Sprachausbau und -regulierung
Zur Spracharbeit der Fruchtbringenden Gesellschaft am Beispiel der Orthografie
Als die Deutsche Welle – der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik und Mitglied der ARD – im Herbst 2015 auf ihrer Deutsch-Lern-Seite auf Facebook Sprachschüler – darunter auch Migranten und Flüchtlinge – nach ihren deutschen Lieblingsworten befragte, traten bei den über 2.000 Rückmeldungen erstaunliche Ergebnisse zutage. Gleich welcher Herkunft der Sprachschüler standen Liebe, Mutter, Frieden und Ordnung ganz oben. Bei diesen dürfte wohl weniger die Bezeichnung, als das Bezeichnete selbst den Ausschlag gegeben haben. Andere Wortwahlen aber folgten dem Klang: Streichholzschächtelchen, Pfifferling, Kugelschreiber, Kirschkernkissen und anderes mehr. Die Wörter rufen Deutschland als ein Sehnsuchtsland auf, zwischen Heimweh und Fernweh, normalerweise und Feierabend, Kerzenschimmer und Sehnenscheidenentzündung, zwischen Geborgenheit und zack, zack, zwischen wunderbar und tränenüberströmt.1 Wenn man dieses irgendwie märchenhafte, mal komische, mal melancholische Glossar liest, wird einem tatsächlich ganz wunderlich zumute, dann erkennt man Deutschland in seiner derzeitigen Polarisierung und einer um sich greifenden Sprache der Menschenfeindlichkeit gar nicht wieder.2
Deutschland als ein Sehnsuchtsland, Sprache als dessen Audruck und, mehr noch, als dessen Agent, das begegnet uns inmitten des 30-jährigen Krieges auch in der 1617 gegründeten Fruchtbringenden Gesellschaft (1617–1680, 890 Mitglieder). Deren Mitglied Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) etwa wünschte sich 1646 die aurea pacis tempora zurück, die goldenen Zeiten des Friedens, da das Eisen verbannt ist und Sprache, Wissenschaften und Künste neben den Kommerzien und einer Politik der Gerechtigkeit blühen.3 Frieden, Ordnung und Mutter-Sprache standen auf der fruchtbringerischen Agenda ganz oben. Die deutsche Sprache war für die Fruchtbringer nicht nur Asyl und Refugium einer Kultur des friedlichen Ausgleichs und Austauschs, Sprache wurde zum Motor, zum Akteur des Friedens: »Die Teutsche Spracharbeit ist unter die Friedenskünste zu rechnen«, heißt es 1644 bei Harsdörffer.4 Zunächst wollte die Fruchtbringende Gesellschaft im Kleinen eine Art Nukleus und Modell der Gesellschaft im Großen sein, nämlich im Anspruch auf eine conversazione civile als gewaltfreie konfliktvermeidende Verständigung. Zum anderen war die Spracharbeit der Fruchtbringenden Gesellschaft (Sprachausgleich und -ausbau) der Versuch, Sprache als Band der Gesellschaft in ihrer Stiftung von Identität und Zusammenhang zu stärken. Dies erschien den Fruchtbringern umso zwingender, als der Zusammenbruch der politischen Architektur des Heiligen Römischen Reiches und seiner moralischen Ordnung im 30-jährigen Krieg mit einer bis dahin ungekannten Gewalteskalation verbunden war. 1641 – die Fruchtbringende Gesellschaft kann auf fast 25 Jahre ihres Wirkens zurückblicken – stellt Harsdörffer ihrer Spracharbeit das Zeugnis aus: dass sie »bey anhero erfolgten Kriegsjahren/ unter dem Blutgierigen Schall der Trommel/ unter den Mordtönenden Trompeten/ unter den Donnersausenden Kartaunen«, im »anglimmendem/ und nach und nach aufflammendem und auspratzletem Kriege« die »uhralte teutsche Sprache ausgeübet/ derselben zierliche Volkommenheit […] erhaben« (d. h. erhoben) habe, und zwar so erfolgreich, dass die deutsche Sprache »also lieblich und löblich/ sonderlich durch die Poeterey ausgearbeitet worden/ daß sie nunmehr andern Zungen/ an Zier/ Nachdruck und Füglichkeit nichts bevorgibt/ sondern selbe vieleicht weit übertriffet.«5
Aussagen dieser Art sind Legion und könnten beliebig vermehrt werden. Der große Inaugurator der Friedens- und Einheitsidee via Sprache aber ist Wolfgang Ratke (1571–1635) gewesen,6 der in einem Memorial an den Reichstag zu Frankfurt a. M. 1612 ein entsprechendes volkssprachiges Bildungs- und Friedenskonzept propagierte und sofort hellhörig gewordene Anhängerschaften auf sich zog. In der Frühzeit der Fruchtbringenden Gesellschaft, parallel zu ihr und von Ratke und führenden Fruchtbringern getragen, lief denn auch ein ausgreifendes sprach- und bildungsreformerisches Schulprojekt in Köthen und Weimar.
Wenden wir uns dem Sprachausbau der Fruchtbringenden Gesellschaft selbst zu,7 der alle Ebenen des Sprachsystems betraf: die Grammatik, die Lexikografie, die Orthografie, auch die Stilistik der Prosa und die Poetik, alles mit rhetorischen und sprachphilosophischen Basierungen und Implikationen, die ich hier aber schuldig bleiben muss.
