Medizin und Zeit – (nicht nur) medizinhistorische Überlegungen
Das Thema ›Zeit‹ bietet eine Fülle von Anknüpfungspunkten zu Medizin, Medizingeschichte und Medizinethik, von denen im Folgenden einige aktuelle Aspekte angesprochen werden sollen. Bewusst ausgeklammert ist hier das ebenso traditionsreiche1 wie innovative Feld der Biorhythmik, dem der geschätzte Jubilar so viel verdienstvolle Aufmerksamkeit gewidmet hat.2
Ausgehend von dem berühmtesten hippokratischen Merkspruch geht es im Folgenden zunächst um das Spannungsverhältnis von (Lebens)Zeit und Erfahrung, das bei schnellem Wandel und in forschungsintensiven Kontexten von besonderer Brisanz ist. Hier wird aus der Perspektive der Medizingeschichte kurz auf die Historizität der Medizin sowie auf die Kontingenz des medizinischen Denkens hingewiesen. Danach sollen – um ein Wort aus dem zitierten Aphorismus aufzugreifen – Augenblicke bzw. Zeitfenster in der Medizin thematisiert werden. Aus medizinethischer Sicht lässt sich an den Begriff der ›Kranken-Geschichte‹ anknüpfen, um auch die im modernen Medizinbetrieb immer knapper werdende Ressource Zeit ins Bewusstsein zu rücken. Und schließlich widmen wir uns den Konsequenzen aus der Begrenztheit der Lebenszeit und in diesem Zusammenhang speziell dem Alter als der am stärksten im Zunehmen sowie im Wandel begriffenen Lebensphase. Doch beginnen wir, wie es sich in Medizingeschichte und -ethik gehört, mit Hippokrates (ca. 460 bis 370 v. Chr.):
Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang.
Der rechte Augenblick ist rasch enteilt.
Der Versuch ist trügerisch, das Urteil schwierig.
Man muss aber nicht nur sich selbst als einen erweisen, der das Nötige tut, sondern auch der Patient, seine Umgebung und die Außenwelt.3
Wie nachdenkenswert dieser vor vielen Jahrhunderten formulierte Aphorismus ist, zeigt seine Wirkungsgeschichte: Zumindest der erste Teil gehört bis heute zu den am meisten zitierten (wenn auch nicht immer richtig verstandenen)4 Maximen. Schon Seneca (ca. 1 bis 65 n. Chr.) hat sich in seiner Schrift De brevitate vitae mit der Wendung »Ars longa vita brevis« voller Respekt explizit auf den »größten der Ärzte« bezogen5 und Goethe (1749 bis 1832) lässt in Wilhelm Meisters Lehrjahren den berühmten Lehrbrief (7. Buch, 9. Kapitel) folgendermaßen beginnen: »Die Kunst ist lang, das Leben kurz, das Urteil schwierig, die Gelegenheit flüchtig.«6
Medizin und Erfahrung
Der erste Teil des Aphorismus bezieht sich auf die enorme Bedeutung der Erfahrung in der hippokratischen Heilkunde – eine Erfahrung, die damals in Form von mehr oder weniger unsystematischen Beobachtungen über mehrere Ärztegenerationen hinweg gesammelt und aufgezeichnet wurde. Aus dieser nur von einer rudimentären physiologischen Theorie gestützten Empirie sind nicht nur die Aphorismen gespeist, sondern auch die Prognosen und die Krankengeschichten (missverständlich als ›Epidemien‹ bezeichnet) im Corpus Hippocraticum.7 Auch in der heutigen Medizin spielt Erfahrung eine nicht zu unterschätzende Rolle, vor allem hinsichtlich praktischer Fertigkeiten und klinischer Einschätzungen. Während jedoch die ›Alte Medizin‹ über viele Epochen hinweg von den früher gemachten und beschriebenen Erfahrungen profitieren konnte – Medizingeschichte war insofern bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein ein klinisches Fach –, sind in unserer Zeit das lebenslange Lernen von Neuem und die ständige Anpassung an rasch wechselnde Präferenzen zwingend notwendig. Das gilt für die gesamte Arbeitswelt,8 aber in der Medizin erfolgt die Obsoleszenz des Wissens besonders schnell.9
Als ein populäres Beispiel sei die Therapie des Magen- und Zwölffingerdarmgeschwürs genannt: Im 19. und frühen 20. Jahrhundert brachte man die Entstehung in Verbindung mit Rauchen, Alkohol, Kaffee und scharfem Essen, woraus eine entsprechende (recht fade) Diät als konservative Behandlung resultierte, wenn der Defekt nicht operativ gedeckt wurde.10 Die Erfolge waren eher mäßig, sodass es nicht verwundert, dass ab den 1950er Jahren ein anderes Erklärungsmodell aufkam, das ein neues Modewort aufgriff – Stress. Dass Belastungen und Ärger ›auf den Magen schlagen‹, ist eine banale Alltagserfahrung, insofern hatte dieses Konzept durchaus prima facie-Plausibilität. Die therapeutische Konsequenz waren Psychotherapie und Entspannungsübungen.11 Parallel gewann die Vorstellung einer Übersäuerung an Bedeutung. Die schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts praktizierten und noch heute als Hausmittel gegen Magenbeschwerden empfohlenen Rollkuren mit Kamillen- oder sonstigem Kräutertee oder mit dünnem Haferschleim wurden weiterhin angeboten. Darüber hinaus wurden Bismutsalze,12 verabreicht und in den 1970er Jahren kamen mit Natriumhydrogenkarbonat sowie Aluminium- und Magnesiumhydroxid-Gel weitere Antazida auf. Die ebenfalls an der Säureproduktion ansetzenden H2-Rezeptorenblocker (Cimetidin, 1976) sowie Protonenpumpeninhibitoren (Omeprazol, 1992) gehörten zu den umsatzstärksten Arzneimitteln ihrer Zeit.13 Als ultima ratio wurde eine Vagotomie durchgeführt.14 Daneben erkannte man, dass auch Medikamente wie Aspirin sowie Hormone wie Kortison zu Geschwüren und Magenblutungen führen können. Das 1982 von den Australiern John Robin Warren (geb. 1937) und Barry Marshall (geb. 1951) publizierte gänzlich andere Modell einer bakteriellen Infektion mit Helicobacter pylori fand diesem ›Mainstream‹ gegenüber erst einmal keine Zustimmung, weil man sich nur schwer vorstellen konnte, dass Bakterien in dem sauren Milieu des Magens überleben können. 2005 erhielten die beiden Forscher allerdings den Nobelpreis und heute ist die Triple-Therapie (Clarithromyzin mit Metronidazol bzw. Amoxicillin plus ein Protonenpumpenblocker) etablierte Praxis zur Eliminierung des Keims. Allerdings gibt es wegen der hohen Durchseuchung der Bevölkerung bei gleichzeitig viel geringerer Ulkus-Inzidenz Tendenzen, Helicobacter pylori nur als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Entstehung eines Geschwürs zu interpretieren, zu der weitere Faktoren kommen müssen, z. B. Blutgruppe 0, Stoffwechselstörungen oder sonstige genetische Faktoren.
