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»Zum Schluss hatte ich Einzelunterricht …«


Ausgewählte Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt »Spitzensportliche Begabungsförderung in der DDR unter besonderer Berücksichtigung der Verbindung von Spitzensport und Schule bzw. Spitzensport und Beruf«


1. Einleitung und Problemstellung


Das Interesse, sich mit dem System der spitzensportlichen Begabungsförderung in der ehemaligen DDR wissenschaftlich zu beschäftigen, ist 25 Jahre nach dem Mauerfall wieder stärker hervorgetreten. Dabei scheint im Vergleich zur Nachwendezeit, welche durch einen teilweise stark negativen und emotional geleiteten Diskurs gekennzeichnet war, vermehrt eine sachliche und objektive Auseinandersetzung mit dem Thema möglich.


Um den Stellenwert des Spitzensports und seiner Förderungsinstrumente für die ehemalige DDR zu verstehen, gilt es zunächst ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Bedeutung dem Erzielen von Erfolgen auf der Weltsportbühne beigemessen wurde. Spätestens seit den 1960er Jahren und insbesondere durch den Leistungssportbeschluss von 19691 wurde der politische Wille deutlich erkennbar, die DDR durch ›Diplomaten im Trainingsanzug‹ als einen leistungsfähigen, jungen und fortschrittlichen Staat international zu präsentieren. Insbesondere in Bezug auf die Systemkonkurrenz zwischen den beiden deutschen Staaten erwies sich der Spitzensport für die politische Führung der DDR als ein opportunes Mittel zur Erreichung des von Walter Ulbricht ausgegebenen Ziels, »[…] Westdeutschland auf allen Gebieten zu überflügeln […].«2

Dabei sollte nicht nur die Überlegenheit und Attraktivität des politischen Systems der DDR – mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) an der Spitze –, sondern auch des gesamten sozialistischen Gesellschaftssystems nach außen hin demonstriert werden.3 Um dieses ambitionierte – und fast ausschließlich im Bereich des Spitzensports mögliche – Ziel zu erreichen, bedurfte es neben eines ausreichenden Reservoirs an Talenten institutioneller Rahmenbedingungen, die eine optimale leistungssportliche Förderung ermöglichten und zugleich die schulische und berufliche Ausbildung sicherstellten.4

Diese als ›duale Karrieren‹ bezeichneten Verbindungen von Spitzensport und Schule bzw. Spitzensport und Beruf können aus der systemtheoretischen Perspektive von Niklas Luhmann5 betrachtet werden. Luhmann sieht die Gesellschaft als ­einen Verbund verschiedenster Funktionssysteme an. Wird der Spitzenathlet6 in diesen Verbund eingeordnet, lässt sich feststellen, dass er in mindestens zwei sozialen Teilsystemen Funktionsrollen ausführt.7 Auf der einen Seite ist er in das Funktionssystem des Spitzensports eingebunden, welches dazu neigt, seine Rollenträger derart stark zu vereinnahmen, dass ihnen anderweitige Betätigungen weitestgehend versagt bleiben.8 Auf der anderen Seite muss er, will er seiner nachsportlichen Laufbahn eine Perspektive verschaffen, bereits während seiner Zeit als Spitzensportler eine Bildungsqualifikation erwerben.9 Eine Anwendung der von Luhmann als strukturelle Kopplungen verstandenen Verbindungen beider Systeme ist auch auf das System der Begabungsförderung im Spitzensport der ehemaligen DDR möglich.10

Demnach können durch die Förderung dualer Karrieren Athleten in die Lage versetzt werden, ihr Begabungspotenzial in den beiden Systemen Spitzensport und Bildungswesen voll auszuschöpfen – zum einen durch die Möglichkeit einer spitzensportlichen Laufbahn nachzugehen und zum anderen durch die Perspektive, sich schulisch, akademisch oder beruflich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren.11

Jedoch erweist sich diese Kopplung als durchaus problematisch, da sowohl die zeitliche als auch die soziale Inklusion der Akteure in das eine gesellschaftliche Teilsystem oftmals in die Funktionslogik des anderen eingreift.12 Zudem sind die Anpassungspotenziale beider Systeme hinsichtlich ihrer Inklusionsprofile und ihrer Bedeutung für das weitere Leben der Akteure im sozialen System beschränkt. Keines kann sich, will es eine optimale Funktionserfüllung gewährleisten, zurückziehen. Des Weiteren scheiden Transfers bestimmter Ausgleichsleistungen aus, die sowohl innerhalb des Spitzensport- als auch des Bildungssystems von Bedeutung wären. So kann eine gewonnene Goldmedaille bei den Olympischen Spielen ebenso wenig Wissen in prüfungsrelevanten Bildungs­bereichen ersetzen, wie eine herausragende Hausarbeit neue Bestleistungen im Sport. Um Spitzensport und Bildungswesen miteinander zu verbinden, bedarf es also der Ausgestaltung verschiedener spezialisierter Einrichtungen, die bei der Koordination der Inklusion in beide Systeme behilflich sind und negative Auswirkungen zeitlicher und sozialer Natur verhindern oder abmildern.


Mit den Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) wurden in den 1950er Jahren in der ehemaligen DDR Einrichtungen geschaffen, die die sportliche und schulische Ausbildung der zukünftigen Spitzenathleten optimal gewährleisten sollten.13 Im Rahmen eines komplexen Kopplungsarrangements zwischen den Sportclubs (SC) auf der einen Seite und den KJS auf der anderen Seite wurden Ressourcen für leistungssportliches Training und schulische Qualifikation aufgeteilt und abgestimmt. Ähnliche Arrangements wurden für die Koordination der sportlichen Ausbildung mit dem Studium bzw. mit der Berufsausbildung und der beruflichen Laufbahn etabliert.14

Diesen Kopplungsarrangements wird ein entscheidender Beitrag für die Ermöglichung spitzensportlicher Erfolge der ehemaligen DDR im internatio­nalen Vergleich beigemessen. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Strukturen des DDR-Spitzensportsystems einschließlich der daraus erwachsenen Möglichkeiten und Grenzen für seine ehemaligen Protagonisten erschien somit geboten und wurde im Rahmen einer Studie umgesetzt. Aus­gewählte Ergebnisse werden in diesem Beitrag exemplarisch vorgestellt. Darstellungen interviewter Zeitzeugen und die Analyse relevanter Dokumente geben Aufschluss über die Inklusion (Delegierung) der Akteure15 in das Spitzensportfördersystem, ihren Verbleib darin und ihre Exklusion (Ausdelegierung). Im Fokus steht hier der Verbund von Spitzensport und Schule der sogenannten 2. Förderstufe des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR an den KJS und den SC.16

Der Beitrag ist wie folgt gegliedert: Zunächst folgt ein Überblick zu bisherigen Forschungsarbeiten. Dabei wird nach folgenden Entstehungszeiträumen unterschieden: bis zur Wiedervereinigung in der ehemaligen DDR, im gleichen Zeitraum in der BRD und nach der Wiedervereinigung. Vom Forschungsstand abgeleitet, wird die Zielstellung der zugrundeliegenden Studie formuliert. Im Anschluss wird mit der Systemtheorie luhmannscher Prägung der theoretische Rahmen abgesteckt. Nach der Beschreibung der methodischen Vorgehensweise werden ausgewählte Ergebnisse vorgestellt. Diese Ergebnisse werden in den Kontext eingeordnet und diskutiert. Mit einem kurzen Fazit schließt der Text.


2. Forschungsstand


Insgesamt konzentriert sich die Aufarbeitung des Forschungsstandes auf die Beschreibung zentraler Arbeiten bezüglich ausgewählter Forschungsfelder.


2.1 Literatur bis 1990, entstanden in der DDR


Betrachtet man die wissenschaftlichen Beiträge zur Sportförderung in der DDR, welche in der DDR selbst entstanden sind, zeigt sich, dass das Engagement der Forschung stark vom leistungssportlichen Gedanken geprägt war. Mit der stärkeren Ausrichtung auf den Spitzensport zu Beginn der 1960er Jahre wurden vor allem Fragen zur Belastung der KJS-Schüler durch Schule und Sport dringlich. Darüber hinaus gerieten Themenfelder zur Persönlichkeitsentwicklung und Lebensgestaltung, aber auch zur Periodisierung des Trainings im frühen Schulalter in den Mittelpunkt des Interesses. Ein weiterer Schwerpunkt der wissenschaftlichen Untersuchungen wurde auf die Erforschung der Besonderheiten der Unterrichtsgestaltung in den allgemeinbildenden Fächern sowie auf die Analyse methodisch-didaktischer Verfahren gelegt.


Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über ausgewählte Studien gegeben werden.17 Beiträge zu pädagogischen Fragestellungen in den KJS bzw. zu psychologischen Anforderungen an die Athleten, Trainer, Lehrer und das fami­liäre Umfeld wurden von Klaus Altermann und Werner Bielagk (1981),18 Horst Gärtner, Herbert Moritz und Wolfgang Sikora (1989)19 sowie Horst Götze (1989) vorgelegt.20 Exemplarisch kann die Studie von Kerstin Foitzik (1986) ­herangezogen werden, in der die Einstellung von 715 KJS-Schülern zu Training und Wettkampf beleuchtet und besonderes Augenmerk auf das gemeinschaft­liche Einwirken von Lehrern, Trainern und Eltern gelegt wird.21 Weiterhin wurden Untersuchungen im Bereich der Trainingswissenschaften durchgeführt.22 Der Fokus lag hierbei auf der Tages- und Wochenplanung in den KJS und den Trainingszentren (TZ).23 Beispielhaft hierfür ist die Studie von Detlef Baganz (1986) zu nennen.24 Untersucht wurden die Tages- und Wochenabläufe 15-jähriger männlicher Handballspieler im Hinblick auf Leistungsfähigkeit, Bewältigung der Anforderungen im schulischen und sport­lichen Bereich sowie gesundheitliches Wohlbefinden und die daraus resultierenden pädagogischen Konsequenzen. Zu nennen sind weiterhin Anleitungen und Handreichungen für Trainer, Lehrer und Betreuer.25 Darin wird der Umgang mit den Spitzenathleten zur Gewährleistung eines optimalen Trainings be
schrieben.


2.2 Literatur bis 1990, entstanden in der BRD


Beiträge, die in der BRD bis 1990 entstanden, konzentrieren sich ebenfalls häufig auf die – teils bewundernd, teils abwertend – als ›Kaderschmieden‹ bezeichneten KJS. Allerdings fällt die Anzahl der Arbeiten insgesamt eher gering aus. Dies gilt vor allem für die Zeit ab Mitte der 1960er Jahre und geht mit der wachsenden Bedeutung der KJS für den sportlichen Erfolg der DDR einher. Dieser hohe Stellenwert machte die KJS zu einem begehrten Objekt für ausländische Beobachter, was dazu führte, dass Dokumentationen, Literatureinträge und wissenschaftliche Untersuchungen vermehrt einer strengen Geheimhaltung unterlagen.26

Die vorhandenen Beiträge setzen sich häufig kritisch mit den KJS auseinander. Margrit Richter thematisiert vor allem die vernachlässigte Persönlichkeitsentwicklung der KJS-Schüler und spricht von einer »Zucht« von Leistungssportlern fernab vom jahnschen Sportmotiv einer freien und frohen Sportjugend. Außerdem legt sie ihr Augenmerk auf die verantwortliche Lehrerschaft. Diese musste ihrer Meinung nach eine systemtreue Einstellung haben, um Kinder und Jugendliche auszubilden.27 Klaus Brögel wiederum stellt heraus, dass die KJS ein Instrument und Teilsystem der SED und somit des DDR-Staates war.28 Die bewusste Lenkung und Ausrichtung der ideologischen Vorstellungen auf die heranwachsenden Sportler war somit gezielt möglich. Weiterhin wird auf die Bedeutung des engen Geflechts der Einheitlichen Sichtung und Auswahl (ESA) zwischen den TZ, den KJS und den SC für den sportlichen Erfolg der DDR hingewiesen. Werner Rossade beschreibt diesbezüglich die Jugendspartakiaden als ein wichtiges Instrument der Talentsichtung.29

2.3 Literatur, entstanden nach 1990


Beim Blick auf die wissenschaftliche Literatur nach 1990 lässt sich ebenfalls eine schwerpunktmäßige Thematisierung der KJS erkennen. Einen grund­legenden Überblick hinsichtlich der Entwicklung der KJS findet sich bei Helfritsch und Becker.30