Auf einem bestimmten soziokulturellen Niveau der Fernkommunikation ist eine hochsprachliche Normierung und Standardisierung der Volkssprache unerlässlich, auch auf einem bestimmten Niveau des Herrschaftsausbaus übrigens, und diese machtpolitischen Aspekte zeigt vor allem die Sprachpolitik der französischen Krone seit König Franz I. (1494–1547).8 Dem fruchtbringerischen Großprojekt zur Regulierung und Standardisierung der Volkssprache ermangelte eine solche monarchisch-zentralstaatliche Spitze; dementsprechend ist der Sprachausbau im Deutschland des 17. Jahrhunderts weniger machtgesteuert und wohl eher zivilgesellschaftlich und friedenspolitisch angetrieben. Auf jeden Fall bettet sich die Spracharbeit der Fruchtbringenden Gesellschaft in die europaweiten Bestrebungen zur Aufwertung der jeweiligen Volks- und Landessprachen ein, die im Spät- oder Vulgärhumanismus, ausgehend von Italien und Spanien, um sich griffen. Zunächst galt es, dem Vorwurf eines völligen Mangels des Deutschen an Grammatik- und Hochsprachfähigkeit entgegenzutreten und zugleich die unangefochtene Dominanz des Latein, das sich als Sprachbarriere vor eine breitere Aneignung höherer Bildung legte, aufzuheben oder zumindest zu relativieren. Der zweite Gegner waren die Dialekte und Mundarten, sofern sie einer allgemeinverbindlichen Normierung und Kodifizierung der Schriftsprache entgegenstanden. Dieser Punkt führte in der Rechtschreibdebatte der Fruchtbringenden Gesellschaft,9 die mit Nachdruck in den 40er Jahren des 17. Jahrhunderts geführt wurde, zu einem ersten Problem: der unterschiedlichen Gewichtung nämlich der normierenden Kraft der Aussprache.
1. Normierungskriterium: Aussprache
Die Schriftsprache wies im frühneuzeitlichen Deutschland keinen verbindlichen Schreibstandard, nicht einmal ein schriftsprachlich dominierendes Zentrum auf, trotz gewisser Vereinheitlichungs-Vorläufer wie der Sprache Luthers, den Drucker- und Kanzlei- oder auch den landschaftlichen Gemeinsprachen wie dem Ostmitteldeutschen oder dem oberdeutsch geprägten sogenannten ›Gemeinen Teutsch‹. Hier waren seit dem Spätmittelalter jeweils eigene Schreibkonventionen – Schreiblandschaften und Schriftdialekte – ausgebildet worden.10 Noch viel weniger als eine schriftsprachliche Norm gab es eine sprechsprachliche. Eine deutsche Hochlautung und Phonetik (Orthofonie) gibt es erst seit dem fortgeschrittenen 19. Jahrhundert. Grundsätzlich und vor allem in Alphabetschriften stehen mündliche und schriftliche Sprache nicht in einem spiegelgleichen Abbildungsverhältnis; sie bilden stattdessen ihre jeweiligen Konventionen in teilautonomen Systemen heraus. Mit der ›Aussprache‹, d. h. mit dem phonographischen Grundsatz ›Schreibe, wie du sprichst‹, zu einer normierten Schriftsprache gelangen zu wollen, hieß demnach die Quadratur des Zirkels zu suchen. Einerseits konnte man sich schon auf die antike Sprachtheorie berufen, etwa bei Quintilian (~35–~96), der die Ordnungen der Sprech- und der Schriftsprache aufeinander bezogen wissen wollte: »nam et scribendi ratio coniuncta cum loquendo est«.11 Laut- und Schriftsprache sollten übereinstimmen. Vor allem Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen (1579–1650) hat diesem Grundsatz hohe Priorität eingeräumt, sah er darin doch ein Instrument zur kontrollierten und möglichst einfachen Konstantschreibung der Wörter. Wenn die Schreibung »nach dem reden« sich richten muss, »so mus es auch nach der besten und anmutigsten aussprache geschehen, und was anders geschrieben wird, unrecht, oder ein überflus, und also unnütze sein«.12 Dies schrieb der Fürst im Februar 1644. Was aber war die »beste und anmutigste Aussprache« in einer dialektal so zerklüfteten deutschen Sprachlandschaft, wenn doch, wie Harsdörffer konterte,
der Oesterreicher anderst redet/ und auch anderst schreibet/ als der Nider-Sachs; der Schwab redet und schreibet anderst/ als der Schlesier; der Mechelburger redet und schreibet anderst/ als der Bayr/ etc. Weil nun nicht zu erwarten/ daß sich diese Mund-Arten in gleichstimmige Aussprache vereinigen solten: als ist auch ihre Schreibrichtigkeit auf keine Weise endlich zu vergleichen/ und singet ein jeder Vogel/ wie ihm der Schnabel gewachsen ist.13
Es lassen sich einige Beispiele aufzeigen, wo der phonographische Grundsatz zu orthografischen Vorschlägen geführt hat, die die Rechtschreibung unnötig kompliziert hätten und sich jedenfalls nicht durchgesetzt haben. Eine Konsonantenverdoppelung wollte Fürst Ludwig etwa nur dann zulassen, wenn ein nachfolgender Vokal den 2. Konsonanten auszusprechen erlaubte. ›Des Wolf-fes‹ mit Doppel-f war daher für ihn akzeptabel, aber nicht etwa ›Wolffszahn‹; ›her-risch‹ war für ihn korrekt, aber ›her-rlich‹ nicht und ähnlich auch ›götlich‹ mit nur einem t. Eine solche Lösung widersprach sowohl dem Schreibusus als auch der morphologischen Konstanz eines Wortes und wurde deshalb von den strengeren Grammatikern in der Fruchtbringenden Gesellschaft angefochten. Hier galt es, das morphemidentifizierende Prinzip des Beibehalts der verdoppelten Konsonanten zu wahren, was ja bis heute der Fall ist.14 Eine phonetische Konsonantengemination (als gesprochene Quantität also) gibt es im Deutschen schon seit dem späten Mittelalter nicht mehr und die Konsonantenverdoppelung wurde somit anders nutzbar: als rein grafische Markierung des Silbenschnitts und der kurzen oder ›scharfen‹ Qualität des vorangehenden Vokals.15
Trotz einer Reihe von Fragwürdigkeiten hat sich der phonographische Grundsatz in vielen Fällen bewährt, z. B. in der Reduzierung von ›müßigen Buchstaben‹, etwa Konsonantenhäufungen, die sich in den Druckersprachen im 16. Jahrhundert massiv verbreitet hatten, v. a. zur Markierung der Silben- und Wortränder. Beim Endrand etwa wurde oft ein Plosiv hinzugesetzt: heimb, umb, gehorsamb, nimpt, frembd oder ein zusätzlicher Konsonant: Volgk, Burgk, genandt, viell, hartt, auch ersetzte w das u: trew, Fraw, Gebaw usw. Beim Anfangsrand wurde J oder Y statt I und V statt U gesetzt: Vnndt, vnterthänig; jtem, jnn, Yr usw. Diese schriftsprachliche Praxis wurde nun als Wildwuchs kritisiert und durch das phonographische Argument wieder zurückgeschnitten: Stabilere Phonem-Graphem-Korrelationen waren die erwünschte Folge.