Medizin und ihr historischer Ort
Es geht also in unseren Tagen relativ schnell, dass ein etabliertes Verfahren Geschichte wird. Das ist jedoch nicht der Grund, weshalb die Medizin – wie auch die beiden anderen ›hohen Fakultäten‹ (Theologie und Rechtswissenschaften) – die Betrachtung ihrer eigenen Historie seit jeher in ihrem universitären Lehrprogramm verankert hat. Das Lernen aus der Geschichte15 im Sinne eines ›Wissensrecyclings‹ hat zwar ausgedient,16 aber ›lehrreich‹ bleibt die historische Rückschau weiterhin, vor allem, weil sie den Blick schärft für die Kontingenz und Historizität ärztlichen Denkens und Handelns.17 Dies ist keineswegs die neueste geschichtswissenschaftliche Mode: Ein kritischer Geist wie Goethe hat das schon vor über 200 Jahren klar erkannt, und das gibt Gelegenheit, die zweite Stelle aus seinem Werk heranzuziehen, wo der Dichterfürst den ersten hippokratischen Aphorismus zitiert, den Faust.
Wagner: Ach Gott! Die Kunst ist lang,
Und kurz ist unser Leben.
Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,
Muß wohl ein armer Teufel sterben.
Faust: Das Pergament, ist das der heil’ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
Wagner: Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
Faust: O ja, bis an die Sterne weit!
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Da ist’s denn wahrlich oft ein Jammer!
Man läuft euch bei dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!18
Was Faust hier ironisiert, ist einerseits die Überheblichkeit der Gegenwärtigen, die mitleidvoll auf die unwissenden Vorfahren herabschauen, und anderseits die naive Vorstellung eines problemlosen ›Lernens aus der Geschichte‹, der zufolge Geschichte quasi ein Steinbruch oder ein Selbstbedienungsladen für bedarfsgerechte Erfahrungskonserven sei. Gerade im Zusammenhang mit Hippokrates kommt bis in unsere Tage in Sonntagsreden dieses Missverstehen bzw. diese Funktionalisierung von Geschichte zum Ausdruck (»Schon Hippokrates hat dies oder das gesagt und deshalb müssen wir dies oder das tun«). So wenig wie man aus zweieinhalbtausend Jahre alten Texten etwas für die Medizin(ethik) der Gegenwart entnehmen kann, kann man die historischen Beschreibungen aus dem Corpus Hippocraticum im Sinn einer retrospektiven Diagnose nach unserem eigenen Krankheitsvorstellungen interpretieren;19 d. h., man kann schon, aber ein historisch seriöses Ergebnis wird man nicht oder nur unter besonderen Kautelen erzielen. Medizin ist ein Kind der jeweiligen Zeit und findet an einem spezifischen historischen, sozialen und kulturellen Ort statt.
Konjunkturen der Medizin
Ein zweites Themenfeld der Medizingeschichte ist die Aufdeckung und Deutung von historischen Konjunkturen, die in Wechselwirkung mit dem zeitlichen Kontext der Medizin stehen. Das 19. Jahrhundert war beispielsweise wegen des rasanten Wachstums der großen Städte, mit dem die Infrastruktur nicht mithalten konnte, ein Jahrhundert der Seuchen. Relativ hilflos stand man ihnen bei einem Ausbruch gegenüber; deshalb war die Prävention umso wichtiger. Diesem Umstand verdankte die Hygiene ihren kometenhaften Aufstieg zur gesellschaftlich relevanten Leitwissenschaft.20 Unter den klinischen Fächern war es die Chirurgie, die sich nach der Entdeckung der Anästhesie und der Einführung der Asepsis zur lebensrettenden Disziplin und damit zur ›Königin der Medizin‹ entwickelte.21 Im 20. Jahrhundert wurde das die Genetik, mit deren Erkenntnissen Unerklärliches erklärt werden konnte, zunächst auf dem Gebiet der Evolution, dann – medizinrelevant – im Bereich des menschlichen Körpers. Nicht umsonst gehen in den letzten Jahren überproportional viele Nobelpreise an Forschergruppen, die auf diesem Gebiet tätig sind, und die medizinische Grundlagenforschung aller Fächer bedient sich ganz überwiegend des molekular(genetisch)en Paradigmas. Das 21. Jahrhundert will nun endlich den Menschen im Innersten verstehen.22 Einen Teil dazu trägt die Genetik bei, aber einen besonderen Deutungsanspruch erhebt die Hirnforschung, weil sie sich mit dem Organ befasst, dessen Ausprägung für den Menschen konstituierend ist.23
Was sicher für künftige Historikergenerationen ein Faszinosum unserer Zeit sein wird, ist der Zerfall der Medizin in verschiedene Realitätskompartimente, wofür man ohne weiteres Ernst Blochs (1885 bis 1977) geistreiches (wenn auch aus ganz anderem Kontext stammendes24) Wort von der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« benutzen kann. Der ›Hightechmedizin‹ steht als Konkurrenz die oft als ›Alternativmedizin‹ bezeichnete ›Komplementärmedizin‹ gegenüber, deren vorgeblicher Ergänzungscharakter darüber hinwegtäuscht, dass hier verschiedene Denksysteme aufeinander prallen: Fortschritt trifft auf Tradition, Statistik, Evidenz und Reproduzierbarkeit auf Subjektivität, Objektivität und Technik auf Esoterik und Intuition. Nur die völlige Vernachlässigung wissenschaftstheoretischer Reflexion und historischer Kenntnisse ermöglicht es, dass sogar auf naturwissenschaftlicher Grundlage ausgebildete Ärzte von diesen Methoden der Laienmedizin Gebrauch machen, weil viele Patienten dies fordern.25 Auf diese Weise lebt die Heilkunde vergangener Zeiten (z. B. die ›Hildegardmedizin‹ aus dem 12. Jahrhundert und die Homöopathie aus der Goethezeit) und anderer Kulturen (z. B. Ayurveda und die sogenannte ›Traditionelle Chinesische Medizin‹) in der Gegenwart weiter – wenn auch in der Regel ein bisschen an unsere Medizin und an mitteleuropäische Gewohnheiten angepasst.
