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»… den besonderen Erfordernissen der Nachwuchsentwicklung«

Die Spezialschulen für Musik im Spannungsfeld von Hochbegabten-
förderung und Berufslenkung


1. Musikalische Begabungsförderung in Ost und West – ein kritischer Rückblick


Die Förderung des professionellen Nachwuchses in der Musik konnte auch nach dem Ende der DDR als eine besondere Errungenschaft des untergegangenen Systems gelten. In Westdeutschland gab es nichts Vergleichbares. Für besonders vielversprechende Instrumentalisten bestand dort zwar die Möglichkeit, den Status eines Jungstudierenden an einer Musikhochschule zu erhalten, für potenzielle spätere Musikstudenten boten die Musikschulen gesonderte Abteilungen an. Aber das war etwas völlig anderes als das Modell einer Spe­zialschule, das Jugendlichen die Möglichkeit gab, neben den allgemeinbildenden Fächern zugleich auch eine professionelle instrumentale Ausbildung unter dem Dach einer Musikhochschule zu erhalten. Zu den Charakteristika der vier Spezial­schulen der DDR – Standorte waren Berlin, Dresden, Halle und Weimar – 
zählte vor allem die Tatsache, dass sie auf der einen Seite organisatorischer Bestandteil einer Musikhochschule waren, gleichzeitig aber den Charakter einer selbstständigen Institution trugen – mit eigenen Gebäuden, eigenem Internatsbetrieb und einem Lehrkörper, der zum einen der jeweiligen Musikhochschule angehörte (und dort auch zum Teil unterrichtete), zum anderen aber – zumindest teilweise – auf die besonderen Anforderungen einer Arbeit mit Jugendlichen spezialisiert war. Daraus ergab sich eine charakteristische Mischung: Die Spezialschulen boten einen Lehrbetrieb, der von umfangreicher Einzel­betreuung gekennzeichnet war (Hauptfachunterricht, Korrepetition) und sich in dieser Hinsicht kaum vom späteren Musikstudium unterschied. Andererseits waren sie aber auch ›normale‹ Schulen, die sich am allgemeinen Lehrplan der Polytechnischen Oberschulen (POS) orientierten, einen Regelschulabschluss nach der 10. Klasse boten (mit der Möglichkeit eines anschließenden Musikstudiums) und durch einen Unterrichtsbetrieb geprägt waren, der sich – mit Ausnahme der kleineren Klassenstärken und einer teilweisen Nutzung der Nachmittagsstunden – nur wenig von den äußeren Abläufen anderer Schulen unterschied. Die Internatsstruktur, die sich aus dem Anspruch ableitete, alle Kinder der jeweiligen Region – und nicht nur die vor Ort ansässigen – zu erreichen, verstärkte die institutionelle Eigenständigkeit: Ein Spezial­schüler war Teil einer eigens auf ihn zugeschnittenen Institution und nicht ­lediglich, wie der Jungstudent im Westen, ein externer Besucher (um nicht zu sagen ›Fremdkörper‹), der die hochschulischen Strukturen zwar nutzte, ohne wirklich dazuzugehören.


Dass es im Westen Derartiges nicht gab, hängt wohl vor allem mit der Tatsache zusammen, dass die Förderung von Begabung und Hochbegabung dort bis in die späten 1980er Jahre hinein weder ein Thema der Pädagogik noch der Bildungspolitik war. Mit Fragen der musikalischen Begabung beschäftigten sich vor allem die Musikpsychologen – allerdings ging es hier vorwiegend um Grundlagenforschung und so gut wie nie um die ins pädagogische Terrain hineinweisende Frage nach einer bestmöglichen Förderung des ›begabten‹ Nachwuchses. Diese auffallende Ausklammerung zeigt sich etwa an der Tatsache, dass es in der 1980 gegründeten instrumentalpädagogischen Fachzeitschrift Üben & Musizieren bis zur Wiedervereinigung keinen einzigen (!) Beitrag gab, der sich dezidiert mit der Förderung angehender jugendlicher Profimusiker beschäftigte. Man muss die Einschätzung des ehemaligen Rektors der Detmolder Musikhochschule, Richard Jacoby, nicht unbedingt teilen, der die 68er-Bewegung dafür verantwortlich machte, in Westdeutschland eine Situation geschaffen zu haben, in der »unter den Reizworten ›Leistungsdruck‹ oder ›Fixierung‹ auch jene Jugendlichen, die zu höchster künstlerischer Leistung bereit waren, äußerst verunsichert und in ihrer Arbeit und Entwicklung […] gestört wurden«,1 um dennoch zu konstatieren, dass die Frage nach ›Exzellenz‹ oder gar ›Eliteförderung‹ bis circa 1990 in Westdeutschland eine musikpädagogische No-go-Area darstellte.


Es waren im Wesentlichen drei Ursachen, die dazu führten, dass sich diese Situation ab 1990 langsam, aber grundlegend veränderte.


1) Zum einen zeichnete sich in der Musikpädagogik zu diesem Zeitpunkt eine Situation ab, in der die öffentlichen Gelder für Musikschulen drastisch zurückgefahren wurden und das Schulfach Musik sich einem alarmierenden Stundenausfall ausgesetzt sah. Diese als dramatisch empfundene Situation führte dazu, dass maßgebliche wissenschaftliche Fachvertreter ihr eigenes Tun verstärkt gesellschaftspolitisch begriffen und offen als Vorkämpfer ›ihres‹ Faches in Erscheinung traten. Dem Musikpädagogen und Begabungsforscher Hans Günther Bastian bleibt das Verdienst, erkannt zu haben, dass der Ruf nach musikalischer Spitzenförderung ein entscheidendes Vehikel war, um politisch die Forderung nach einer reflektierten Breitenarbeit durchsetzen zu können.2 Denn anders als in den Jahren zuvor hatte sich die bildungspolitische Landschaft in Westdeutschland im Verlauf der 1980er Jahre so verändert, dass das Leistungsargument politisch durchaus wieder auf offene Ohren stieß. Der Slogan »Leistung muss sich wieder lohnen«, mit dem Helmut Kohl im Bundestagswahlkampf 1982 angetreten war, hatte, wenn auch mit gehöriger Verzögerung, zu einer Neujustierung der bildungspolitischen Diskussion geführt. Als symptomatisch für diesen Wandel kann der große Eindruck gelten, den die Begabungsforscher der DDR bei ihrem Auftritt auf dem Internationalen Kongress für das hochbegabte Kind 1982 in Hamburg bei ihren westdeutschen Kollegen hinterließen.3 Erstaunt nahm man auf bundesdeutscher Seite ein Bildungssystem zur Kenntnis, in dem nicht nur theoretisch über Begabung nachgedacht wurde, sondern das anscheinend vor allem über hochentwickelte Strukturen zur Begabungsdiagnose und -förderung verfügte. In Hinblick auf die Musik versuchte Bastian diese neue Situation mit drei großangelegten und politisch auf höchster Ebene unterstützten Symposien sowie der von ihm betriebenen Gründung des Paderborner Instituts für Begabungsforschung und Begabungsförderung zu nutzen.


2) Vollends in ein helles Licht gerückt wurde das ostdeutsche Modell der Spezialschulen mit der Wiedervereinigung. Wenngleich die im engeren Sinne instrumentalpädagogische Szene der alten Bundesländer zunächst in erstaunlich geringem Umfang von diesen Einrichtungen Notiz nahm, so bildeten sie doch für die Schulmusik und die Begabungsforschung wichtige Orientierungspunkte. In zwei Expertentagungen wies der Verband Deutscher Schulmusiker Anfang der 1990er Jahre »auf die Bedeutung der ehemaligen Spezialschulen und Spezialklassen für Musik in der ehemaligen DDR« hin und empfahl sie »nach modifizierter Anpassung an das Bildungssystem der Bundesrepublik als eine vorbildliche und nachahmenswerte Einrichtung auch den westlichen Bundesländern«.4 Diese uneingeschränkt positive Sichtweise wurde von Bastian aufgegriffen, der 1991 im Anschluss an die von ihm initiierte Internationale Expertenkonferenz über musikalische Begabungsforschung und Begabungsförderung in Hadamar und als Antwort auf eine Große Anfrage im Deutschen Bundestag dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft einen Empfehlungskatalog vorlegte, in dem u. a. ein »sofortige[r] fachliche[r] Austausch über den (ggf. modifizierten) Fortbestand der Spezialschulen der ehemaligen DDR und den Spezialklassen an den Musikhochschulen« gefordert wurde.5 Angesichts der Tatsache, dass die ehemaligen Spezialschulen just zu diesem Zeitpunkt um ihr Überleben kämpfen mussten, kann die Bedeutung dieses Petitums für das Fortbestehen dieser Institute6 kaum hoch genug eingeschätzt werden. Fünf Jahre später kam Bastian erneut auf die Situation in den neuen Bundesländern zurück und schrieb nahezu euphorisch über die nun zu Musikgymnasien umgewandelten ehemaligen Spezialschulen: 


Bildungs- und Schulpolitiker können ihre reine Freude haben und einen kleinen Wermutstropfen geradezu überlesen: Allein die materiellen Bedingungen von Schule und Internat (vor allem im letzten Bereich) sind noch nicht überall befriedigend gelöst (z. B. in Dresden). Trotz dieser leichten Trübung herrscht offensichtlich eitel Sonnenschein im Osten. In den neuen Bundesländern hat die Begabtenförderung in der Musik ihre eigene Metapher: ›Der Himmel hängt voller Geigen.‹ Den Wolkenhimmel finden wir im Westen.7

Das wachsende Interesse an einer verstärkten Förderung des ›begabten‹ Nachwuchses konnte sich in der Folgezeit mit dem nun allerorten um sich greifenden Interesse an der, wie es nun hieß, Förderung von ›Exzellenz‹ verbinden. Spätestens mit dem sogenannten Pisa-Schock im Jahre 2002 kam es zu »bedeutsame[n] Verschiebungen im öffentlichen Diskurs zu Bildung und Wissenschaft […], die nicht nur als Verschiebungen der Semantik zu verstehen [waren], sondern auf gravierende organisatorische Transformationsprozesse hinweisen und deren Ausdruck sind.«8 Ein beredter Ausdruck dieser Transformationsprozesse sind die zahlreichen Gründungen von Pre-Colleges, mit denen die deutschen Musikhochschulen sich nun verstärkt um die Förderung des heimischen Nachwuchses bemühten. Stellvertretend seien genannt: das Institut für musikalische Frühförderung Hannover (2000), das Pre-College Cologne (2005), das Detmolder Jungstudierenden-Institut (2005), die Freiburger Akademie zur Begabtenförderung (2007), die Young Academy Rostock (2008) und das Pre-College Würzburg (2013). Ein Ende dieser Gründungswelle ist noch nicht abzusehen.


Alle diese Neugründungen können als Einlösung der bereits 1991 erhobenen Forderung des Deutschen Musikrates nach einer »systematischen Etablierung von Studienzentren in Verbindung mit den 21 Musikhochschulen in Deutschland« gelten.9 Während diese Forderung damals allerdings noch mit dem Gedanken einer »modifizierte[n] Übernahme des in der ehemaligen DDR praktizierten Modells der […] Spezialschulen für Musik«10 verknüpft war, scheint das ostdeutsche Erbe später keine allzu große Rolle mehr gespielt zu haben. Schon durch die häufig gewählte Bezeichnung ›Pre-College‹ stellten sich die neu gegründeten Institute eher in einen internationalen Kontext (als Vorbild bei der Namensgebung fungierte möglicherweise das Pre-College der Julliard School in New York), als dass sie an die ostdeutsche Tradition der Spezialschulen anknüpften. Deutlich wird das etwa an der Darstellung, mit der das IFF Hannover auf seiner Internetseite die Gründe erläutert, die zu seiner Gründung geführt haben:


Obwohl Deutschland immer noch zu den führenden Musiknationen in der Welt gehört, ist es um unsere musikalische Spitzenförderung nicht immer und unbedingt zum Besten gestellt. Zu sehr hatte man jahrelang die Hochbegabten gesellschaftlich alleine gelassen und pädagogisch vernachlässigt, während gleichzeitig der internationale Leistungsstandard sich ständig nach oben entwickelte und der globale Konkurrenzdruck rapide anstieg.11

Womöglich aus Gründen einer innerdeutschen Hochschul-Konkurrenz wird die ostdeutsche Tradition hier schlichtweg ignoriert. Das wäre an sich keiner weiteren Erwähnung wert, zeigte sich an dieser Nicht-Beachtung nicht ein grundlegendes Versäumnis: So häufig die DDR-Spezialschulen Anfang der 1990er Jahre als Vorbild für die westdeutsche Musikpädagogik genannt wurden, so sehr fehlte es in der Folgezeit doch an Versuchen, die Erfahrungen, die an diesen Schulen gemacht wurden, zu bergen und aufzuarbeiten. Es wurde versäumt, zentrale Themen der musikalischen Begabungsförderung mit den Erfahrungsbeständen der alten Spezialschulen in Beziehung zu setzen. Zu diesen Themen zählte Bastian u. a. folgende Aspekte:


  • – Allgemeinbildung und frühe Spezialisierung in Musik – ein Balanceakt?