2. Normierungskriterium: Grammatik/Morphologie
Mochte man in der Gewichtung des morphologischen Normierungsparameters auch voneinander abweichen, grundsätzlich waren sich die Fruchtbringer darin einig, dass dieses Kriterium unverzichtbar war, sollten ein hochsprachlicher Schriftstandard und ein gleichbleibendes Schriftbild gewährleistet werden. Dieser Grundsatz empfahl z. B., bei der Schreibung von den Wortstämmen (Stamm-Morphemen) auszugehen,16 also bei den Derivata die Schreibung der Primitiva oder bei Nomen den Casus rectus bzw. die Casus obliqui zu berücksichtigen. Wenn es im Genitiv Singular des Osterlammes heißt, dann ist dies ein Normierungshinweis, dass im Nominativ Singular keineswegs Osterlamb, sondern Osterlam zu schreiben ist, so wollte es Fürst Ludwig.17 Ähnlich Christian Gueintz (1592–1650): »Jn Schreibung der endbuchstaben des wortes/ ist achtung auf den ursprung und die übereintzige zahl [Plural] zu geben/ als/ Schwert mit dem t [und nicht etwa Schwerd]/ den man saget Schwerter […].«18 Ähnlich Justus Georg Schottelius (1612–1676) in seiner Sprachkunst von 1641: im Falle von »fleissig und nicht fleissich/ dann man sagt des fleissigen/ und nicht des fleissichen: also Fürstlich und nicht Fürstlig/ deñ man sagt/ des Fürstlichen und nicht des Fürstligen« usw.19
Schottelius hat die morphologische Unveränderlichkeit der Wortstämme besonders nachdrücklich vertreten.20 In Fällen einer morphologisch-etymologisch notwendigen Konsonantengemination hatte er die Regel aufgestellt: Wenn in den Casus des Nomens und in den Zeiten des Verbs konsonantische Digraphien vorkommen, wie wenn »man saget der Stimme/ alle Leute/ voller Mühe/ des Mannes/ des Schalles/ etc.« oder »stoßen«, dann muss dieser Doppelkonsonant auch im Nominativ und im Imperativ beibehalten werden: »all/ voll/ Mann/ Schall« wie auch »stoß«, denn es heißt stoßen und nicht »stosen«.21 Hier hat die angewiesene Schreibung eine ›morphemidentifizierende‹ Funktion, d. h. sie hilft erkennen, welches Wort gemeint ist.22 Und dies ist gerade dort umso dringlicher, wo die Aussprache keine Hilfestellung bietet. Dies war z. B. in Fällen der aus dem Mittelhochdeutschen überkommenen sogenannten Auslautverhärtung gegeben: Dieser Lautentwicklung nach hatten bestimmte Konsonanten im Auslaut ihre Stimmhaftigkeit verloren: Wir schreiben ›rieb‹, sprechen aber ›riep‹; wir schreiben ›Geld‹, sprechen aber ›Gelt‹, schreiben ›Burg‹, sprechen ›Burk‹. Hier kann die Beachtung anderer Wortformen – etwa des Plurals Gelder, Burgen oder des Infinitivs reiben – Sicherheit über die richtige Schreibweise verschaffen. Die morphematische Richtlinie gewährt eine Morphem-Graphem-Kongruenz und auch die Konstanz des Wortstamms in allen Ableitungen und Endungen.
Das Prinzip der Morphem- oder Schemakonstanz gebietet bis heute, die ›grafische Varianz‹ innerhalb eines Wortparadigmas möglichst gering zu halten, »daß also alle Elemente des Paradigmas möglichst dasselbe graphische Schema aufweisen«.23 So wurde die mittelhochdeutsche Schreibung ›hant‹ > ›hende‹ zu neuhochdeutsch ›Hand‹ > ›Hände‹ (und durch das ganze Paradigma: Handschuhe, Handgriff, aushändigen, handlich usw.) vereinheitlicht und die Wortverwandtschaft angezeigt.24 Die morphologischen Richtlinien halfen somit den Orthografen, unter den variablen Sprechweisen die grammatischen Invarianten aufzusuchen und zu einer durchgängigen Schreibkonstanz zu gelangen.
Wir können durch alle flektierenden Wortklassen, durch die Kasus, Genera und Numeri, Personen, Tempora, Modi usw. gehen und finden bei Fürst Ludwig und den anderen Fruchtbringern wie Herzog August von Braunschweig-Wolfenbüttel (1579–1666) in seinem großangelegten sprachreformerischen Projekt einer Bearbeitung der Bibeltexte in seiner Evangelischen Kirchenharmonie (1646 und öfter) auffällig konsequent die Beachtung der Flexionsregularitäten. Das schloss die Vermeidung von Enklisen wie wiltu, soltu, von Elisionen und Kontraktionen, Syn- und Apokopen ein.
Eine solche grammatikfundierte und grammatikkontrollierte Rechtschreibung, die sowohl Vereinheitlichung als auch regelgeleitete Differenzierung der Formen sicherstellen sollte,25 hat Utz Maas einmal als eine geradezu »kulturrevolutionäre« Leistung bezeichnet.26 Konflikte zwischen der phonographischen und der morphematischen Richtlinie traten z. B. bei der Silbentrennung hervor: Sollte die Trennung grammaticé oder nach Sprechsilben erfolgen? Das blieb unter den Fruchtbringern eine offene Streitfrage.