Augenblicke in der Medizin
Wenn der hippokratische Arzt bedauert, dass der rechte Augenblick rasch enteilt, so spiegelt das eine typisch antike Vorstellung wider. Kairós ist eine Allegorie, in der verschiedene zeitbezogene Metaphern zusammenfließen. Am kompaktesten hat der kunsthistorisch versierte Epigrammatiker Poseidippos aus Pella (ca. 310 bis 240 v. Chr.) die Eigenschaften des Augenblicks in einem seiner Epigramme aus Olympia geschildert. Als Erklärung zu einer rund hundert Jahre vorher entstandenen und nun offenbar rätselhaft gewordenen Kairós-Statue von der Hand des berühmten Bildhauers Lysipp aus Sikyon, die im Vorhof eines Tempels in Pella aufgestellt war, findet sich folgender Dialog:
Wer bist du?
Ich bin Kairos, der alles bezwingt!
Warum läufst du auf Zehenspitzen?
Ich, der Kairos, laufe unablässig.
Warum hast du Flügel am Fuß?
Ich fliege wie der Wind.
Warum trägst du in deiner Hand ein spitzes Messer?
Um die Menschen daran zu erinnern, dass ich spitzer bin als ein Messer.
Warum fällt dir eine Haarlocke in die Stirn?
Damit mich ergreifen kann, wer mir begegnet.
Warum bist du am Hinterkopf kahl?
Wenn ich mit fliegendem Fuß erst einmal vorbeigeglitten bin, wird mich auch keiner von hinten erwischen, so sehr er sich auch bemüht.
Und wozu schuf Euch der Künstler?
Euch Wanderern zur Belehrung.26
Die merkwürdige Haartracht verdeutlicht die offenbar schon im alten Griechenland geläufige Redewendung von der Gelegenheit, die man beim Schopf packen muss, weil sonst die einmalige Chance vorbei ist. Ganz analog heißt es bei Friedrich Schiller (1759 bis 1805): »Was man von der Minute ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit zurück.«27
In der ›Alten Medizin‹ stand im Zusammenhang mit Kairós der Begriff der ›Krise‹ im Raum: In der Krise entscheidet sich, ob ein Patient gesund wird oder stirbt, und hier kann ein geschickter Arzt die Wendung zum Positiven bewirken. Heute dagegen sind es Notfallsituationen, in denen das Zeitfenster für die Rettung des Patienten nur kurz offen steht. Nach einem Herzstillstand muss innerhalb von drei bis fünf Minuten mit der Wiederbelebung begonnen werden; nach acht bis zehn Minuten ist mit einem irreversiblen Hirnschaden zu rechnen. Diskutiert wird momentan über die Intervalle bei Herzinfarkt und Schlaganfall, nach denen noch eine Lyse (als Versuch, den das betroffene Blutgefäß verstopfenden Blutpfropf aufzulösen) sinnvoll ist. Wegen der knappen Frist von einer Stunde (maximal gelten 90 bis 120 Minuten als akzeptabel) wird ein Herzinfarkt mit der im Elektrokardiogramm (EKG) charakteristischen ST-Hebung inzwischen als ›golden hour disease‹ bezeichnet.28 Beim Schlaganfall wird ein Lysebeginn nach drei bis viereinhalb Stunden angestrebt, sechs Stunden sind gerade noch vertretbar.29
Innerhalb des menschlichen Lebens gibt es natürlich auch Zeitfenster. Diese sind nicht so knapp bemessen, aber dennoch bei der Lebensplanung einzukalkulieren. Die fruchtbaren Tage im weiblichen Zyklus werden sowohl zur Verhütung als auch bei Kinderwunsch beachtet, seit die beiden Frauenärzte Hermann Knaus (1892 bis 1970) und Kyūsaku Ogino (1882 bis 1975) ihre Beobachtungen 1919 publiziert hatten. In unseren Zeiten des fehlenden Nachwuchses wird viel über die Limitationen der weiblichen Fruchtbarkeit innerhalb der Biografie diskutiert, denn jenseits des 35. Lebensjahres nimmt bei Frauen die Chance auf eine Schwangerschaft rapide ab. Die Vereinbarkeit nicht nur von Beruf und Familie, sondern auch von Karriere und Familie ist insofern eine gesellschaftliche Herausforderung.30 Ist das Kind erst einmal auf der Welt, gibt es ein weiteres Zeitfenster: Nach einem Jahr muss die Mutter wieder das Ausgangsgewicht erreicht haben, sonst bleibt ihr das schwangerschaftsbedingte Übergewicht erhalten.31
Doch kehren wir zu den Augenblicken in der Medizin zurück, wo nicht nur ein, sondern sogar mehrere weitere wichtige Zeitpunkte nicht unerwähnt bleiben sollen, die einen eigenen Namen bekommen haben: ›Point of no return‹. Diese Metapher findet sich auch außerhalb der Medizin in vielerlei Kontexten,32 doch wir wollen uns auf die Beispiele aus diesem Bereich beschränken. Mit ›Point of no return› wird erstens der Eintritt des Hirntodes beschrieben, weil in der Folge der Tod des Menschen unumkehrbar eintreten wird.33 Zweitens bezeichnet man in der Intensiv- und Palliativmedizin so den Beginn der Sterbephase, ab dem keine Lebensrettung mehr möglich und deshalb das ärztliche Bemühen auf größtmöglichen Komfort zu richten ist.34 Und drittens wird der Ausdruck seit 2012 offiziell in den Leitlinien zur Prophylaxe des Alkoholentzugsdelirs benutzt: Wenn der ›Point of no return› überschritten ist, hat das Delir bereits begonnen und eine Alkoholgabe ist kontraindiziert.35 Diese Stichpunkte mögen genügen – sie zeigen, wie groß die Affinität der Medizin zum Kairós bis heute ist.
Patient und Zeit
Was wäre die moderne Medizin ohne die visuelle Darstellung des Ablaufs (patho)physiologischer Prozesse? Kurven gehören so selbstverständlich zum klinischen Alltag, dass sich kaum jemand fragt, wer eigentlich die geniale Idee hatte. Ohne die historischen Hintergründe beleuchten zu wollen, sei mit Blick auf die Lokalgeschichte Leipzigs darauf hingewiesen, dass hier zwei Personen wirkten, die die Aufzeichnung von Vorgängen im Körper wesentlich vorangetrieben und so der Objektivierung klinischer Befunde den Boden bereitet haben: Der Physiologe Carl Ludwig (1816 bis 1895) entwickelte in seiner Marburger Zeit ab 1846 das Kymographion, mit dem der Zusammenhang von Blutdruck und Herzschlag illustriert werden konnte,36 und der Internist Carl Reinhold August Wunderlich (1815 bis 1877) führte in den 1860er Jahren die Registrierung der Körpertemperatur in Form von Fieberkurven ein.37 Nicht nur statische Befunde, sondern auch Dynamiken und Verläufe objektiv dokumentieren zu können, war ein Meilenstein in der klinischen Medizin.