  • – Bewahrung und Anforderung: als Jugendlicher schon Profi sein müssen!

  • – Disziplin und Freiheit: Zwischen Arbeiten, Spielen und Üben

  • – Skepsis und Hoffnung: Berufsaussichten und -alternativen oder: Zur sozialen Verwendung des Gelernten.12

Zu ergänzen wäre die Frage, ob und inwieweit eine institutionelle Zusammenfassung musikalisch ›begabter‹ Kinder im Rahmen eines eigenständigen Instituts nicht auch eine Abtrennung von alltäglichen Lebenszusammenhängen bedeutet, die sich unter Umständen negativ auf die weitere Entwicklung auswirkt. Zu dieser Frage hatte Hermann Rauhe, der damalige Rektor der Hamburger Musikhochschule auf dem ersten Kongress des Paderborner Begabungsinstituts 1992 einen provokanten Denkanstoß geliefert. Ausgehend von der Überlegung, dass professionelles Musizieren wesentlich auf einer hochentwickelten Interaktionsfähigkeit gründet und Musiker daher immer auch ›Vermittler‹ sein müssen, die in der Lage sind, ihre musikalischen Intentionen anderen Menschen verständlich zu machen, postulierte er: 


Das soziale Umfeld der Hochbegabten […] wird bestimmt über die Fähigkeit, mit ›Normalen‹ umgehen, sich auf deren Bedürfnisse einstellen und sich damit verständlich machen zu können. […] Der soziale Aspekt läßt sich da betonen, wo in der Schule und in anderen Ausbildungsbereichen der (die) Hochbegabte seine (ihre) Fähigkeiten zur Förderung Minderbegabter einsetzt.13

Aus diesem Grunde plädierte Rauhe gegen die Idee eines »Schutzpark[s]«, in dem Hochbegabte »ihre Kreativität frei von gesellschaftlichen Zwängen und einengenden Bindungen entfalten können.«14 Seine Einlassung wurde jedoch nicht weiter verfolgt. Das ist umso bedauerlicher, als gerade die von ihm angeschnittene Frage von grundlegender Bedeutung für die konzeptionelle Entwicklung musikalischer Spitzenförderung wäre. In diesem Zusammenhang hätte auch diskutiert werden können, was für Konsequenzen es mit sich bringt, wenn man, wie es für die Spezialschulen der DDR kennzeichnend war, den künstlerischen Einzelunterricht mit der schulischen Allgemeinbildung unter einem Dach kombiniert. Welche Konsequenzen hat es, wenn zwei derart unterschiedliche Formate des Lehren und Lernens in ein und denselben institutionellen Kontext gestellt werden? Hier der Hauptfachunterricht, der von einer intimen Nähe zwischen Lehrer und Schüler geprägt ist, der mit einer hohen intrinsischen Motivation des Schülers rechnet und der gerade in seinen intensivsten Momenten quasi zeitenthoben ganz in die Sache eintaucht.15 Dort die schulische Allgemeinbildung, die – wie immer sie im Einzelnen ausgestaltet sein mag – doch weit­gehend einem starren Umgang mit der Zeit folgt und nicht zwangsläufig auf eine hohe Motivation von Seiten der Schüler angewiesen ist: Klassenarbeiten und Abschlüsse lassen sich unter Umständen auch dann erfolgreich meistern, wenn kein sonderliches Interesse am Fachgegenstand besteht. Was passiert, wenn diese beiden grundverschiedenen pädagogischen Situationen in einem ›dualen System‹ miteinander verbunden werden? Führt es zu einem ›verschulten‹ Hauptfachunterricht? Wird der Bereich der Allgemeinbildung stärker marginalisiert als dies bei einer vollständigen Trennung der Institutionen möglicherweise der Fall wäre? Oder gibt es befruchtende Impulse zwischen beiden Säulen? Zur Klärung dieser und weiterer Fragen hätte eine gründliche Bestandsaufnahme der ostdeutschen Erfahrungen sicher einiges beitragen können. 


3) Schließlich ist auf bedeutsame Forschungsentwicklungen hinzuweisen, die seit Beginn der 1990er Jahre die Herangehensweise an die Begabungsthematik grundlegend verändert haben und – anders als dies zuvor der Fall gewesen war – eine Verknüpfung von musikpsychologischen Erkenntnissen und bildungspolitischen Fragestellungen möglich machten. Mit dem sogenannten ›Expertise-Modell‹ verlagerte sich der Fokus von den statischen Voraussetzungen einer Leistung (Begabungsbegriff) hin zur Genese dieser Leistungen im Verlauf einer Biografie. Die Expertiseforschung stellt sich einfach die Frage, auf welche Weise Menschen zu ›Experten‹ in einer bestimmten ›Domäne‹ werden.16 Sie konzentriert sich dabei nicht so sehr auf jene Dimensionen, die sich nicht oder nur kaum beeinflussen lassen, also etwa auf das Begabungspotenzial oder auf bestimmte körperliche Voraussetzungen, die zur Meisterschaft innerhalb einer Domäne notwendig sind. Vielmehr sucht sie zu ergründen, auf welche Weise sich die Lebensumstände ­eines Experten von denjenigen eines Amateurs unterscheiden. Gibt es bestimmte Dinge, die im Leben eines leistungsstarken professionellen Musikers schlichtweg anders verlaufen sind als im Leben anderer Menschen und können diese Unterschiede zur Erklärung dieser besonderen Leistungsfähigkeit dienen?


2. Zum Begriff der Schulkultur


Unsere Studie folgt, wiewohl sie in methodischer und auch inhaltlicher Hinsicht durchaus eigenständige Wege beschreitet, dem Forschungsparadigma des Expertise-Modells. Sie geht also nicht davon aus, dass es sich bei den ›Begabungen‹, die an den Spezialschulen der DDR gefördert wurden, um quasi voraussetzungslose Erscheinungen handelte – um ›Ressourcen‹ also, die nach besten Kräften aufgespürt und ausgebildet wurden. Sie distanziert sich mithin bereits in ihrem grundlegenden Ansatz vom Selbstverständnis der DDR-Pädagogik, das, wie unten noch genauer ausgeführt werden wird, in modifizierter Form von genau einem derartigen Ressourcen-Modell ausging. Stattdessen lässt sie sich von dem Grundsatz leiten, dass das, was nach außen als Begabung erscheinen mag, immer das Ergebnis komplexer Interaktionsprozesse zwischen Individuum und Umwelt ist. Ganz in Übereinstimmung mit der Expertise-Forschung können wir auch in unserer Studie zeigen, dass sich die Lebensläufe von Musikern, die als ›begabt‹ eingeschätzt werden, deutlich von den Biografien anderer Menschen unterscheiden. Das beginnt im frühesten Kindesalter innerhalb des familiären Raumes und setzt sich in der Instrumentalausbildung fort. Unterschiedliche Begabungspotenziale sollen damit selbstverständlich nicht geleugnet werden, erscheinen aber als Dispositionen, die von Anbeginn in dichtester Interaktion mit ihrer Umwelt stehen, sich durch diese Interaktionen unablässig verändern und damit zu keinem Zeitpunkt auf ihre vermeintliche ›Reinform‹ reduziert werden können. Die Zu- oder auch Aberkennung von Begabung durch die Umwelt wird also nicht als ein Urteil begriffen, das unbedingt etwas über die Beschaffenheit eines angeblich vorgängig vorhandenen, quasi ›natürlichen‹ Rohstoffes aussagt, sondern erscheint primär als eine interessengeleitete Aussage, die zu einem spezifischen Entwicklungsverlauf in wertender Form Stellung nimmt und die ihrerseits damit diesen Entwicklungsverlauf beeinflusst und formt. Sie erwächst auf dem Boden eines gesellschaftlich geprägten Begabungsdenkens, beeinflusst das Selbstbild der Betroffenen, bestimmt deren Rolle innerhalb des Ausbildungskontextes17 und hat weitreichende Auswirkungen auf die gesamte spätere Biografie. Wir fragen mithin nicht, auf welche Weise in den Spezialschulen ›Begabungen‹ gefördert wurden, sondern beobachten das Wechselspiel zwischen den Prägungen, die die Schüler in die Schule mitbrachten, und der Art und Weise, wie die Schule mit diesen Prägungen umging und sie weiterentwickelte. Der Begabungsbegriff erscheint in unserer Studie damit als ein Begriff zweiter Ordnung: Er wird als ein Konzept begriffen, das von den Akteuren in einer bestimmten Art und Weise verwendet wurde und damit deren Handeln und Denken beeinflusste. Unter einem wissenssoziologischen Forschungsparadigma versuchen wir, diese Verwendungsweisen zu rekonstruieren. Der Begabungsbegriff ist damit zwar ein wichtiger Gegenstand unserer Studie, zählt aber nicht zu deren theoretischem Inventar.


Dieser Ansatz führt uns zu dem aus den Erziehungswissenschaften stammenden Begriff der Schulkultur.18 Mit diesem Begriff versuchen wir zu rekonstruieren, was man umgangssprachlich einen bestimmten schulspezifischen Erziehungsstil nennen könnte. Diese Rekonstruktion berücksichtigt einerseits die allgemeinen bildungspolitischen und pädagogischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Spezialschulen der DDR ihre Ausbildungsarbeit leisteten. In der Theorie der Schulkultur wird diese gesellschaftlich vorgegebene Dimension als das Reale bezeichnet.19 Zum anderen wird in dieser Rekonstruktion beobachtet, wie diese Rahmenbedingungen konkret umgesetzt wurden; es wird also die strukturelle Ebene mit der Perspektive der jeweiligen Akteure verknüpft. Das wäre die Dimension des Symbolischen.20 Und schließlich lässt sich diese Rekonstruktion von der Maßgabe leiten, dass in diese Perspektive immer auch Faktoren hineinspielen, die sich weder aus der Makroebene der gesellschaft­lichen Rahmenbedingungen noch aus der Mikroebene der jeweiligen Akteurs­perspektive ergeben. Uns ist bewusst, dass wir uns allein schon durch diese Blickrichtung vom Selbstverständnis eines zentralistischen Bildungssystems, wie es die DDR war, unterscheiden – eines Systems, in dem die einzelnen Spezialschul-Standorte ja nominell als weitgehend identische Agenturen begriffen wurden, die dieselben festumrissenen Erziehungsaufgaben zu bewältigen hatten. Unsere Studie zeigt jedoch, dass gerade die Fokussierung der Mesoebene für die Erfassung dessen, was wir Schulkultur nennen, wesentlich ist. Gerade anhand unseres Referenzbeispiels, der Dresdner Spezialschule, lässt sich zeigen, in welch hohem Maße das kulturelle Selbstverständnis Dresdens mit seiner jahrhundertealten Orchesterkultur den Lebensraum der Spezialschule prägte und die Herausbildung von Strukturen begünstigte, die zwar nirgendwo kodifiziert waren, die aber dennoch die Wahrnehmung, die Bewertungsmuster und das Selbstverständnis der beteiligten Akteure in hohem Maße lenkte. Als Beispiel diene die Interviewäußerung eines ehemaligen Spezialschülers, der sich über den Status jener Lehrer äußerte, die hauptberuflich in der Staats­kapelle angestellt waren:


Na ja, die Hauptfachlehrer, die wurden auch sehr vergöttert, sag ich mal, auch bissl zu viel. (..) //mhm// Dass die eben (..) ja, in diesem Orchester waren, waren eben toll, also ich (.) würd’ mal sagen, manchmal war’s ein bissl (..) wie jetzt so ’ne Fußballmannschaft, ne?