Darauf aufbauend nimmt insbesondere René Wiese eine detaillierte Beschreibung und kritische Würdigung der KJS vor.31 Eine Auseinandersetzung mit den KJS unter dem Gesichtspunkt eines humanitären und selbstbestimmten Sports erfolgt durch Nils Hoffmann, Robert Prohl und Peter Elflein.32 Hierzu führten letztere Befragungen von Schülern durch, die vor der Wiedervereinigung eine KJS und danach eine Folgeeinrichtung dieser Schulform besuchten. Bei der Auswertung der Daten zeigt sich, dass die Schüler die KJS eindeutig präferierten. Die Autoren begründen diesen Befund mit dem sprichwörtlichen ›blinden Vertrauen‹ der Schüler in das DDR-System, was sich in einer völligen Hingabe dem Sport gegenüber widerspiegelte.33 Weiterhin wird über ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl der KJS-Schüler untereinander berichtet, welches durch die Einheit von Schule und Internat begründet wurde. Allerdings stellen die Autoren auch negative Aspekte dieser Fördereinrichtungen heraus. So schilderten Befragte Probleme bei der Integration in andere Personengruppen außerhalb der KJS.34 Ebenfalls berichteten die Schüler wiederholt von einer strukturbedingten Fremdbestimmung. Ferner beklagten die Athleten die strikte Sanktionierung abweichenden Verhaltens. Beispielsweise drohte bei ›politisch inkorrektem‹ Verhalten eine Disziplinarstrafe oder sogar die Ausdelegierung aus der KJS. Darüber hinaus wiesen die ehemaligen KJS-Schüler auf Versäumnisse im schulischen Bereich hin. Herausgestellt wird, dass die geringen schulischen Anforderungen sich als hinderlich für die Aufnahme eines Studiums zeigten. Weiterhin wird betont, dass es mit der angeblichen medizinischen Rundumbetreuung sowie der Möglichkeit des systematischen Abtrainierens an den KJS nicht weit her war. So klagten ­einige der ausdelegierten Sportler über rücksichtloses und verantwortungsloses Verhalten mancher Funktionäre bei verletzungsbedingten Pausen bzw. bei einer Nichterbringung sportlicher Leistungen.35 Eine allgemeine und gleichfalls detaillierte Beschreibung des Leistungssportsystems der DDR findet sich bei Hans Joachim Teichler und Klaus Reinartz.36

3. Zielstellung


Ausgehend vom thematischen Schwerpunkt und dem aktuellen Forschungsstand zur Problematik liegen der Gesamtstudie drei wesentliche Zielstellungen zugrunde:


(1.) Obgleich die wissenschaftliche Auseinandersetzung zur Abstimmung von Spitzensport und Schule in der DDR – in Form der KJS und SC – schon recht umfangreich erfolgte, konzentrieren sich die Beiträge nahezu ausschließlich auf die Auswertung gesichteter Dokumente. Dieses Vorgehen ist im Sinne ­einer möglichst objektiven Beschreibung der Funktionsweise der KJS zielführend, verschließt allerdings den Blick auf weiterführende Fragestellungen. Dieses Forschungsdesiderat wird mittels Interviews mit den Beteiligten der KJS/SC, wie Schülern, Trainern und Lehrern und weiterem Funktionspersonal, geschlossen. Folgende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt: Wie wurden die strukturellen Bedingungen von den Akteuren der KJS wahrgenommen? Welche individuellen Möglichkeiten und Grenzen verbanden die Akteure mit der spitzensportlichen Förderung? Welchen Spielraum ließen die Strukturen den Athleten bei der Gestaltung ihrer sportlichen und schulischen Karrieren?


(2.) Während die Frage nach der Abstimmung von Spitzensport und Schule wissenschaftlich recht gut aufgearbeitet ist, muss der Forschungsstand zur Verbindung von Spitzensport und Beruf in der DDR generell als lückenhaft bezeichnet werden. An dieser Stelle setzt der zweite Schwerpunkt der Unter­suchung an. Auf der Grundlage analysierter Dokumente wird dargestellt, in welcher Form sich Spitzensport und Beruf in der DDR verbinden ließen. Darauf aufbauend schildern die Akteure ihre persönlichen Erfahrungen zu den individuell empfundenen Möglichkeiten und Grenzen der Verbindung von Spitzensport und Beruf. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Bedingungen und Möglichkeiten, Spitzensport und Studium miteinander zu ver
binden.


(3.) Für beide Bereiche lässt sich konstatieren, dass duale Karrieren von Sportlern mit geringem sportlichen Erfolg bisher nur am Rande beachtet wurden. Wie verliefen die Karrieren von Athleten in einem totalitären Regime, die ihren sportlichen Auftrag nicht zur Zufriedenheit von Partei und Staat umsetzten? Hier setzt der dritte Schwerpunkt der Studie an: Dazu wurden Dokumente speziell unter diesem Gesichtspunkt ausgewertet und ehemalige, weniger erfolgreiche Sportler interviewt. Damit schließt sich der Kreis zu den ersten beiden Schwerpunkten: Einerseits wird aufgezeigt, wie das DDR-Spitzensportfördersystem mit Sportlern umgegangen ist, die dem Leistungsauftrag nicht gerecht wurden, andererseits wird verdeutlicht, welche Auswirkungen ausbleibender sportlicher Erfolg auf die berufliche Perspektive hatte. In diesem Beitrag werden exemplarische Ergebnisse zur ersten und dritten Zielstellung der Gesamtstudie dargestellt.


4. Theoretischer Rahmen


Um die grundlegenden, teilweise bereits vorausgeschickten Begrifflichkeiten für den Untersuchungsgegenstand anwendbar zu machen, ist es notwendig, relevante Definitionen und Erläuterungen zur Systemtheorie vorzu
nehmen. 


Ausgegangen wird von einer funktionalen Differenzierung der Gesellschaft in verschiedene Teilsysteme. Diese erfüllen je nach Zielstellung unterschiedliche Funktionen, welche auch die Frage nach der Bezeichnung der Systeme beantworten. Auf deren Bereitstellung erheben die Funktionssysteme einen Alleinvertretungsanspruch. Die jeweiligen Systemziele dürften dementsprechend von keinem anderen Funktionssystem generiert werden. Wäre dies der Fall, liefe das Funktionssystem Gefahr, obsolet zu werden.37 Die Individualität der Systeme bietet außerdem die Option zur Identitätsentwicklung, welche eine Abgrenzung zu anderen Systemen erst ermöglicht. Bestand und inhaltliche Anreicherung erlangen soziale Funktionssysteme über die Kommunikation ihrer Mitglieder. Entgegen erster Erwartungen bestehen soziale Systeme nicht aus konkreten Personen, sondern aus deren Informationsaustausch bzw. aus den daraus resultierenden Handlungen.38 Das Funktionssystem ordnet diesen Austausch von Daten und orientiert ihn an seinem Leitziel. Dieses Leitziel bestimmt die Handlungslogik der Akteure und stattet die Kommunikation dieser mit Systemsinn aus. Jedwede Kommunikation innerhalb eines bestimmten Funktionssystems folgt der primären Zielstellung.39

Die Zielorientierung des Funktionssystems ist dabei zu einem binären ›Code‹ zusammengefasst, der die Ausrichtung klar werden lässt und den Nukleus dessen bildet, was das System ausmacht. Jede Form der systeminternen Kommunikation, will sie nach Systemlogik sinnhaft sein, muss sich folglich auf diesen ›Code‹ ausrichten. Nur so kann die Inkorporation, dem Zweck der Funktionserfüllung nach, gewährleistet werden. Fehlt der Bezug zum basalen ›Code‹ ist die Kommunikation nicht zielführend und wird als »Rauschen der Umwelt« wahrgenommen.40 Sie besitzt für das operativ geschlossene System nur marginale bis keine Bedeutung. Die sinnhafte Kommunikation innerhalb der Funktionssysteme ist allein durch den Code jedoch nicht umsetzbar. Daher benötigen die Akteure eine minderabstrakte Form der Kommunikation, die jedoch stets auf den Code ausgerichtet ist. Dies leisten Programme sowie symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien.41 Sie weisen den Rollen ihre konkreten Zielstellungen zu und klären über die Konditionen dieser auf. Allein durch Programme werden die Ziele erst operationalisierbar. Medien vermitteln zwischen den Akteuren und lösen das Kommunikations
problem.42

Lange Zeit wurde darüber debattiert, ob der Sport im Allgemeinen – und der Leistungssport bzw. der Breitensport im Besonderen – als ein gesellschaftliches Teilsystem anzusehen ist.43 Dies ist nach aktueller wissenschaftlicher Auffassung zu bejahen. Nach Steffen Roth lassen sich zehn relevante gesellschaftliche Teilsysteme mit ihren unterschiedlichen Codes, Medien, Programmen und Funktionen unterscheiden.44 Diese sind in der folgenden Tabelle dar
gestellt.


Charakteristika gesellschaftlicher Teilsysteme (eigene Darstellung nach Roth, 2014, S. 38).

System Code Medium Programm Funktion
Politik übergeordnet/
unter­geordnet Macht Ideologie Regulierung
Wirtschaft zahlen / nicht zahlen Geld Preis Verteilung
Wissenschaft wahr/unwahr Wahrheit Theorie Wissen
Kunst Innovation/Imitation Stil Geschmack Schöpfung
Religion transzendent/immanent Glaube Konfession Offenbarung
Recht richtig/falsch Norm Gesetz Verbindlichkeit
Sport Sieg/Niederlage Erfolg Ziel Leistung
Gesundheit gesund/krank Krankheit Diagnose Therapie
Bildung qualifiziert/
nicht qualifiziert Karriere Prüfung Vermittlung
Medien informiert/uninformiert Bericht Thema Wiedergabe

Die Zugehörigkeit zu Funktionssystemen wird über spezifische Rollen erreicht. Diese untergliedern sich in Leistungs- und Publikumsrollen, wobei Leistungsrollen meist aktiv mit der Produktion systemspezifischer Zielstellungen befasst sind und Publikumsakteure häufig zentraler Bearbeitungsgegenstand sind bzw. als Humanrohstoff des Systems gelten. Leistungsrollen sind vorrangig Experten vorbehalten, die wiederum auf Basis einer Experten-Laien-Differenz mit den Publikumsakteuren arbeiten. Dabei sind Leistungsrollen nicht von jedem Akteur zu übernehmen, Publikumsrollen hingegen schon.45 Eine weitere Form der Differenzierung von Funktionssystemen ist in zeitlicher Hinsicht möglich. Die Inklusion in einen Funktionsbereich kann verschiedenste zeitliche Beanspruchungen mit sich bringen. Lebenslange sowie lebensphasenspezifische Einbindungen in einen Funktionsbereich bilden ebenso wie häufige oder sporadische Einbindungen Unterscheidungsmerkmale bei der Akteursbindung. Weiter sind langfristige oder kurzwährendeRollenübernahmen zu nennen.46

Diesbezüglich sind auch soziale Eigenheiten der Inklusion in den Fokus zu nehmen.47 Mitgliedschaften können auf formalisierte bzw. nichtforma­lisierte Art entstehen und eine obligatorische bis optionale Bindung besitzen. Die ­Rollen sind in ihrer Anordnung zueinander, je nach Funktionssystem und Platzierung, symmetrisch bis asymmetrisch. Bezüglich des Aktivitätsniveaus sind inaktive bzw. aktive Zuordnungen in das System beobachtbar.48 Mit dieser Beschaffenheitsdifferenzierung lassen sich bestimmte Profile von Funktions­bereichen erstellen, die – analog zu den obigen Annahmen – einen unverwechselbaren Fingerabdruck jedes Systems entstehen lassen. Durch diesen werden die fallspezifische Akteursinklusion und die damit verbundenen systeminternen Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten beschreibbar. Es wird demnach eine unverkennbare Einbindungscharakteristik ansichtig. Die bereits erwähnte operative Geschlossenheit funktioneller Systeme und ihre Unfähigkeit, zielferne Kommunikation zu betreiben, darf nicht mit völliger Losgelöstheit von gesellschaftlichen Prozessen verwechselt werden. Keinesfalls sind einzelne Funk­tionssysteme als autark zu bezeichnen. Vielmehr sind sie voneinander ­abhängig und bauen aufeinander auf.49

Grundlegend zielten das DDR-Spitzensportsystem und seine Begabungsförderungsmechanismen darauf ab, auf dem Gebiet des Wettkampfsportes zu siegen – speziell im ›medaillenintensiven‹ internationalen olympischen Spitzensport. Kernaufgabe dieses Funktionssystems war die Maximierung des Erfolges mit den Methoden der sportlichen Leistungsentwicklung. Sieg oder Niederlage bildeten den Code des Spitzensports und formten dessen integrale Bestandteile, zu denen auch die Förderung zählte.50 Die Akteure standen demnach in Konkurrenz zueinander. Jeder wollte für sich den Sieg reklamieren, jedoch waren nur die wenigsten Athleten dazu befähigt. Dieses Ungleichgewicht von Einsatz und Gewinn war und ist weiterhin prägend für die sportliche Leistungsmessung. Wer im Sport den zweiten Platz belegt, ist bereits der erste Ver
lierer.


Die Funktionslogik des DDR-Spitzensports war selbstreferenziell ausgerichtet. Zwar hatten sportliche Erfolge durchaus Auswirkungen auf die Biografien einzelner Akteure, umgekehrt bildeten außersportliche Potenziale keinerlei Referenzen innerhalb des Funktionssystems des Spitzensports. Fertigkeiten aus musischen oder kulturellen Bereichen verhalfen den Athleten nicht zu besseren sportlichen Resultaten und andersherum. Das System war nur daran interessiert, siegreife Leistungen zu erbringen und konnte auch nur darüber sozialen Status verleihen.