Doch auch zuvor schon spielte die ›Geschichte‹ des Patienten (und nicht nur sein aktueller Zustand) eine große Rolle: Dass wir noch immer das griechische Wort ›Anamnese‹ für diese ›Krankengeschichte‹ benutzen, deutet auf eine zweieinhalb Jahrtausende lange Tradition hin. Das Gleiche gilt für andere griechische Begriffe, wie ›Katamnese‹, ›Epikrise‹ und ›Prognose‹, die allesamt den Faktor Zeit bereits durch ihre Präfixe zum Ausdruck bringen.38 Ebenfalls zeitbezogen (und zwar mit Blick auf die Dauer einer Erkrankung) sind die seit der Antike bekannten Ausdrücke ›akut‹ und – ganz besonders auffällig – ›chronisch‹.39
In den letzten Jahrzehnten haben chronische Krankheiten gegenüber den akuten an Bedeutung gewonnen und die Anforderungen an die ärztliche Begleitung von ›Langzeitpatienten‹ verändert. Am besten untersucht ist die Bewältigung von Dauerschmerzen, die die Lebensqualität bis zur Unerträglichkeit mindern können.40 Hierzu findet sich in der Literatur eine weitere zeitbezogene Metapher: Arzt und Patient schreiben als Ko-Autoren eine ›Kranken-Geschichte‹ in dem Sinn, dass sie therapeutische Strategien, Vor- und Nachteile bzw. Risiken usw. gemeinsam festlegen.41 Je länger ein krankhafter Zustand dauert und je länger ein Leiden behandelt werden muss, desto größer ist die Bedeutung der individuellen Krankheitsverarbeitung durch den Patienten (heute meistens ›Coping‹ genannt), seines soziokulturellen Kontextes und seiner persönlichen Erfahrungen. Die Herausforderung für den ärztlichen Partner ist die Einbeziehung des Unausgesprochenen, das Erkennen von Sinngebung und Symbolik, ganz in Analogie zur Textinterpretation. Dieses genaue Hinhören ist nicht jedermanns Sache, sondern eine Begabung des ›guten Arztes‹.42 Nicht umsonst ist Musikalität ein wichtiger Prädiktor für Erfolg in klinisch-praktischer Tätigkeit. Ein Zeitfenster, in dem sich der Patient öffnet und man Zugang zu ihm gewinnen könnte, schließt sich ganz schnell durch Unachtsamkeit oder eine unbedachte Äußerung. Im Patientengespräch gilt insofern genau wie im sonstigen Leben der schöne Hexameter von Horaz (65 bis 8 v. Chr.): »Et semel emissum volat irreparabile verbum« (Episteln I.18,71).43
Ressource Zeit
Die gerechte Ver- bzw. Zuteilung knapper Ressourcen (Allokation) ist in der Medizinethik ein häufig diskutiertes Thema. Debattiert wird über Geld und Organe, Betten auf der Intensivstation, Facharzttermine usw. So wichtig auch das allgemeine ›Zeitmanagement‹ ist – hier interessiert uns die wichtigste Ressource des ›guten Arztes‹ im direkten Kontakt zum Patienten, die Zeit. Neben Fachkompetenz und Gewissenhaftigkeit gehören Zuhören können und Einfühlungsvermögen zu den ärztlichen Schlüsselqualifikationen. Leider sieht die Realität in Klinik und Praxis anders aus. Beim Hausarzt kalkuliert man »acht Minuten pro Patient«,44 ein Visiten›gespräch‹ im Krankenhaus dauert unter drei Minuten. Dieser von den Patienten oft beklagte (und mit einem Wechsel zu komplementären Angeboten beantwortete) Verlust sprachlicher Kommunikation und menschlicher Zuwendung in der modernen Medizin hat durchaus nachvollziehbare und nicht nur negativ zu bewertende Gründe: Die sinkende Bedeutung des individuellen Befindens hängt mit einem Kennzeichen der naturwissenschaftlich basierten Medizin zusammen, nämlich mit der Objektivierung des sogenannten ›Pathologischen‹ und damit des Krankheitsbegriffs. Das war der Schlüssel zum immensen Erfolg dieses modernen Typs der Heilkunde, aber man kann es natürlich auch kritisch als Technisierung bezeichnen, einhergehend mit einem reduktionistischen Menschenbild, das das subjektive Leiden des Kranken zugunsten von Labor und Bildgebung ausklammert.45 Im Ergebnis jedenfalls muss der heutige Arzt innerhalb seines Arbeitsrahmens um ein Vielfaches mehr an Zeit für Technik bzw. für technische Untersuchungen sowie für deren Befundung, Aus- und Bewertung usw. aufwenden als je zuvor. Dass das Gespräch dabei an Bedeutung verliert, ist also nicht überraschend, konterkariert aber das soeben skizzierte Ideal der gemeinsamen Entscheidungsfindung – die moderne Medizin ist nicht ohne Paradoxa.
Des Menschen Zeit
Der letzte Abschnitt des menschlichen Lebens ist das Alter – darüber besteht Einigkeit. Doch wie soll man es definieren, zumal der Anteil dieser Phase an der Gesamtbiografie immer länger und gleichzeitig sozial wie biologisch immer individueller wird?46 Nicht mehr aktuell ist eine inzwischen rund dreißig Jahre alte Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO):47 Demnach wurden Personen zwischen 49 und 59 Jahren als ›alternd‹ (»ageing«) bezeichnet, zwischen 60 bzw. 6548 und 74 Jahren als ›älter‹ (»older«, etwas positiver konnotiert »elderly«) – dies ist auch der Standard-Sprachgebrauch der Vereinten Nationen (UN) geblieben. Oft wird für dieses meistens noch mit guter Gesundheit einhergehende (reichliche) Jahrzehnt die Bezeichnung ›Drittes Alter‹ benutzt, die Betreffenden sind ›junge Alte‹. Eigentlich ›alt‹ (»old«) sind in der westlichen Welt Personen zwischen 75 und 89 Jahren (›Viertes Alter‹, ›alte Alte‹); Personen über 90 sind ›uralt‹ bzw. ›sehr alt‹ (»very old«). Die WHO hat inzwischen selbst Abstand von dieser Einteilung genommen. Das hat verschiedene Gründe: Erstens gibt es weltweit erhebliche Unterschiede, die diese Klassifizierung relativieren. Ein Gesundheitsprojekt in Afrika, wo die Grenze für eine »older person« bei 50 Jahren liegt, gab Anlass zu einer expliziten Distanzierung von fixen chronologischen Grenzen.49 Zum zweiten versteht sich die WHO als Vorkämpferin gegen Stereotype, die bei der ›sozialen Konstruktion‹ des Alters negativ zu Buche schlagen und als ageism zu Altersdiskriminierung führen können. Drittens steht momentan die Prävention stark im Vordergrund, d. h., das Anliegen der WHO ist das Altern in Gesundheit. Und nicht zuletzt werden nach WHO-eigenen Vorgaben Veränderungen in der körperlichen Leistungsfähigkeit heute gänzlich unabhängig vom Alter beschrieben und klassifiziert (International Classification of Functioning, Disability and Health, kurz ICF).
