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Mit staunenswerter Produktivität: 
Siegfried Morenz (1914–1970) 


Foto: Ägyptologisches Institut / Ägyptisches ­Museum – Georg Steindorff – der Universität Leipzig, Archiv, Fotothek, Morenz.
 Foto: Ägyptologisches Institut / Ägyptisches ­Museum – Georg Steindorff – der Universität Leipzig, Archiv, Fotothek, Morenz.


Am 22. November 2014 erinnerte die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig anlässlich seines 100. Geburtstags an Siegfried Morenz, ihr Mitglied seit 1955, stellvertretender Sekretar der Philologisch-historischen Klasse von 1957 bis 1961 und Vizepräsident von 1966 bis 1969.


Nach dem Studium der evangelischen Theologie an seiner Heimatuniversität Leipzig von 1934 bis 1939 wandte sich Morenz nicht dem Pfarrerberuf zu, sondern strebte, angeregt von seinen Lehrern, dem Neutestamentler Johannes Leipoldt und dem Alttestamentler Albrecht Alt – beide Akademiemitglieder –, eine wissenschaftliche Laufbahn an. Seine Promotionsschrift von 1941 über die Geschichte von Joseph dem Zimmermann, dem Ziehvater Jesu, galt dem Koptischen, der Sprache des christlichen Ägypten, doch arbeitete er sich gleichzeitig in die Ägyptologie ein und wurde 1946 mit einer Arbeit aus dem Grenz­gebiet zur Theologie, Ägyptens Beitrag zur werdenden Kirche, habilitiert. Aus ­gesundheitlichen Gründen weitgehend vom Militärdienst befreit, fand er 1941 seine erste Anstellung als ›wissenschaftliche Hilfskraft auf Kriegsdauer‹ am Ägyptologischen Institut, dessen Direktor und Assistent zur Wehrmacht eingezogen waren, und sorgte, soweit möglich, für die Auslagerung und Sicherung der ägyptischen Universitätssammlung vor Kriegszerstörung. 1946 wurde Morenz zum Dozenten, 1952 zum Professor mit Lehrauftrag, 1954 zum Professor mit Lehrstuhl ernannt, zuvor schon zum Direktor des Ägyptologischen Instituts. Die personelle Notlage der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, dem eine Generation junger Männer zu großen Teilen zum Opfer gefallen war, führte dazu, dass Morenz zusätzlich von 1952 bis 1958 als Direktor der Ägyptischen Abteilung der Staatlichen Museen zu Berlin tätig war, wo er aus den Trümmern des Krieges die erste Dauerausstellung aufbaute.


All dies geschah unter denkbar schwierigen äußeren Bedingungen. Dazu kam der zunehmende Eingriff des Staates in die geistige Freiheit an den Universitäten zugunsten einer marxistischen Ideologisierung von Lehre und Forschung, die in mehreren Hochschulreformen institutionalisiert wurde und viele ›bürgerliche‹, d. h. nicht-marxistische Professoren zur Flucht in den Westen Deutschlands veranlasste, was damals über Berlin noch möglich war.


Morenz ist diesen Weg nicht gegangen. Ohne seine wissenschaftlichen Überzeugungen und seine christliche Gesinnung zu verleugnen, betrieb er seine Forschungen, die nun vorwiegend dem pharaonischen Ägypten galten, mit staunenswerter Produktivität. Innerhalb eines einzigen Jahrzehnts schrieb er viele Aufsätze und mehrere Monografien, darunter die Grundlagenwerke Ägyptische Religion (1960) und Gott und Mensch im Alten Ägypten (1964, 21984), und erschloss Neuland für die Ägyptologie: thematisch mit Die Begegnung Europas mit Ägypten,1 methodisch mit Prestige-Wirtschaft im Alten Ägypten (1969).


Auszeichnungen und ehrenvolle Mitgliedschaften und Berufungen in wissenschaftliche Gremien und Gesellschaften blieben nicht aus. In seinem Institut gewährleistete Morenz den Fortbestand von freier Lehre und Meinungsäußerung und zog eine große Zahl von Schülern, Hörern und Ratsuchenden auch aus anderen Fakultäten an. Kein Wunder, dass die Staatsmacht ihn beargwöhnte und ihm immer wieder Schwierigkeiten bereitete, doch seine Unerschrockenheit und sein internationales Ansehen schützten ihn.


