Editorial
Im Juni haben die Wissenschaftsakademien unter Federführung der Nationalakademie Leopoldina eine Stellungnahme Zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Medien herausgegeben, und damit unter dem Kürzel ›WÖM‹ eine wichtige Debatte ausgelöst, die bis heute anhält und hoffentlich noch eine lange Weile andauern wird. Die Wissenschaft – als die Institution, welche aufgrund ihrer Methoden der Prüfung von Glauben und Wissen und ihrer Arbeit an klaren Begriffen einen gewissermaßen esoterischen, nur für Insider unmittelbar nachvollziehbaren Diskurs betreibt – wird in ihren Ergebnissen oft unpassend verkürzt in der Öffentlichkeit dargestellt.
Zwar ist Wissenschaft das von uns eingesetzte Maß des Wissens über das, was ist und was nicht ist, wie der Philosoph Wilfried Sellars sagt, also auch dazu, was als möglich und was als extrem unwahrscheinlich zu gelten hat. Doch wie gut sie diese Rolle spielt, ist keineswegs immer klar, nicht nur wegen der Tatsache, dass der Streit um das beste Wissen und die besten Formulierungen zur Methode aller Wissenschaften gehört, auch wenn man zumeist naiv meint, das Wahre zeige sich empirisch unmittelbar. Unmittelbar wahr oder falsch sind nur historische Anekdoten. Auch sogenannte Daten oder Statistiken sind zunächst bloße Anekdoten. Allgemeines Wissen wird daraus erst in einer Deutungsdebatte und einem Prozess der Kanonisierung allgemeinen Wissens. Dabei spielen allerlei Subjektivitäten, auch Selbstüberschätzungen und Fehlverständnisse von eigentlich gesichertem Allgemeinwissen, gewichtige Rollen – sodass eine verantwortungsvolle Wissenschaftsjournalistik ein hohes Spezialwissen voraussetzt. Zugleich muss sie das Problem lösen, dass auch die Öffentlichkeit lieber vermeintlich sensationelle Anekdoten zur Kenntnis nimmt als ein eher langweilig und nicht unmittelbar anwendbar erscheinendes Allgemeinwissen.
Andererseits zeigen aktuelle Debatten um die inneren Prozesse in den Wissenschaften, dass die Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis – Vertrauenswürdigkeit, Redlichkeit, Wahrhaftigkeit, Verantwortung – im härter werdenden Wettbewerb um finanzielle Mittel immer öfter der Mode, dem Hype und einer meist kurzen, gedächtnisschwachen, medialen Aufmerksamkeit geopfert werden. So passiert es, dass wissenschaftliche Sensationen präsentiert werden, die auf unsicheren Ergebnissen, falschen Studiendesigns oder lückenhaften bzw. kreativ ergänzten Datenreihen basieren. Demgemäß werden Versprechen gemacht, und häufig kurze Zeit später wieder ›revidiert‹. Die Folge ist ein Vertrauensschwund in die Wissenschaft und ihre Expertisen. Dieses Vertrauen gilt es zurückzugewinnen.
Dass sich die Sächsische Akademie der Wissenschaften dieses so wichtigen Themas schon seit einigen Jahren in der Struktur-Kommission ›Wissenschaft und Werte‹ angenommen hat, haben bereits die Beiträge zu ›Versprechen in den Wissenschaften‹ in der letzten Denkströme-Ausgabe deutlich gemacht. Zwei weitere, historisch ausgerichtete Facetten fügen Wolfgang Fach und Rüdiger Lux dieser Thematik im aktuellen Heft hinzu.
Einer, der sich für eine freie, verantwortungsvolle und nachhaltige Wissenschaft einsetzt, hat dieses Jahr seinen 80. Geburtstag gefeiert: Der Logiker, Wissenschaftshistoriker und Philosoph Lothar Kreiser. Ihm sind die Beiträge von Gottfried Gabriel, Christian Thiel und Werner Stelzner gewidmet. – 100 Jahre wäre in diesem Jahr der Ägyptologe Siegfried Morenz alt geworden. An seine wissenschaftliche Arbeit, sein Wirken in Leipzig und an der Akademie in schwierigen und bewegten Zeiten erinnert Elke Blumenthal, während Brigitte Bulitta anlässlich des 50. Todestages auf Leben und Wirken der ›Wortforscherin‹ Elisabeth Karg-Gasterstädt zurückblickt.
Darüber hinaus versammelt das Heft eine Reihe von Beiträgen, die das breite Spektrum der Akademiearbeit über alle Klassen hinweg zeigen: Rosemarie Lühr geht dem Sprichwort »Spinne am Morgen bringt Kummer und Sorgen« sprachhistorisch und transnational auf den Grund; Klaus Martin Kopitz zeigt am Beispiel von Robert Schumanns Geliebter, was für eine akribische Quellenarbeit nötig ist, um jenseits von Spekulationen und Vermutungen eine wissenschaftlich verifizierbare Aussage zu machen; Heiner Gutte, Lutz Schiffer und Bernd Meyer stellen drei Nachhaltigkeitsstrategien vor, um den CO2-Ausstoß in Industrie und Wirtschaft erheblich zu reduzieren, erreichten doch die globalen CO2-Emissionen 2013 einen neuen Höchstwert von 36 Mrd. Tonnen.
Außerdem stellen sich in diesem Heft das neue Akademievorhaben Kursächsische Kirchenpolitik unter Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen (1513–1532) und die neue strukturbezogene Kommission Ausbreitung in Natur, Technik und Gesellschaft vor.
Nicht zuletzt enthält dieses Heft einen vorweihnachtlichen Artikel von Hans Fuhrmann, der einen neuen Blick auf ein altes alljährlich wiedergesungenes Liedergut wirft.