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Die Inschriften der Stadt Halberstadt (Die Deutschen Inschriften, Band 86, Leipziger Reihe, Band 5)


Gesammelt und bearbeitet von Hans Fuhrmann, Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 2014, LXXIV + 366 Seiten, 61 Tafeln mit 210 Abbildungen, 1 Karte und 2 Tafeln mit Steinmetzzeichen und Marken, Festeinband


Der nunmehr fünfte Band der von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Reihe Die Deutschen Inschriften präsentiert die Inschriften der Stadt Halberstadt. Die vorherigen Inschriftensammlungen waren zunächst den Altkreisen Querfurt und Weißenfels in Sachsen-Anhalt gewidmet. Darauf folgten der Dom zu Halberstadt als ein Ensemble von Bauwerk und reichem Kirchenschatz sowie die Stadt Halle a. d. Saale. Mit dem neuen Band zu Halberstadt, der den zum Dom komplettiert, liegt nun ein weiteres Beispiel für den vielfältigen Inschriftenbestand in einem Stadtgebiet vor.


Inschriften sind Texte, die nicht mit Methoden und Materialien des Schreibschul- und Kanzleibetriebes oder durch serielle Produktionsverfahren hergestellt wurden. Sie befinden sich auf Trägern aus dauerhaftem Material, wie Stein, Metall und Holz, aber auch auf Glas oder Textilien und richten sich zumeist durch ihren Entwurf, ihre Ausführung und Anbringung an eine Öffentlichkeit. Sie bilden eine historische Quellengattung eigener Art, die von verschiedenen historischen Disziplinen, wie Kirchen-, Kunst-, Sprach- und Landesgeschichte, genutzt wird. Die historische Hilfswissenschaft (oder besser Grundwissenschaft) der Epigrafik oder Inschriftenlehre hat für die Lesung der oft schlecht erhaltenen und wegen der Eigenart der Schriftformen sowie der Vielfalt der verwendeten Abkürzungen schwer zu entziffernden Inschriften eine eigene Methodik entwickelt. Für die Erschließung und Edition der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften des deutschsprachigen Raumes bis 1650 zeichnet das interakademische Forschungsvorhaben Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit verantwortlich. Es wird von sechs deutschen Akademien der Wissenschaften und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften betrieben, wobei die Sächsische Akademie der Wissenschaften seit 1996 mit einer eigenen Arbeitsstelle vertreten ist. Die im Rahmen des Forschungsvorhabens entwickelte Methodik spiegelt sich in den Publikationen der Gesamtreihe Die Deutschen Inschriften (DI) und liegt auch deren 86. Band zugrunde.


Der Katalog besteht aus 323 Nummern zur Stadt Halberstadt sowie acht Nachträgen zu den Inschriften des Domes (DI 75), deren Kernstück jeweils eine textkritische Edition der Inschriften bildet. Für diese sind – sofern erhalten – die Originaltexte maßgeblich. Rein abschriftlich oder in Bildern überlieferte Inschriften werden nach der verlässlichsten Vorlage wiedergegeben. Daneben enthält jeder einzelne Artikel eine Beschreibung des Inschriftenträgers unter Einbeziehung der Wappen sowie eine Übersetzung der in Latein, Griechisch, Hebräisch, Deutsch oder Italienisch einer älteren Sprachstufe abgefassten Texte. Der abschließende Kommentar behandelt wesentliche Aspekte der Herstellung und Überlieferung des Inschriftenträgers sowie Besonderheiten der Schriftformen. Er erläutert Inhalt und historischen Hintergrund, soll einem besseren Verständnis der Inschrift dienen und sie für weiterführende Fragestellungen erschließen. Eine dem Katalog vorangestellte Einleitung bietet dem Leser den geschichtlichen Kontext sowie eine nach Schriftformen gegliederte paläografische Auswertung des Inschriftenbestandes. Zahlreiche Register und Abbildungen ausgewählter Inschriften bzw. Inschriftenträger erschließen und illustrieren die Edition. 


Die in diesem Band versammelten Halberstädter Inschriften stammen aus dem heutigen Stadtgebiet, inklusive der bis 1996 eingemeindeten Ortsteile. Ein zentraler Faktor der Überlieferungssituation ist die Bombardierung Halberstadts am 8. April 1945, bei der die Innenstadt zu 82 % zerstört wurde. Dank der Inschriftensammlungen und der fotografischen Begeisterung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts blieb jedoch eine Vielzahl von Inschriften in Schrift und Bild bewahrt. Insgesamt beläuft sich der Anteil der kopial überlieferten Inschriften auf 43 %.