Dass dennoch in vielen Köpfen der westlichen Leistungsgesellschaft ein Zerrbild des Alters existiert, mag angesichts der allgemeinen Hochschätzung von körperlicher Fitness, Jugendlichkeit, Schönheit, Aktivität, ›Freiheit‹ usw. nicht überraschen. Neu ist dieses Phänomen aber nicht. Als Beispiel nenne ich nur eine für die Jugendbegeisterung im ›Sturm und Drang‹ typische Szene aus Goethes Faust II. Dort findet sich in der ersten Szene des zweiten Aktes das folgende Statement des Baccalaureus, das einige Klischees enthält, die man auch heute ohne Weiteres hören könnte:
Anmaßlich find’ ich, dass zur schlecht’sten Frist
Man etwas sein will, wo man nichts mehr ist.
Des Menschen Leben lebt im Blut, und wo
Bewegt sich’s wie im Jüngling so?
Das ist lebendig Blut in frischer Kraft,
Das neues Leben sich aus Leben schafft.
Da regt sich alles, da wird was getan,
Das Schwache fällt, das Tücht’ge tritt heran.
Indessen wir die halbe Welt gewonnen,
Was habt ihr denn getan? Genickt, gesonnen,
Geträumt, erwogen, Plan und immer Plan!
Gewiss! Das Alter ist ein kaltes Fieber
Im Frost von grillenhafter Not.
Hat einer dreißig Jahr vorüber,
So ist er schon so gut wie tot.
Am besten wär’s, euch zeitig totzuschlagen.50
Das im Zitat entfaltete Defizitmodell vom Alter herrscht auch in der Geriatrie vor, was nicht erstaunlich ist, denn dort hat man es nicht mit den fitten und aktiven Senioren zu tun, sondern mit denjenigen, die krank, oft pflegebedürftig und vielfach eingeschränkt sind.51 So gibt es als Faustregel z. B. die drei M (Multimorbidität, Multikausalität und Multifinalität) und die sechs I (Intellektminderung, Immobilität, Intoleranz, Instabilität, Inkontinenz, Iatrogene Störungen). Dieses nachvollziehbare, aber nichtsdestoweniger äußerst negative Altersbild der Geriatrie hat eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die Wahrnehmung älterer bzw. alter Patienten gerade seitens jüngerer Ärzte. Die gut gemeinte Integration des Themas ›Der alte Mensch‹ in die studentische Ausbildung entfaltet hier nach meinen Erfahrungen geradezu fatale Wir kungen, indem dieser Patientengruppe jede Lebensqualität abgesprochen wird. Entsprechend gering ist die Bereitschaft, sich für alte Patienten zu engagieren.
Außerhalb der Medizin existieren erfreulicherweise durchaus positive Leitbilder vom Alter:52 In der Wirtschaft weiß man aufgrund des schon jetzt spürbaren Fachkräftemangels die sachliche und soziale Kompetenz, die Erfahrung, Zuverlässigkeit und Einsatzbereitschaft älterer Arbeitnehmer sehr zu schätzen und investiert gerne in begleitende Weiterbildungsmaßnahmen. Dass die Produktivität im Alter nachlasse, hat sich längst als unberechtigtes Vorurteil erwiesen.
Auch als Konsumenten sind die ›jungen Alten‹ – nunmehr ›Best Ager‹ genannt – von Interesse, und zwar nicht nur bei ›alterstypischen‹ Produkten, wie Haftcreme, Treppenliften oder Heizdecken: Im gehobenen Preissegment insgesamt sind die wohlhabenden ›Woopies‹ (Well off old people) als ›Master Consumers‹ gern gesehen und für sie werden auch spezielle hochwertige Produkte entwickelt, z. B. im Bereich der Mode- und Reisebranche sowie der Möbel- und Automobilindustrie.53
Gegen die Zeit
So vielversprechend das Gesagte klingt, es sei nicht verschwiegen, dass hinter diesem neuen positiven Altersleitbild eine Falle lauert: Zum einen werden schichtspezifische Nachteile verschleiert, zum anderen perpetuieren sich die Maßstäbe und Werte der konsumorientierten Leistungsgesellschaft in eine Lebensphase hinein, in der man sich davon eigentlich frei machen könnte. Die Abschaffung des ›Lebensabends‹ zwingt beinahe zu Aktivität und Engagement,54 verstärkt den ohnehin schon bestehenden Machbarkeitswahn und fördert eine Mentalität, die Krankheit und Beschwerden auf eigenes Verschulden zurückführt.
Wir scheinen also auf dem Weg zu einer Abschaffung des Alters bzw. zur ›Age Irrelevant Society‹ zu sein und die Medizin ist hierbei maßgeblich involviert.55 Im Zuge einer Medikalisierung des Alters dient der mittlere Lebensabschnitt als Orientierung und unter diesem Normierungs- bzw. Konformitätsdruck erscheint mehr und mehr das Alter als behandlungsbedürftiger Zustand.56 Nun gibt es keinen ernst zu nehmenden medizinethischen Grund dagegen, altersbedingte Krankheiten aufzuschieben oder zu lindern und auch ›normale‹ Auswirkungen des Alterns zu behandeln. Die in Deutschland – verglichen mit europäischen Nachbarstaaten – auffallend hohen Operationsanzahlen beim Gelenkersatz legen allerdings die Vermutung nahe, dass der vorhandene Wohlstand wirtschaftliche Interessen für ein wachsendes Kundenfeld generiert, was wiederum die Indikationsstellungen großzügig erweitert und für die Allgemeinheit hohe Kosten verur sacht.
Daneben gibt es auch individuell zu bezahlende Angebote der ›Anti-Aging-Medizin‹:57 Obwohl es kaum nachgewiesene Effekte gibt, floriert der Markt für kommerzielle ›Life style-Angebote‹, z. B. in Form von Nahrungsergänzungsmitteln oder ›medizinischen‹ Pflegeprodukten (›cosmeceuticals‹) aus der Apotheke. Es ist ein alter Traum, die Auswirkungen des Alterns – und gesundheitliche (diätetische) Versäumnisse der Vergangenheit – rückgängig machen zu können; das ist jedoch den bisherigen Ansätzen im Sinne eines Enhancements58 noch nicht gelungen. Die Beseitigung des Alters und ein Quantensprung hinsichtlich der Verlängerung des Lebens sind jedoch Gegenstand aktueller Grundlagenforschung (Telomer-Telomerase-Hypothese) und wurden bereits mit einem Nobelpreis gewürdigt.59
Das ist Zukunftsmusik und vielleicht auch gar nicht wünschenswert. Dem verehrten Jubilar seien jedenfalls noch viele aktive und erfüllte Jahre gewünscht, um deren Sinngehalt man sich sicher keine Sorgen machen muss, hat er sich doch in weiser Voraussicht an eine Maxime gehalten, die schon Konfuzius (551 bis 479 v. Chr.) für die Lebensplanung empfohlen hat: »Man muss sich einen Stecken in der Jugend schneiden, damit man im Alter daran gehen kann«.