Diese herausgehobene Stellung der Kapellmusiker begründete anscheinend eine unterschwellige Hierarchie auch unter den Schülern, die zwar an keiner Stelle festgeschrieben war, die aber den schulischen Lebensraum in hohem Maße prägte.


Die Dimension, die dieses Selbstverständnis der Akteure beschreibt, wird in der Theorie der Schulkultur die Dimension des Imaginären genannt.21 Im Unterschied zur Dimension des Realen geht es hier nicht um kodifizierte Rahmenbedingungen, sondern um jene Zuschreibungen, die die einzelnen Akteure mit diesen Rahmenbedingungen verbinden. Ein weiteres Beispiel: Wenn ein ehemaliger Lehrer der Spezialschule, der in seinem Hauptberuf eine Soloposition in der Staatskapelle Dresden bekleidete, in einem Interview die These vertritt, die Spezialschule sei im Grunde eine Orchesterschule gewesen, in der der Nachwuchs ›seines‹ Orchesters herangezogen werden sollte, dann formuliert er eine Zielbestimmung, die rein faktisch gesehen falsch ist: Die Spezialschule war zu keinem Zeitpunkt eine Orchesterschule der Staatskapelle. Obgleich es sich hier also um eine ›imaginäre‹ Zuschreibung handelt, besaß sie für den betreffenden Lehrer anscheinend doch Realität, lenkte seine Bewertungsschemata und trug damit zu einer spezifischen Ausprägung von Schulkultur bei.22

Die drei Ebenen der Schulkultur – die des Realen, Symbolischen und Imaginären – bilden den strukturtheoretischen Rahmen unserer Studie. Sie werden von uns nicht allein im Sinne eines explizit formulierbaren kommunikativen Wissens verstanden, sondern erscheinen zugleich, wie die beiden oben erwähnten Beispiele zeigen, als ein impliziter Wissensbestand, der den gemeinsamen Erfahrungsraum der Spezialschule prägte. Um das anhand des Begabungs­begriffes zu verdeutlichen: Wir fragen nicht nach den subjektiven ›Begabungstheorien‹, über die Lehrer und Schüler der Dresdner Spezialschule verfügten, sondern versuchen zu fokussieren, auf welche Weise das Phänomen der Begabung im Handeln und Wahrnehmen der Akteure verarbeitet wurde. Inwieweit trug es zur Herausbildung von Selbstbildern bei, wie sahen diese Selbstbilder aus und in welcher Form bestimmten sie das Rollenverständnis des Einzelnen? Unsere Rekonstruktion gilt mithin nicht allein den direkt explizierbaren Meinungen und Ansichten, sondern dem, was in der Wissenssoziologie im Anschluss an Karl Mannheim als »konjunktiver Erfahrungsraum« bezeichnet 
wird.23

Nach welchen inhaltlichen Kriterien aber suchen wir, wenn wir nach der Schulkultur der Dresdner Spezialschule fragen? Das Kriterium ›Umgang mit Leistung und Begabung‹ liegt auf der Hand; es deckt sich im Übrigen mit ­einer der in den Erziehungswissenschaften entwickelten inhaltlichen Bestimmungen von Schulkultur.24 Die anderen dort formulierten Kriterien (Inhalte – Pädagogische Orientierungen – Partizipation) lassen sich jedoch nicht derart pass­genau auf unseren Fall anwenden. Für die Erfassung der für die Spezialschulen typischen Verschränkung von schulischer Allgemeinbildung und berufsvorbereitendem Hauptfachunterricht sind sie nicht ausgelegt; ebenso wenig berücksichtigten sie die besonderen Rahmenbedingungen einer Schule in der DDR. Unsere Aufgabe bestand also darin, diese inhaltlichen Dimensionen von Schulkultur auf der Grundlage der von uns geführten Interviews mit ehemaligen Schülern und Lehrern, aber auch auf der Basis der histori
schen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen entsprechend zu modifizieren.


Im vorliegenden Beitrag sollen diese historischen Rahmenbedingungen etwas genauer unter die Lupe genommen werden. Mithilfe einer Rekonstruktion der Gründe und Zielsetzungen, aus denen heraus es in der DDR zur Entstehung von Spezialschulen kam, sollen jene inhaltlichen Dimensionen modifiziert werden, von denen wir uns bei unserer Rekonstruktion von Schulkultur leiten lassen. Aus Platzgründen verzichten wir an dieser Stelle komplett auf die Darstellung des eigentlichen Herzstücks unserer Studie: die narrativen Interviews mit ehemaligen Schülern und Lehrern, die wir unter Zuhilfenahme der ›Dokumentarischen Methode‹ ausgewertet und zu einer Typologie verdichtet haben. Die im Folgenden fokussierten historischen Erörterungen zur Genese der Spezialschulen in der DDR mögen daher als Prolegomena für die eigentliche Studie gelesen werden, die voraussichtlich zu Beginn des Jahres 2016 publiziert werden wird. Es soll hier also lediglich das Feld umrissen werden, innerhalb dessen sich die Schulkultur der Dresdner Spezialschule realisierte. Um bei unserer Darstellung jedoch nicht vollständig ante portas zu verweilen, deuten wir bei diesem historischen Durchgang zumindest ansatzweise die Perspektiven an, die sich ergeben, wenn man die historischen Rahmenbedingungen mit der Akteursperspektive in Beziehung setzt.


3. Die Spezialschulen der DDR im Lichte der bildungspolitischen Rahmenbedingungen


3.1 Erste Anläufe (1959–1965)


Werte Genossen!


Das schlechte Abschneiden unserer jungen Solisten beim Tschaikowsky-Wett­bewerb in Moskau 1962 wird nach dem Bericht der Kulturabteilung darauf ­zurückgeführt, daß unsere Pianisten und Streicher ungenügend ausgebildet 
sind. Es wird die Frage gestellt, mit der Ausbildung befähigter Kinder im Alter von 6–8 Jahren zu beginnen. Der Vorschlag, spezielle Musikschulen zu schaffen, ist meines Erachtens jetzt nicht real. Ich bitte, doch unseren alten Vorschlag wieder hervorzuholen, musikbegabte Kinder durch Sondermaßnahmen an den Volksmusikschulen zu fördern. Wäre es nicht an der Zeit, einen Wettbewerb junger Musiker anläßlich eines bestimmten Gedenktages in der DDR zu organisieren, damit eine stärkere Förderung der jungen Talente angeregt wird?


Mit sozialistischem Gruß


W. Ulbricht25

Diese kleine Mitteilung Walter Ulbrichts vom November 1962 entstammt einer Zeit des bildungspolitischen Umbruchs in der DDR – eines Umbruchs, dessen inhaltliche Neujustierung sich nicht zuletzt in der zwiespältigen Haltung ­äußerte, die die Parteiführung dem Spezialschulgedanken entgegenbrachte. Die unscheinbare Formulierung »jetzt nicht real« deutet an, dass Ulbricht der Idee ­einer Einrichtung ›spezieller Schulen‹ nicht prinzipiell ablehnend gegenüberstand, ­allerdings den Zeitpunkt ihrer Realisierung für noch nicht gekommen hielt. 


Ein weiteres, kurze Zeit später entstandenes Dokument aus den obersten Kreisen der Staatsführung bestätigt diese zögernde Haltung. In einem ­Schreiben an den Stellvertretenden Vorsitzenden des DDR-Ministerrats vom 14. November 1962 fasst der damalige Abteilungsleiter im Ministerium für Kultur, Wagner, der anscheinend direkt mit Ulbricht über dieses Thema konferiert hatte, dessen Position noch einmal kurz zusammen und pflichtet ihr im Wesent­lichen bei. Anstatt die Frage der musikalischen Nachwuchsförderung nun aber alleine den Volksmusikschulen zu überlassen oder sie durch punktuelle Maßnahmen wie einen Wettbewerb anlässlich eines Gedenktages lösen zu wollen, fordert Wagner zusätzlich einen verstärkten »Aufbau von Oberschulklassen«26 an den Musikhochschulen und fährt fort:


Wir betrachten [diese Oberschulklassen] als erste Keimzelle für später zweifellos zu schaffende Spezialoberschulen auf diesem Gebiet. In der Öffentlichkeit sollten wir jedoch über die Einrichtung dieser Oberschulklassen nicht breit diskutieren, das Problem der Spezialoberschule zur Zeit überhaupt nicht in die Debatte werfen, damit wir nicht die Initiative in eine falsche Richtung lenken. In der Öffentlichkeit sollte zur Zeit mit aller Entschiedenheit über eine Verbesserung der Arbeit der Musikschulen in dem vorhergehenden Sinne gesprochen werden.27

Die Warnungen vor einem vorschnellen Gang in die Öffentlichkeit und vor ­einer »Initiative in die falsche Richtung« weisen auf einen gewichtigen bildungspolitischen Paradigmenwechsel hin, den die Parteiführung anscheinend vorbereitete, ohne eine verfrühte öffentliche Debatte zu wünschen. Der geplante Paradigmenwechsel war nicht auf Musik beschränkt, sondern allgemein bildungspolitischer Natur, womit er dann freilich wiederum auch Auswirkungen für die musikalische Ausbildung hatte.


Worum ging es dabei? In den 50er Jahren war es das zentrale Ziel der Bildungspolitik in der DDR gewesen, Kindern mit proletarischer Herkunft höhere Bildungsabschlüsse zu ermöglichen, ihnen also die Möglichkeit zu geben, durch den Erwerb entsprechender Bildungstitel in Leitungsfunktionen aufzusteigen. In der ersten Hälfte der 60er Jahre gelangte nun immer stärker ein Denken in den Vordergrund, das Bildung als einen entscheidenden Schlüssel bei der Gestaltung des rasanten technisch-industriellen Wandels begriff. Wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer massiven Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte in den Westen wurde die Formel »Bildung ist Macht« durch »den Satz ›Bildung erzeugt wissenschaftlich-technischen Fortschritt‹ [abgelöst]. […] Technische Entwicklung, Arbeitsteilung und die mit ihr institutionalisierten Leistungsansprüche standen jetzt im Mittelpunkt der Bildungspolitik.«28 Es ging also nicht mehr nur darum, Menschen mit einem »ererbten politischen Kapital« (also einer proletarischen Herkunft) eine entsprechende Bildungslaufbahn zu ermöglichen,29 sondern um eine stärkere Betonung des Leistungsprinzips, als dessen Indikator das Vorhandensein eines bestimmten akademischen Abschlusses begriffen wurde. Dieser Umbruch äußerte sich beispielsweise in der Tatsache, dass die sogenannten ›Arbeiter- und Bauern-Fakultäten‹, die in den 50er Jahren die Aufgabe gehabt hatten, jungen Erwachsenen mit proletarischer Abstammung und ohne ausreichende Schulbildung einen akademischen Abschluss zu ermöglichen, in den Jahren 1961–1962 geschlossen wurden.30 Und auch die Rolle der Massenorganisationen, denen das »Gesetz über die Entwicklung des sozialistischen Schulwesens in der DDR« noch im Jahre 1959 ein wichtiges Mitspracherecht bei der Entscheidung über die Vergabe von Studienplätzen eingeräumt hatte, wurde drastisch zurückgefahren. Ab 1963 waren dafür alleine die Universitäten zuständig.31

In den 50er Jahren war für die Idee eines die Allgemeinbildung und Spezialbildung miteinander verbindenden Schultyps, wie er sich in den späteren Spezialschulen für Fremdsprachen, Mathematik, Sport und eben auch für Musik herauskristallisierte, kein Raum gewesen. Bildungspolitik zielte hier vornehmlich auf die Gewinnung einer neuen Machtelite. Das unangefochten im Zentrum stehende Bemühen, Proletarierkindern eine Teilhabe an gesellschaftlich relevanten Positionen zu ermöglichen, wäre kaum mit dem Gedanken ­einer Spezialausbildung für besonders befähigte Kinder und Jugendliche – unabhängig von der Herkunft – vereinbar gewesen, denn dieser Gedanke hätte die Konsequenz nach sich gezogen, vornehmlich nach dem Leistungsprinzip zu verfahren und wäre damit womöglich auch Kindern aus dem alten Bürgertum (oder gar solchen mit einem kirchlichem Hintergrund) zugutegekommen. Mit diesem Problem sollten sich die 1965 dann ins Leben gerufenen Spezialschulen auch weiterhin herumschlagen. Im Unterschied zur Situation der 50er und frühen 60er Jahre ließ das in späteren Jahren zunehmend an Gewicht gewinnende Prinzip der Leistungsorientierung aber immerhin zu, dass die prinzipielle Unvereinbarkeit des Leistungs- und des Abstammungsgedankens sich überhaupt als Problem in der Praxis manifestieren konnte.32 Das war zuvor ausgeschlossen gewesen.


