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Organspende und das Ende des Lebens. 
Oder: Hirntod und die Ethik der Organtransplantation




Einige Aspekte des Akademie-Forums im November 20141

In Deutschland ist die Organspendenbereitschaft insbesondere nach dem sogenannten Transplantationsskandal erwartungsgemäß drastisch zurückgegangen. Die Anzahl der Patienten in der Bundesrepublik, die auf Spender­organe warten, ist inzwischen fast viermal so hoch wie die der Spenden. Dabei wird selten bedacht, dass der öffentliche Diskurs um ›Gerechtigkeit‹ hier mehr Opfer fordert als die hemdsärmeligen Entscheidungen von Transplantations­chirurgen. Andererseits versucht man, die verfügbaren Organe dadurch zu beschaffen, dass bei nicht explizitem Widerspruch von einer Zustimmung zur Organspende ausgegangen werden soll. Doch gerade dieses Verfahren würde das Vertrauensproblem verschärfen. Darum ist auch ein verstärkter Dialog nötig über das, was einer Organtransplantation in den meisten Fällen vorausgeht: der Tod eines Spenders. Dieses Thema geht alle an: Organempfänger, Organspender, Ärzte, Rechtsmediziner, Juristen, Ethiker, Theologen und auch Philosophen – nicht nur wegen der Frage, wann ein Mensch tot ist und was man mit seinen Organen machen darf, sondern auch wegen der Frage, ob überhaupt jemand bzw. wer angesichts der Mangelsituation ein bevorzugtes Recht darauf haben soll, von einer Organspende zu profitieren und den Kampf um die vorderen ›Listenplätze‹ zu gewinnen,2 oder ob hier nicht gerade die Rede von einem Recht und die Regelung von Reihenfolgen kontraproduktiv sind.


Im Akademie-Forum »Organspende und das Ende des Lebens«, das am 7. November 2014 in der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig stattfand, sprachen Experten aus Medizin, Theologie und Philosophie über zentrale Fragen, die mit diesem Thema verbunden sind. Auf dem Podium diskutierten Dr. Kerstin Hohdorf, praktische Ärztin für Nuklearmedizin am Klinikum St. Georg in Leipzig, Dr. Sven Bercker, geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie an der Universitätsklinik Leipzig, Prof. Dr. Hans-Peter Großhans, Professor für systematische Theologie, ökumenische Theologie und Religionsphilosophie der Universität Münster und Prof. Dr. Joachim Thiery, Professor für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin an der Universität Leipzig, Mitglied der Arbeitsgruppe »Revision der Allokationsrichtlinien für die Leber- und die Dünndarmtransplantation« der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Folgende Aspekte kamen während des Forums zur Sprache: Wie weit sind wir in den letzten Jahren in der Hirntoddebatte gekommen? Wie hat sich der Umgang mit dem Tod durch die technische Praxis verändert? Kann es gelingen, die nötige gesellschaftliche Akzeptanz herzustellen und Ängste zu beseitigen? Muss nicht auch grundsätzlich gefragt werden, welche Erwartungen an die Menschen herangetragen werden und was Organspende eigentlich für das Selbstverhältnis der Person bedeutet?3 Mit ihren Fragen und Problemen, den Unsicherheiten und Zweifeln fühlen sich Patienten, potentielle Spender und manchmal auch die Ärzte noch viel zu oft alleine gelassen. Werbung für den Organspendeausweis ist das eine, Dialog und Aufklärung das andere.


Frau Dr. Kerstin Hohdorf wird im Praxisalltag von verschiedenen Seiten aus mit dem Thema Organspende und Hirntod konfrontiert. Sie kennt die Fragen von potentiellen Spendern und Empfängern ebenso wie die Konflikte und die Belastung der Ärzte. Auch Dr. Sven Bercker weiß um die Probleme v. a. der Angehörigen und bringt ein Dilemma der Hirntod-Debatte auf den 
Punkt:


Die Hirntoddiagnostik ist eine pragmatische Definition des Todeszeitpunktes, doch der Patient erscheint nach einem kulturellen Empfinden dessen, was Tod ist, eben nicht wirklich tot: Der Brustkorb hebt und senkt sich, das Herz ›schlägt‹, der Patient schwitzt und hat Ausscheidungen. Für die Angehörigen ist es eine enorme Zumutung, ›diesen‹ Tod anzuerkennen und eine besondere Form des Abschieds zu akzeptieren – der Verzicht auf einen Sterbeprozess, wie er seit Jahrtausenden übermittelt ist.


Doch hilft es, wie gelegentlich vorgeschlagen, nicht von ›Hirntod‹ zu sprechen, sondern von ›Hirnstillstand‹? Oder führen solche Begrifflichkeiten nicht zu einem neuen Dilemma, nämlich dem, dass der Gesetzgeber dann den Ärzten die Möglichkeit einräumen muss, Patienten zum Zwecke der Organentnahme das Leben zu nehmen? Es ist klar, dass es nicht gleichgültig ist, wie wir hier zu sprechen belieben. Dabei geht es nicht bloß um allgemeine Definitionen von Leben und Totsein, sondern auch um den Umgang mit einem Verstorbenen nach dem Tod. Daher ist neben den gesundheitstechnischen Betrachtungen der Mediziner auch die auf das Ganze des Lebens bezogene Sichtweise der Philosophie und Theologie gefragt.


Tod ist eben nicht nur der Tod des Leibes, sondern auch das Ende der Teilnahme einer Person, dem gemeinsamen Leben. Wie aber die Praxis der Totenlehre zeigt, reicht das Andenken an die Person weit über ihren Tod hinaus. Daher ist keineswegs alles im Umgang mit dem Leichnam erlaubt, nur weil die Person selbst nicht mehr lebt. All diese Fragen sind keineswegs neu, doch sie müssen im Kontext der Organtransplantationsdebatte neu gestellt und diskutiert werden, wenn das Vertrauen in die Transplantationsmedizin wieder wachsen soll.


  1. 1Das Akademie-Forum wurde für DRadio Wissen aufgezeichnet und am 29. 3. 2015 ausgestrahlt. Die gesamte Diskussion ist abrufbar unter:http://dradiowissen.de/beitrag/organspende-herz-zu-verschenken (30. 3. 2015).

  2. 2Dabei betrifft dieses Problem keineswegs nur die Organspenden: Angesichts der steigenden Kosten der Apparatemedizin können keineswegs mehr alle Patienten gleich ­intensiv behandelt werden, mit der bekannten Folge, dass z. B. in Großbritannien für ältere Menschen nicht einmal mehr ein Dialyseverfahren vorgesehen ist, geschweige denn ein Organersatz.

  3. 3Das Forum legte bewusst den Fokus auf die ethisch-philosophischen Fragen, die mit dem Thema Organspende und Ende des Lebens verbunden sind. In Bezug auf strukturelle, rechtliche und praktische Aspekte sei auf das kürzlich erschienene Diskussionspapier der Nationalakademie Leopoldina hingewiesen:Transplantationsmedizin und Organal­lokation in Deutschland. Probleme und Perspektiven (Leopoldina Diskussion, Nr. 5), Halle a. d. S. 2015, http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2015_Diskussionspapier_Transplantationsmedizin.pdf (30. 3. 2015).
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Heft 14 (2015)
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1867-7061

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