Eine Mitgliedschaft im Spitzensportsystem war für den DDR-Sport einzig über eine Organisationsmitgliedschaft zu realisieren. Dementsprechend waren die Athleten wie Funktionäre Mitglieder des ansässigen SC. Zudem waren alle Akteure des Sports automatisch Mitglieder im DTSB der DDR und damit seinen Weisungen unterstellt. Die Mitgliedschaft folgte formalen Regelungen, deren Nichteinhaltung einen Ausschluss aus dem Spitzensportsystem provozierte. Sportler hatten die Aufgabe, körperliche Leistung zu erbringen, weshalb ihre Inklusion klar das Profil einer Leistungsrolle beinhaltete. Ebenfalls in Leistungsrollen inkludiert waren Trainer und unterstützendes Personal des Spitzensports. Diese hatten jedoch weit weniger körperliche Leistungsbefähigung als die Athleten, deshalb spricht man bei ihnen von sekundären und tertiären Leistungsrollen.51 Beide Gruppen traten mit dem Sportler interaktiv in Kontakt, wobei in erster Linie die Trainer (sekundäre Ebene) mittels technischer und taktischer Hilfestellungen Einfluss nahmen. Ärzte, Physiotherapeuten und andere (tertiäre) Leistungsrollen kamen vorrangig mit dem Körper des Athleten in Kontakt. Sie behandelten in der Wettkampfvorbereitung und -nach­bereitung das ›Material‹, um die Funktionszielstellung zu erreichen.52 Zueinander befanden sich die verschiedenen Leistungsrollen in einer symmetrischen und interaktiven sozialen Anordnung. Die systemeigene Bewertung körperlicher Leistung zeichnete sich durch ein enormes Ungleichgewicht aus. Trotz hoher Anstrengungen der Akteure war der Sieg nur für einen System­akteur erreichbar. Gleichlautend stellten Bette und Schimank fest, dass die »Mehrzahl [der Athleten] vom knappen Gut des Sieges ausgeschlossen [wird] und es im nächsten Wettkampf noch einmal versuchen« kann.53

Diese grundsätzliche Konkurrenzsituation stellte die Athleten vor eine Reihe von Problemen. Um besser zu sein als andere Akteure des Systems, mussten sie stets mehr Zeit und Ressourcen aufwenden als die potenzielle Konkurrenz. Dies wiederum führte zu einer Verknappung der Zeitressourcen, die für andere Bereiche der Gesellschaft aufgewandt werden sollten. Zwar war die zeitliche Inklusion in den Spitzensportbereich – wie auch aktuell – lebensphasenspezifisch, also auf die Zeit beschränkt, in der ein maximaler Leistungshöhepunkt zu erwarten war. Jedoch stehen in dieser Phase des häufigen und langwährenden Trainings und Messens wenige Zeitreserven für andere entwicklungsbedingte Inklusionsverhältnisse zur Verfügung. 


Die Entwicklungen des Spitzensports seit den 1960er Jahren führten auch in der DDR zu einer Professionalisierung. Intensitäten, Umfänge und Beanspruchung der Athleten stiegen mit jedem neuen Weltrekord. Die Trainingshäufigkeit wuchs derart an, dass die Akteure jedes Jahr die sachlichen und zeitlichen Investitionen erhöhen mussten, um mit der internationalen sport­lichen Leistungsentwicklung mitzuhalten. Gab es in den 1950er Jahren noch die Möglichkeit, neben dem Beruf im Leistungssport erfolgreich zu sein, war dies zehn Jahre später weithin ausgeschlossen. Charakteristisch für diese dynamische Entwicklung war der enorme Leistungszuwachs in den einzelnen Sportarten. Welt- und Landesrekorde wurden beinahe bei jeder Großveranstaltung ein­gestellt. Wer auf dieser steilen Leistungsrampe mithalten wollte, musste den Einsatz erhöhen und existenzsichernde Engagements wie Schulausbildung oder Berufstätigkeit hintanstellen. Gleichzeitig bedeutete dies auch, dass »die Inklusionsverhältnisse in andere gesellschaftliche Teilsysteme« darunter litten »oder gar unmöglich gemacht« wurden.54

Diese Form einer völlig vereinnahmenden Akteursinklusion wird in der systemtheoretischen Perspektive als Hyperinklusion bezeichnet.55 Die Verengungsdynamik des Spitzensports trieb seine Akteure dazu, stets mehr in ihre Entwicklung zu investieren, als ihnen eigentlich möglich war. Diese Form der Hochkostensituation resultierte aus der genuin pyramidalen Struktur des DDR-Spitzensports und stellte ein Problem dar, dessen Lösung ausschließlich der spitzensportlichen Begabungsförderung der DDR übertragen wurde.


5. Methodische Vorgehensweise


In der Untersuchung wurde auf zwei Erhebungsinstrumente zurückgegriffen: die Dokumentenanalyse und Interviews.


Dokumentenanalyse


Bei der Analyse verschiedene Aktenbestände waren Dokumente von Interesse, die Aufschluss darüber geben konnten, in welcher Form eine Verbindung von Spitzensport und Schule, Spitzensport und Studium bzw. Spitzensport und Beruf in der DDR möglich war und gefördert wurde.56

Die Dokumente wurden mittels strukturierter57 qualitativer Inhaltsanalyse systematisch ausgewertet, d. h. »das Material schrittweise mit theoriegeleitet am Material entwickelten Kategoriensystemen bearbeitet«.58 Die konkreten Kategorien galt es, im Zuge der theoretischen Reflexion der Thematik zu erarbeiten.


Interview


Für die Bearbeitung der vorliegenden Problemstellung wurde das problemzentrierte Interview gewählt, da die Vorteile dieser Form des qualitativen Interviews am besten mit den Gegebenheiten und Ansprüchen der Studie harmonieren. So können mit einem problemzentrierten Interview weitestgehend offen und relativ flexibel Hypothesen sowohl überprüft als auch neu generiert werden. Dabei können die Befragten – im Rahmen einer teilstandardisierten Befragung – 
ihre eigene Sicht darlegen, ohne dass der Interviewer den Redefluss des Gesprächspartners unterbricht. Neben der sehr hohen Flexibilität offeriert diese Art der persönlichen Befragung nach Hamman und Erichson59 eine mittlere bis sehr gute Datengenauigkeit sowie eine sehr hohe externe Validität.


Um während der Interviews einen geregelten und geordneten Ablauf zu gewährleisten bzw. bei der anschließenden Datenauswertung die Aussagen und Ergebnisse miteinander vergleichen und gegenüberstellen zu können, folgten alle geführten Interviews einer einheitlichen Strukturierung. Ausgehend vom Forschungsstand und den daraus abgeleiteten zentralen Zielstellungen der Studie wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, der neben einem einleitenden Teil zu den sozio-demografischen Daten des Interviewpartners in vier wesentliche Bereiche gegliedert ist.


Im ersten Teil lag der Fokus darauf, Aussagen von den Interviewpartnern zu den Strukturen, die für eine Verbindung des Spitzensport- und des Bildungssystems gelegt wurden, zu erhalten. Darüber hinaus war von Interesse, inwieweit diese Strukturen eine erfolgreiche Koordination von sport­lichen und schulischen, akademischen oder beruflichen Verpflichtungen ermöglichten bzw. verhinderten.60 Im zweiten Teil standen Effektivität und Effizienz des Verbundsystems im Mittelpunkt,61 während der dritte Teil die politische Steue­rung des Verbundsystems in den Blick nahm und darüber hinaus fragte, ob durch die Etablierung informeller Netzwerke zwischen den Akteuren innerhalb und ­außerhalb des Verbundsystems etwaige Defizite der strukturellen Kopplung von Spitzensport- und Bildungssystem ausgeglichen werden konnten. Im vierten Teil konnten die Interviewpartner ergänzende Angaben zum Sachverhalt machen oder Anregungen geben.


Insgesamt wurden sieben verschiedene Interviewleitfäden entwickelt – angepasst an die jeweilige Rolle des Interviewpartners innerhalb des Verbundsystems. Dieses Vorgehen sollte sicherstellen, dass die Akteure relevante Aussagen zu den mit ihrer Rolle assoziierten Perspektiven treffen können.62

Bei der Auswahl der Interviewstichprobe wurde berücksichtigt, dass durch die Studie möglichst umfassende Erkenntnisse zu verschiedenen Erfahrungshorizonten gewonnen werden sollen.63 Die Stichprobe wurde auf 40 ehemalige Sportler-Schüler, Sportler-Studierende, Sportler-Auszubildende und Sportler-Berufstätige sowie Trainer und Mitarbeiter des Spitzensportsystems und Lehrer bzw. Mitarbeiter des Bildungssystems sowie Mitarbeiter in den Betrieben festgelegt. Diesbezüglich kann nicht von einer probabilistischen Stichprobe gesprochen werden. Damit die Verzerrungen so gering wie möglich gehalten werden, erfolgte die endgültige Auswahl der Interviewpartner nach den oben skizzierten Merkmalen. Hierdurch sollte es gelingen, die für die Untersuchung als relevant eingeschätzten Charakteristika durch Einzelfälle ausreichend zu repräsentieren. Bei der konkreten Auswahl der Interviewpartner wurde nach dem ›Schneeballsystem‹ vorgegangen. So wurden die Kontakte vorhandener Interviewpartner zu anderen ehemaligen Akteuren genutzt, um weitere Probanden zu gewinnen.64

Die aufgezeichneten Interviews wurden transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet.65 Die Auswertung erfolgte mittels der für die Interviewleit­fäden verwendeten Kategorien, welche es ebenso im Zuge der theoretischen Auf­arbeitung zu konkretisieren galt. Dabei wurden relevante Aussagen der Interviewpartner den in den Interviewleitfäden einsortierten Kategorien zugeordnet. Die Auswertung der Teilaspekte, welche einen hohen Interpreta­tionsspielraum erlauben, erfolgte jeweils von zwei Mitgliedern der Forschergruppe, um hierdurch die Objektivität zu erhöhen.


6. Empirische Ergebnisse


Politisch gewollt und gefordert, zielte das DDR-Spitzensportsystem darauf ab, spitzensportliche Höchstleistungen bzw. internationale Siege bei sportlichen Wettkämpfen zu erbringen. Dazu bedurfte es ausreichend befähigter Spitzensportler, die über ein pyramidales Leistungssystem selektiert und gefördert wurden.66

6.1 Inklusion (Delegierung) in das Spitzensportfördersystem (KJS/SC)


Die Rekrutierung der sportlichen Talente erfolgte ab dem Jahr 1973 flächendeckend über das System der Einheitlichen Sichtung und Auswahl (ESA) für die Trainingszentren und Trainingsstützpunkte des DTSB. Gemeinschaftlich organisiert von den Einrichtungen des Ministeriums für Volksbildung (MfV) und des DTSB wurden fortan nahezu alle Kinder eines Jahrgangs mithilfe standardisierter Testverfahren auf ihre Eignung für bestimmte Sportarten hin überprüft. Ein Großteil der Sichtungsarbeit für die ›Produktion‹ zukünftiger Medaillenlieferanten erfolgte durch sogenannte Sichtungstrainer im allgemeinen Sportunterricht der Polytechnischen Oberschulen (POS), bei lokalen sportlichen Wettbewerben, wie den Kinder- und Jugendspartakiaden, und für bestimmte Sportarten bereits in den Kindergärten. Zudem wurde eine systematische Sichtung betrieben, bei der über eine zentralisierte Erfassung körperlicher und leistungsphysiologischer Daten geeignete Sportler ermittelt wurden. Mit Unterstützung der DHfK wurden auf diese Weise ganze Schülergenera­tionen von ihren Sportlehrern in einem einheitlichen Erfassungssystem katalogisiert. Dieses lieferte den Sichtungstrainern des DTSB Informationen darüber, wo sich die potenziellen Medaillenkandidaten befanden und gewährleistete die Zuordnung zu bestimmten Sportarten.67 Zum System der ESA stellte ein ­interviewter Zeitzeuge, der das Spitzensportfördersystem der ehemaligen DDR sowohl als Sportler als auch als Sichtungstrainer erlebte, heraus: 


[D]as war ja das System, […] jedes Kind wurde erfasst. […] [A]lle Sportlehrer hatten Aufträge von der DHfK Leipzig. Die mussten Listen ausfüllen, über jedes Kind, und dann sind die Listen zur DHfK gegangen und die haben sie ausgewertet und dann wieder zurück[geschickt]. Da gab es […] Bögen, da standen alle Namen in jeder Stadt, von allen Schulen oben, und für welche Sportart der [jeweilige Sportler] geeignet war. Die bekamen eine Zahl zugeordnet. […] [D]ann haben wir Trainer zusammengesessen, […] von allen Sportarten und haben [die Sportler] aufgeteilt. So, ›du nimmst die, du nimmst die, du nimmst die Sportler‹. [Dann] biste rumgefahren [und] hast abgeklappert, geklingelt, […] vorgestellt. Manche haben gesagt, ›nein, mein Kind boxt nicht!‹ War immer schwer. Die haben mir die Tür vor der Nase zuge[schlagen]. Aber manche haben [gesagt], ›komm rein‹. [S]o haben wir unsere Jungs geworben. Da waren immer hauptamtliche Trainer dafür da. Dadurch ist das ganze System von unten nach oben [möglich] geworden.68

Die ESAwurde grundsätzlich in den Sichtungsgebieten der jeweilig zugehörigen SC durchgeführt. Ein auf die Delegierung auf die KJS bzw. den SC vorbereitendes TZ-Training konnte demnach auch nur in diesem Gebiet stattfinden. Konflikte zwischen den SC entstanden u. a. dadurch, dass einige Sichtungstrainer die Vereinbarungen missachteten und in fremden Sichtungsgebieten nach neuen sportlichen Talenten Ausschau hielten. Dieses Vorgehen erwies sich zum Teil als erfolgreich, denn es gab durchaus Sportler, die an der regionalen KJS, beispielsweise aufgrund nicht ausreichender schulischer Voraussetzungen, keine Zulassung erhielten, aber sich wegen ihrer sportlichen Leistungen durchaus für eine Delegierung an einen SC empfahlen. Generell waren Sichtungs- und Anwerbungsversuche im Hoheitsgebiet anderer Sportvereinigungen (SV) untersagt. Trotzdem gab es erfolgversprechende Möglichkeiten, Talente aus den Sichtungsgebieten anderer SV zu rekrutieren. Gemäß der Darstellung ­eines Sportfunktionärs am Armeesportklub (ASK) Vorwärts Frankfurt 
(Oder)


[…] ging [Fremdsichtung] nicht. Die von [der SV] Dynamo konnten auch nicht bei uns sichten, da gab es klare Regeln. Aber das ging natürlich auch anders. Wenn die Dynamoleute ganz clever waren und zu den Eltern gingen und sagten, ›pass mal auf, ihr sagt, der geht niemals nach Frankfurt (Oder), der geht zu uns‹, dann konnten wir auch nichts machen. Dann sind die eben zu Dynamo gegangen. Ist ganz selten passiert, ganz selten. Aber es ist auch hier und da [vorgekommen]. Aber umgekehrt ging das auch, dass die nicht zu Dynamo, sondern zu uns gegangen sind. Das war ein Hin und Her.69

Geprägt von Hegemoniebestrebungen und Dominanzverhalten der staatlichen Sportvereinigungen SV Dynamo (Deutsche Volkspolizei bzw. Ministerium für Staatssicherheit) und ASV Vorwärts (Nationale Volksarmee) und deren Aufbau, Strukturen und Ressourcenausstattung kann eine privilegierte Stellung gegenüber den zivilen Sportvereinigungen festgestellt werden, die sich auch auf die Rekrutierung der sportlichen Talente in die TZ bzw. später in die KJS und SC auswirkte.70 Diese Konstellationen dürften sowohl zu Spannungen zwischen den Sichtungstrainern der staatlichen Sportvereinigungen und denen der zivilen Sportvereinigungen als auch zwischen den Sichtungstrainern der beiden staatlichen Sportvereinigungen geführt haben. Dies ist durchaus begründbar, ging es doch vorrangig darum, die größten Talente für die eigene SV anzuwerben, um auf diese Art und Weise die Chancen auf spätere Medaillengewinne bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften für die ›eigenen Reihen‹ zu erhöhen.