Sowohl der Hinweis Ulbrichts als auch dessen genauere Paraphrase durch den Abteilungsleiter Wagner lassen erkennen, dass die Parteiführung schon Anfang der 60er Jahre die Notwendigkeit erkannt hatte, das alleinige Primat der proletarischen Abkunft zu lockern und durch ein System zu ersetzen, in dem es zum einen um Leistungsorientierung ging, das zum anderen aber auch die Möglichkeit eröffnete, ein fehlendes proletarisches Erbe (ererbtes Kapital) durch ein entsprechendes gesellschaftliches Engagement (erworbenes politisches Kapital) ausgleichen zu können. Zugleich zeigen beide Quellen, dass anscheinend davor zurückgeschreckt wurde, sich allzu abrupt von den Maximen der 50er Jahre zu verabschieden. So laufen die Verbesserungsvorschläge ­zunächst im Wesentlichen auf eine qualitative Verbesserung des Status quo hinaus. 


Wie sah dieser Status quo aus? Welche Möglichkeiten gab es bis Mitte der 1960er Jahre für Kinder und Jugendliche, eine professionelle musikalische Karriere in Angriff zu nehmen? Das sei kurz am Beispiel Dresdens erläutert:33

Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem aus dem Jahre 1965 war die Aufgabe einer professionellen Musikausbildung in Dresden auf drei verschiedene Institutionen verteilt gewesen. Zum einen gab es die Musikhochschule, die aus der Akademie für Musik und Theater34 hervorgegangen war, 1952 Hochschulstatus erhalten hatte und der 1959 ihr heutiger Name (Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber«) verliehen wurde.35 Dieses Institut diente zunächst vor allem der Ausbildung von Solisten, Dirigenten, Komponisten sowie z. T. auch von Orchestermusikern. Das Gros der künftigen Orchestermusiker besuchte allerdings das ›Konservatorium‹,36 das als eine Fachschule fungierte und keinen Hochschulstatus besaß. Die Grenze zwischen Konservatorium und Hochschule verlief allerdings nicht ganz trennscharf, was auch dadurch bedingt war, dass eine Reihe von Lehrkräften an beiden Instituten unterrichtete. Insgesamt war die Hochschule das exklusivere Institut. Für einen Berufsabschluss, der etwa für eine Orchesterstelle qualifizierte, genügte jedoch auch der Besuch des Konservatoriums. Beiden Instituten vorgeschaltet gab es für 14–18-Jährige die Fachgrundschule für Musik, deren Lehrpersonal sich mit dem des Konservatoriums weitgehend deckte (es dominierten die Musiker der beiden Dresdner Orchester, Staatskapelle Dresden und Dresdner Philharmonie). Konservatorium und Fachgrundschule logierten im selben Gebäude in der Blochmannstraße, während die Hochschule zunächst in der alten Rothermund-Villa in Dresden Blasewitz, dem Gebäude der späteren Spezialschule, untergebracht war.


Ein leistungsstarker jugendlicher Musiker konnte in Dresden bis 1965 – und das galt für die gesamte damalige DDR – also erst mit der 9. Klasse (circa dem 15. Lebensjahr) im Rahmen der Fachgrundschule in ein Ausbildungsverhältnis eintreten, das dem Erwerb eines professionellen instrumentalen Leistungsniveaus galt. Das war zwar deutlich früher als im Westen, aber immer noch später als der Eintrittslevel der späteren Spezialschulen. Da das Erlangen eines Expertenstatus (im Sinne der Expertise-Forschung) vor allem bei Streichern und Pianisten auf eine wesentlich früher einsetzende Zeit inten­siven Übens angewiesen ist, konnten auch in der DDR zunächst nur jene Jugendlichen dieses Angebot nutzen, die zuvor ohne entsprechende staatliche Förderung eine souveräne Beziehung zu ihrem Instrument aufzubauen vermocht hatten. Diese Jugendlichen stammten in aller Regel aus Elternhäusern, in denen dem Aufbau solider instrumentaler Grundlagen ein entsprechender Wert beigemessen wurde. Das war hauptsächlich in jenen Familien möglich, in denen die bürgerlichen Werte der Vorkriegszeit noch eine gewichtige Rolle spielten. Und innerhalb dieser Gruppe waren es vor allem die Kinder aus kirchlich gebundenen Elternhäusern, die über die notwendige musikalische Vorbildung verfügten. Im Gegensatz zum Abschluss der späteren Spezialschule, der ausschließlich zum Studium an einer Musikhochschule befähigte, konnte der Besuch der Fachgrundschule mit dem Ablegen des Abiturs verbunden werden.


Sowohl Ulbrichts Zurückweisung »spezieller Musikschulen« als auch Wagners Warnung vor einer »Initiative in die falsche Richtung« müssen vor dem Hintergrund der Tatsache gesehen werden, dass sich entsprechende Initia­tiven um diese Zeit schon sehr weit vorgewagt hatten. Im Grunde waren die Weichen in Richtung Spezialschule 1962 so gut wie gestellt. Auf dem 4. Plenum des ZK der SED hatte das Ministerium für Volksbildung 1959 den Auftrag erhalten, zu prüfen, »ob die Bildung einiger spezieller Oberschulen zweckmäßig und möglich ist.«37 Das Ergebnis dieser Prüfung fand in mehreren innerministeriellen Begründungen und Argumentationshilfen für die Einrichtung von Spezialschulen ihren Niederschlag. In Bezug auf die Spezialschulen für Musik mündeten diese Überlegungen in eine ausformulierte Richtlinie vom Beginn des Jahres 1962, die vom zuständigen Minister für Volksbildung, Lemnitz, nur noch hätte unterschrieben werden müssen, wenn sie nicht – vielleicht auch wegen der Intervention durch Ulbricht – kurz darauf zu den Akten gelegt worden wäre.38 Gemessen an dem, was in den folgenden Jahren festgeschrieben wurde, war diese Richtlinie noch ein ganzes Stück ambitionierter: Einerseits sah sie einen Beginn der Spezialschulausbildung bereits ab dem 3. Schuljahr vor. Darin orientierte sie sich ganz offenkundig am Vorbild der sowjetischen Spezial­schulen, die bereits Kindern der 1. Klasse offenstand. Andererseits bezog sie die Spezialschulausbildung nicht nur auf Instrumentalisten, sondern zugleich auch auf künftige Schulmusiker, Dirigenten, Chorleiter, Ensembleleiter, Komponisten, Musikwissenschaftler, Opernregisseure und Tonmeister.39 Das war natürlich ein durch und durch praxisferner Ansatz, denn die Vorstellung, dass sich Jugendliche bereits im Alter von ca. 15 bis 16 Jahren auf das Berufsziel ›Musikwissenschaftler‹ festlegen lassen, entbehrte wohl selbst im sozialistischen Bildungssystem, in dem der Aspekt der Berufslenkung bekanntermaßen eine große Rolle spielte, jeder Realität. Immerhin sah diese Konzeption aber für diese künftigen Berufsgruppen einen eigenständigen Zweig vor, der zum Abitur führen sollte, vor – eine Möglichkeit, die in den späteren Spezialschulen für Musik ganz gestrichen wurde. Bezüglich der Schülerkapazitäten ging sie bis zum 8. Schuljahr von einer Zweizügigkeit mit je 20 bis 25 Schülern aus.40 Eine Prüfung im 8. Schuljahr hätte dann darüber entscheiden sollen, wer an der Spezialschule verbleiben durfte und wer zurück an seine ehemalige POS musste.41 Für den anschließenden zweiten Ausbildungsabschnitt war eine Klasse für Instrumentalisten (mit dem Regelschulabschluss) und eine Abiturklasse vorgesehen. Beide Klassen sollten die Zahl von 15 Schülern nicht unterschreiten. Nimmt man die späteren vier Spezialschulen zusammen, so hätte es dann in der ganzen DDR jedes Jahr um die 1.300 Spezialschüler gegeben – eine Zahl, die den Richtwert von 500, der in einer zeitgleich entstandenen innerministeriellen Denkschrift genannt wird,42 um weit mehr als das Doppelte übersteigt und die auch deutlich höher als die späteren realen Schülerzahlen ist. Man kann sich gut vorstellen – genauere Dokumente fehlen hier leider –, dass sowohl die frühe Herauslösung der Spezialschüler aus dem einheitlichen Bildungsplan als auch deren schiere Zahl für all jene ein Problem darstellte, die dem Gedanken einer für alle geltenden sozialistischen Bildung anhingen und die möglicherweise die Gefahr heraufdämmern sahen, dass mit einer derartigen Richtlinie Kinder aus ehemals bürgerlichen und kirchlichen Kreisen in großer Zahl die Möglichkeit einer staatlich unterstützten Sonderbildung erhalten hätten. Da half wohl auch der Hinweis auf die sowjetischen Spezialschulen nicht. Denn die bildungspolitischen Voraussetzungen in beiden Ländern unterschieden sich grundlegend. Anders als in der DDR war in der Sowjetunion die Ausbildung von Instrumentalisten von vornherein eine Sache des Staates – hier gab es weder ein Bildungsbürgertum, das musikalische Betätigung von sich aus als Ausdruck eines spezifischen Lebensstils begriffen hätte, noch jene Tradition des evangelischen Pfarrhauses, in dem die Musik den zentralen Mittelpunkt des Familienlebens bildete und das daher eine regelrechte ›Brutstätte‹ für eben jenen Nachwuchs darstellte, der an den Spezialschulen herausgebildet werden sollte. Die große Nähe der späteren Spezialschul-Klientel zur Kirche spiegelte sich in einer Umfrage, die wir zu Beginn unserer Forschungsarbeit unter den ehemaligen Spezialschülerinnen und -schülern durchführten. 75 % der Befragten antworteten auf die Frage »Hatte Ihre Familie einen Kontakt zur Kirche?« mit Ja. Dieser – freilich nicht repräsentative – Wert wird ergänzt durch die Tatsache, dass 54 % der Befragten angaben, konfirmiert worden zu sein; weiteren 10 % war die katholische Firmung zuteil geworden. Der sich daraus ergebende Wert von 64 % ist zwar ebenfalls nicht repräsentativ, gibt aber der begründeten Vermutung Raum, dass die kirchliche Bindung der Schüler deutlich höher als an normalen POS war.


Formulierte die Richtlinie hinsichtlich der Kapazität, des Schuleintritts­datums und der differenzierten Abschlüsse eine ›große Lösung‹ (die in den folgenden Jahren dann um einiges kleiner gemacht wurde), so gab sie sich in anderer Hinsicht deutlich zurückhaltender. Das betrifft vor allem das Verhältnis zwischen Spezialschule und Musikhochschule. Während die spätere Spezialschule zwar einen organisatorisch selbständigen Bereich darstellte, aber dennoch Teil der jeweiligen Musikhochschule war, so wurde den Hochschulen hier lediglich ein beratender Status zugebilligt. Und nur für die ›talentiertesten Schüler‹ der Spezialschulen galt die Festlegung, dass sie bei ›qualifizierten Lehrkräften der Hochschulen und Konservatorien‹ Unterricht erhalten sollen. Alle anderen Lehrkräfte sollten lediglich durch die Hochschulen beraten und gefördert werden. Das war ein großer Unterschied zu den späteren Spezialschulen, deren entscheidendes Merkmal ja die Tatsache war, dass die Hauptfachdozenten ausnahmslos den Status eines Hochschullehrers hatten. 