- 1Erste chronobiologische Beobachtungen an Pflanzen erfolgten bereits im 18. Jahrhundert. Sie wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen (u. a. von dem Leipziger Botaniker Wilhelm Pfeffer) und erreichten einen vorläufigen Höhepunkt in den 1960er Jahren. Eine nun schon vierzig Jahre alte Zusammenfassung des damals erreichten Wissensstandes z. B. bei Hans Genuit, Bio-Kurven, 3 Teile, Bietigheim-Bissingen 1976.
- 2Ich nenne exemplarisch nur die die Ergebnisse zusammenfassenden Sammelbände: Elmar Peschke (Hg.), Endokrinologie I–V, 5 Bde. (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Math.-nat. Kl., Bde. 60/1, 63/2, 64/4, 65/3, 66/1), Stuttgart u. a. 2003–2014; ders. (Hg.), Chronobiologie (Nova Acta Leopoldina N. F., Bd. 114, Nr. 389), Stuttgart 2011. Ansonsten sei auf den Beitrag von Eckhard Mühlbauer in diesem Band verwiesen.
- 3Hippokrates, Aphorismen 1, 1. Übersetzung u. a. in Hippokrates Werke, aus dem Griechischen übersetzt und mit Erläuterungen von J[ohann] F[riedrich] C[arl] Grimm und L[udwig] Lilienhain, Bd. 1, Glogau 1837, S. 113; Hippokrates, Sämmtliche Werke, hg. und kommenntiert von Robert Fuchs, Bd. 1, München 1895; Richard Kapferer und Georg Sticker, Die hippokratischen Lehrsätze (Aphorismen) (Die Werke des Hippokrates, Bd. 14), Stuttgart 1934.
- 4Missverständlich ist insbesondere das Wort ›Kunst‹, vgl. z. B. die falschen Antworten unter https://de.answers.yahoo.com/question/index?qid=20080424042219AAox3hd (28. 7. 2015).
- 5Lucius Annaeus Seneca, De brevitate vitae, übersetzt und hg. von Marion Giebel (Reclams Universal Bibliothek, Bd. 18545), Stuttgart 2010, I. 2; http://la.wikisource.org/wiki/De_brevitate_vitae#I (28. 7. 2015).
- 6Johann Wolfgang von Goethe, Werke [Hamburger Ausgabe], textkritisch durchgesehen und mit Anmerkungen versehen von Erich Trunz, 10. Aufl., München 1982, Bd. 7, S. 496, Anm. S. 700.
- 7Louis Bourgey, Observation et expérience chez les médecins de la collection hippocratique, Paris 1953; Mirko Dražen Grmek (Hg.), Die Geschichte des medizinischen Denkens. Antike und Mittelalter, München 1996.
- 8Die Notwendigkeit ständiger berufsbegleitender Weiterbildung betonen z. B. Cornelia Schneider und Lisa Juliane Schneider, Reife Leistung. Erfolgreich älter werden im Beruf, Freiburg i. Br. 2014.
- 9Über das Phänomen der Wissensveränderung in Abhängigkeit von neuen theoretischen Konzepten: Paul Thagard, How scientists explain disease, Princeton 1999.
- 10Ich nenne im Folgenden nur einige exemplarische Monografien: Kurt Goette, Das Magengeschwür (Ulcus pepticum ventriculi et duodeni) und seine Behandlung, Stuttgart 1940; Reinhold Boller, Die Behandlung des Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüres, Wien 1947.
- 11Carola Burkhardt, Psychosomatik der Ulcuskrankheit, med. Diss. München 1971.
- 12Bernd Achten, Moderne Gastritis- und Ulkustherapie mit Wismut. Eine Lehrmeinung im Wandel, München u. a. 1990.
- 13Fred Halter (Hg.), Zukunftsaspekte in der Ulkusforschung, München 1986; Torsten Lothar Kudela, Behandlungskonzepte der Ulkuskrankheit des oberen Gastrointestinaltrakts am Krankenhaus Altstadt in den Jahren 1996–1999, med. Diss. Magdeburg 2008; Birger Bida und Peter Seipelt, Die Therapie des Ulcus ventriculi et duodeni mit Dimeticon und Famotidin, med. Diss. Magdeburg 1998. Famotidin ist ein H2-Antihistaminikum (H2-Rezeptorenblocker), aber Dimeticon ist äußerlich ein Läusemittel und wird innerlich gegen Blähungen eingesetzt.
- 14Claude Muller und Sebastiano Martinoli, Die proximal-selektive Vagotomie in der Behandlung der gastroduodenalen Ulkuskrankheit, Berlin u. a. 1985.
- 15Lateinisch: Historia magistra vitae. Die Phrase stammt aus Cicero, De oratore II, 36.
- 16Reinhart Koselleck, »Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte«, in ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 757), Frankfurt a. M. 1989, S. 38–66; Mikuláš Teich und Albert Müller (Hg.), »Historia Magistra Vitae?«, in Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 16/2 (2005), S. 5–10. Speziell für die Medizingeschichte: Ortrun Riha, »Die Geschichte als Lehrmeisterin im Zeitalter der verlorenen Unschuld«, in dies. und Achim Thom (Hg.), 90 Jahre Karl-Sudhoff-Institut, Leipzig 1996, S. 1–19.
- 17Alfons Labisch, »Historizität«, in ders. und Norbert Paul (Hg.), Historizität. Erfahrung und Handeln – Geschichte und Medizin, Stuttgart 2004, S. 11–36.
- 18Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Eine Tragödie, in ders., Werke (Fn. 6), Bd. 3, S. 25 f., V. 558–584.
- 19Karl-Heinz Leven, »Krankheiten. Historische Deutung versus retrospektive Diagnose«, in Norbert Paul und Thomas Schlich (Hg.), Medizingeschichte. Aufgaben, Probleme, Perspektiven, Frankfurt a. M. 1998, S. 153–185.
- 20Ortrun Riha und Marta Fischer (Hg.), Hygiene als Leitwissenschaft. Internationale Tagung in Leipzig, 7.–8. 10. 2013 (Relationes, Bd. 16), Aachen 2014.