Damit sind die Beweggründe aus der Perspektive der SV klar umrissen, doch was bewog die jungen sportlichen Talente, ins Spitzensportfördersystem der ehemaligen DDR einzusteigen? Auch in diesem Zusammenhang erscheint es geboten, die damals herrschenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen.


Insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren stagnierte die Entwicklung des DDR-Staatssozialismus in Bezug auf politische Zugeständnisse bei Reiseerleichterungen ins westliche Ausland, wirtschaftliche Selbstverantwortung und sozialen Aufstieg.71 Für einen jungen Menschen dürfte dies bedeutet haben, sich auf eine Zukunft vorzubereiten, die durch politische Repression, Grenzen der beruflichen Perspektiven, allgemeine Versorgungsengpässe und Einschränkungen bei der persönlichen Entfaltung gekennzeichnet ist. Auch bei erfolgreicher schulischer, beruflicher bzw. akademischer Qualifikation dürften die Grenzen der DDR-Gesellschaft kaum zu überwinden gewe
sen sein.


Um sich gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft spürbare Vorteile zu verschaffen, war es für den Einzelnen ein probates Mittel, eine der verschiedenen Rollen zu übernehmen, die dem politischen System besonders dienlich waren. Eine Mitgliedschaft in der SED, eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sowie ein fester Klassenstandpunkt resultierten dabei für den Einzelnen häufig eher aus Opportunitätsüberlegungen heraus denn aus politischer Überzeugung. Um nach außen die Überlegenheit des sozialistischen Gesellschaftssystems (im Rahmen von internationalen Exzellenzwettbewerben) demonstrieren zu können, musste das politische System starke Anreize für besonders begabte und dem politischen Willen dienliche Talente aus verschiedenen Exzellenzbereichen – wie Sport, Musik, Tanz und Literatur – setzen. Nach der Sichtung mussten Talente aus diesen Bereichen zur Erbringung von Höchstleistungen motiviert werden. Den jungen Sportlern dürfte durchaus bewusst gewesen sein, welcher Wert ihren potenziellen sportlichen Spitzenleistungen für das politische System beigemessen wurde: Als zukünftige Leistungselite der DDR-Gesellschaft kam es ihnen zu, fehlende wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Wirkmächtigkeit zu kompensieren. Freilich spielten in den frühen Förderstufen des Spitzensportsystems solche Überlegungen bei den jungen Sportlern noch keine ausgeprägte Rolle, spätestens mit der Aufnahme in die Eliteförderung auf der 2. Förderstufe des DTSB dürften sich die Ansichten aber gewandelt haben. Den meisten war »irgendwie klar, dass man da was Gutes kriegt, wenn man dort ist.«72

Die jungen Sportler fühlten sich als etwas ›Besonderes‹, denen eine ›Auszeichnung‹ für die eigenständig erzielten Leistungen in Form der Delegierung an die KJS zuteilwurde. Der Wunsch nach Würdigung expliziter Verdienste war demnach nur in wenigen Bereichen der DDR-Gesellschaft so gut zu befriedigen wie im DDR-Spitzensportsystem.


Hinzu kommt, dass der Einfluss der Eltern, Verwandten und Bekannten auf die Sportler bereits im jungen Alter nicht zu unterschätzen gewesen sein dürfte, denn auch sie sahen beim Blick auf die vorhandenen Möglichkeiten der Spitzensportförderung die vermeintlich verbesserte gesellschaftliche Ausgangsposition ihres Kindes und waren nicht zuletzt ›stolz‹ auf dessen Leistungsfähigkeit. Die Talente befanden sich von Beginn an in Vollverpflegung an einer Ganztageseinrichtung und wurden zudem im Nachmittagstraining beschäftigt. Angesichts der beruflichen Verpflichtungen, die in der DDR auch für einen Großteil der weiblichen Bevölkerung bestanden, waren sicherlich auch Entlastungen in der Betreuungsarbeit ein positiver Anreiz zur Delegierung des eigenen Kindes. Eltern, denen dieses weitgehend von der Eigenverantwortung entkoppelte System aus verschiedenen Gründen nicht zusagte, waren meist nicht zu einer Delegierung ihres Kindes zu bewegen.


6.2 Verbleib im Spitzensportfördersystem (KJS/SC)


Die Frage nach den Gründen für den Verbleib im Verbund aus KJS und SC kann durch ein breites Spektrum an Charaktertypen beantwortet werden. Dieses reichte vom Sportler, der sich aus eigenem Antrieb dem Ziel der Höchstleistung kompromisslos unterordnete und alle Ressourcen opferte, bis zu demjenigen, der den von außen herangetragenen Erwartungen einer leistungshungrigen Umwelt genügen wollte und nicht aus der ihm zugewiesenen Rolle ausbrechen konnte oder wollte.


Bei der Frage nach den Motivatoren sind zunächst weiter oben genannte Gründe zu berücksichtigen. Ein hochgelobter Athlet, der sich im Spitzensportfördersystem etabliert und gewisse damit verbundene Privilegien genossen hat, würde eine Rückkehr in den außersportlichen Alltag oftmals als eine schwere Niederlage bzw. als Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit ansehen und nicht selten als existenzielle Krise erleben. Viele ehemalige Sportler sprechen von ­einer Mischung aus Hoffnung auf weitere Teilhabe an den Privilegien und Furcht vor einer ›blamablen‹ Rückdelegierung an die Herkunftsschule – an der sie sicher nicht zur Freude aller Mitschüler in höchsten Tönen gelobt und aufmerksamkeitsträchtig verabschiedet wurden. Der ureigene Code des Spitzensportsystems von Sieg (Delegierung an KJS/SC) und Niederlage (Ausdelegierung aus KJS/SC) kommt schon bei den jungen Sportlern deutlich zum Ausdruck. So stellt ein ehemaliger Leichtathlet seine Empfindungen folgendermaßen dar:


Für mich war auch ein großes Motiv, ›du möchtest an deine Dorfschule nie mehr zurück‹. Zurückdelegiert werden – um Gottes Willen. […] Das war auch ein Motivator, mich anzustrengen. Und zweitens hatte ich doch Spaß […]. Ich meine, wenn Sie immer in jedem Jahr unter den ersten vier sind in der DDR, dann haben Sie doch auch Freude daran. Wir hatten ja auch viele, viele Wettkämpfe. So, und wir sind durch die ganze Republik gefahren. […] Ich kannte die ganzen damaligen Topsportler […] So, und das macht doch Spaß dann mit denen mal so sich zu unterhalten.73

Auch die ursprünglichste Motivation, sich im Training oder bei Wettkämpfen leistungsmäßig zu steigern und sich mit anderen zu messen, wurde von den ehemaligen Sportlern genannt. So sahen einige den Verbleib im Verbund vor allem als Chance, eine ›Siegermentalität‹ zu entwickeln. Sie wollten »zu denen gehören, die mit die Musik bestimmen […] und nicht […] zum letzten Glied gehören.«74

Für sie war der Verbleib im System als einfacher Zusammenhang von geplanter und erzielter Leistung zu sehen, was ihrer Ansicht nach »auch normal im Leistungssport« war.


Die befragten Zeitzeugen, die derartige Argumentationsmuster anwendeten, waren jedoch zum Großteil sehr erfolgreiche Sportler, die keine Ausdelegierung gegen ihren eigenen Willen zu erwarten hatten. Auch waren ihre Motivationsgründe für den Verbleib im Fördersystem weit weniger von Versagensängsten als vielmehr von Siegeslust geprägt. Sie identifizierten sich vollkommen mit der spitzensportlichen Aufgabenstellung, werteten den sportlichen Erfolg als Ergebnis ihrer eigenen Anstrengungen und fühlten sich ›verdientermaßen‹ der sportlichen Elite des Landes zugehörig. Ausgeprägt war bei ihnen auch die Unterordnung sozialer Beziehungen außerhalb des Spitzensportfördersystems: Zwar erkannten sie, dass für persönliche Freizeit und die Aufrechterhaltung von Bindungen zu Freunden aus früheren Schultagen keine oder wenig Zeit blieb, allerdings bedeutete dies für sie keine wesentliche Einschränkung. Die Freundeskreise der jungen Sportler waren daher meist sehr eng mit dem Sport verbunden. Eine ehemalige Turnerin bemerkte dazu:


Die anderen haben sich nach der Schule irgendwo getroffen, auf dem Spielplatz oder sonst wo, das gab es bei uns nicht, weil wenn man abends um halb neun zu Hause war, dann war nichts mehr mit noch irgendwo treffen. Die Wochenenden waren meist mit Wettkämpfen belegt. Wenn man mal keinen hatte, war man auch mal froh, wenn man nichts hatte und dann verliert man über die Zeit auch den Kontakt zu den anderen. Wenn man sich nur alle fünf Wochen bei einer Clique sehen lässt, das funktioniert nicht. Man hat dann wirklich seinen Freundeskreis in dem Bereich in der Schule, im Sport und manchmal auch in anderen Sport
arten.75

Das Spitzensportfördersystem ermöglichte es durch verschiedenartige Koordinations- und Kommunikationsarrangements, dass die jungen Sportler sich ganz auf die Erbringung spitzensportlicher Höchstleistungen konzentrieren konnten, ohne dass ihre schulische Ausbildung darunter zu leiden hatte. Die in der Theorie76 als problematisch angesehene Vereinbarkeit der beiden Inklusionsverhältnisse Spitzensport und Schule konnte – den Darstellungen der befragten Zeitzeugen folgend – durch »[den] Komplex aus Schule, Internat und Sportclub«77 gelöst werden. Die damit gebotene Möglichkeit, Leistungssport und Abitur zu kombinieren, war für viele der befragten Zeitzeugen ein Motivator zum Verbleib im Spitzensportfördersystem.


Die Vereinbarkeit von Schule und Sport war nur durch verschiedene Flexibilisierungsmaßnahmen möglich. Schulisch war ein zentraler Lehrplan vorgegeben, zugleich wurde in der 2. Förderstufe an den KJS und den SC vor ­allem das Trainingspensum der jungen Sportler auf bis zu 30 Wochenstunden erhöht. Aus trainingsmethodischen Gründen konnten die täglichen Übungseinheiten in vielen Sportarten an den SC aber nicht pauschal auf eine spätere Tageszeit verlagert werden. Dementsprechend wurde nach Absprache der Verantwortlichen von KJS und SC der Schulunterricht flexibel gestaltet und an die Trainingseinheiten angepasst. Neben dem Vormittagstraining war die ›Gesamtschulzeitstreckung‹ eine weit verbreitete Flexibilisierungsmaßnahme der KJS-Spezialschulausbildung. Dabei wurde in Abstimmung mit dem MfV in bestimmten Klassen der Unterricht von zwei auf drei Schuljahre gestreckt und so die tägliche Unterrichtsbelastung reduziert. Die Gesamtschulzeitstreckung wurde Ende der 1980er Jahre in nahezu allen Klassenstufen – abhängig vom spezifischen Hochleistungsalter in den jeweiligen Sportarten – ermöglicht.