Ungeachtet dieser Differenzen wurden in dieser Richtlinie aber zugleich schon wesentliche Eckpunkte definiert, die auch das spätere Spezialschul-Modell prägen sollten: Hier ist insbesondere die Streckung des allgemeinbildenden Schulstoffes auf 11 Jahre zu nennen: die 10. Klasse wurde auf 2 Jahre verteilt, um den Schülern damit die Gelegenheit zu geben, sich gleichermaßen auf ihren schulischen wie musikalischen Abschluss vorbereiten zu können. Ferner sah auch diese Richtlinie schon vor, dass es in besonderen Fällen – etwa bei der Vorbereitung großer Wettbewerbe – für einzelne Schüler umfassende Unterrichtsbefreiungen geben sollte.


3.2 Das Bildungsgesetz von 1965 und seine Bedeutung für die Entwicklung der Spezialschulen


Auch in Dresden war 1962 schon alles bereit. Wäre es nach dem Willen der Abteilung für Volksbildung beim Rat des Bezirks Dresden gegangen,43 so hätte bereits zum 1. September 1962 in einem Schulgebäude Ecke Thälmannstraße/Friesenstraße der Unterrichtsbetrieb in den Klassen 6–9 (mit je 25 Schülern) beginnen können. Es fehlte lediglich ein offizieller Beschluss durch den Rat der Stadt, der seinerseits von einer staatlichen Grundsatzentscheidung über die Einrichtung von Spezialschulen abhängig war, die freilich nicht erfolgte. Es mussten noch drei Jahre vergehen, bis mit dem Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem die Aufgabe und Rolle der Spezialschulen ihren festen Platz im Bildungswesen gefunden hatte. 


Mit diesem Gesetz wurde der Leistungsgedanke, der im Vorgängergesetz von 1959 eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte, in den Vordergrund gerückt, ohne dass dabei freilich auf eine politische Kontrolle des Bildungswesens durch den Staat verzichtet worden wäre.44

Der Paragraf, der die Rolle der Spezialschulen regelt, lautet folgendermaßen:45

§ 18. (1) Spezialschulen sind allgemeinbildende Schulen. Sie dienen besonderen Erfordernissen der Nachwuchsentwicklung für die Wirtschaft, die Wissenschaft, den Sport und die Kultur. Die Spezialschulen nehmen Schüler mit hohen Leistungen und besonderen Begabungen auf.


(2) Es sind Spezialschulen und Spezialklassen technischer, mathematischer, naturwissenschaftlicher, sprachlicher, künstlerischer und sportlicher Richtungen einzurichten.


(3) Spezialschulen und Spezialklassen führen in der Regel zur Hochschulreife. Spezialschulen und Spezialklassen, die nicht zur Hochschulreife führen, bereiten auf besondere künstlerische oder sportliche Leistungen vor.


(4) Spezialschulen und Spezialklassen sind nur in begrenztem Umfang zu errichten. Anzahl und Standort legt das Ministerium für Volksbildung fest.


(5) Die wichtigsten Einrichtungen für die außerunterrichtliche instrumentale Musikerziehung sind die Musikschulen.


(6) Die Betriebe, die wissenschaftlichen und künstlerischen Einrichtungen ­sichern gemeinsam mit den Organen für Volksbildung die personellen und materiellen Voraussetzungen.


Liest man diesen Paragrafen im Kontext des gesamten Gesetzestextes, so fällt zunächst auf, dass hier keinerlei inhaltliche Bestimmungen vorgenommen werden. In allen übrigen Paragrafen finden sich genaueste Vorgaben zu Lehr­inhalten und Lehrmethoden – so wird etwa festgelegt, dass die Kindergartenkinder »entsprechend ihrem physischen und psychischen Entwicklungsstand elementare Kenntnisse von unserem sozialistischen Leben und von der Natur« erhalten, während für den Deutschunterricht der Mittelstufe eine Fortführung der »systematischen Lehrgänge in Grammatik und Rechtschreibung« bzw. die Schaffung »feste[r] Kenntnisse in der Grammatik und Rechtschreibung«46 gefordert wird. In Hinblick auf das jeweils im Zentrum stehende Spezialisierungsfach fehlt jedoch jede Präzisierung. Für diese Aussparung gab es sicher handfeste redaktionelle Gründe: Schließlich hätte man hier für jeden Spezial­schultyp eigenständige Bildungsziele formulieren müssen, was zweifelsohne den Rahmen gesprengt hätte. Doch es gab es vielleicht auch ein weiteres Motiv: Augenscheinlich beließ es der Gesetzgeber dabei, die Spezialschulen strukturell mit den allgemeinbildenden Schulen zu verklammern. Die inhaltliche Ausgestaltung der Spezialbildung scheint von vornherein den Fachleuten, also vor allem den Hochschullehrern, überlassen worden zu sein. Für diese Vermutung spricht die Tatsache, dass die in den kommenden Jahren entwickelten Lehrpläne der Spezialschulen nicht – wie es etwa bei den Musikschulen der Fall war – 
vom Ministerium für Kultur bzw. für Volksbildung, sondern lediglich von spezialschulinternen Arbeitsgruppen verantwortet wurden. In die Inhalte der Spezialisierung mischte sich, zumindest im Falle der Musik, der Staat nicht ein.


Mit dieser auffälligen Aussparung der inhaltlichen Komponenten konnte der Gesetzgeber das Problem umgehen, das zweifelsohne entstanden wäre, wenn in ein und demselben Gesetz einerseits die absolute Durchlässigkeit des Bildungssystems und die Erreichbarkeit aller Berufe von dem einheitlichen Sockel der Polytechnischen Oberschule ausgehend gefeiert, zugleich aber auch ein Kanon an zusätzlichen, nur für Spezialschüler geltenden Fähigkeiten und Kenntnissen definiert worden wäre. Die Angst, ein Gesetzeswerk, das wesentlich vom ›Gleichheitsimperativ‹ beherrscht war, mit einer allzu präzisen Beschreibung exklusiver (und damit exkludierender) Spezialfähigkeiten zu belasten, scheint groß gewesen zu sein. Dazu passt die Vorgabe, dass Spezialschulen »nur in begrenztem Umfang« zu errichten seien. Den Spezialschulen wird in diesem Gesetz mithin der Charakter einer notwendigen Ausnahme zugesprochen. Sie erhalten ihre Legitimation aus den »besonderen Erfordernissen der Nachwuchsentwicklung für die Wirtschaft, die Wissenschaft, den Sport und die Kultur«. Eben weil es für bestimmte Berufe spezielle Vorlaufzeiten gibt, muss der Staat diese Vorlaufzeiten in einem genau definierten Maße zur Verfügung stellen und damit Bildungsorte schaffen, deren Erreichbarkeit bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt nicht mehr jedem offen stehen. Umso wichtiger war es allerdings, den Eindruck zu vermeiden, dass die speziellen Fähigkeiten, die für den Zugang zu einer Spezialschule notwendig sind, sich in einem Raum entwickeln mussten, der außerhalb des staatlichen Zugriffs lag. Im Falle von Spezialschulen für Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften war das unproblematisch, denn diese Fächer wurden ja an den POS gelehrt. Instrumentalspiel war hingegen kein Gegenstand des Musikunterrichts an den POS, sondern fand im außerunterrichtlichen Rahmen statt. Daher der gezielte Hinweis in Absatz 5 auf die Rolle der Musikschulen. Auf diese Weise konnte der Eindruck erweckt werden, dass die an den Spezialschulen geforderten Fähigkeiten letztlich doch nicht völlig exklusiv waren, sondern durch das einheitliche sozia­listischen Bildungssystem gezielt gefördert und vorbereitet wurden.


Im Falle der Musik wurde die Realität damit freilich nur zur Hälfte erfasst. So wichtig für einen erfolgreichen Spezialschulbesuch die instrumentale Vorbildung im Rahmen einer Musikschule in den allermeisten Fällen war,47 so reichte sie allein nicht aus. Als entscheidender Indikator für ein gelungenes Passungsverhältnis von Spezialschüler und Spezialschule erwies sich in unserer Studie vor allem das Elternhaus. Die Rolle der Musik im familiären Kontext – 
die frühkindlichen Musikerfahrungen, das Engagement der Eltern für den Instrumentalunterricht, die Art und Weise, in der das tägliche Üben begleitet wurde – entschied in hohem Maße über den Erfolg der Ausbildung. Dieser entscheidende Nährboden des innerfamiliären Lebensraums wurde offiziell jedoch in keiner Weise thematisiert; stattdessen versuchte man über ein differenziertes System der Talenteförderung mögliche ›Begabungen‹ frühzeitig aufzuspüren und bestmöglich zu fördern. Dabei ließ man sich von der Prämisse leiten, dass es sich bei dem, was musikalische Begabung genannt wurde, um eine Ressource handelte, die innerhalb der Bevölkerung gleichmäßig verteilt war. Dass man trotz dieser Normalverteilungsthese am Ende in den Spezialschulen doch zum überwiegenden Teil mit Kindern aus entsprechend ›vorbelasteten‹ Elternhäusern zu tun hatte, wurde zumindest in den offiziellen Dokumenten nicht thematisiert – und wenn, dann nur in Form einer ständig wiederkehrenden Mahnung, für eine genügende Anzahl von Proletarierkindern zu sorgen. In der Praxis kamen die Spezialschulen dieser Forderung häufig in Form von Kaschierungen und Beschönigungen nach. So erfuhren wir von einem Gesprächspartner, dessen Vater zwar als professioneller Musiker arbeitete, zuvor aber eine Ausbildung als Friseur gemacht hatte, dass diese handwerkliche Ausbildung als Nachweis des Proletarierstatus ausreichte. Ähnliche Erfahrungen konnten wir bei der Durchsicht der Klassenbücher machen. Zumindest ansatzweise scheint es in den 80er Jahren aber zu einer Lockerung gekommen zu sein. Die Forderung nach einer ausreichenden Zahl an Proletarierkindern spielte in den letzten Jahren der DDR immer weniger eine Rolle, was sich auf grundsätzliche bildungspolitische Erwägungen zurückführen lässt: 


Nachdem die immer weitere Annäherung der sozialen Klassen und Schichten über Jahrzehnte als raison d’etre der sozialistischen Gesellschaft aufgefasst worden war und als Topos das gesellschaftspolitische Denken geprägt hatte, entdeckten Soziologen die ›Triebkraftfunktion sozialer Unterschiede‹ […]. Im Gegensatz zur orthodoxen Sichtweise, in der soziale Unterschiede ausschließlich im Sinne vertikaler (Herrschafts-)Strukturen vorkamen, arbeiteten Lötsch u. a. (Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED) die funktionale Dimension sozialer Differenzierungen heraus, die eine hochgradig arbeitsteilige Gesellschaft, auch wenn sie sozialistisch verfaßt war, nicht negieren konnte.48

Aus heutiger Sicht betrachtet, weist der Gesetzestext von 1965 einen grundlegenden Widerspruch auf: Zum einen wenden sich die Spezialschulen an Schüler mit entsprechend hoher Leistung und Begabung, zum anderen scheint durch ihre Zweckbestimmung als Institutionen, die den »Erfordernissen der Nachwuchsentwicklung für die Wirtschaft die Wissenschaft, den Sport und die Kultur« nachzukommen haben, eine Bindung an die jeweilige Arbeitsmarkt­situation vorzuliegen (wobei diese Arbeitsmarktsituation nicht dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage folgte, sondern das Resultat staatlicher Planung darstellte). Leistung und Begabung wurden also nicht als Werte begriffen, die um ihrer selbst willen eine Förderung verdienen bzw. die sich individuell und damit immer auch unvorhergesehen entfalten, sondern wurden nur dann als ausbauwürdig anerkannt, wenn sie bestimmten Erfordernissen dien
ten,49 die ihrerseits durch staatliche Vorgaben definiert wurden. Ganz deutlich zeigt sich diese Verschränkung von Begabungsförderung und staatlicher Bedarfsplanung an einer späteren Richtlinie aus dem Jahre 1975, in der es 
heißt:


Die zur Vorbereitung auf das Hochschulstudium erforderliche musikalische Spezialbildung ist unter Beachtung eines der sozialen Struktur der DDR-Bevölkerung entsprechend hohen Anteils an Arbeiter- und Bauernkindern von einem möglichst frühen Zeitpunkt an […] wie folgt zu vermitteln: Durch Aufnahme von Instrumentalschülern unter besonderer Berücksichtigung von Schülern von Streichinstrumenten sowie von kompositorisch begabten Schülern in einer der den Hochschulen zugehörigen Spezialschulen für Musik.50

Die Aufgabe der Spezialschulen war es also nicht, bestimmte Neigungen und Fähigkeiten aufzugreifen und bestmöglich zu verstärken, sondern bestand in erster Linie darin, einen vordefinierten Bedarf zu befriedigen, was in diesem Falle zu einer gezielten Suche nach Streichern und Komponisten führte. Das leistete einem Ausbildungsverständnis Vorschub, das sehr dezidiert die Bahnen vorgab, innerhalb derer sich eine künstlerische Entwicklung zu bewegen hatte. Prüfungen, Leistungsvergleiche und Wettbewerbe waren vordefinierte Wegmarken, in die sich die jeweiligen Biografien einzupassen hatten. 


