Editorial
Der Sprache kommt in unserer Gesellschaft seit jeher eine große Bedeutung zu: Vor fast genau 20 Jahren wurde die bis heute umstrittene deutsche Rechtschreibreform beschlossen; dieser Tage gedenken wir des 105. Todestags von Konrad Duden (1829–1911) und des 210. Todestags von Johann Christoph Adelung (1732–1806); nächstes Jahr feiert die Fruchtbringende Gesellschaft, die älteste deutsche Sprachpflegegesellschaft, ihren 400. Gründungstag.
Egal aus welcher Perspektive wir gegenwärtig auf das Thema Sprache schauen: Es ist allseits präsent – im Kontext der aktuellen Flüchtlingsproblematik, in der Diskussion um die Globalisierung und den weltweiten Wettbewerb, in Analysen zur Veränderung unseres Kommunikationsalltags im Zeitalter der Digitalisierung. All diese Entwicklungen werfen Fragen auf, Fragen die oft erst beantwortet werden können, wenn man einen Schritt zurücktritt, größere Entwicklungszeiträume in den Blick nimmt und die Kontexte berücksichtigt.
Genau auf diesem Feld liegt die Expertise der deutschen Wissenschaftsakademien. In der Auseinandersetzung mit Sprache blicken sie auf eine lange Tradition und eine große Zahl namhafter Gelehrter zurück. So wundert es nicht, dass Tonio Sebastian Richter in seinem historischen Überblick zur vergleichenden Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts gleich an zwei berühmte Sprachforscher erinnert: Zum einen an Wilhelm von Humboldt (1767–1835) und dessen Reden zur Sprache an der Berliner Akademie der Wissenschaften in den 1820er Jahren, zum anderen an den berühmten Orientalisten Heinrich Ewald (1803–1875) und dessen dem wissenschaftlichen Konsens seiner Zeit widersprechenden Abhandlungen an der Göttinger Akademie der Wissenschaften.
Auch die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig verfügt über jahrzehntelange Erfahrung in der Erforschung von Sprache und ein enormes Spezialwissen: Eines der ältesten Leipziger Akademievorhaben überhaupt ist zum Beispiel das Althochdeutsche Wörterbuch, das mittlerweile seit mehr als 70 Jahren den ältesten deutschen Sprachschatz erschließt. Ein Wörterbuch mit einem ganz anderen Zugang, nämlich über Wortfelder, ist die Deutsche Wortfeldetymologie im europäischem Kontext. Wie diese Arbeit aussieht, zeigen Bettina Bock und Sabine Ziegler anhand zahlreicher Beispiele. Gleich zwei Beiträge stellen zudem die Arbeit des Forschungs- und Editionsprojekts Die deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts: Fruchtbringende Gesellschaft vor: Andreas Herz rückt die historische Aufarbeitung in den Fokus, nicht ohne aktuelle Entwicklungen mitzudenken, und die Autorengruppe um Gabriele Ball zeigt anhand des Projektes AEDit die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Retrodigitalisierung auf.
Allein diese wenigen Beispiele aus unserer Akademiearbeit zeigen, wie vielfältig die Zugänge zum Thema Sprache sein können. Ein noch weiteres Spektrum eröffnet sich, wenn man die vielen Projekte der anderen Länderakademien ebenfalls berücksichtigt. Gelegenheit dazu bot der diesjährige Akademientag, die Gemeinschaftsveranstaltung der acht in der Akademienunion zusammengeschlossenen Akademien. Er fand am 18. Mai 2016 an der Universität Hamburg statt und nahm das Thema Sprache in all seinen Facetten in den Blick. Als eine der federführenden Akademien dieser Veranstaltung haben wir zwei der zahlreichen Aspekte für unser Sprachheft der Denkströme herausgegriffen: Zum Thema Wozu ›gutes Deutsch‹? melden sich Heinrich Detering und Hans Ulrich Schmid zu Wort, Pirmin Stekeler-Weithofer und Christiane von Stutterheim nähern sich hingegen aus sehr verschiedenen Perspektiven der Frage Denken wir in Sprache(n)?
Über den Schwerpunkt Sprache hinaus präsentiert dieses Heft noch zwei besondere Beiträge. Der Artikel des Wissenschaftshistorikers Andreas Kleinert über die Theorie der Schwerkraft im 18. Jahrhundert geht auf einen Vortrag im Rahmen eines Akademie-Kolloquiums der Kommission Wissenschaftsgeschichte zurück. Diese Kommission koordiniert und fördert Forschungen zur Geschichte der Naturwissenschaften, der Mathematik, der Technik und der Medizin. Frank Schale und Sebastian Liebold stellen dagegen ihr Projekt zur Intellectual History vor, das aktuell im Programm »Geisteswissenschaftliche Forschung« des Sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (SMWK) gefördert und von unserer Akademie unterstützt und begleitet wird.