machen, da der Reformationshistoriker Carl Eduard Förstemann (1804–1847) 1842 einen Bruchteil dieses Briefwechsels, der in einer Akte des Ernestinischen Gesamtarchivs in Weimar kompakt überliefert ist, veröffentlichte.


Während bei Friedrich dem Weisen auf einige grundlegende Untersuchungen – wie Paul Kirns philosophische Habilitation Friedrich der Weise und die Kirche (Leipzig 1926), Bernd Stephans Leipziger kirchenhistorische Disser­tation Beiträge zu einer Biographie Kurfürst Friedrichs III. (1980) oder Ingetraud Ludolphys Biografie über Friedrich den Weisen (1984) – zurückgegriffen werden kann, ist der Forschungsstand zu Johann dem Beständigen als dürftig zu bezeichnen. Außerdem schwankt die Bewertung beider Reichsfürsten in den wenigen wissenschaftlichen Darstellungen erheblich. 


Mit Sicherheit waren sie für Themen des Christentums mehr als aufgeschlossen. Dies zeigen die Pilgerreise Friedrichs in das Heilige Land im Jahr 1493 und die von ihm in Wittenberg angelegte Reliquiensammlung, die durchaus beachtliche Ausmaße annahm. Für ihr Seelenheil und das ihrer Untertanen wollten die Brüder alles Erdenkliche tun. So errichteten beide vor der Reformation mehrere Messstiftungen und bedachten in ihren Testamenten mehrere Klöster mit reichen Spenden. Doch durch das Auftreten des Augustinermönchs Martin Luther änderte sich dieses Gefüge spätmittelalterlicher Frömmigkeit und wurde in eine reformatorische transformiert. Beide Landesherren hielten zu ihrem Untertan. Doch wie gestaltete sich dieses Verhältnis? War Friedrich wirklich der große »Förderer der Reformation«? Ist der Einfluss Luthers wirklich so hoch zu veranschlagen, wie dies die reformationsgeschichtliche Forschung glauben machen möchte? Friedrich war nicht nur ein frommer Landesherr, mit einem starken Interesse an theologischen Fragen, er wurde auch sehr stark vom Huma­nismus beeinflusst. Dies beförderte sein Interesse für die Anliegen Luthers. In ihren Entscheidungen nach 1517 ließen sich sowohl Friedrich als auch Johann nicht nur von Luther beraten, sondern hatten einen versierten Stab von Räten zur Seite, die beispielsweise über juristische, theologische oder finanzwirtschaft­liche Kompetenzen verfügten. Dazu zählten der Sekretär und Hofkaplan Georg Spalatin (1484–1545), der Rat und Kanzler Gregor Brück (1484–1557) oder der in Finanzfragen ausgewiesene Amtmann von Gotha, Burkhard Hund.


Zunächst gilt es, im Projekt der Sächsischen Akademie der Wissenschaften – 
über das beispielsweise durch die Briefwechsel Luthers oder Melanchthons bekannte Material hinaus – weitere Quellen zu erschließen. Diese liegen vor allem in den Staatsarchiven von Weimar und Dresden, aber auch in Bibliotheken wie der Forschungsbibliothek Gotha. Die europäischen Beziehungen der Kurfürsten dürften sich auch in archivalischen Überlieferungen in Wien oder Rom nachweisen lassen. Da bekannt ist, dass beide Wettiner bereits vor der Reformation entscheidend durch ihre Stiftungstätigkeit und die Regelung von Besitzverhältnissen bzw. Stellenbesetzungen die kirchlichen Belange in ihrem Territorium mitbestimmten, ist an dieser Stelle weiter zu forschen. Friedrich und Johann kamen z. B. Klosterkonventen – wie dem der Dominikanerinnen in Weida – zu Hilfe, die in wirtschaftliche Not geraten waren, und sorgten, wie bereits ihre Vorfahren, durch Eingriffe für notwendige Reformen. Nach 1517 gewährten sie Martin Luther Schutz. Ab 1527 schufen sie in den flächen­deckend durchgeführten Kirchenvisitationen eine einheitliche Kirchenstruktur, zogen den Besitz von Klöstern an sich oder schlichteten in Einzelfällen örtliche Streitigkeiten zwischen einer Gemeinde und ihrem Pfarrer. Einen Höhepunkt erreichte ihre Kirchenpolitik auf der Reichsebene mit der Protestation auf dem Reichstag zu Speyer 1529, in deren Nachgang auf dem Augsburger Reichstag 1530 Kaiser Karl V. die Confessio Augustana überreicht wurde. Dieses Bekenntnis sollte zum ›Bundesbekenntnis‹ des 1531 geschlossenen Schmalkaldischen Bundes angenommen werden. Insgesamt können über den zu untersuchenden Zeitraum von zwanzig Jahren inhaltlich sowohl markante Profilierungen als auch deutliche Wandlungen beobachtet werden.


Die zu erarbeitende Edition soll in gedruckter Form einer Buchreihe erscheinen. Für die technische Präsentation der Ergebnisse wird mit dem ›Trier Center for Digital Humanities. Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften‹ an der Universität Trier zusammengearbeitet. Verwendet werden soll das Datenbanksystem ›Forschungsnetzwerk und Datenbanksystem (FuD)‹, das sowohl als Grundlage für die Edition als auch für den Internetauftritt genutzt werden kann. Deshalb können sich Interessierte über erste Ergebnisse bereits ab Frühjahr 2015 über das Internet ­informieren.


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Heft 13 (2014)
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1867-7061

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