Streckungen waren gerade im Abiturbereich sehr beliebt, um das Inklu­sionsproblem aus Spitzensport und Schule zu lösen. Nicht selten legten leistungsstarke Sportler im 15. Schuljahr ihr Abitur ab.78 Unterrichtseinheiten wurden in diesem Bereich dann häufig auch fernab des üblichen DDR-Schulunterrichtes in Einzelbeschulung durchgeführt. Eine spätere Olympiasiegerin im Rudersport schilderte ihre Eindrücke zur zeitlichen Flexibilisierung ihres Trainings- und Schulpensums folgendermaßen:


Trainingslagertage steigen an und somit steigen auch die Schulausfallzeiten. Aber das war nie das Problem, weil die Schule immer wusste, wann Trainingslager sind, und wenn man dann halt wieder zurück war, gab es dann spezielle Zeiten, in ­denen man den Stoff nachholen konnte. Im Abiturkurs war es dann einfach so, die Schulzeit wurde dann ›Open End‹ gestreckt, das war ja kein Problem. Und zum Schluss hatte ich Einzelunterricht, da war der Lehrer da, wenn ich da war.79

Im Gegensatz zu den nach persönlichen sportlichen Höchstleistungen Strebenden und vom Zugehörigkeitsgefühl zur Elite Geprägten blieben hinterfragende und reflektierende Charaktertypen im Spitzensportfördersystem, weil sie den Verlust ihres Ansehens fürchteten, ihrer Rollenzuschreibung gerecht werden wollten oder sich aufgrund anderer Konfliktsituationen dazu genötigt sahen. Außerdem galten Trainer und Funktionäre als Führungspersonal. Schon bei der Auswahl ihrer Sportart hatten sich die Sportler meist durch die vorbestimmte Ausgestaltung der ESA lenken lassen müssen. Eigenverantwortung und Selbstbestimmung waren daher keine Ressourcen, die den Sportlern zur Verfügung standen. Wurde ein talentierter Sportler im Sichtungssystem auserkoren, konnte er schnell in ein sich selbsterhaltendes System aus Erwartungshaltung und erzielten Leistungen abdriften, das den Ausstieg aus dem Spitzensportsystem zunehmend erschwerte. Gerade Sportarten mit niedrigem Hochleistungsalter dürften hier eine Reihe von Sportcharakteren entwickelt haben, die über die Hoffnungen von Eltern, Lehrern und Trainern weitest­gehend fremdbestimmt funktionierten und sich dabei selbst verleugneten.


6.3 Exklusion (Ausdelegierung) aus dem Spitzensport­fördersystem (KJS/SC)


Die meisten Sportler, ob extrinsisch oder intrinsisch motiviert, wurden in verschiedenen Phasen ihrer schulischen bzw. sportlichen Entwicklung als nicht weiter förderwürdig erklärt.80 Nicht selten war es der Fall, dass von achten Klassen, die mit bis zu 25 Sportlern in das Schuljahr starteten, am Ende der zwölften Klasse kein einziger ehemaliger Hoffnungsträger mehr vertreten war. Dies wirft die Frage nach den Gründen für den Entzug ihres sportlichen Leistungsauftrages und somit für das Ausscheiden aus dem Spitzensportfördersystem auf. Im Wesentlichen erfolgten Ausdelegierungen wegen mangelnder Leistungsentwicklung, verletzungsbedingt oder aus persönlichen, disziplinarischen und politischen Gründen.


Die in den Interviews befragten ehemaligen Akteure des Verbundsystems aus Spitzensport und Schule gaben als Ausdelegierungsgrund am häufigsten die fehlende sportliche Leistung des Sportlers an.81 Das Nichterreichen der jährlich definierten Leistungsziele konnte demnach relativ zügig zum Ausscheiden aus der Sportförderung führen. Ob die mangelnde Leistungsentwicklung dabei wachstums-, verletzungs- oder persönlich bedingt war, spielte eine untergeordnete Rolle.82 Ein ehemaliger Gewichtheber aus Berlin beschreibt seinen verletzungsbedingten Ausdelegierungsvorgang folgendermaßen:


Es gab einen […] Wettkampf und bei diesem […] habe ich mich verletzt. Ich hab es ja selber gespürt. ›Knack‹ machte es und dann war die Lendenwirbelsäule angeknackst. Als ich dann merkte, dass [es] in der Rehabilitation nicht so richtig funktionierte, dann war ja für mich klar, dass meine Perspektive beendet ist. Das wurde dann natürlich auch dem Club oder der Sektion klar.83

Körperliche Verletzungen waren für die Betroffenen durchaus nachvollziehbare Ausschlussgründe, dementsprechend sahen die meisten Befragten eine so begründete Ausdelegierung als unproblematisch an.84 Weitaus schwerer verkraftbar – und teilweise mit traumatischen Erinnerungen verbunden – waren für einige befragte ehemalige Sportler hingegen leistungsbedingte Ausdelegierungen. Ein erst hoffnungsvoller und später ausdelegierter Radsportler beschreibt seinen ungewollten Abschied vom Radsport mit drastischen Worten:


Das war eigentlich ganz fürchterlich. Ich hatte irgendwie in der neunten Klasse im Frühling gemerkt, das läuft wieder […]. Jedenfalls trainierten wir noch fleißig für die DDR-Meisterschaft. [Dann], das weiß ich noch ganz genau, da hab ich mein Rad verladen, wurden Reifenschoner um die Räder gemacht, schön eine Decke drüber, auf den LKW gestellt und gestreichelt – tschüss bis morgen. Dann runter vom LKW und dann sagt [der Trainer], ›du kommst heute Abend um 19 Uhr mal mit deinen Eltern hoch. Hier zum Club‹. Naja, gut, bin ich hoch, da saßen dann drei Typen und haben gesagt, ›das haste alles nicht geschafft und ja, jetzt ist Schluss‹. Ich fragte dann, ›und mein Fahrrad‹? Die dann, ›kannst du oben [am Club] lassen, nehmen wir als Ersatzrad‹. Von dort an brauchte ich nicht mehr am Training teilzunehmen und war raus. Von einer Minute zur anderen.85

Bei der Entscheidung über die weitere Förderung spielten die schulischen Entwicklungen der Sportler eine weitgehend untergeordnete Rolle. Sportliche Leistungsentwicklung und -perspektive entschieden über die Schuljahre hinweg über Verbleib im oder Ausscheiden aus dem Spitzensportfördersystem. Die meisten Entlassungskader (EK) verließen die KJS spätestens mit Abschluss der zehnten Klasse. Ein fortlaufender Selektionsvorgang war für die Sportler deutlich spürbar, wie ein ehemaliger Schwimmer des SC Dynamo Berlin beschreibt:


Du wurdest eingeschult und dann konntest du zugucken, wie im ersten Jahr gleich fünf, sechs, sieben, acht nach Hause geschickt wurden. Im nächsten Jahr wieder drei nach Hause geschickt usw. Also es wurde jedes Jahr […] gesiebt.86

Nicht immer wurden Sportler, die in ihrer Sportart den Leistungsanforderungen nicht mehr gerecht wurden, endgültig ausdelegiert. Aufgrund ihrer potenziellen Eignung versuchte man sie in andere Sportarten umzudelegieren, um dort die bereits erzielten Trainings- und Ausbildungsfortschritte in rasche Leistungszuwächse zu überführen.87 Ein ehemaliger Cheftrainer im Gewichtheben am ASK Vorwärts Frankfurt (Oder) beschreibt die Rekrutierung sportartenfremder Ausdelegierungskandidaten – z. B. Turner – als sehr positiv. Er gibt an, dass sie


in einzelnen Sportarten [Sportler] ausdelegieren wollen, weil die zu schwer geworden sind. Aber mancher war koordinativ sehr gut, war nur zu schwer und er kommt jetzt nicht mehr weiter im Turnen. Dann konnten wir ihn sichten. Ein Turner oder auch [Kandidaten] aus anderen Sportarten, wenn die schon eine ­Vorausbildung hatten, mit denen kannst du schneller arbeiten und schneller vorankommen, als mit anderen, normalen Sportlern. Der hat es schneller auch auf­genommen das Ganze, die ganzen Abläufe und so weiter.88

Eine freie Auswahl der Sportarten war den Sportlern dabei nicht möglich. Die Vorgaben der Trainer und Funktionäre, die auf Basis der jeweiligen Leistungsstruktur festgelegt und – den Aussagen einiger Zeitzeugen nach – auch zwischen den verschiedenen SV unterschiedlich gehandhabt wurden, waren dabei entscheidend. Umdelegierungsmaßnahmen innerhalb des DDR-Spitzensportsystems erwiesen sich als durchaus erfolgreich. Zwei der interviewten Zeitzeugen und Olympiasieger waren bereits in anderen Sportarten aktiv, bevor sie in ihre spätere erfolgreiche Spezialsportart wechselten.


Neben den bisher beschriebenen, in den Code von Sieg und Niederlage eingeschriebenen Gründen konnten auch disziplinarische Verfehlungen zur Ausdelegierung führen. Diese wurden jedoch unterschiedlich streng gehandhabt, je nachdem, ob die KJS an staatliche oder zivile SC angebunden waren. Ein ehemaliger Sportler der staatlichen SV Dynamo gibt an, dass disziplinarische Vergehen an zivilen SC weit weniger politisch aufgeladen waren als an den Ablegern des MfS bzw. der NVA. Demnach »ging das beim zivilen Club, also bei DHfK, aber bei uns nicht. […] Uns wurde sofort, wenn du Westliteratur gelesen hast oder irgendeinen Scheiß gemacht hast mit dem Westen, wurdest du sofort […] rausgeschmissen.«89

Ebenso konnten politisch unerwünschte Entwicklungen bei Sportlern und in deren Umfeld zu einer frühzeitigen Beendigung der spitzensportlichen Förderung führen. Zwar wurden politische Hintergründe und Kontakte der Sportler ins nichtsozialistische Ausland bereits im Vorfeld der Delegierung durch das MfS überprüft, dennoch konnten sich danach einstellende und mit der Ideologie des politischen Systems nicht vereinbare Tatbestände zum Entzug des Leistungsauftrages führen. Beispielgebend führte ein ehemaliger Radsportler aus:


Ich kenne einen ganz krassen Fall, der […] kam von der Küste. Der hat auch nicht mehr so viel gebracht und eigentlich schwebte über ihm auch schon das Schwert. Der wurde auch [fallen]gelassen. Sein Vater war Offizier an der Küste, der hatte Westbesuch empfangen gehabt – unangemeldet! Das war ein Grund für die, den sofort von der KJS zu werfen. Der musste sofort seine Sachen packen und abhauen.90

Andererseits erschien es für Sportler, die geringfügig von der Leitvorstellung des politischen Systems abwichen, durchaus möglich, in die Sportförderung aufgenommen zu werden bzw. darin zu verbleiben. Offenbar traf dies jedoch nur auf sehr erfolgreiche bzw. aussichtsreiche Athleten zu, die sich höchstwahrscheinlich zudem in einer Erklärung von ihren Verwandten im westlichen Ausland distanzieren mussten. Ein ehemaliger Trainer aus dem Gewichtheben stellte dar, dass


[es] eben auch solche [Sportler gab], die nicht delegiert werden konnten aus ­gesellschaftlichen Dingen wie zum Beispiel Westverwandtschaft. […] Es gab auch Ausnahmefälle […], der hat auch Verwandte da drüben gehabt und dann wurden eben Ausnahmefälle geschaffen und die wurden auch akzeptiert. […] Da gab es auch Möglichkeiten, also Systemgefährdenden die Möglichkeit einzuräumen, hier an die Schule zu gehen.91

Im Gegensatz zu einem unfreiwilligen Ende der sportlichen Karriere wurde von einigen Zeitzeugen auch das unfreiwillige Weiterführen des sportlichen Alltags beschrieben. Erfolgreiche Sportler, die jedoch nicht mehr willens waren, die Belastungen des kräftezehrenden Trainings auf sich zu nehmen, konnten nicht ohne Weiteres ihre Karriere beenden. Sie erwarteten Repressalien und eine Aufrechnung der bisher investierten Mittel und Privilegien seitens der Sportfunktionäre. Dieser Druck führte oftmals zu einer erzwungenen Weiterführung der sportlichen Karriere. Eine ehemalige Ruderin führte hierzu an:


Im Leistungssportsystem der DDR durfte, glaube ich, niemand von alleine aufhören. Er ›wurde aufgehört‹. Das gab es nicht, dass einer gesagt hat, ›ich will das nicht mehr‹. Das sind nur sehr ausgewählte Personen gewesen und mir war das zu stressig. Ich fand meinen Trainer nicht in Ordnung, ich hatte keinen Bock auf Training, das war mir alles zu viel. Das war mir zu viel Umfang. Sicherlich hat man da auch Fehler gemacht in der trainingsmethodischen Geschichte. […] Wer übrig blieb, blieb übrig. Es waren ja genug da. Das […] Aufhören an sich gab es ganz selten. Schon gar nicht bis zur zehnten Klasse oder bis zum Abitur. Da wurde nach irgendwelchen Tests entschieden, ›reicht nicht‹. Raus und Ende.92

Aussagen anderer Zeitzeugen zufolge stand den Sportlern, die nicht unbedingt die nationale Spitze des DDR-Sports bildeten, nach dem Abitur der Weg aus dem Sport relativ offen. Jedoch ist zu bemerken, dass alle Befragten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der nationalen Spitze vertreten waren und demnach nicht als potenzielle Kandidaten für olympische Medaillen angesehen wurden.93

Die Ausdelegierung – ob nun aus leistungsbezogenen, persönlichen oder politischen Gründen – hatte für einige der befragten Zeitzeugen teilweise harte Konsequenzen. Eine ehemalige Turnerin berichtet:


Meine schulischen Leistungen waren auch sehr gut. Aber als ich dann auf meine alte Schule wieder zurückkam, brach das richtig zusammen. Also da kam ich in der Schule nicht mehr mit. Also da hatte ich dann das schlechteste Zeugnis aller Zeiten von 2,3 ungefähr. Da waren die großen Jungs, da waren wir auf einmal 34 Leute in der Klasse. Das kannte ich alles gar nicht. Wir waren ja eine Elite-Truppe. Und auf einmal kam ich da wieder rein und ich kam überhaupt nicht klar. Da haben die mich gemobbt, geärgert. Ich nehme jetzt mal an, weil ich ja nicht blöd war und trotzdem dann schlechte Noten irgendwie hatte, dass wir verkürzten Stoff gehabt hatten. Aber das kann ich weder beweisen noch irgendwas. Das ist nur eine Vermutung. Und das war so lange, wie ich praktisch in dem System der Sportschule steckte, ja darauf abgestimmt. Dann hätte ich ja garantiert in der siebenten Klasse daran angeknüpft. Dadurch, dass ich aber rauskam, bin ich voll auf die Nase geflogen. Das war eigentlich schicksalhaft für mein Leben, weil man in der achten Klasse ja damals auf die EOS kam. Zu der siebenten Klasse bin ich aus der Sportschule raus und hatte mein schlechtestes Zeugnis und damit konnte ich kein Abitur machen, weil ich nun gerade eben da zurückkam. Und da hat nun wirklich niemand mehr nach mir geguckt. Das war denen scheißegal, den alten Lehrern sowieso. Die habe ich ja nicht mehr gesehen. Aber da gab es auch keine Nach­betreuung oder irgendwie irgendetwas. Es gab kein Abtrainieren, keine schulische Betreuung, gar nichts.94

Es wird deutlich, dass bei mangelnder weiterer Qualifikation für die Spitzensportförderung die ehemals prospektiven Talente gravierende Nachteile erfuhren. Teilweise wurden sie fallen gelassen, ohne dass sie die Möglichkeit zum systematischen Abtrainieren bekamen oder ihnen zumindest dessen Notwendigkeit erklärt wurde. Darüber hinaus traten deutliche Probleme beim Übergang vom spezialisierten KJS-Schulalltag in das normale Schulsystem auf – mit negativen Konsequenzen für ihre zukünftigen beruflichen Karrieren.