Obwohl sich die Wurzeln der Stadt Halberstadt in schriftlichen Quellen bis ins späte 10. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, ist aus der Zeit vor dem 13. Jahrhundert nur ein Inschriftenträger überliefert. Es handelt sich um ein bleiernes Beschwörungstäfelchen von 1142, das als Grabbeigabe diente und bei Ausgrabungen in den 1980er Jahren gefunden wurde. In dem Beschwörungstext, der ein Kind vor Übel bewahren sollte, stehen noch die Elemente von christlichen und germanisch-paganen Vorstellungswelten nebeneinander. In einem gänzlich anderen Gewand präsentieren sich die Inschriften, die dann ab dem 13. Jahrhundert in größerer Anzahl einsetzen. Die ältesten davon zieren hervorragende Kunstwerke, wie die stuckierten Chorschranken der Lieb­frauenkirche und die Wandmalereien ihrer Obergaden aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammen Inschriften an außergewöhnlichen Elfenbein- und Alabasterarbeiten, die ebenfalls zu Kirchenschätzen gehören. Die Glockeninschriften der Geläute von drei Stiftskirchen der Stadt sowie einer Ordenskirche, der Stadtpfarrkirche und einer Kapelle vervollständigen die Inschriften an Gussarbeiten, wie sie Taufbecken, Lichtkronen und ein Standleuchter darstellen. Weitere Ausstattungsstücke, seien es Altarretabel, Kanzeln oder liturgisches Gerät, tragen aussagekräftige Inschriften zu Stiftern und Glaubensvorstellungen.


Zwei Gruppen treten unter den Inschriftenträgern durch ihre Anzahl besonders hervor. Dies sind zunächst die 91 Inschriften des Totengedenkens, davon 56 für Geistliche und 35 für Laien. Die ältesten erhaltenen bzw. überlieferten Grabdenkmale stammen aus dem dritten Viertel des 14. Jahrhunderts. Eines von ihnen dient – wie noch drei weitere von 1599, 1620, 1637 – dem Gedenken des Opfers einer Gewalttat. Aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind vor allem Grabdenkmale von Geistlichen überliefert, insbesondere der Stiftsherren, die ab der Mitte des 16. Jahrhunderts auch als Räte der evangelischen Administratoren des Bistums fungierten. Im Verlauf dieses Jahrhunderts treten noch die Denkmäler für städtische Prediger hinzu. Grabdenkmale für Adelige und Bürgerliche häufen sich seither ebenfalls; meist tragen sie Inschriften in deutscher Sprache. Übertroffen wird die Anzahl der Inschriften des Totengedenkens nur noch von den 95 Gebäudeinschriften, die sich ursprünglich in Halberstadt befanden. Die frühesten datieren im 14. Jahrhundert: Baumaßnahmen an den Stadttoren bezeugen die Errichtung eines neuen Rathauses zwischen 1381 und 1398. In ihrer gesamten Vielfalt zeigen sich die Gebäudeinschriften jedoch im 16. Jahrhundert. Ihre Träger umfassen einerseits repräsentative, von Bischöfen bzw. Administratoren und Domkapitel errichtete Bauwerke, wie die Dompropstei und die bischöfliche Residenz, den Petershof, andererseits aber auch öffentliche städtische Gebäude oder Innungshäuser, wie Marstall, Schuhhof oder Ratsmühle. Hinzu kommen zahlreiche private Wohnhäuser in Fachwerk­architektur. Ihre Inschriften bieten einen klares Bild davon, welche Viertel oder Straßenzüge in welcher Zeit bevorzugt wurden, wo und wann modernisiert oder aufgebaut wurde. Dabei verdeutlicht vor allem dieser Bestand die verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges; nur noch 27 Hausinschriften sind im Originalzustand erhalten.


Der Inschriftenbestand der Stadt Halberstadt dokumentiert das Leben in einer Bischofsstadt seit dem 12. Jahrhundert. Dabei findet sich ab dem 
14. Jahrhundert eine große Vielfalt an Inschriftenträgern, die zahlreiche Facetten der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt Halberstadt offenbart. In diesen treten einerseits Domkapitel und Kollegiatstifte, andererseits die Stadtgemeinde als prägende Kräfte hervor. Das 16. Jahrhundert erweist sich als Blüte- und Umbruchszeit. An die Stelle der Bischöfe traten Administratoren, die sich im Inschriftenbestand jedoch umfassender präsentieren als ihre Vorgänger. Auch die Reformation fand in der Stadt inschriftlich ihren Niederschlag, sodass sich das Wirken evangelischer Pfarrer an den städtischen Pfarrkirchen seit den 1540er Jahren und das neue Bekenntnis dort rasch manifestierten. Die Stifte hingegen blieben mindestens bis 1591 offiziell katholisch und waren dann in der Regel gemischtkonfessionell. Eine Säkularisierung der Klöster fand nicht statt. Zur gleichen Zeit, konzentriert aber in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, zeugen die Inschriften auch von zahlreichen öffentlichen wie privaten Baumaßnahmen und somit vom allgemeinen Wohlstand. 1648 wurde das Bistum Halberstadt im Westfälischen Frieden aufgehoben und als welt­liches Fürstentum dem Kurfürstentum Brandenburg eingegliedert. Somit deckt sich die historische Zäsur mit dem Ende des Bearbeitungszeitraumes.


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Heft 13 (2014)
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ISSN:
1867-7061

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