Das hier beschriebene Ausbildungsverständnis ist wohl auch verantwortlich für die in Absatz 3 des Spezialschulparagrafen beschlossene Streichung des Abiturs. Diese Streichung wirft ein bezeichnendes Licht auf das hinter dem Gesetz stehende Begabungsverständnis: Begabung wird hier in einem sehr engen Sinne als Befähigung für einen bestimmten Beruf begriffen. Alles, was über diese Eignung hinausgeht, scheint demgegenüber sekundär. Das Gesetz begreift damit die Spezialschulausbildung zumindest tendenziell als eine vorgelagerte Berufsausbildung, die spätere Fachleute hervorbringen soll. Ob und inwieweit sich große individuelle Künstlerpersönlichkeiten unter einer derartigen Maßgabe herausbilden lassen, ist jedoch fraglich. Der enge Zuschnitt des Gesetzes führte in unserer Studie mithin zu der Frage, wie an den Spezialschulen mit dem Verhältnis zwischen der Maßgabe einer gezielten Berufsausbildung und der Aufgabe einer die Gesamtpersönlichkeit fördernden künstlerischen Entwicklung umgegangen wurde.


Die heikle Balance, die das Bildungsgesetz von 1965 zwischen einer den POS-Abschlüssen in nichts nachstehenden Allgemeinbildung und einer sich parallel dazu vollziehenden instrumentalen Spezialausbildung zu bewahren versuchte, erwies sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten als schwer zu realisieren. Angesichts einer an den Spezialschulen immer wieder beklagten Überbelastung der Schüler kam es bereits 1973 zu einer deutlichen Veränderung der Stundentafel. Wurden die naturwissenschaftlichen Fächer sowie Mathematik um insgesamt 9 Jahreswochenstunden gekürzt, kam es in Deutsch und Kunsterziehung zu einer Aufwertung um je eine Jahreswochenstunde.


Zweifellos erlebten die beteiligten Schüler und Lehrer diese Kürzung als überaus wohltuend – war doch im Anschluss an das Bildungsgesetz von 1965 ein für alle POS gültiges, »wissenschaftlich überfrachtetes Lehrplanwerk installiert«51 worden, dessen Bewältigung sich kaum mit dem Anspruch einer intensiven musikalischen Entwicklung vereinbaren ließ. Zugleich wurde mit dieser Kürzung aber auch deutlich, dass von staatlicher Seite aus die Bereitschaft bestand, die Allgemeinbildung nun nicht mehr von egalitär gedachten Bildungsstandards, sondern vornehmlich von den für den späteren Beruf erforderlichen Kompetenzen her zu definieren. Diese Verlagerung mag durch Interventionen aus den Spezialschulen motiviert worden sein, in denen geltend gemacht wurde, dass der gewünschte hohe musikalische Ausbildungsstand mit der gegenwärtigen Stundentafel nicht zu erreichen sei.52 Möglich wurde sie aber wohl nur, weil sich seit Ende der 60er Jahre bildungspolitisch sowieso die Tendenz abzeichnete, Schulbildung immer stärker aus der Perspektive der Anforderungen des späteren Berufslebens zu betrachten. »Manche Formulierungen in unserer Propaganda«, so formulierte es Margot Honecker auf dem 8. Parteitag der SED 1971, »[erwecken], beeinflußt von einigen nicht ganz realistischen Prognosen, […] zeitweilig den Eindruck, als müßte unsere Schule in erster Linie auf das Studium an den Hoch- und Fachschulen vorbereiten.«53 Schule habe jedoch die Aufgabe, »ihrer Verantwortung für die Vorbereitung eines hochqualifizierten Facharbeiternachwuchses noch besser gerecht werden«.54 Da die Spezialschulen in den Augen der Staatsführung zweifellos genau diese hochqualifizierten Facharbeiter hervorzubringen hatten, entsprach die Kürzung der allgemeinbildenden Stundentafel im Grunde genau dem bildungspolitischen Trend. Stärker noch als im Bildungsgesetz von 1965 trat jetzt zutage, dass die Spezialschulen neben ihrer Bestimmung, international wettbewerbsfähige Solisten heranzuziehen, in erster Linie die Aufgabe hatten, die insgesamt 87 Profiorchester des Landes mit ausreichend qualifiziertem Nachwuchs zu versorgen. Es wurde also nicht nur eine international wettbewerbsfähige Spitze, sondern vor allem ein gut qualifizierter Durchschnitt benötigt, mit dessen Hilfe sich der notorische Mangel an Orchestermusikern kompensieren ließ.


Es stellt sich damit die Frage, wie innerhalb der Spezialschulen mit dieser doppelten Zielsetzung umgegangen wurde und was das für den Einzelnen bedeutete.


3.3 Zur Rolle des Begabungsbegriffs in Wissenschaft 
und Praxis


Im Verlauf unserer Forschungsarbeit erhielten wir den Eindruck, dass es an den Spezialschulen eine unterschwellige Zwei-Klassen-Struktur gegeben hat: Die ›besonders‹ Begabten und der ›normale‹, nicht für Spitzenpositionen vorgesehene Durchschnitt, den eine Gesprächspartnerin mit dem schönen Bild des ›Fußvolks‹ charakterisierte. Wer keine Spitzenleistung erbrachte, sondern lediglich eine »Normalität auf professionellem Niveau« ausprägte, war an einer Spezialschule für Musik, anders als möglicherweise im Sport, keineswegs fehl am Platz. Er war kein Verlierer und musste das System der Spezialförderung nicht verlassen, denn er wurde für den Fortbestand des Musiklebens ebenso gebraucht wie die hervorragenden Absolventen. Da die Spezialschulen und Hochschulen aber andererseits nicht bloße ›Berufsschulen‹ waren, sondern zugleich mit dem Anspruch auftraten, die Spitze des musikalischen Nachwuchses zu produzieren, waren sie gleichzeitig dazu verurteilt, das von ihnen ja ebenfalls hervorgebrachte professionelle Mittelmaß unablässig mit den Spitzenleistungen zu vergleichen und an ihnen zu messen. Das ist bei künstlerischen Leistungen, die sich ja immer an Maximalanforderungen orientieren, zwar durchaus naheliegend. Gleichwohl ist es ein Unterschied, ob sich die Beteiligten dieser Maximalforderung aus freien Stücken und im Bewusstsein der eigenen ­Leistungsfähigkeit und eigener Zielsetzungen stellen, oder ob diese Forderung als externer Bewertungsmaßstab an sie herangetragen und innerhalb eines schulischen Kontextes in schlechthin verpflichtende Leistungsanforderungen übersetzt wird, deren Erfüllung oder Nicht-Erfüllung über den schulinternen Status des Schülers entscheidet. An den Spezialschulen bestätigt sich mithin eine Tendenz, die Pierre Bourdieu und Jean Claude Passeron am französischen Schulsystem der 60er Jahre beobachtet hatten.55 Obgleich die Ausbildung rein quantitativ von der Arbeit mit dem ›Fußvolk‹ beherrscht wurde, wurden die Leistungsanforderungen und Bewertungsstandards aber vom Leistungsvermögen einiger weniger Spitzenleistungen her definiert. Eine Reihe der von uns geführten Interviews zeigt, dass diese offensichtliche Diskrepanz bei so manchem Gesprächspartner zu einem vom Bewusstsein der eigenen Mittelmäßigkeit durchdrungenen Selbstbild geführt hat. 


Es war gerade die sehr starke Bezogenheit der Spezialschulausbildung auf das spätere Berufsleben, die das Modell der Spezialschulen auch für die Praktiker aus den Orchestern, die an den Spezialschulen unterrichteten, attraktiv machte. Die bildungspolitische Tendenz, Schulbildung immer stärker im Sinne einer gezielten Berufsvorbereitung zu begreifen, konvergierte mit dem Ausbildungsverständnis einer »Community of Practice«,56 der es weniger um eine individuelle Förderung inkommensurabler musikalischer Persönlichkeiten als vielmehr um die Heranziehung künftiger Kollegen ging – von Kollegen, deren Habitus dem eigenen so ähnlich wie möglich sein sollte. Diese Konvergenz vollzog sich jenseits möglicher politischer Differenzen und bildete eine feste Klammer zwischen der staatlichen Bildungspolitik und der Community der Orchesterprofis. In welch hohem Maße diese Community die Ausbildung an der Spezialschule als Berufsausbildung begriff und wie wenig Spielräume sie daher den Schülern bei der Findung eigener Berufsperspektiven ließ, geht aus folgender Interviewäußerung eines prominenten Dresdner Orchestermusikers hervor:


Es ging im Prinzip darum, (.) dass die ganzen Lehrer, (.) die damals (.) hervorragende Solisten, (.) Konzertmeister der Kapelle und der Philharmonie waren, (..) sich die Mühe gaben, an der Spezialschule zu unterrichten; dass sie vier oder fünf Jahre mit einem Schüler arbeiteten, (..) und nach den fünf Jahren dann sagt der Herr Schüler: »Ach naja, das ist doch nichts richtiges für mich. Och nee, ich will doch lieber Mediziner werden.« Also DAS gab es früher NICHT. 


Diese Äußerung offenbart eine weitere grundlegende Übereinstimmung zwischen dem eher berufsschulisch geprägten Denken der Orchesterpraktiker und den pädagogischen Rahmenbedingungen des Bildungssystems in der DDR. In beiden Kontexten spielte die Motivation der Schüler für das, was sie tun, eine letztlich untergeordnete Rolle. Motivation wurde zwar vorausgesetzt, aber kaum gezielt zu entfachen versucht. Das hat etwas mit einem für die Pädagogik der DDR wohl insgesamt charakteristischen Begabungsverständnis zu tun, das sich wie ein roter Faden durch die erziehungswissenschaftlichen Diskussionen verfolgen lässt. Wenn oben davon gesprochen wurde, dass es in der DDR-Pädagogik eine Orientierung an einem Ressourcen-Modell, mithin an einer Normalverteilung jedweder Begabung, gegeben hätte, dann darf diese Formulierung nicht dahingehend missverstanden werden, dass Begabung vor allem als statische und angeborene Anlage begriffen worden wäre. Im Gegenteil, nahezu alle Begabungsdefinitionen weisen dem Anlageaspekt eine eher geringe Bedeutung zu und betonen stattdessen den aus der sowjetischen Psychologie (Leontew) herrührenden Aspekt der Tätigkeit:57 »Ob ein Mensch begabt ist, zeigt sich im Tätigsein.«58 Mit dieser Bestimmung wird Begabung direkt an den Leistungsbegriff gekoppelt – eine Verknüpfung, die in der westlichen Musikpädagogik um diese Zeit teilweise strikt abgelehnt wurde.59 Die Orientierung am Tätigkeitsbegriff erhielt in der Realität nun aber insofern eine ganz bestimmte Färbung, als der Rahmen, in dem sich diese Tätigkeiten zu entfalten hatte, strikt und unumstößlich vorgegeben war. Bis zu welchem Zeitpunkt welches Repertoire beherrscht werden, bis zu welchen Prüfungsterminen welcher instrumentale Leistungslevel entwickelt sein musste, wurde kaum mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall entschieden – und wenn, dann in Form von Sondermaßnahmen, durch die eine Bewältigung des jeweiligen Levels schließlich dann doch noch realisiert werden konnte.60 Der Level selbst blieb weitgehend unverrückbar. 