- 21Vgl. hierzu den damaligen Bestseller: Jürgen Thorwald, Das Jahrhundert der Chirurgen, Stuttgart 1956.
- 22Ortrun Riha, »Von der Säftelehre zur Molekulargenetik – Die Vielfalt der Menschenbilder in der Medizin«, in Udo Ebert, Ortrun Riha und Lutz Zerling (Hg.), Menschenbilder – Wurzeln, Krise, Orientierung (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-hist. Kl., Bd. 82/2), Stuttgart/Leipzig 2012, S. 93–107.
- 23Zuletzt kritisch: Marcus Knaup, Leib und Seele oder mind and brain? Zu einem Paradigmenwechsel im Menschenbild der Moderne, Freiburg i. Br./München 2013.
- 24Bloch entwickelte die Vorstellung von ›Ungleichzeitigkeit(en)‹ im Zusammenhang mit seiner Analyse des Nationalsozialismus in seinem Werk Erbschaft dieser Zeit (Zürich 1935).
- 25Gerd Marstedt und Susanne Moebus, Inanspruchnahme alternativer Methoden in der Medizin (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 9), Berlin 2002, https://www.gbe-bund.de/pdf/Alternat.pdf (28. 7. 2015); Matthias Schweiger, Medizin – Glaube, Spekulation oder Naturwissenschaft? Gibt es zur Schulmedizin eine Alternative? Eine historischphilosophisch begründete Auseinandersetzung zwischen Schulmedizin und alternativer Medizin, 2. Aufl., München 2005; Raymond Becker u. a. (Hg.), »Neue« Wege in der Medizin. Alternativmedizin – Fluch oder Segen? (Akademie-Konferenzen, Bd. 10), Heidelberg 2010.
- 26Text nach: Johannes Gründel, Art. »Kairos«, in Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 5, Freiburg i. Br. 1996, Sp. 1129–1131, hier Sp. 1131, online z. B. unter http://www.anthrowiki.at/Kairos (28. 7. 2015). Andere Übersetzung unter http://www.e-kairos.net/literatur.php (28. 7. 2015). Parallele Ausgaben: Hermann Beckby (Hg.), Anthologia Graeca. Griechisch – Deutsch, Bd. 1 (Buch I–VI), Berlin 2014; Dirk Uwe Hansen (Hg.), Anthologia Graeca, Bd. 1 (Bücher I–V), übersetzt und erläutert von Jens Gerlach (Bibliothek der griechischen Literatur, Bd. 72), Stuttgart 2011. Poseidippos erscheint jeweils im 2. Buch an 49. Stelle, der zitierte Text hat die Nr. 13.
- 27Friedrich Schiller, Resignation. Eine Phantasie, Z. 99 f. (Frühfassung) bzw. Z. 89 f. (Spätfassung), in ders., Sämtliche Werke [Hanser-Ausgabe], 7. Aufl., München 1984, Bd.1, S. 130–133, hier S. 133.
- 28Vgl. z. B:http://www.notmed.info/mkongold.html (28. 7. 2015); Hannes Alber, »STEMI und NSTEMI: Zeitfenster für Intervention?«, in Wiener Medizinische Wochenschrift Skriptum 1 (2009), S. 6–8, online: http://www.springer.com/medicine/journal/12545 (28. 7. 2015).
- 29Ulrich Scharmer, »›The need for speed‹ – nach sechs Stunden schließt sich beim ischämischen Schlaganfall das Zeitfenster für die Lyse«, http://www.medscapemedizin.de/artikelansicht/4903254, Eintrag vom 19. 1. 2015 (28. 7. 2015); Susanne Krome, »Schlaganfall. Zeitfenster vor rTPA-Lyse entscheidend«, in Deutsche Medizinische Monatsschrift 34 (2014), https://www.thieme.de/de/innere-medizin/schlaganfall-zeitfenster-rtpa-lyseentscheidend-63364.htm (28. 7. 2015), referiert wird eine Studie von Gumbinger u. a. aus British Medical Journal 348 (2014), S. 3429; letzter Stand: Beatrice Hamberger, »Schlaganfall-Studie bestätigt Lyse-Zeitfenster von 4,5 Stunden«, http://www.gesundheitsstadt-berlin.de/schlaganfall-studie-bestaetigt-lyse-zeitfenster-von-45-stunden-5432/ Eintrag vom 14. 1. 2015 (28. 7. 2015).
- 30Vgl. z. B. Jürgen Dorbritz und Martin Bujard, Wer bekommt (noch) Kinder? Fertilität in Deutschland. Jahrestagung der DGD, Berlin 2012, http://www.demographie-online.de/fileadmin/dgd/meeting2012/Vortraege/Dorbritz_Bujard_DGD_2012_2.pdf (30. 7. 2015).
- 31»Kritisches Zeitfenster von einem Jahr bestätigt« (7.4.2014),http://www.biermann-medizin.de/fachbereiche/gynaekologie/medizin-forschung/kritisches-zeitfenster-einem-jahr-bestaetigt (28. 7. 2015).
- 32Unter https://de.wikipedia.org/wiki/Point_of_no_Return (30. 7. 2015) fehlt die medizinische Bedeutung komplett.
- 33Vgl. z. B. D[ag] Moskopp, »Hirntodkonzept«, in Hugo Karel Van Aken u. a., Intensivmedizin, 3. Aufl., Stuttgart u. a. 2014, S. 1054.
- 34Vgl. z. B. Katrin Elina Clemens und Eberhard Klaschik, »Symptomatische Therapie in der Finalphase«, in Im Focus Onkologie 9/7–8 (2006), S. 61–64, http://www.onkosupport.de/e974/e1743/e1850/e2100/e1856/ifo0607_61.pdf (30. 7. 2015).
- 35Vgl. z. B. Hans Walter Striebel, Operative Intensivmedizin. Sicherheit in der klinischen Praxis, 2. Aufl., Stuttgart 2014, S. 755 und 759.
- 36Originalpublikation: Carl Ludwig, »Beiträge zur Kenntniss des Einflusses der Respirationsbewegungen auf den Blutlauf im Aortensysteme«, in Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin (1847), S. 242–302.
- 37Dies hat sich sogar international herumgesprochen: Philip A. Mackowiak und Gretchen Worden, »Carl Reinhold August Wunderlich and the Evolution of Clinical Thermometry«, in Clinical Infectious Diseases 18/3 (1994), S. 458–467. Originalpublikation: Carl Reinhold August Wunderlich, Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten, Leipzig 1868.
- 38Kat(a)- und epi- bedeuten ›danach‹, pro- ›vorher‹.