7. Diskussion


Abgeleitet aus den oben dargestellten Ergebnissen zur Inklusion (Delegierung) in, zum Verbleib im und zur Exklusion (Ausdelegierung) aus dem Spitzensportfördersystem der ehemaligen DDR lässt sich feststellen, dass es verschiedene Gründe, Motivatoren und Anreize für seine ehemaligen Protagonisten – 
bestehend aus Sportlern, Lehrern, Trainern und sonstigem Funktionspersonal – gab. Um diese Gründe zu verstehen, erscheint es unerlässlich zu berücksichtigen, dass die hier beschriebenen weitreichenden und engverwobenen Kopplungsstrukturen aus Spitzensport und Bildungswesen notwendig waren und geschaffen wurden, um dem politischen Primat, spitzensportliche Höchstleistungen bei internationalen sportlichen Wettkämpfen zu erzielen, zu folgen. Neben den eigens dafür zur Verfügung gestellten Strukturen bedurfte es eines ausreichenden Reservoirs an jungen sportlichen Talenten.


Diese wurden nicht zufällig gefunden, sondern durch ein flächendeckendes Sichtungssystem rekrutiert. Für die 1. Förderstufe (TZ) wurden im Rahmen der ESA aus den ca. 190.000 Kindern eines Jahrgangs 26.000 Kinder für ein Sichtungstraining ausgewählt.95 Jährlich erreichten ungefähr 2.300 bis 2.500 Kinder und Jugendliche die Leistungsnormen und bestanden somit die Aufnahmeprüfungen für die 2. Förderstufe.96 Bei entsprechenden spitzensport­lichen Höchstleistungen qualifizierten sich die Sportler für die 3. Förderstufe. Auf dieser Stufe fand das Hochleistungstraining für die Kader der Nationalmannschaften statt.97 Im Jahr 1989 befanden sich im Kopplungssystem aus Spitzensport und Schule 79.560 Kinder und Jugendliche, was die heraus­gehobene Bedeutung des Spitzensports für die DDR-Gesellschaft unterstreicht.98

Im Hinblick auf die Gründe der Kinder und Jugendlichen, eine Spezialschulausbildung anzustreben, sie weiterzuverfolgen oder später auch aufzugeben, ergibt sich aus dem Interviewmaterial ein differenziertes Bild: Für die einen war es eine Auszeichnung, von der allgemeinbildenden POS an eine Spezialschule des Sports delegiert zu werden, weil sie sich dadurch einer Elite zugehörig fühlen durften. Allerdings dürfte besonders im jungen Alter die Fremdmotivation für eine Delegierung an die KJS nicht unerheblich gewesen sein. Der Einfluss der Eltern hat in diesem Prozess eine tragende Rolle gespielt, da diese die gesellschaftspolitische Bedeutung des Spitzensports für die DDR besser einschätzen konnten. Sie hofften, dass ihr Kind später einmal bei den Olympischen Spielen um Medaillen kämpft und an der Spezialschule das Abitur ablegen kann oder waren neugierig, als Reisekader einmal hinter den ›Eisernen Vorhang‹ zu blicken. So wurden Kinder sprichwörtlich unfreiwillig ins kalte Wasser des Spitzensportfördersystems geworfen, ob ihres sportlichen Talents oder den mit der Spezialschulausbildung wahrgenommenen Chancen und Privilegien.99

Die Gründe für einen Verbleib im Spitzensportfördersystem können als vielschichtig bezeichnet werden. Für die besonders leistungsfähigen und erfolgreichen Sportler lieferten die Möglichkeiten des Systems zur Ausschöpfung ihres spitzensportlichen Potenzials durch Training, Trainingslager und Wettkämpfe genügend Gründe für den Verbleib. Das Gefühl, eine Siegermentalität zu entwickeln, um sich mit anderen Topsportlern – insbesondere auf internationalem Niveau – zu messen und so zur Elite des Landes zu gehören, wirkte stark. Dem politischen Willen folgend, genau diese Spitzensportler zu produzieren, wurden Kopplungsstrukturen zwischen dem Sportsystem und dem Bildungssystem geschaffen, die es den Kindern und Jugendlichen ermöglichten, sich auf Höchstleistungen zu konzentrieren und gleichzeitig eine schulische Ausbildung zu absolvieren. So konnte eine räumliche Nähe der Vollzugsorte (z. B. Sportanlagen, Schule, Internat und Essensversorgung) festgestellt werden, die den jungen Sportlern eine ganztägige allseitige Betreuung ermöglichte. Weitere Maßnahmen, wie die Gesamtschulzeitstreckung sowie die Koordination von spitzensportlichen (Wettkämpfe, Trainingslager) und schulischen Belastungshöhepunkten (Prüfungen) flexibilisierten die als Hyperinklusion zu charakterisierenden Tagesabläufe der jungen Sportler. Die Planung und Umsetzung dieser Maßnahmen stützte sich auf hochkommunikative und durchkoordinierte institutionalisierte Strukturen und Prozesse zwischen den Kopplungspartnern (Sport und Bildungssystem). Die strukturellen Bedingungen der Kopplung von Spitzensport und Schule schätzten die interviewten ehemaligen Akteure weitestgehend positiv ein. Insbesondere die Maßnahmen der Gesamtschulzeitstreckung, die Bildung von reinen Sportartenklassen, die Kürzung oder Streichung von Lehrplan­inhalten und die Koordination von sportlichen Belastungshöhepunkten mit dem Schulablauf bis hin zum oben zitierten Einzelunterricht lassen eine deutliche Unterordnung der schulischen unter die sportlichen Ziele erkennen. Die Frage, inwieweit die jungen Sportler an den KJS gleichermaßen von diesen Maßnahmen profitierten, lässt sich aus den unterschiedlichen Darstellungen der interviewten Zeitzeugen nicht abschließend beurteilen. Es kann jedoch vermutet werden, dass es vor allem die sportliche Leistungselite war, die daraus Vorteile zog. Die Tatsache, dass sich im Jahre 1989 in der 2. Förderstufe 9.153 Schüler befanden, von denen sehr viele100 diese aus unterschiedlichen Gründen verlassen mussten, dürfte diese Vermutung unterstützen, die auch in den Darstellungen einzelner interviewter Zeitzeugen geäußert wurde.


Im Gegensatz zu den erfolgreichen und sich oftmals lediglich der Identifikation mit der sportlichen Aufgabenstellung hingebenden Akteuren waren es reflektierende Charaktertypen, die eher missmutig fortfuhren – aus Versagensängsten, wegen der externen Erwartungshaltung von Trainern und dem privaten Umfeld oder der mit einer Spezialschulausbildung verbundenen Chancen und Privilegien.


Ein ebenso breites Spektrum lässt sich bei den Gründen für eine Exklusion (Ausdelegierung) aus dem DDR-Spitzensportfördersystem feststellen. Herauskristallisiert haben sich leistungs- und verletzungsbedingte, persön­liche, disziplinarische und politische Gründe. Mangelnde Leistungsprogression und die verletzungsbedingte Unmöglichkeit waren die hauptsächlichen und der Logik des Sportsystems folgenden Gründe für ein Ausscheiden aus dem Spitzensportsystem. Verletzungsbedingte Ausdelegierungen waren für die befragten Zeitzeugen nachvollziehbar, während leistungsbedingte Abbrüche als schmerzvoll wahrgenommen wurden – bedeuteten sie doch das Ende vieler Hoffnungen und den Verlust großer Investitionen in die eigene spitzensportliche Laufbahn. Unabhängig davon, dass im Spitzensportsystem der DDR der Fokus auf der sportlichen Leistungsentwicklung und nicht auf der schulischen Ausbildung lag, konnten trotz der strukturellen Kopplung mit dem Bildungssystem unterlassene bzw. versagte Investitionen in die schulische Qualifikation nicht adäquat ersetzt werden.


Dass die sportliche Förderung der Schüler dem politischen System unter­geordnet war, haben diese oft erst später realisiert. Die Beziehungen zu den Lehrern und Trainern waren nach Darstellungen einiger Zeitzeugen gar ›unpo­litisch‹, da die sportliche Weiterentwicklung der Athleten im Vordergrund stand. Doch mit dem sportlichen Leistungsauftrag, zu dem auch die Außendarstellung der DDR im Rahmen internationaler Wettkämpfe gehörte, wurde die politische Dimension offensichtlich. Um eine weitere Förderung im Spitzensportsystem – verbunden mit den sich bietenden Privilegien und Chancen – 
aufrechtzuerhalten, bedurfte es seitens der Sportler entsprechender Kommunikations- und Darstellungsformen, die stark auf die Ideologie des politischen Systems aus­gerichtet waren.


Disziplinarische und vor allem politische Abweichungen führten in den meisten Fällen zur Beendigung der Förderung im DDR-Spitzensportsystem. Verbindungen der Sportler zu deren Verwandten im nichtsozialistischen Ausland wurden bereits im Vorfeld der Delegierung akribisch durch die staatlichen Organe geprüft und danach beständig fortgesetzt. Unerwünschte Entwicklungen, wie Briefkontakt oder Kontaktaufnahmen zu ausländischen Sportlern während eines Wettkampfes, können beispielhaft aufgeführt werden. Zwar schilderten die befragten Zeitzeugen unterschiedliche Handlungsmuster an den staatlichen und zivilen SC, dennoch wird hier der Eingriff des politischen Systems in die Funktionsweise des Spitzensport- bzw. des Bildungssystems deutlich. Nicht die eigenen Codes der Systeme (Sieg und Niederlage bzw. qualifiziert und nicht qualifiziert), sondern die Macht des politischen Systems erwies sich nicht selten als die entscheidende Determinante über den Verbleib der Sportler bzw. Schüler.


8. Fazit


Mithilfe des zweigliedrigen qualitativen Forschungsansatzes – Dokumenten­analyse und Interviews – konnten die komplexen Strukturen des Spitzensportfördersystems der ehemaligen DDR offengelegt werden. Diese Strukturen ermöglichten es, den politischen Willen umzusetzen und Spitzenathleten hervorzubringen, die den ›realexistierenden sozialistischen Staat‹ im Rahmen von internationalen sportlichen Exzellenzwettbewerben nach außen hin repräsentierten. Zudem schafften sie die Voraussetzungen, junge Talente in ihrer spitzensportlichen Begabung zu fördern, ohne dass diese auf eine schulische Qualifikation verzichten mussten. 


Der Beitrag beantwortet zudem eine ausgewählte Frage: Wie erlebten die Sportler individuell die spitzensportliche Begabungsförderung der ehemaligen DDR – von der Inklusion (Delegierung), über den Verbleib bis hin zur Exklusion (Ausdelegierung)? Die Beweggründe für eine Förderung junger Talente innerhalb des Kopplungssystems aus Spitzensport und Schule und auch die damit verbundenen Erinnerungen hinsichtlich individuell erlebter Möglichkeiten und Grenzen waren sehr unterschiedlich. Die Darstellungen reichten von wohlwollenden Bewertungen und Dankbarkeit bis hin zu völliger Ablehnung infolge schmerzhafter Erfahrungen. So erwiesen sich die politische und sportliche Bevormundung sowie die teilweise willkürlich empfundene Ausdelegierungspraxis des DDR-Spitzensportfördersystems als problematisch. 


Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass der Spitzensport als Subsystem der DDR-Gesellschaft seitens der politischen Führung mit Handlungsspielräumen ausgestattet wurde, die allerdings – im Sinne der selbstreferenziellen Logik des Systems – beständige Leistungsentwicklungen voraussetzten. Dennoch waren Eingriffe des politischen Systems spürbar, die den Handlungslogiken der Subsysteme Spitzensport und Bildungswesen zuwiderliefen. Die Kopplungspartner unterlagen einer starren, hierarchischen Steuerung durch das politische System. Erst diese ermöglichte die flächendeckende Talentsichtung und -förderung und die enge Vernetzung der verantwortlichen Institutionen.