Durch dieses Hoheitsrecht auf die Beschaffenheit der Tätigkeit und den Zeitpunkt, zu dem sie zu erfolgen hatte, mutierte der Begabungsbegriff zu ­einer Selbstlegitimierung des Ausbildungssystems. Als ›begabt‹ konnten nämlich genau diejenigen Schüler gelten, die innerhalb dieses Systems am besten funktionierten. Zwar versuchte die erziehungswissenschaftliche Diskussion die Fähigkeit zum »Aufnehmen und […] Reagieren auf Umwelteinflüsse (Forderungen, Normen, Bedingungen)«61 als quasi ›objektive‹ Erkennungsmerkmale von Begabung auszuweisen. Doch gerade diese scheinbar allgemeingültige Bestimmung ließ konsequent außer Acht, dass die »Forderungen, Normen und Bedingungen« ja zu einem Großteil kontingente Setzungen waren, die mithilfe eines scheinbar universal gültigen Begabungsbegriffs sich selbst nobilitierten. Durch die Anbindung an den Leistungsbegriff wurden, durchaus folgerichtig, nicht nur das Anlagepotenzial, sondern auch Faktoren wie Ausdauer und Beharrlichkeit zu Erkennungszeichen für Begabung.62 Da diese Begabung als eine objektiv vorhandene Ressource verstanden wurde, ist es nicht weiter überraschend, wenn sich – wie es unsere Studie in vielen Fällen belegt – bei einem eventuellen Fehlen intrinsischer Motivation kaum ein Lehrender aufgefordert fühlte, diesen mangelnden Elan mit seinem eigenen Unterricht bzw. mit dem Ausbildungssystem in Verbindung zu bringen. Eine ehemalige Schülerin drückte das folgendermaßen aus: 


Ich hab nie das Gefühl gehabt, es geht jetzt hier um mich oder (.) //mhm// um meine Wünsche, sondern das wurde eben festgelegt, was jetzt dran ist und (.) wenns Wettbewerbe gab, dann war das nicht, äh, (.) irgendwie um den Leuten da einen Gefallen zu tun, die da spielen, sondern eben ›für unsere DDR‹ und so weiter und von allem //mhm// hatte da schon //mhm// (.) zu funktionieren. //mhm// (.) Und das=das Ärgerliche ist halt, wenn man mal nicht so funktioniert hat, dann wurde eben nicht nachgefragt, sondern (.) dann hieß es eben, es wird erwartet, dass das wieder besser wird und (.) es gab also da kaum jemanden, der sich dann mal gekümmert hat, woran könnte das denn liegen.


Ebenso wenig wurde – auch dafür gibt es in unserer Studie zahlreiche Beispiele – 
bei einem Vorliegen von ›Begabung‹ (also dem Erbringen guter und sehr guter Leistungen) gefragt, ob der betreffende Schüler sich überhaupt wirklich für den vor ihm liegenden Ausbildungs- und Berufsweg interessierte. Das hängt damit zusammen, dass der Wert von Begabung, wie bereits erwähnt, nicht in Hinblick auf das ›begabte‹ Individuum, sondern immer unter Bezugnahme auf ihre gesellschaftliche Nützlichkeit bestimmt wurde. Auch hier liegt eine Konvergenz zwischen den bildungspolitischen Grundsätzen der DDR und dem Selbstverständnis renommierter Orchestermusiker vor. Wurde es von staat­licher Seite als eine ›Ehre‹ angesehen, mit der jeweiligen Begabung einem gesellschaftlich als wertvoll anerkannten Ziel dienen zu dürfen, so war es, wie die oben zitierte Äußerung zeigt, für nicht wenige Musiker der Staatskapelle ein Zeichen groben Undanks, wenn ein Schüler, der die Ehre gehabt hatte, vier bis fünf Jahre bei einem Kapellmusiker unterrichtet worden zu sein, sich am Ende für einen anderen Beruf entschied. Diese Konvergenz hatte zur Folge, dass das heikle Thema der Berufsfindung an den Spezialschulen kaum wirklich in Erscheinung trat. Angesichts der Tatsache, dass ein Musikstudium mit anschließender musikalischer Berufstätigkeit nahezu vorausgesetzt wurde, nimmt es nicht wunder, dass es immer nur Wenige waren, die aus der vorgezeichneten Bahn ausscherten.


4. Die inhaltlichen Dimensionen von Schulkultur – Ausblick auf die Studie 


Der kurze Gang durch die bildungspolitischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Spezialschulen ihre Ausbildungsarbeit leisteten, hat eine Reihe von Aspekten zutage gefördert, mit deren Hilfe wir den Leitbegriff unserer Studie, die Schulkultur (vgl. Abschnitt 2), inhaltlich modifizieren können. Zur Erinnerung: Bei Werner Helsper, der in den Erziehungswissenschaften die Schulkultur-Forschung wesentlich begründet hat, werden vier Dimensionen genannt,63 die allerdings, wie oben bereits festgestellt, für eine Anwendung auf den Bereich der DDR-Spezialschulen nur bedingt geeignet sind.


1. Dimension: Umgang mit Leistung und Begabung


Diese Dimension lässt sich am ehesten mit dem bei Helsper genannten Kriterium (Leistung) in Übereinstimmung bringen. Hier fragen wir, welche Auswirkungen das die Spezialschule kennzeichnende Leistungs- und Begabungsverständnis auf die Akteure hatte und welche biografischen Ausgangs­bedingungen vorliegen mussten, wenn Spezialschüler mit diesem Verständnis gut bzw. weniger gut umgehen konnten.


2. Dimension: Berufsvorbereitung und Persönlichkeitsentfaltung


Die zweite Dimension wird in Helspers Theorie der Schulkultur mit dem Oberbegriff ›Inhalte‹ belegt. Wir modifizieren diese Kategorie, indem wir, ausgehend von den in diesem Beitrag entfalteten Überlegungen, nach dem Verhältnis fragen, das an den Spezialschulen zwischen der zentralen inhaltlichen Bestimmung, der Berufsvorbereitung, und jener Ebene der Persönlichkeitsentfaltung bestand, die für eine künstlerische Entwicklung schlechterdings unverzichtbar ist.


3. Dimension: Rollenidentität und Beziehungsgefüge


Die dritte Dimension fragt nach dem Selbstverständnis der Spezialschüler, den Lehrer-Schüler-Beziehungen sowie nach dem Verhältnis der Schüler unter­einander. In ihr spiegeln sich die an der Spezialschule herrschenden »pädagogischen Orientierungen« (so wird diese Dimension in der Schulkultur-Theorie bei Helsper bezeichnet). Unsere Modifikation trägt der Tatsache Rechnung, dass sich diese Orientierungen nicht nur aus bestimmten, explizit formulierbaren pädagogischen Grundsätzen speisen (in diesem Sinne versteht Helsper diese Dimension), sondern ein konjunktives Wissen darstellen, das von den unterschiedlichsten Einflüssen und Rollenvorstellungen geprägt ist (z. B. der Rollenvorstellung der Orchestermusiker in ihrem Verhältnis zu den staat­licherseits formulierten Vorgaben). Zu dieser Dimension gehört auch die Frage nach der Bedeutung, die die Ebene des Politischen im Schulalltag spielte.


4. Dimension: Rahmungen und Handlungsmöglichkeiten 


Diese Dimension wird bei Helsper als »Partizipation« bezeichnet und zielt auf Aspekte wie Schülermitbestimmung etc. ab. Dieser Aspekt lässt sich zweifellos kaum sinnvoll auf eine DDR-Schule übertragen. Wir greifen ihn jedoch insofern auf, als wir generell nach den Handlungsmöglichkeiten des einzelnen Schülers im schulischen Kontext fragen. Dabei meinen wir nicht so sehr ­institutionell garantierte Mitbestimmungsrechte, sondern fragen, ob und inwieweit es für die Schülerinnen und Schüler Möglichkeiten gegeben hat, sich im Rahmen der Schule als aktiv handelndes Individuum wahrnehmen zu können.


Durch unseren biografieorientierten Ansatz wurde schnell offenkundig, dass es für jede dieser Dimensionen nicht nur eine richtige Antwort gibt. Je nach den lebensgeschichtlichen Voraussetzungen, die ein Schüler mitbrachte, wurde jede Dimension höchst unterschiedlich wahrgenommen. Dennoch wäre es falsch, sich mit der Feststellung zu begnügen, jeder Schüler habe die Schule individuell völlig unterschiedlich erlebt. Mit unserer Typologie, die wir parallel zu den ­Interviewauswertungen entwickelt haben, unternehmen wir den Versuch, Erklärungen zu finden, inwieweit bestimmte biografische Ausgangsvoraussetzungen (Beziehung zu den Eltern, familiärer Lebensstil, städtische oder ländliche Sozialisation, Wahl des Instruments, Beziehung zum ersten Instrumentallehrer) zu einer bestimmten Ausprägung einer Dimension führten. Die Schulkultur der Dresdner Spezialschule erscheint daher nicht als ein Set von bestimmten, festumrissenen Merkmalen, sondern eher wie eine implizite Regelhaftigkeit, die den konjunktiven schulischen Erfahrungsraum prägte. Die Herausarbeitung und Darstellung dieser Regelhaftigkeit kann jedoch nicht im Rahmen dieses Beitrags erfolgen, der lediglich in die Studie einführen und zur Klärung der bildungspolitischen Rahmenbedingungen beitragen sollte.


  1. 1Richard Jacoby, »Zur Situation der musikalischen Berufsausbildung und Nachwuchsförderung in der Bundesrepublik Deutschland«, in Üben & Musizieren 2 (1985), S. 78.

  2. 2Vgl. Hans Günther Bastian, Leben für Musik. Eine Biographiestudie über musika­lische (Hoch-)Begabungen, Mainz 1989, S. 376 sowie Hans Günther Bastian (Hg.), Schulmusik und Musikschule in der Verantwortung. Begabungsforschung, Begabtenfindung und Begabtenförderung »von unten«, Mainz 1997, S. 15.

  3. 3Vgl. Dagmar Schulz, Zum Leistungsprinzip in der DDR. Politische und pädagogische Studien, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 91 f.

  4. 4Karl Heinrich Ehrenforth (Hg.), Musikalische Begabungsförderung und schulische Allgemeinbildung. Dokumentation der Expertentagung vom 31. Mai/ 1. Juni 1991 in Weimar, Mainz 1991.

  5. 5Hans Günther Bastian, Musikalische Hochbegabung: Findung und Förderung. Dokumentation einer internationalen Expertenkonferenz, Mainz 1991, S. 270.

  6. 6Bis auf die Spezialschule Halle, die während der DDR der Musikhochschule Leipzig zugeordnet war und nach der Wende den neu gezogenen Grenzen der Bundesländer zum Opfer fiel – Sachsen-Anhalt selbst besitzt keine Musikhochschule –, konnten alle ehema­ligen Spezialschulen die Wirren der Wendezeit relativ ungehindert überstehen.

  7. 7Bastian, Schulmusik in der Verantwortung (Fn. 2), S. 159.
  8. 8Werner Helsper, »Elite und Exzellenz – Transformationen im Feld von Bildung und Wissenschaft?«, in Einleitung in den Thementeil Zeitschrift für Pädagogik 55 (2009), S. 167–174, vgl. auch Richard Münch, Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz, Frankfurt a. M. 2007.

  9. 9Andreas Eckhard, »Hochbegabtenförderung: Kulturpolitische Aspekte und Konsequenzen«, in Bastian, Musikalische Hochbegabung (Fn. 5), S. 118.

  10. 10Ebd.

  11. 11Vgl. IFF Hannover, »Geschichte«, http://www.iff.hmtm-hannover.de/de/institut/geschichte/ (4. 1. 2015).
  12. 12Bastian, Schulmusik in der Verantwortung (Fn. 2), S. 20 f.
  13. 13Hermann Rauhe, »Institutionelle Perspektiven der Begabungsförderung«, in Hans Günther Bastian (Hg.), Begabungsforschung und Begabtenförderung in der Musik. Dokumentation eines Symposiums, Mainz 1993, S. 116.
  14. 14Ebd., S. 115.

  15. 15Vgl. Frauke Grimmer, Wie Pianisten zu Künstlern werden. Klavierausbildung im 20. und 21. Jahrhundert miterlebt, Berlin 2010; Christa und Tilman Allert, »Die Musikhochschule als Ort der Professionalitätsforschung«, in Musik & Ästhetik 16/64 (2012), S. 5–21.