Dass es auch zu grammatischen Hyperkorrekturen kam, zeigt unter anderem folgendes Beispiel: Nachdem im 15. und 16. Jahrhundert endungslose Adjektivformen häufig waren, forderten Schottelius und noch ausgeprägter Johann Rist (1607–1667) die durchgängige starke Beugung der Adjektive (Polyflexion) in der Substantivgruppe nach Artikeln, Pronomen usw.: ›der großer Gott‹, ›dieses kleines Gefäß‹ usw. Gueintz und Fürst Ludwig haben unter Verweis auf den Sprachgebrauch ebenso energisch widersprochen.27 Dabei ist es geblieben: Im Neuhochdeutschen setzte sich die kontextabhängige Doppeldeklination der Adjektive durch: die starke oder ›pronominale‹ Adjektivflexion bei fehlenden oder unbestimmten Artikeln (›ein starker Mann‹, ›eine starke Frau‹, ›ein starkes Kind‹, ›großer Gott‹), die schwache oder ›attribuierende‹ Deklination nach bestimmten Artikeln und Pronomen (dieser starke Mann, jene starke Frau, das starke Kind).
Im Bereich der Syntax war ein wichtiges Thema die Zeichensetzung, die nun mit einem hohen Ausdifferenzierungsgrad bahnbrechend ausgebaut wurde. Im 16. Jahrhundert hatte sich die Virgel, neudeutsch slash, als Satzzeichen durchgesetzt.28 Jetzt wurde ein weitaus differenzierteres und vor allem definiertes Interpunktionsarsenal mit Komma, Semikolon, Doppelpunkt, Ausrufe- und Fragezeichen, Klammern u. a. eingeführt, das die syntaktische und aussagelogische Struktur der Sätze und Texte unterstützte und somit das Verständnis erleichterte. Auch die Großschreibung der Wörter am Satzanfang war seit längerem üblich und Konsens und ein wichtiges syntaktisches Signal, wie auch die Klammerbildung des Verbalkomplexes mit Endstellung des finiten Verbs. ›Vater unser‹ oder ein Satz wie Luthers ›Und er wird finden das Kind‹ wurde von den Fruchtbringern als eigentlich fehlerhaft, als wörtliche und unangemessene Übernahme aus dem Latein moniert.
3. Normierungskriterium: Etymologie/Wortherkunft
Der grammatische Begriff der ›Wortforschung‹ war die deutsche Übersetzung für die griechisch-lateinische Etymologia. Sie schloss die Ableitung der Derivate aus ihrem Wortstamm und überhaupt die Wortbildung ein. Die Etymologie in unserem heutigen, engeren Verständnis als Wort-Herkunftslehre und -geschichte ist erst von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) und dessen Schüler Johann Georg Eccard (1664–1730) entwickelt worden, als Normierungsargument begegnet sie uns aber bereits in der fruchtbringerischen Sprachdebatte. Vor allem Philipp von Zesen (1619–1689) erwies sich als ein Meister oder richtiger: Exzentriker der etymologischen Spekulation, die eine ernstzunehmende sprachenvergleichende Methode vielleicht immerhin geahnt haben dürfte.
Ein für die Rechtschreibung relevantes Beispiel etymologischer Ableitung bietet uns Fürst Ludwig: Es müsse ›Pabst‹ mit P-Anlaut und nicht ›Babst‹ geschrieben werden, da das Wort vom lat. Papa abstamme.29 Für uns heute bizarr anmutende Etymologien wurden auch für das Wort Deutsch oder Teutsch ins Feld geführt, die die Schreibung Deutsch bzw. Teutsch begründen sollten.30
4. Normierungskriterium: Schreibusus
Wie könnte die Schreibgewohnheit normierungsfähig sein, wenn es eine allgemein übliche Schreibgewohnheit gar nicht gab? Immerhin gab es Autoritäten, deren Schreibweise als mustergültig Anerkennung fand. Vor allem die Kanzleien, vorab die kaiserliche und kursächsische, wurden als schriftsprachliche Vorbilder ins Feld geführt, bis sie gegen Ende des 17. Jahrhunderts diese Funktion aus grammatischen und stilistischen Gründen verloren: Zesen etwa oder Caspar von Stieler (1632–1707) kritisierten die Kanzleischreiber als sprachwissenschaftlich inkompetent; der kuriale und umständliche Rechts- und Verwaltungsstil mit seinen »langen Gezerren« (so Zesen) stieß am Kanzleistil gehörig ab.31
Ungeachtet dieser Umstände griff auch der Parameter des Schreibusus in der fruchtbringerischen Rechtschreibdebatte als Regulierungsinstanz: Harsdörffer und Zesen, auch Schottelius wollten bestimmte Buchstaben und Buchstabenkombinationen als der deutschen Sprache angeblich wesensfremd abschaffen: das c, ch, ck, ph, th und q standen hier ganz oben auf der Streichliste, weil sie ohne Grund aus dem Griechischen und Lateinischen übernommen worden seien. Das ch beispielsweise wollte Zesen durch gh ersetzen: Toghter statt Tochter, möghte statt möchte usw. Harsdörffer zog das kk dem ck vor und liebäugelte eine Zeit lang nach dem Vorbild des Italienischen mit der Ersetzung des ph (auch in Fremdwörtern) durch das f.32 Augustus Buchner (1591–1661), Gueintz, Fürst Ludwig und andere sprachen sich gegen solche massiv eingreifenden Neuerungen aus und verteidigten hier den hergebrachten Schreibusus, wenn Buchner etwa dagegen hielt, dass das ck
auch in den ältesten schrifften zu finden/ und dannenhero nicht also frembde/ als man gemeinet/ dan auch die aussprache desto genehmer zu machen/ und sie von der alten und rauen art abzuleiten sehr dienlich/ und solcher ursachen halben von unsern Vorfahren in mehrern schwang gebracht.