- 39Griechisch chronos = ›Zeit‹
- 40Barbara Supa, Facetten des Schmerzes Total Pain in der Mäeutik. Wie finden sie sich wieder?, Saarbrücken 2015; Harro Albrecht, Schmerz. Eine Befreiungsgeschichte, München 2015.
- 41Peter Ubel, Guter Rat ist möglich. Wie Ärzte und Patienten gemeinsam die besten Entscheidungen treffen, Bern 2013.
- 42Birgit Hibbeler, »Zwischen Samaritertum und Ökonomie: Was ist ein guter Arzt?«, in Deutsches Ärzteblatt 108/51-52 (2011), S. A2758–A2763, http://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=118010 (28. 7. 2015). Vgl. ferner Claudia Witt (Hg.), Der gute Arzt aus interdisziplinärer Sicht, Essen 2010; Olaf Reddemann, »Wie bin ich ein guter Arzt, eine gute Ärztin? Techniken sind hilfreich, heilsam aber ist nur die Liebe«, in Astrid Lampe, Peer Abilgaard und Klaus Ottomeyer (Hg.), Mit beiden Augen sehen: Leid und Ressourcen in der Psychotherapie. Luise Reddemann zum 70. Geburtstag (Leben lernen, Bd. 261), Stuttgart 2013, S. 146–164.
- 43Horaz, Satiren und Episteln, hg. und übersetzt von Otto Schönberger (Schriften und Quellen der Alten Welt, Bd. 33), 2. Aufl., Berlin 1991: »Einmal hinausgeschickt, fliegt das Wort unwiederbringlich.« Zur Problematik: Hubert Feiereis und Reinhard Saller (Hg.), 3 heiße Eisen. Der schmerzende Dialog oder Vom heillosen Sprechen, München 1992.
- 44Martina Janning, »Barmer-GEK-Arztreport. Acht Minuten pro Patient«, in Pharmazeutische Zeitung 155/4 (2010), S. 7, http://www.pharmazeutische-zeitung.de/fileadmin/jahrgangspdf/2010/HEFT04.pdf (28. 7. 2015); aerzteblatt.de berichtet von 7,8 Minuten: »Ärzte wünschen sich mehr Zeit für Patienten«, Nachricht vom 14. 10. 2011, http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/47689/Aerzte-wuenschen-sich-mehr-Zeit-fuer-Patienten (28. 7. 2015).
- 45Vgl. Riha, Menschenbilder (Fn. 22).
- 46Hierzu sei auf den Beitrag von Andreas Simm in diesem Band verwiesen. Vgl. ansonsten Simone Schnurr, Singularisierung im Alter. Altern im Kontext des demographischen Wandels (Münchner Studien zur Erwachsenenbildung, Bd. 7), Berlin 2011.
- 47Die Originalpublikation ist nicht mehr auf der Homepage der WHO zu finden. Die genannten Grenzen werden jedoch immer noch zitiert, sowohl in Handbüchern wie auch in Online-Lexika, z. B. http://www.pflegewiki.de/wiki/Altersf%C3%BCrsorge (12. 8. 2015).
- 48Kriterium ist der reguläre Eintritt in den Ruhestand, der in einzelnen Ländern unterschiedlich ist.
- 49WHO, »Definition of an older or elderly person. Proposed Working Definition of an Older Person in Africa for the MDS Project«, http://www.who.int/healthinfo/survey/ageingdefnolder/en/ (12. 8. 2015).
- 50Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie zweiter Teil, 2. Akt, 1. Szene, in ders., Werke (Fn. 6), S. 208, V. 6774–6789.
- 51Hierfür nur zwei Beispiele: Werner Hansen (Hg.), Medizin des Alterns und des alten Menschen (Querschnitt konkret), Stuttgart 2007; Siegfried Steidl und Bernhard Nigg, Gerontologie, Geriatrie und Gerontopsychiatrie. Ein Lehrbuch für Pflege- und Gesundheitsberufe, 4. Aufl., Wien 2014. Eine Analyse dieses Befundes mit einem Schwerpunkt auf Ratgeberliteratur: Welf-Gerrit Otto, Zwischen Leisten und Loslassen. Bilder von Multimorbidität, Vulnerabilität und Endlichkeit in Altersratgeberliteraturen der Gegenwart, Diss. Marburg 2013, http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2013/0241/pdf/dwgo.pdf (24. 8. 2015).
- 52Thomas Rentsch, Harm-Peer Zimmermann und Andreas Kruse, Altern in unserer Zeit. Späte Lebensphasen zwischen Vitalität und Endlichkeit, Frankfurt a. M. 2013.
- 53Kirsten Wiese, Von der Greisenrepublik bis Generation50plus. Die sprachliche Darstellung von Altersbildern in ausgewählten Zeitschriften, Berlin 2010; Julian Wangler, Hoffnungsträger und Schreckgespenster. Eine empirische Untersuchung zur Rezeption und Wirkung medialer Altersrepräsentationen (Gesellschaft – Altern – Medien, Bd. 6), München 2013.
- 54Vgl. Tina Denninger u. a., Leben im Ruhestand. Zur Neuverhandlung des Alters in der Aktivgesellschaft (Gesellschaft der Unterschiede, Bd. 12), Bielefeld 2014; Dirk Hofäcker, »The emerging trend of work beyond retirement age in Germany. Increasing social inequality?«, in Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 48/5 (2015), S. 473–479.
- 55Kritische Analyse mit interdisziplinärer Perspektive: Kristina Mann, Bilder des Alter(n)s. Der metaphorische Charakter des ›Seniorentellers‹ im Schnittbereich von Gerontologie und Soziolinguistik. Eine qualitative Analyse, Berlin/Münster 2015.
- 56Der Begriff ›Medikalisierung‹ bedeutet, dass die Medizin sich Aufgabenfelder erobert, die vorher anderweitig oder gar nicht versorgt wurden, und geht letztlich zurück auf ein Buch, das zum Klassiker in Medizingeschichte und Medizinsoziologie geworden ist: Ivan Illich, Die Nemesis der Medizin. Die Kritik der Medikalisierung des Lebens (Beck’sche Reihe, Bd. 1104), 5. Aufl., München 2007.
- 57Julia Maria Derra, Das Streben nach Jugendlichkeit in einer alternden Gesellschaft, Baden-Baden 2012; Christian Trapp (Hg.), Ewige Jugend? Aspekte eines alten Menschheitstraums, Münster 2012.
- 58Udo Ebert, Ortrun Riha und Lutz Zerling (Hg.), Der Mensch der Zukunft – Hintergründe, Ziele und Probleme des Human Enhancements (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-hist. Kl., Bd. 82/3), Leipzig 2013.
- 59Catherine Brady, Elizabeth Blackburn and the story of telomeres. Deciphering the ends of DNA, Cambridge, Mass. 2007.