  16. 16Vgl. hierzu zusammenfassend: Hans Gruber und Andreas C. Lehmann, »Entwicklung von Expertise und Hochleistung in Musik und Sport«, in Franz Petermann und Wolfgang Schneider (Hg.), Angewandte Entwicklungspsychologie (Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich C [Theorie und Forschung], Bd. 7), Göttingen u. a. 2008, S. 497–519.

  17. 17Vgl. zu den Auswirkungen des Begabungsurteils auf das Rollenverständnis von Musikstudierenden: Henry Kingsbury, Music, Talent, and Performance. A Conservatory Cultural System, Philadelphia 1988, S. 59–84.

  18. 18Vgl. Werner Helsper u. a., Schulkultur und Schulmythos. Gymnasien im Transformationsprozeß zwischen exklusiver Bildung und höherer Volksschule. Rekonstruktionen zur Schulkultur I (Studien zur Schul- und Bildungsforschung, Bd. 13), Opladen 2001 sowie Werner Helsper, »Schulkulturen als symbolische Sinnordnungen und ihre Bedeutung für die pädagogische Professionalität«, in ders. u. a. (Hg.), Pädagogische Professionalität in Organisationen. Neue Verhältnisbestimmungen am Beispiel der Schule (Studien zur Schul- und Bildungsforschung, Bd. 23), Wiesbaden, S. 115–145.

  19. 19Helsper, Schulkultur und Schulmythos (Fn. 18), S. 24 ff. sowie Helsper u. a., Schulkulturen (Fn. 18), S. 123 ff.

  20. 20Ebd.

  21. 21Ebd.

  22. 22In unserer Studie verknüpfen wir die Theorie der Schulkultur mit einem zentralen Begriffspaar des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, dem Verhältnis von Feld und Habitus. Ohne das an dieser Stelle genauer ausführen zu können, ordnen wir das ›Reale‹ dem Feldbegriff, das ›Symbolische‹ hingegen dem Habitusbegriff zu. Mithilfe dieser Verknüpfung ist es uns möglich, die vielfachen Interdependenzen und gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen der Ebene des Realen und des Symbolischen genauer zu beschreiben. Die Ebene des Imaginären steht zwischen diesen beiden Ebenen. Zum Begriff des Feldes und seinem Verhältnis zum Habitus vgl. Pierre Bourdieu, Reflexive Anthropologie, Frankfurt a. M. 2006, S. 160 ff. sowie ders., Über den Staat. Vorlesungen am Collège de France, Frankfurt a. M. 2014, S. 176.
  23. 23Vgl. zum Begriff des ›konjunktiven Erfahrungsraums‹ Ralf Bohnsack, Rekonstruktive Sozialforschung, 8. Aufl., Opladen 2010, S. 59–63.
  24. 24Helsper u. a., Schulkultur und Schulmythos(Fn. 18), S. 37 f.

  25. 25Handschriftlich unterzeichnete Hausmitteilung Ulbrichts an die Politbüro-Sekretäre Kurt Hager und Alfred Kurella, HSA Weimar, Sammlung Edda Hübenthal – Shü 23.
  26. 26Unter dem Begriff ›Oberschule‹ firmierte in der DDR, im Unterschied zum Sprachgebrauch in der alten Bundesrepublik, die allgemeinbildende Schule von der 1. bis zur 
10. Klasse.

  27. 27Brief Siegfried Wagner an Alexander Abusch vom 14. 11. 1962, HSA Weimar, Sammlung Edda Hübenthal – Shü 23.
  28. 28Manfred Stock, »Bildung zwischen Macht, Technik und Lebensstil«, in Sonja ­Häder und Heinz-Elmar Tenorth (Hg.), Bildungsgeschichte einer Diktatur. Bildung und Erziehung in SBZ und DDR im historisch-gesellschaftlichen Kontext, Weinheim 1997, S. 311.

  29. 29Zum Dichotomie von ›ererbtem‹ und ›erworbenem‹ politischen Kapital vgl. Ingrid Miethe, »›Keine herrschende Klasse ist je ohne ihre eigene Intelligenz ausgekommen‹ (Stalin). Der Beitrag der Arbeiter- und Bauern-Fakultäten (ABF) zum Elitenwechsel in der DDR«, in Jutta Ecarius und Lothar Wigger (Hg.), Elitebildung – Bildungselite. Erziehungswissenschaftliche Diskussionen und Befunde über Bildung und soziale Ungleichheit, Opladen 2006, S. 86 ff.

  30. 30Miethe, Keine herrschende Klasse (Fn. 29), S. 79; Stock, Bildung zwischen Macht (Fn. 28), S. 313.

  31. 31Stock, Bildung zwischen Macht (Fn. 28), S. 313.
  32. 32Ebd.

  33. 33Zur Geschichte der musikalischen Ausbildungsinstitutionen in Dresden im 20. Jahrhundert vgl. Hans John, »Musikalische Bildungseinrichtungen in Dresden«, in Matthias Herrmann und Hanns-Werner Heister (Hg.), Dresden und die avancierte Musik im 20. Jahrhundert. Teil 1: 1900–1933 (Musik in Dresden, Bd. 4), Laaber 1999, S. 141–147; Hans John, »Das Dresdner Konservatorium 1933–1945. Eine Dokumentation«, in Matthias Herrmann und Hanns-Werner Heister (Hg.), Dresden und die avancierte Musik im 20. Jahrhundert. Teil 2: 1933–1966 (Musik in Dresden, Bd. 5), Laaber 2002, S. 203–211 sowie Manuel Gervink, »›Auferstanden aus Ruinen‹. Der Neubeginn 1945 und die DDR-Zeit«, in Manuel Gervink (Hg.), Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden 1856–2006, Dresden 2005, S. 76–98.
  34. 34Diese Bezeichnung stammt aus der Zeit des Nationalsozialismus. 1937 wurden die zuvor getrennten Institutionen des Konservatoriums und der Orchesterschule der Sächsischen Staatskapelle unter dieser Bezeichnung fusioniert. Der Titel Akademie weist darauf hin, dass dieser Institution kein Hochschulstatus zugesprochen wurde, vgl. John, Das Dresdner Konservatorium (Fn. 33), S. 209 f.

  35. 35Gervink, Auferstanden (Fn. 33), S. 82.

  36. 36Mit dem Begriff des ›Konservatoriums‹ wurden im Laufe der Zeit in Dresden unterschiedliche Institutionen belegt. Während sich bis 1937 eine direkte Genealogie rekonstruieren lässt, die vom Krantzschen Konservatorium (1890–1918) bis hin Konservatorium für Musik und Theater (1918–1937) reicht, ist das nach dem Krieg gegründete Konser­vatorium eine eigenständige Institution. Als eigenständig muss auch das Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden (HSKD) gelten, das heute die Musikschule der Stadt Dresden ist und mittlerweile ausschließlich der Laienarbeit dient.

  37. 37Begründung über die Einrichtung von Spezialoberschulen, 26.2.1962, Bundesarchiv, Ministerium für Volksbildung, DR 2/74520.

  38. 38Richtlinien für die Spezialoberschulen für Musik in der Deutschen Demokratischen Republik, 15.2.1962, Bundesarchiv, Ministerium für Volksbildung, DR 2/41951, Bd. 2.

  39. 39Ebd., S. 2.

  40. 40Ebd., S. 4.

  41. 41Ebd., S. 3.

  42. 42Begründung über die Einrichtung von Spezialoberschulen (Fn. 37).

  43. 43Aktennotiz über eine Aussprache mit Gen. Bernhard Rühnel, Mitarbeiter der Abteilung Volksbildung beim Rat des Bezirks Dresden. Betr.: Einrichtung einer Spezialschule für Musik, o. J., Bundesarchiv, Ministerium für Volksbildung DR/2 6752.

  44. 44Im Zuge dieses Gesetzes wurde »zweifellos das rigideste Selektionssystem im Vergleich mit anderen sozialistischen Staaten [geschaffen]‚ indem sich darin Leistungsprinzip, soziale Regulierung und politisch-ideologische Bewertung miteinander verbanden und die Vergabe bzw. die Verweigerung von Bildungschancen zu einem nicht zu unterschätzenden Instrument der politischen Systemsicherung entwickelt wurde.« (Oskar Anweiler, Schulpolitik und Schulsystem in der DDR, Opladen 1988, S. 98).
  45. 45Gesetz über das einheitliche sozialistischen Bildungssystem vom 25. Februar 1965 (GBl. I Nr. 6 S. 83), http://www.verfassungen.de/de/ddr/schulgesetz65.htm (4. 1. 2015).
  46. 46Ebd.

  47. 47Unsere Umfrage unter den ehemaligen Dresdner Spezialschülern ergab, dass 82 % der Befragten vor dem Spezialschulbesuch an einer Musikschule Unterricht hatten.

  48. 48Gerhard Schreier, Förderung und Auslese im Einheitsschulsystem. Debatten und Weichenstellungen in der SBZ/DDR 1946–1989, Köln 1996, S. 237.
  49. 49»Ihren Wert erlangen Begabungen, wenn sie zu schöpferischen Leistungen, die für die Gesellschaft wichtig sind, und zum Fortschritt beitragen« (Elternhaus und Schule 1982, zit. nach Erwin Hilgendorf, Informationen zur schulischen Hochbefähigtenförderung. Teil 1: 
Die Förderung besonders befähigter Schüler in der Deutschen Demokratischen Republik, Pädagogisches Zentrum, Berlin 1984, Anlage 7, S. 100).

  50. 50Anweisung zur weiteren Ausbildung und Förderung von Spitzenkräften auf dem Gebiet der Musik [durch das Ministerium für Kultur], 14.1.1975, Bundesarchiv, Ministerium für Volksbildung, DR 2/52176.

  51. 51Schulz, Leistungsprinzip(Fn. 3), S. 94.

  52. 52Im Entwurf zur neuen Stundentafel ist davon die Rede, dass die Notwendigkeit einer Reduzierung das Ergebnis einer »Einschätzung […] durch die Ergebnisse der Inspektionen der Abteilung Volksbildung der Räte der Bezirke, durch die Hinweise und Forderungen von Eltern sowie von bekannten Musikpädagogen, Musikwissenschaftlern und Interpreten, wie Gen. Prof. Zechlin« sei (Vorlage für die Ministerdienstbesprechung am 1.6.1973: Entwurf einer neuen Stundentafel der Spezialschulen für Musik im Bereich des Ministeriums für Kultur, Bundesarchiv DR 2/ 28001).

  53. 53Bericht an den VIII. Parteitag der SED, Berlin 1971, S. 79 und 91, zit. nach Stock, Bildung zwischen Macht (Fn. 28), S. 318.

  54. 54Ebd.

  55. 55Vgl. Pierre Bourdieu und Jean Claude Passeron, Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs (Titel der Originalausgabe: Teil I in Les Héritiers. Les Etudiants et la Culture, Paris 1964 und Teil 2 in den folgenden Aufsätzen in französischen Fachzeitschriften Les adversaires complices, Les partenaires désaccordés, L’examen d’une illusion sowie La comparabilité des systèmes d’enseignement 1971), Stuttgart 1971, S. 105; vgl. auch Rolf-Torsten Kramer, Abschied von Bourdieu? Perspektiven ungleichheitsbezogener Bildungsforschung, Wiesbaden 2011, 
S. 91

  56. 56Zum Begriff der ›Community of Practice‹ vgl. Jean Lave und Etienne Wenger, Situated learning: Legitimate peripheral participation, New York 1991.

  57. 57Vgl. Schulz, Leistungsprinzip (Fn. 3), S. 91.

  58. 58Hilgendorf, Förderung besonders befähigter Schüler (Fn. 49). 

  59. 59Edwin E. Gordon, Musikalische Begabung: Beschaffenheit, Beschreibung, Messung und Bewertung, Mainz 1986.

  60. 60Das entsprach im Übrigen genau dem Verständnis von Binnendifferenzierung im Schulunterricht. In den Erziehungswissenschaften der DDR hieß es zu diesem Thema: 

  61. 61»Differenzierung im Unterricht heißt, daß alle Schüler genügend Entwicklungsanreize und Entwicklungsbedingungen haben, daß jeder so gefordert und gefördert wird, wie es zum gleichmäßigen Voranschreiten auf der Grundlage der Lehrpläne […] notwendig ist.« (Schulz, Leistungsprinzip (Fn. 3), S. 97 f.).

  62. 62Hilgendorf, Förderung besonders befähigter Schüler (Fn. 49). 

  63. 63Ebd.

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