Was aber allgemeine Praxis ist, könne und solle durch einen Vernunftakt Einzelner oder Weniger nicht außer Kraft gesetzt werden.33 Wir stoßen hier auf eine interessante Konfliktlinie in der fruchtbringerischen Sprachdiskussion: auf der einen Seite eine teilweise fast naive Regulierungsgläubigkeit, die eine ›grundrichtige‹ Idealsprache konstruieren will, auf der anderen Seite ein klares Bewusstsein, dass wir »in eine sprachliche Matrix hineingeboren [werden], die geschichtlich ererbt ist und an der alle teilhaben. Die Wörter, die Sätze, die wir benutzen […] gehören einer gemeinsamen Währung an«, die nicht willkürlich geändert werden kann.34 Diese aus der Antike ererbte und von den humanistischen Philologen der Renaissance heftig diskutierte sprachtheoretische Opposition durchzog die gesamte fruchtbringerische Sprachdebatte.35
5. Normierungskriterium: Lexematik und Semantik
Wir hatten bereits verfolgt, inwiefern der Wortstamm eines Wortes, seine sogenannten ›Stammlettern‹, durch alle Ableitungen, Zusammensetzungen und Wortformen – abgesehen von Ausnahmen wie den unregelmäßigen Verben und ihren Ablauten – beibehalten werden sollten, um die lexikalische Wortfamilie erkennbar bleiben zu lassen. Das Stammwort war der Dreh- und Angelpunkt in der Wörterbucharbeit der Fruchtbringenden Gesellschaft und nach dem Prinzip Stammwort, unter dem alle Ableitungen und Komposita aufgeführt wurden, baute Stieler sein deutsches Wörterbuch von 1691 auf.36 Ein genuin semantisches Rechtschreibkriterium begegnet uns in der Behandlung der Homophone, also gleichlautender, semantisch aber differierender Wörter, wie z. B. das Modaladverb ganz und der Tiername Gans, das Adverb mehr und das Substantiv Meer, der sächliche Artikel das und die Konjunktion daß. Hier waren sich die Fruchtbringer einig, dass die semantische Differenz durch orthografische Differenzierung markiert werden sollte. Wo das nicht möglich war, musste der Sinn des Wortes aus dem Kontext erschlossen werden, wie auch heute noch in vielen Fällen, wie etwa bei der Bank.
Die Großschreibung der Substantive war erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts gängig geworden. Zuvor, und auch in der fruchtbringerischen Sprachdebatte, war die Großschreibung semantisch definiert und eingeschränkt: Nicht alle Substantive, sondern nur Titel, Eigennamen, Substantive des Sakralen, der Ehrerbietung, und andere Nomen »so was sonderliches bedeuten«37 sollten mit Initialmajuskeln geschrieben werden.
Fazit
Dem Frühneuhochdeutschen fehlte bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts »eine als herausgehoben anerkannte Varietät«, stattdessen findet sich »ein Gesamt von nahezu gleichberechtigt nebeneinander stehenden Dialekten, landschaftlichen Schreibsprachen, seit 1450/60 auch Druckersprachen, von Soziolekten, Fachsprachen, Registern aller Art.« Im 16. Jahrhundert »erfährt das horizontale Nebeneinander all dieser Varietäten eine Vertikalisierung«, so Oskar Reichmann, und spätestens in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts eine neue »Leitvarietät«, eine überlandschaftliche neuhochdeutsche Schriftsprache, die in das gegenwärtige Standarddeutsch mündete.38
In diesem Prozess kommt dem Sprachwirken der Fruchtbringenden Gesellschaft eine wichtige Rolle zu: Die Fortschritte, die der Sprachausbau des Deutschen in ihrem Umkreis machte, wurden schon von Zeitgenossen gerühmt. Die Arbeiten an Grammatiko-, Lexiko- und Orthografie waren eng verklammert und bedurften übergreifender Lösungen. In diesem Regulierungsprozess wurden, so Utz Maas, die bis heute wirkenden »Grundprinzipien der deutschen Orthographie« herausgearbeitet.39 Damit erbrachte die Gesellschaft einen signifikanten Beitrag zu der »außerordentlichen sprachkulturellen Leistung« einer differenzierten Schriftnorm, die sich nach Horst Haider Munske zwischen dem ausgehenden Mittelalter und dem späten 18. Jahrhundert in einem »ungesteuerten Zusammenwirken von Lexikographen, Grammatikern und Druckern sowie einer wachsenden Zahl von Textverfassern und Lesern« herausbilden sollte.40
Ziel der Fruchtbringenden Spracharbeit war, die deutsche ›Volks- und Landessprache‹ auf den verschiedensten Ebenen verwaltungs-, gesellschafts- und wissenschaftsfähig zu machen.