Eine Übertragung der Strukturen und Merkmale des DDR-Spitzensportfördersystems auf die heutige Zeit erweist sich aus unterschiedlichen gesamtgesellschaftlichen Gründen weder als realisierbar noch als wünschenswert. Zum einen nimmt das politische System nicht derart zentralistisch und ideologisch Einfluss auf die Subsysteme Spitzensport und Bildungswesen, zum anderen ist in der pluralistischen Gesellschaft das Akzeptanzniveau des Spitzensports wesentlich geringer. Dennoch erscheint es in begrenztem Umfang möglich und vielleicht auch notwendig, als positiv bewertete und nach wie vor akzeptierte Strukturen und Prozesse in die bundesrepublikanische Spitzensportförderung zu übernehmen. Diese Notwendigkeit begründet sich auch in der von Experten geäußerten Einschätzung, dass bundesdeutsche Nachwuchstalente im inter­nationalen Vergleich zu wenig trainieren, um international konkurrenzfähig zu sein.101

Eine Tendenz zur Übernahme bewährter und gesellschaftlich akzeptabler Praktiken aus dem Spitzensportfördersystem der ehemaligen DDR lässt sich sogar feststellen:102 beispielsweise in den 41 »Eliteschulen des Sports des Deutschen Olympischen Sportbundes«. Diese im gesamten Gebiet der Bundesrepublik geschaffenen Fördereinrichtungen sollen


im kooperativen Verbund von Leistungssport, Schule und Wohnen Bedingungen gewährleisten[n], damit talentierte Nachwuchsathleten sich auf künftige Spitzenleistungen im Sport bei Wahrung ihrer schulischen Bildungschancen vorbereiten können.103

Arrangements, wie Vormittagstraining, Koordination von sportlichen und schulischen Belastungshöhepunkten (Flexibilisierungen bei Prüfungs- und Klausurterminen) und Gesamtschulzeitstreckung, sind hier gängige Praxis. Gleiches gilt für die »Eliteschulen des Fußballs des Deutschen Fußball Bundes« bzw. die Nachwuchsleistungszentren professioneller Fußballclubs.