In dieser Situation war Morenz’ Wahl in die Akademie weit mehr als nur ein Akt der Anerkennung, es war die Aufnahme in einen damals noch politisch intakten, ›bürgerlichen‹ Kreis von Gelehrten, der ihm wie vielen anderen zu ­einer geistigen Heimat wurde, wie sie die Universität nicht mehr bot. Hier konnte er interdisziplinären Austausch pflegen, eigene Arbeiten und die von Schülern publizieren, hier als stellvertretender Sekretar der Philologisch-historischen Klasse wissenschaftspolitische Verantwortung übernehmen. Der Ruf auf den ägyptologischen Lehrstuhl der Universität Basel verhinderte zunächst ein weiteres Engagement. Dass der DDR-Staat Morenz gestattete, ihn anzunehmen und das Ordinariat 1961 anzutreten, obwohl inzwischen die Berliner Mauer errichtet war, ist am ehesten damit zu erklären, dass man den Unbequemen los werden wollte. Dennoch gelang es ihm durchzusetzen, dass er sein Leipziger Institut im Nebenamt während der Schweizer Semesterferien weiterhin betreuen konnte. Umso unverständlicher war daher für viele sein Entschluss, nach fünf Jahren fruchtbaren, erfolgreichen Wirkens 1966 dauerhaft nach Leipzig zurückzukehren (freilich mit der Garantie unbeschränkter Reisefreiheit). Neben persön­lichen Motiven spielte dabei seine Wahl zum Vizepräsidenten der Akademie eine zentrale Rolle. Zusammen mit dem Präsidenten Kurt Schwabe, einem nüchtern-pragmatischen Natur- und Technikwissenschaftler mit einer tiefen Überzeugung von der Notwendigkeit geistiger und ethischer Forschung und Bildung für die Bewahrung des Menschlichen, hoffte Morenz, gegen die Bevormundung durch den sozialistischen Staat gestaltend in die Gesellschaft eingreifen zu können. Es wurden lebendige Wissenschaftskontakte mit anderen Akademien des Ostblocks geknüpft, der Nobelpreisträger Werner Heisenberg hielt als Gast der Sächsischen Akademie 1967 einen Vortrag über »Philosophische Probleme in der Theorie der Elementarteilchen«, der die Staatsgewalt wegen seines unmarxistischen Ansatzes und der lebhaften Resonanz in der Leipziger Öffentlichkeit äußerst verunsicherte, sodass sie die Drucklegung unterband. Solcher Art waren die Erfolge, und mit Schwierigkeiten hatte man gerechnet. Als jedoch am 30. Mai 1968 die im Krieg intakt gebliebene spätgotische Universitätskirche St. Pauli ungeachtet eines vernehmlichen Widerstands in der Bevölkerung, an dem sich auch Morenz und seine Mit­arbeiter und Studenten beteiligt hatten, aus rein politischen Gründen gesprengt wurde, sah er sich in seinen Idealen und Visionen bitter enttäuscht. End­gültig erreicht war seine Toleranzgrenze wenige Monate später, nachdem am 21. August die Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei einmarschiert waren und dem dort praktizierten Experiment eines ›Sozia­lismus mit menschlichem Antlitz‹ ein jähes Ende bereitet hatten. Auch der Westen schien keine Alternative zu bieten. Der zeitlich parallel verlaufenden 68er-Bewegung an den bundesdeutschen Hochschulen begegnete Morenz verständnislos und mit Abscheu.


Was nun folgte, erscheint im Rückblick wie ein Widerruf. Einerseits ­resignativer Rückzug aus Beziehungen und Verpflichtungen, andererseits Konfrontation statt der bisherigen Kompromissbereitschaft. Morenz’ Ansprache als Vizepräsident in der Öffentlichen Sitzung vom 12. April 1969 mit Angriffen auf die Wissenschaftspolitik in Ost und West wurde von den anwesenden Regierungsvertretern als Provokation verstanden. Sie setzten den Präsidenten unter Druck, der um die Erhaltung der Akademie bangte, und schließlich trat Morenz in aller Stille zum Jahresende 1969 von seinem Amt zurück. Gleichfalls in aller Stille waren indes längst Verabredungen über seine endgültige Rückkehr in die Schweiz getroffen worden, doch konnte er sie nicht mehr verwirklichen. Sein plötzlicher Tod am 14. Januar 1970 durchkreuzte alle weiteren 
Pläne.


Literatur


Elke Blumenthal, »Ägyptologie in der Akademie«, in Günter Haase und Ernst Eichler (Hg.), Wege und Fortschritte der Wissenschaft. Beiträge von Mitgliedern der Akademie zum 150. Jahrestag ihrer Gründung, Berlin 1996, S. 523–545.


Elke Blumenthal, Art. »Morenz, Siegfried«, in Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 100.


Heiner Kaden, Kurt Schwabe. Chemiker, Hochschullehrer, Rektor, Akademiepräsident, ­Unternehmer. Stuttgart/Leipzig 2011.


Elke Blumenthal, »Siegfried Morenz. Ägyptologe«, in Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 21 (2014), S. 290–292.


Elke Blumenthal, »Siegfried Morenz (1914–1970)«, in Gerald Wiemers (Hg.), Leipziger ­Lebensbilder (Sächsische Lebensbilder, Sonderbd.), Leipzig/Stuttgart 2015 [im Druck].


Rudolf Meyer, »Siegfried Morenz«, in Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Jahrbuch 1969–1970, Berlin 1972, S. 235–238 mit Bibliografie von Angela Heller
[-Onasch], S. 238–247.


Saskia Paul, »stark sein im Geiste, klar in der Welt, fest im Dienste an unserem Volk«. Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig von ihrer Reorganisation bis zur Akademiereform (1945–1974). Phil. Diss, Leipzig 2013 [ungedruckt].2

  1. 1Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, Bd. 113/5, Berlin 1968 (Zürich²1969), geplant als Gemeinschaftsarbeit mit dem Kunsthistoriker und Akademiemitglied Heinz Ladendorf.

  2. 2Ich danke dem Akademie-Archivar Detlef Döring, dass er mir diese Arbeit sowie die Mitgliederakte Morenz zugänglich gemacht hat. Angela Onasch danke ich für die Durchsicht des Manuskripts.
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Heft 13 (2014)
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1867-7061

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