Wir sollten heute keine Scheu tragen, Deutsch als Wissenschaftssprache zu bewahren. Der eigentümliche ›Geist‹ einer Sprache, le génie de la langue, auch ihre semantische Idiomatik, ist keine Erfindung der französischen Aufklärung etwa eines Étienne Bonnot de Condillac (1714–1780), keine Erfindung Johann Gottfried Herders (1744–1803), Wilhelm von Humboldts (1767–1835) oder Benjamin Whorfs (1897–1941). Schon Schottelius rief diesen Begriff 1643 auf 41 – ebenso französische Humanisten des 16. Jahrhunderts wie Estienne Pasquier (1529–1615)42 – und wir brauchen uns nur Übersetzungen der neueren französischen Philosophie anzusehen, um anhand der vielen in Klammern hinzugesetzten Originalausdrücke einen Eindruck zu gewinnen, wie schwer es ist, den ›Geist‹ einer Sprache in der Übersetzung einzufangen. Jacques Derrida (1930–2004) nahm diese »Entfernung, ja sogar die unendliche Distanz der Annäherung«43 deutlich wahr und verglich diese nie ganz aufzuhebende Distanz mit einem Schiff, das »auf Reede« liegen bleibt, »am Rand einer Landung (rive), wo sie gern anlanden, ankommen (arriver) oder, wie ich zu sagen versucht bin, sich anlanden würden. Auf Reede, denn diese Schwebe macht einen treiben nicht auf offenem Meer, sondern in Sichtweite gewisser Ränder«, die in der Sprache allein Verstehen ermöglichen. Der Wunsch nach Annäherung an die Sprache eines anderen »führt oder ruft sie zumindest jenem Ufer [Gestade] entgegen, wo sich der Sinn schließlich fixieren, verankern, festmachen ließe – mit den dicksten Ankertauen einer Legitimität.«44 Die Annahme einer geradezu beliebigen Übersetzbarkeit eines Denkens und eines Textes in eine andere Sprache ist zumindest in den textbasierten Geistes- und Kulturwissenschaften nicht haltbar. Diese sollten die unvermeidliche Distanz im Hinblick auf Englisch als neue lingua franca der Wissenschaften nicht aus dem Blick verlieren. Nichts fürchtete Derrida bei seiner Positionierung freilich so sehr, als damit die alten Gespenster eines autoritären Nationalismus aufzurufen. Wie kann man, fragte er,
das ›Daheim‹ des Idioms, seinen oikos pflegen, wie die sprachliche Differenz retten, ganz gleich, ob es sich um eine regionale oder nationale handelt, wie zugleich der internationalen Hegemonie einer Verständigungssprache Widerstand leisten […], wie dem instrumentellen Utilitarismus einer rein funktionalen und kommunikativen Sprache sich entgegenstellen – ohne darum dem Nationalismus, der Feier des Nationalstaats oder der nationalstaatlichen Souveränität das Feld zu überlassen, ohne der Reaktivität einer Identitätsbehauptung und der ganzen alten souveränitätsgläubigen […] Ideologie diese alten rostigen Waffen zu liefern.45
Derrida berief sich dabei auch auf Theodor W. Adorno (1903–1969), für den die Reflexion der Sprache »das Urbild einer jeglichen philosophischen« Reflexion war.46 Auf die Frage, was ihn bewogen habe, »als Emigrant, als mit Schimpf und Schande Vertriebener, und nach dem, was von Deutschen an Millionen Unschuldiger verübt worden war«, aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückzukehren, gab er zwei Gründe an: eine subjektive, spontane »Identifikation mit dem Vertrauten«, eine Art Heimweh. Wir denken an Uwe Johnson (1934–1984), der einmal sagte, Heimat sei der Ort, wo man sich mit seinen Erinnerungen auskennt. Zum zweiten führte Adorno »ein Objektives« an:
Das ist die Sprache. Nicht nur, weil man in der neuerworbenen niemals, mit allen Nuancen und mit dem Rhythmus der Gedankenführung, das Gemeinte so genau treffen kann wie in der eigenen. Vielmehr hat die deutsche Sprache offenbar eine besondere Wahlverwandtschaft zur Philosophie, und zwar zu deren spekulativem Moment.47
Was das Letztere betrifft, schränkte Adorno klugerweise ein: »Zumindest der geborene Deutsche wird fühlen, daß er das essentielle Moment der Darstellung, oder des Ausdrucks, in der fremden Sprache nicht voll sich erwerben kann.« Ob dieser Tatbestand »fürs Deutsche spezifisch ist, oder viel allgemeiner das Verhältnis zwischen jeweils eigener und fremder Sprache betrifft, wage ich nicht zu entscheiden.«48 Uns mag diese Entscheidung zugunsten des Letzteren leichter fallen. Sprache, so sah es Adorno, ist eben nicht nur ein »Agglomerat« arbiträrer Zeichen, »sondern die Valeurs eines jeden Worts und einer jeden Wortverbindung empfangen objektiv ihren Ausdruck aus ihrer Geschichte, und in dieser steckt der geschichtliche Prozeß überhaupt.«49
Das ist ein weites Feld: Sprache und Kultur einer Nation. Niemand kann etwas gegen Begriff und Sache der ›Nationalkultur‹ einwenden, wenn zwei Dinge dabei ausgeschlossen werden: Jeder Gedanke an eine Suprematie und jede Unterstellung einer Homogenität. Das muss der zurzeit so energisch angesteuerten Diskurshegemonie von ganz rechts und ihren ›nationalen Werten‹ entgegengesetzt werden. Wir wissen es daher einzuschätzen, wenn die ausländischen Sprachschüler der Deutschen Welle die deutsche Sprache so überraschend wie erfreulich zur »schönsten Sprache der Welt« erklärten. Das Recht, dergleichen zu behaupten, hatten sich auch die Fruchtbringer herausgenommen.
- 1Alles nach Hannes Klug und Michael Angele, »Atemberaubend. Wörterliste. Was kommt heraus, wenn Flüchtlinge und Migranten ihr liebstes deutsches Wort verraten?«, in der Freitag, Nr. 47, 19.11.2015, S. 15.
- 2Ebd.
- 3Gedicht auf die Fruchtbringende Gesellschaft: »Programma ad Heroes Frvctiferi Sodaliti«, in Georg Philipp Harsdörffer, specimen philologiæ germanicæ Continens Disquisitiones XII. De Linguæ nostræ vernaculæ Historia, Methodo, & Dignitate, Nürnberg 1646, Bl. )( 2r–)( 4r, hier 4r.
- 4»Schutzschrift/ für Die Teütsche Spracharbeit/ und Derselben Beflissene«, in Georg Philipp Harsdörffer, Frauenzimmer Gesprächspiele, hg. von Irmgard Böttcher, 1. Teil [2. Aufl. Nürnberg 1644], Tübingen 1968, S. 363.
- 5Harsdörffer in seiner Widmungsvorrede an die Fruchtbringende Gesellschaft in der 1. Aufl. des ersten Teils seiner Frauenzimmer Gesprächspiele von 1641, die er in der 2. Aufl. erneut abdruckte (siehe Fn. 4, S. 12 f.).
- 6Vgl. Michael Freyer, »Barocke Wissenschaft: Pädagogik ›im Licht der Gnaden‹. Der systematische Ort der Theologie in Wolfgang Ratkes ›Didaktik‹ als Dachwissenschaft«, in Paedagogica Historica 24 (1984), S. 83–104; Norbert Richard Wolf, »ein einträchtige Sprach, ein einträchtige Regierung, vnd Endlich Auch ein einträchtige Religion. Pädagogik und Aufklärung am Beginn des Deutschen als National- und Kultursprache«, in Ludwig M. Eichinger und Albrecht Plewnia (Hg.), Das Deutsche und seine Nachbarn. Über Identitäten und Mehrsprachigkeit, Tübingen 2008, S. 31–42.