  1. 1In der Grundlinie der Entwicklung des Leistungssports in der DDR bis 1980 vom 19. 3. 1969 wurde seitens des Politbüros des Zentralkomitees (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) beschlossen, bestimmte Olympische Sportarten bevorzugt zu fördern. Ziel war es, bei Olympischen Spielen – insbesondere bei den Olympischen Spielen in München 1972 – für die DDR bessere sportliche Resultate zu erzielen als die BRD. Darüber hinaus wurde der politische Wille formuliert, über den Spitzensport das Ansehen und die Autorität der DDR international zu erhöhen und gegen die Alleinvertretungspolitik Westdeutschlands zu opponieren. Vgl. Bundesarchiv (BArch) DY 30/JIV2/3/1509, zit. in Hans Joachim Teichler, Die Sportbeschlüsse des Politbüros. Eine Studie zum Verhältnis von SED und Sport mit einem Gesamtverzeichnis und einer Dokumentation ausgewählter Beschlüsse, Köln 2002, S. 561 ff.
  2. 2BArch DY 30/72.
  3. 3Dass der Spitzensport für die DDR als zweckdienliches Instrument angesehen wurde, in den Systemkonkurrenzkampf zwischen kapitalistischer und sozialistischer Gesellschaftsordnung einzutreten, kommt in den Maßnahmen zur schnelleren Erhöhung der sportlichen Leistungen in der Deutschen Demokratischen Republik deutlich zum Ausdruck, wonach »sportliche Höchstleistungen der Deutschen Demokratischen Republik […] auch die Überlegenheit unserer Ordnung über das kapitalistische System in Westdeutschland [demonstrieren]« und »hohe sportliche Leistungen […] das Ansehen und die Autorität unserer Republik« heben, BArch DY 30/193.
  4. 4Tatsächlich strahlte die DDR neben dem Sport auch in anderen Bereichen eine gewisse Attraktivität auf die BRD aus, so z. B. im Bildungssystem. Hier adaptierte die BRD auch vereinzelte Planungselemente (Christoph Kleßmann, »Spaltung und Verflechtung – Ein Konzept zur integrierten Nachkriegsgeschichte 1945 bis 1990«, in ders. und Peter Lautzas (Hg.), Teilung und Integration. Die doppelte deutsche Nachkriegsgeschichte als wissenschaftliches und didaktisches Problem, Bonn 2005, S. 20–37). Jedoch war der Blick im Allgemeinen häufiger aus der DDR in die BRD gerichtet, als anders herum.
  5. 5Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 2012.
  6. 6Die Bezeichnung schließt hier, wie auch in allen nachfolgenden Fällen, ebenfalls das weibliche Geschlecht ein. Aus Gründen der Leserlichkeit wird auf eine Doppelschreibweise verzichtet.
  7. 7Niklas Luhmann, Einführung in die Systemtheorie, Heidelberg 2011; ders., Soziale Systeme (Fn. 5).
  8. 8Jürgen Baur, Giselher Spitzer, Stephan Telschow, »Der DDR-Sport als gesellschaftliches Teilsystem«, in Sportwissenschaft 27/4 (1997), S. 369–390; Karsten Schumann, Empirisch-theoretische Studie zu entwicklungsbestimmenden Bedingungen des Leistungssports der DDR. Versuch einer zeitgeschichtlichen Bilanz unter Berücksichtigung systemtheoretischer Perspektive, Diss. Leipzig 1992; Hilke Teubert, Koordination von Spitzensport und Schule. Zur Lösung des Inklusionsproblems schulpflichtiger Athleten, Hohengehren 2009.
  9. 9Klaus Cachay, Sport und Gesellschaft: zur Ausdifferenzierung einer Funktion und ihrer Folgen, Schorndorf 1988; Teubert, Koordination von Spitzensport und Schule (Fn. 8).
  10. 10Jutta Braun, »Theoretische Konzepte der DDR-Gesellschaftsgeschichte – ein Forschungsüberblick«, in Michael Krüger (Hg.), Transformationen des deutschen Sports seit 1939, Hamburg 2001, S. 71–87; Niklas Luhmann, Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 2000.
  11. 11Achim Conzelmann, Hartmut Gabler und Siegfried Nagel, Hochleistungssport – Persönlicher Gewinn oder Verlust? Lebensläufe von Olympioniken, Tübingen 2001.
  12. 12Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, Wiesbaden 2011.
  13. 13Die ersten KJS wurden mit Beginn des Schuljahres 1952/1953 im September 1952 in Halberstadt, Brandenburg, Berlin und Leipzig eröffnet (Gerd Falkner, Kinder- und Jugendsportschulen in der DDR, Planegg 2003, S. 28). Im Jahr 1989 existierten DDR-weit 25 KJS: in Berlin (4 Standorte), Leipzig (2 Standorte), Dresden, Halle, Rostock, Karl-Marx-Stadt (2 Standorte), Potsdam, Erfurt, Frankfurt (Oder), Magdeburg, Jena, Schwerin, Oberhof, Cottbus, Neubrandenburg, Oberwiesenthal, Klingenthal, Luckenwalde, Altenberg und Zella-Mehlis; vgl. René Wiese, Kaderschmieden des »Sportwunderlandes«. Die Kinder- und Jugendsportschulen der DDR, Göttingen 2012.
  14. 14So existierten beispielsweise Vereinbarungen zwischen den Volkseigenen Betrieben (VEB) und den SC, um Spitzensport und Berufsausbildung zu koordinieren bzw. umfangreiche Trainingsbelastungen trotz bestehender beruflicher Verpflichtungen zu ermöglichen. Speziell eingerichtete Institutionen kamen in diesen Fällen für die finanziellen Nachteile der VEB auf, BArch DR 509/3871; BArch DR 509/3869. In Bezug auf das Studium wurden Fernstudiengänge eingerichtet, die eine räumliche Nähe der Spitzensportler zu den Trainingsstätten trotz laufenden Studiums gewährleisteten, BArch DR 509/3872.
  15. 15Zu nennen sind hier insbesondere primäre Funktionsträger wie Sportler und sekundäre Funktionsträger wie Trainer, Funktionäre und Lehrer.
  16. 16Im Rahmen der zweijährigen Studie zur Institutionalisierung von Begabungsförderung im Spitzensport in der ehemaligen DDR standen daneben der Verbund aus Spitzensport und Studium an der ehemaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) und weitere Arrangements der allgemeinen Studien- und Berufsförderung im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Die Studie wurde von der Forschergruppe um Professor Dr. Gregor Hovemann an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig im Zeitraum 2013–2014 durchgeführt. Finanziert wurde sie durch das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) und durch die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig unterstützt.
  17. 17Die im Folgenden genannten Untersuchungen sind aufgelistet und kurz zusammengefasst bei Wolfgang Helfritsch und Ulrich Becker, Dokumentationsstudie Pädagogische KJS-Forschung, Köln 1993.
  18. 18Vgl. ebd., S. 89.
  19. 19Vgl. ebd., S. 100.
  20. 20Vgl. ebd., S. 103.
  21. 21Vgl. ebd., S. 99.
  22. 22Karl-Heinz Bauersfeld (1988), B. Deltow, B. Jammer und R. Ledig (1980), D. Hofmann (1977); vgl. ebd., S. 91, 96, 107.
  23. 23Bernd Bräuer (1985), Birka Brandt (1985), Ulli Fritzsche und Andreas Barth (1985), Andreas Grutza (1983); vgl. ebd., S. 93 f., 99, 104.
  24. 24Vgl. ebd., S. 90.
  25. 25Thomas Biegel (1986), D. Krüger (1980), Frank Kutschke und Birgit Tronnier (1983); vgl. ebd., S. 92, 113, 115.
  26. 26René Wiese, »Staatsgeheimnis Sport – Die Abschottung des Leistungssportsystems der DDR«, in Historical Social Research 32/1 (2007), S. 154–171.
  27. 27Margrit Richter, »Kinder- und Jugendsportschulen im Osten Deutschlands«, in Leibeserziehung 6 (1957), S. 301–305.
  28. 28Klaus Brögel, »Die Kinder- und Jugendsportschulen in derDDR. Ein kritischer Beitrag zu einer aktuellen Frage«, in Leibeserziehung 16 (1967), S. 377–383.
  29. 29Werner Rossade, Sport und Kultur in der DDR – Sportpolitisches Konzept und weiter Kulturbegriff in Ideologie und Praxis der SED (Tuduv-Studien/ Sozialwissenschaften, Bd. 42), München 1987.
  30. 30Helfritsch und Becker, Dokumentationsstudie (Fn. 17).
  31. 31René Wiese, »Der Ursprung der Kinder- und Jugendsportschulen derDDR 1949 bis 1952 – eine sowjetische Geburt?«, in Deutschland Archiv 37/3 (2004), S. 422–430; ders., Staatsgeheimnis Sport (Fn. 26); ders., Kaderschmieden (Fn. 13).
  32. 32Nils Hoffmann, Der Ausbau der Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) der DDR unter besonderer Betrachtung des Konflikts um einen »humaneren Kinderhochleistungssport « zwischen dem Ministerium für Volksbildung und dem DTSB, Universität Mainz 2003; Robert Prohl, »›… daß es im eigentlichen Sinn gar nicht um uns ging‹. Die Kinder- und Jugendsportschulen aus der Sicht ihrer Absolventen – exemplarische Retrospektiven«, in Sportunterricht 45/2 (1996), S. 60–68; ders. und Peter Elflein, »›… man muß da schon ein bißchen Eigeninitiative ergreifen‹: pädagogische Fallstudien zur Talentförderung an der Nachfolge-Einrichtung einer Kinder- und Jugendsportschule in Thüringen«, in Sportwissenschaft 27/3 (1996), S. 280–293.
  33. 33Ebd.
  34. 34Ebd.
  35. 35Ebd.
  36. 36Hans Joachim Teichler und Klaus Reinartz, Das Leistungssportsystem der DDR in den 80er Jahren und im Prozeß der Wende (Schriftreihen des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, Bd. 96), Köln 1999.
  37. 37Carmen Borggrefe, Klaus Cachay und Lars Riedl, Spitzensport und Studium. Eine organisationssoziologische Studie zum Problem Dualer Karrieren, Schorndorf 2009.
  38. 38Teubert, Koordination von Spitzensport und Schule (Fn. 8).
  39. 39Dirk Baecker, »Soziale Hilfe als Funktionssystem der Gesellschaft«, in Zeitschrift für Soziologie 23/2 (1994), S. 93–110.
  40. 40Teubert, Koordination von Spitzensport und Schule (Fn. 8), S. 30.
  41. 41Ebd.
  42. 42Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1997.
  43. 43Diskutiert wird dieses Problem u.a. bei Baur, Spitzer und Telchow, Der DDR-Sport (Fn. 8); Karl-Heinrich Bette, Systemtheorie und Sport, Frankfurt a. M. 1999; ders. und Uwe Schimank, Doping im Hochleistungssport, Frankfurt a. M. 1995; Klaus Cachay und Ansgar Thiel, Soziologie des Sports. Zur Ausdifferenzierung und Entwicklungsdynamik des Sports der modernen Gesellschaft, Weinheim 2000.
  44. 44Steffen Roth, »Fashionable Functions: A Google Ngram View of Trends in Functional Differentiation (1800–2000)«, in International Journal of Technology and Human Interaction 10/2 (2014), S. 34–58, hier S. 38.
  45. 45Borggrefe, Cachay und Riedl, Spitzensport und Studium (Fn. 37).
  46. 46Teubert, Koordination von Spitzensport und Schule (Fn. 8).
  47. 47Nicole Burzan und Uwe Schimank, »Inklusionsprofile – Überlegungen zu einer differenzierungstheoretischen ›Sozialstrukturanalyse‹, in Thomas Schwinn (Hg.), Differenzierung und soziale Ungleichheit. Die zwei Soziologien und ihre Verknüpfung, Frankfurt a. M. 2004, S. 209–237.
  48. 48Teubert, Koordination von Spitzensport und Schule (Fn. 8).
  49. 49So benötigt das Wirtschaftssystem bspw. die Qualifizierungsleistungen des Bildungssystems. Umgekehrt benötigt das Bildungssystem die Leistungen des Wirtschaftssystems, um Bildung über Transferleistungen finanzieren zu können. Vgl. ebd.
  50. 50Bette und Schimank, Doping im Hochleistungssport (Fn. 43).
  51. 51Cachay und Thiel, Soziologie des Sports (Fn. 43).
  52. 52Bette und Schimank, Doping im Hochleistungssport (Fn. 43), S. 145.
  53. 53Ebd., S. 31.
  54. 54Lars Riedl, Carmen Borggrefe und Klaus Cachay, »Spitzensport versus Studium? Organisationswandel und Netzwerkbildung als strukturelle Lösungen des Inklusionsproblems studierender Spitzensportler«, in Sport und Gesellschaft 4/2 (2007), S. 159–189, hier S. 163.
  55. 55Markus Göbel und Johannes F. K. Schmidt, »Inklusion/Exklusion: Karriere, Probleme und Differenzierungen eines systemtheoretischen Begriffspaares«, in Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 4/1 (1998), S. 87–117.
  56. 56Dokumente aus folgenden Archiven wurden eingesehen: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch/SAPMO), Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), Universitätsarchiv Leipzig (UAL) und Sportmuseum Leipzig. Ihrer Bedeutung für das Verbundsystem folgend wurden Dokumente analysiert bezüglich des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR (DTSB), der Sportvereinigung Dynamo (SV Dynamo), des Büros der zentralen Leitung der Sportvereinigung Dynamo (BdZL), der Armeesportvereinigung Vorwärts (ASV), des Ministeriums für Volksbildung der DDR (MfV), des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen der DDR (MHFW), des Staatssekretariats für Körperkultur und Sport (SKS/StKS), des Staatssekretariats für Berufsbildung (StB), des Büros zur Förderung des Sports in den Betrieben (Büro), der Kinder- und Jugendsportschulen (KJS – Auswahl), der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK), der Hauptabteilung Fernstudium des 1. Rektors für Ausbildung und Erziehung der Deutschen Hochschule für Körperkultur (HAF der DHfK) und der Volkseigenen Betriebe (VEB – Auswahl).
  57. 57Philipp Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, Weinheim 2000, unterscheidet die drei folgenden Grundformen der qualitativen Inhaltsanalyse: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung.
  58. 58Ebd., S. 114.
  59. 59Peter Hamman und Bernd Erichson, Marktforschung, Stuttgart 2000.
  60. 60Wesentliche Leitfragen zielten ab auf Erkenntnisse zu: Abstimmung auf der Zeitebene (Wegezeiten, Trainings- und Unterrichtszeiten), Abstimmung auf der Zeit- und Sozialebene (sportliche und schulische Belastungshöhepunkte, Koordination bestimmter unterstützender Maßnahmen im Verbundsystem, Verbesserung bestimmter unterstützender Maßnahmen im Verbundsystem, persönliche Entwicklungsplanung), Rekrutierung (Personal für bestimmte unterstützende Maßnahmen, Personal für bestimmte Trainingsformate, Personal mit Koordinationsfunktion) und Akzeptanz (Akzeptanz und Stellenwert der Spitzensportförderung).
  61. 61Wesentliche Leitfragen zielten ab auf Erkenntnisse zu: Erfolgsbewertungen (Phase der Inklusion, Entwicklung der Sport- und Bildungslaufbahn im Verbundsystem, Phase der Exklusion).
  62. 62Die Kategorisierung der Interviewleitfäden wurde dabei wie folgt vorgenommen: 1. Sportler und Schüler, 2. Sportler und Auszubildende, 3. Sportler und Studierende, 4. Sportler und Berufstätige, 5. Trainer bzw. Personal des SC bzw. Funktionäre desDTSB, 6. Lehrer bzw. Personal der Schule oder Hochschule oder Mitarbeiter des Ministeriums für Volksbildung (MfV) und 7. Mitarbeiter in Berufsausbildung bzw. im Betrieb. Die Interviewleitfäden können auf Anfrage bei den Autoren eingesehen werden.
  63. 63Folgende Merkmale wurden in die Auswahl einbezogen: 1. Erfolgsniveau der Akteure (Sportler, Trainer, Lehrer), 2. Unterscheidung in Sommer- und Wintersportarten, 3. Unterscheidung in Mannschafts- und Einzelsportarten, 4. Alter der Sportler und 5. Geschlecht.
  64. 64Die angestrebte Streuung hinsichtlich der Unterteilung der Akteure (Schüler, Lehrer, Trainer und Funktionäre) konnte bei den ersten vier Merkmalen erzielt werden. Allerdings ist es nicht ausreichend gelungen, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Probanden zu erzielen. Die Anzahl männlicher Probanden dominierte deutlich. Dieses Manko kann mit der Vorgehensweise ›Schneeballsystem‹ in Verbindung gebracht werden, da es zu erwarten ist, dass männliche Akteure in ihren Sportarten tendenziell männliche Akteure weiterempfehlen.
  65. 65Für die Erstellung der Transkripte kam die Transkriptionssoftware f4 zum Einsatz und für die inhaltliche Analyse des Interviewmaterials die qualitative Analysesoftware MAXQDA 11. Die Transkripte können auf Anfrage bei den Autoren eingesehen werden.
  66. 66Das Auswahl- und Fördersystem für den Spitzensport in der ehemaligenDDR setzte sich aus der 1. Förderstufe – bestehend aus den Trainingszentren (TZ) –, der 2. Förderstufe – bestehend aus den KJS im Verbund mit den SC – und der 3. Förderstufe für den Anschluss- und Hochleistungssport in den Nationalmannschaften an den SC zusammen. Patrick Litz, Talentförderung und Schulsport in der DDR und BRD, Berlin 2004.
  67. 67Die Sichtungsmaßnahmen wurden grundsätzlich in der ersten, dritten, sechsten und neunten Klasse durchgeführt. Die Sichtung in der ersten Klasse erfolgte für Sportarten mit frühem Hochleistungsalter, wie Leistungsgymnastik, Turnen, Wasserspringen und Sportschwimmen. Fokussiert wurden sechs Kontrollwerte, die sich auf anthropometrische Merkmale (Körpergröße, Körpergewicht, etc.) und die Ausprägung koordinativer Fähigkeiten bezogen. In der dritten Klasse erfolgte die Sichtung für alle anderen Sportarten außer Eiskunstlauf. Schüler, welche entwicklungsbedingt die Auswahlkriterien in der dritten Klasse nicht erfüllten, konnten in der sechsten Klasse einer Nachsichtung unterzogen werden. Die Sichtungsmaßnahmen in der neunten Klasse hatten den Charakter einer Größensichtung und fokussierten die Sportarten Volleyball, Handball, Rudern und die Sprung-, Stoß- und Wurfdisziplinen der Leichtathletik. Weiterhin war es das Ziel, kleine und leichte Schüler für die Sportarten Boxen, Ringen und Gewichtheben auszuwählen. Vgl. ebd.
  68. 68Interviewtranskript Nr. 17, Z. 1049–1062.
  69. 69Interviewtranskript Nr. 24, Z. 381–385.
  70. 70Carmen Fechner, Die Frühgeschichte der Sportvereinigung Dynamo. Hegemoniebestrebungen, Dominanzverhalten und das Rivalitätsverhältnis zur Armeesportvereinigung »Vorwärts«, Diss. HU Berlin 2011.
  71. 71Kleßmann, Spaltung und Verflechtung (Fn. 4); Ulrich Mählert, Kleine Geschichte der DDR, München 2009.
  72. 72Interviewtranskript Nr. 10, Z. 336.
  73. 73Interviewtranskript Nr. 19, Z. 426–435.
  74. 74Interviewtranskript Nr. 19, Z. 614–615.
  75. 75Interviewtranskript Nr. 21, Z. 631–639.
  76. 76Carmen Borggrefe und Klaus Cachay, »Strukturelle Kopplung als Lösung des Inklusionsproblems schulpflichtiger Nachwuchsathleten? Theoretische Reflexionen zur sachlichen Funktionalisierung von Verbundsystemschulen«, in Sport und Gesellschaft – Sport and Society 7/1 (2014), S. 45–69; Teubert, Koordination von Spitzensport und Schule (Fn. 8).
  77. 77Interviewtranskript Nr. 2, Z. 39. Schule, Mensa, Trainingsstätten und Internat befanden sich oftmals in geringer räumlicher und zeitlicher Entfernung.
  78. 78Die hochschulqualifizierende Schulausbildung wurde in derDDR üblicherweise nach zwölf Klassen mit dem Abitur abgeschlossen.
  79. 79Interviewtranskript Nr. 22, Z. 119–124.
  80. 80So wurden im Jahre 1989 bei den 9.153 Schülern an denKJS (2. Förderstufe) und den zusätzlichen 3.376 Sportlern in den SC (3. Förderstufe) 2.563 Ausdelegierungen vorgenommen, SAPMO DY 12/12339, zit. in Teichler und Reinartz, Das Leistungssportsystem der DDR (Fn.36), S.167.
  81. 81Unterstützt werden hier die Zeitzeugenaussagen beispielhaft durch eine Analyse zu Beginn des Schuljahres 1976/1977 an derKJS Leipzig, wo von 19 Schülern der Klassen 12 und 13 sechs aufgrund von Verletzungen und 13 als Folge ihrer Nichterfüllung der Zielstellung aus dem Leistungssport ausschieden, UAL DHfK VWA 2961.
  82. 82Sportlerinnen konnten sogar ausdelegiert werden, wenn sie ohne Zustimmung der SC-Leitung und des Verbandes ihre leistungssportliche Entwicklung durch eine Schwangerschaft unterbrachen. Als Ursache für den Entzug des Leistungsauftrages wurde anschließend in den Dokumenten »auf eigenen Wunsch« vermerkt, BArch DR 509/3871.
  83. 83Interviewtranskript Nr. 8/9, Z. 234–239.
  84. 84In den Antrag auf Um- bzw. Ausdelegierung wurde in einem solchen Fall »Entbindung vom Leistungsauftrag in beiderseitigem Einvernehmen« vermerkt, BArch DR 509/2931 846.
  85. 85Interviewtranskript Nr. 18, Z. 134–149.
  86. 86Interviewtranskript Nr. 35, Z. 282–285.
  87. 87Bei einer Delegierung in eine andere Sportart war vor der Einleitung des Delegierungsverfahrens ein längeres Probetraining (2–4 Monate) vorgesehen, BArch DR 509/3870.
  88. 88Interviewtranskript Nr. 12, Z. 732–740.
  89. 89Interviewtranskript Nr. 35, Z. 444–446.
  90. 90Interviewtranskript Nr. 18, Z. 304–308.
  91. 91Interviewtranskript Nr. 5, Z. 263–272.
  92. 92Interviewtranskript Nr. 20, Z. 312–327.
  93. 93Ausnahmen dürften sich zur Zeit des Umbruchs 1989/90 ergeben haben. So wurde bspw. zum Ende des Jahres 1989 ein Radsportler und ehemaliger Olympiasieger auf eigenen Wunsch vom Leistungsauftrag entbunden, um zum Profisport wechseln zu können, BArch DR 509/2830 4.
  94. 94Interviewtranskript Nr. 10, Z. 142–163.
  95. 95So waren im Jahr 1989 67.034 Kinder und Jugendliche in den 1.692 landesweiten Trainingszentren und Trainingsstützpunkten aktiv, um sich für eine Delegierung an die 2. Förderstufe (KJS und SC) zu qualifizieren, SAPMO DY 12/12339, zit. in Teichler und Reinartz, Das Leistungssportsystem (Fn. 36), S. 167.
  96. 96An den landesweiten 25KJS absolvierten im Jahr 1989 9.153 Kinder und Jugendliche ihre schulische Ausbildung neben ihrem spitzensportlichen Training in den SC, vgl. ebd.
  97. 97Im Jahr 1989 befanden sich 3.376 Sportler im Hochleistungstraining an denSC, vgl. ebd.
  98. 98Vgl. ebd.
  99. 99Dazu kann beispielhaft die Aussage einer ehemaligen Turmspringerin herangezogen werden, die sich während des SAW-Akademie-Kolloquiums am 24. 10. 2014 in Leipzig wie folgt äußerte: »Ich hatte das Pech, talentiert zu sein.«
  100. 100Vgl. Fn. 80, 95 und 96.
  101. 101Teubert, Koordination von Spitzensport und Schule (Fn. 8).
  102. 102Wiese, Kaderschmieden (Fn. 13).
  103. 103Bundeskonferenz der Eliteschulen des Sports 2002, http://www.dosb.de/de/eliteschule-des-sports/hintergrund/ (22. 4. 2014).
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Heft 14 (2015)
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