- 7Er findet sich dokumentiert in: Die deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft. Kritische Ausgabe der Briefe, Beilagen und Akademiearbeiten (Reihe I), Dokumente und Darstellungen (Reihe II). Begr. von Martin Bircher † und Klaus Conermann. Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, in Kooperation mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel hg. von Klaus Conermann. Abt. A: Köthen, Abt. B: Weimar, Abt. C: Halle, Wolfenbüttel bzw. Leipzig 1991–, und zwar in den Bänden der Reihe I, Abt. A: Köthen. Ausgabe künftig zitiert als DA mit gekürzter Angabe des Bandtitels. Forschungsstudien zum Thema Sprachausbau und Sprachdebatte der Fruchtbringenden Gesellschaft aus der Arbeitsstelle dieses Vorhabens sind aufgeführt im online-Portal: http://www.die-fruchtbringende-gesellschaft.de.
- 8Vgl. die Beiträge bei Thomas Nicklas und Matthias Schnettger (Hg.), Politik und Sprache im frühneuzeitlichen Europa, Mainz 2007; exemplarisch darin: Rainer Babel, »Sprache und Politik im Frankreich der frühen Neuzeit. Eine Bestandsaufnahme«, S. 33–50, hier bes. S. 40 f.
- 9Ausführlich dazu Andreas Herz, »Die Rechtschreibdebatte in derFruchtbringenden Gesellschaft. Probleme und Parameter der Normierung«, in Werner Kügel (Hg.), »Erfreuliche Nützlichkeit – Keim göttlicher Ehre«. Beiträge zum Harsdörffer-Birken-Colloquium des Pegnesischen Blumenordens im Oktober 2014, Passau 2015, S. 67–137.
- 10Vgl. Werner Besch, Art. »Frühneuhochdeutsch«, in Hans Peter Althaus, Helmut Henne und Herbert Ernst Wiegand (Hg.), Lexikon der Germanistischen Linguistik (LGL), 2., vollst. neu bearb. und erw. Aufl., Tübingen 1980, S. 588–597, S. 589 f.; Dirk Josten, Sprachvorbild und Sprachnorm im Urteil des 16. und 17. Jahrhunderts. Sprachlandschaftliche Prioritäten, Sprachautoritäten, sprachimmanente Argumentation, Frankfurt a. M./Bern 1976, passim (zum »gemeinen Teutsch« S. 91 ff.); Klaus J. Mattheier, »Wege und Umwege zur neuhochdeutschen Schriftsprache«, in Zeitschrift für germanistische Linguistik 9 (1981), S. 274–307; Arno Schirokauer, »Das Werden der Gemeinsprache im Wörterbuch des Dasypodius«, in ders., Studien zur frühneuhochdeutschen Lexikologie und zur Lexikographie des 16. Jahrhunderts, Heidelberg 1987, S. 11–24.
- 11Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher [Institutionis Oratoriae Libri XII], lateinisch und deutsch, hg. und übers. von Helmut Rahn, 5. Aufl., Darmstadt 2011, S. 46.
- 12DA, Reihe I, Abt. A: Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen: Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650. 7. Bd.: 1644–1646, unter Mitarbeit von Gabriele Ball hg. von Klaus Conermann und Andreas Herz, erscheint Sommer 2016, Dokument Nr. 440209.
- 13Georg Philipp Harsdörffer, Der Teutsche SECRETARIUS: Das ist: Allen Cantzley- Studir- und Schreibstuben nützliches und fast nohtwendiges Formular- und Titularbuch, 1. Ausg., Nürnberg 1655, Bl. )( )( vi r. Im selben Jahr erschien die um einen »kunstgründigen Bericht von der Rechtschreibung und Schrifftscheidung« vermehrte zweite Ausgabe in Nürnberg. Die Rechtschreibungs- und Zeichensetzungs-Zugabe dort S. 619–735. Vgl. schon die »Schutzschrift/ für Die Teütsche Spracharbeit« (Fn. 4), S. 372 f.: »Noch zur Zeit ist für kein wesentliches Stuk der Spracharbeit die Rechtschreibung zu halten/ verstehe/ daß man sich deswegen etwas zu dolmetschen/ oder ein Gedichte abzufassen/ hindern lassen solte/ dann obwol zu wünschen were/ daß man sich hierinnen verglichen hätte/ wie künfftig geschehen möchte/ so können doch/ bey dem Anfang/ die Streitursachen nicht entschieden werden/ bis man selbe gemein und ausfündig machet/ und ordentlich darüber erkennet hat. Jnzwischen wird der Ostereicher/ der Schlesier/ der Schwab/ der Frank und der Schweitzer schreiben/ wie er zu reden pfleget. Jm Ende aber betrifft es nicht den Kern der Sprache/ sondern nur derselben Rinde. Kein Verständiger wird sich deswegen mit jemand entzweigen.«
- 14Vgl. Herz, Die Rechtschreibdebatte (Fn. 9), S. 93–97.
- 15Vgl. Utz Maas, Grundzüge der deutschen Orthographie, Tübingen 1992, S. 276, 285 und 287 ff.
- 16Vgl. Hiroyuki Takada, Grammatik und Sprachwirklichkeit von 1640–1700. Zur Rolle deutscher Grammatiker im schriftsprachlichen Ausgleichsprozeß, Tübingen 1998, S. 136.
- 17Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, Etzliche erinnerungen, bey dem dritten theile der gesprächspiele am meisten die wortschreibung betreffende, Historisches Museum f. Mittelanhalt (HM), Köthen: V S 545, Bl. 419r–424v und 426r, hier Bl. 421v. Vgl. auch ders., Erinnerungen bey der aufgesetzten deutschen Wort oder Rechtschreibung, HM Köthen: V S 545, Bl. 227r–236v und 217r–218v, hier Bl. 228r: »Ball mit zwey ll drumb geschrieben, weil die zwei ll in der abweichung Declination, immer folgen.«
- 18Christian Gueintz, Deutscher Sprachlehre Entwurf, Köthen 1641, Nachdr. Hildesheim / New York 1978, S. 20.
- 19Justus Georg Schottelius, Teutsche Sprachkunst/ Darinn die […] Uhralte Hauptsprache der Teutschen auß jhren Gründen erhoben/ dero Eigenschafften und Kunststücke völliglich entdeckt/ und also in eine richtige Form der Kunst zum ersten mahle gebracht worden, Braunschweig 1641, S. 197. Eine erweiterte Ausgabe erschien 1651 in Braunschweig. Vgl. Claudine Moulin, »›Aber wo ist die Richtschnur? wo ist die Regel?‹ Zur Suche nach den Prinzipien der Rechtschreibung im 17. Jahrhundert«, in Dieter Nerius und Jürgen Scharnhorst (Hg.), Studien zur Geschichte der deutschen Orthographie, Hildesheim u. a. 1992, S. 23–60, hier, S. 30, 32 und 40 f. Die Unsicherheiten, bei welchen Adjektiven bzw. Adverbien -(l)ig oder -(l)ich zu verwenden sei, blieben aber aufgrund ausbleibender semantischer Differenzierung bestehen. Siehe dazu Takada, Grammatik und Sprachwirklichkeit (Fn. 16), S. 153 f.
- 20Takada, Grammatik und Sprachwirklichkeit (Fn. 16), S. 136.
- 21Schottelius, Teutsche Sprachkunst (1641) (Fn. 19), S. 189 f.
- 22Claudine Moulin, »Das morphematische Prinzip bei den Grammatikern des 16. und 17. Jahrhunderts«, in Sprachwissenschaft 29 (2004), S. 33–74, hier S. 44 ff. Gleichwohl setzten Gueintz und selbst Schottelius – oder ihre Drucker! – trotz des morphologischen Prinzips sollte, willst, kante usw., wobei sich die Geminationen im fortgeschrittenen 17. Jahrhundert allgemein wieder durchsetzten. Vgl. Christian Gueintz (›Der Ordnende‹), Die Deutsche Rechtschreibung Auf sonderbares gut befinden Durch den Ordnenden verfasset/ Von der Fruchtbringenden Geselschaft übersehen/ und zur nachricht an den tag gegeben, Halle a. d. S. 1645, Nachdr. hg. von Claudine Moulin, Hildesheim / Zürich / New York 2008, S. 9, 11 f., 16, 87, 135 und 162; Gueintz, Deutsche Sprachlehre (1641) (Fn. 18), S. 19; Justus Georg Schottelius, Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache, Braunschweig 1663, Nachdr. hg. von Wolfgang Hecht, Tübingen 1967, S. 588, 597 und 603; Takada, Grammatik und Sprachwirklichkeit (Fn. 16), S. 86–89 und 130 f.
- 23Peter Gallmann, »Syngrapheme an und in Wortformen. Bindestrich und Apostroph im Deutschen«, in Peter Eisenberg und Hartmut Günther (Hg.), Schriftsystem und Orthographie, Tübingen 1989, S. 85–110, hier S. 88 f.
- 24Vgl. Hans Peter Althaus, Art. »Graphemik«, in Lexikon der Germanistischen Linguistik (LGL) (Fn. 10), S. 142–151, hier S. 149; Gerhard Augst, »Die linguistischen Grundlagen der Rechtschreibung«, in Gerhard Augst (Hg.), Deutsche Rechtschreibung mangelhaft? Materialien und Meinungen zur Rechtschreibreform, Heidelberg 1974, S. 22 ff.; Rolf Bergmann und Petra Ewald, »Einführung zum Forschungsprojekt ›Aufkommen und Durchsetzung des morphematischen Prinzips in der deutschen Orthographie 1500–1700‹«, in Sprachwissenschaft 29 (2004), S. 3–16, hier S. 4 f.; vgl. Maas, Grundzüge (Fn. 15), S. 17 f., 154 ff., 246 ff. und 303 ff.; Christopher J. Wells, Deutsch: eine Sprachgeschichte bis 1945, aus dem Engl. von Rainhild Wells, Tübingen 1990, S. 211.
- 25Vgl. Ulrich Knoop, »Ist der Sprachwandel ein historisches Phänomen? Überlegungen zu den Gegenständen der Sprachgeschichtsschreibung«, in Andreas Gardt, Klaus J. Mattheier und Oskar Reichmann (Hg.), Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen. Gegenstände, Methoden, Theorien, Tübingen 1995, S. 19–38, hier S. 21.
- 26Maas, Grundzüge (Fn. 15), S. 304; vgl. Moulin, Das morphematische Prinzip (Fn. 22), S. 34; Stefan Sonderegger, Grundzüge deutscher Sprachgeschichte. Diachronie des Sprachsystems, Bd. 1: Einführung, Genealogie, Konstanten, Berlin / New York 1979, S. 179 und 184.
- 27Vgl. Herz, Die Rechtschreibdebatte (Fn. 9), S. 108–110.
- 28Vgl. Jürgen Scharnhorst, »Deutsche Orthographie. Probleme ihrer historischen Entwicklung«, in Deutschunterricht 50 (1997), S. 67–74, hier S. 68.
- 29Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, Etzliche erinnerungen (Fn. 17), Bl. 426r.
- 30Vgl. Herz, Die Rechtschreibdebatte (Fn. 9), S. 114–118.
- 31Zesen in einem Sendschreiben an Malachias Siebenhaar, undatiert (wohl frühestens Juni 1667), mitgeteilt in: Wohlgegründete Bedenkschrift über die Zesische Sonderbahre Ahrt Hochdeutsch zu Schreiben und zu Reden/ den Sprachliebenden zum diensamen Nachrichte zusammen und zu tage getragen durch L. Andreas Daniel Habichthorsten, Hamburg 1678, S. 25–38, hier S. 28; vgl. Herz, Die Rechtschreibdebatte (Fn. 9), S. 77 f.
- 32Vgl. DA, Reihe I, Abt. A: Köthen, Bd. 7 (Fn. 12), Dokumente Nr. 440129 (Stellenkommentar K 5), 450420 (K 6), 451028A (K 6), 460131 (K 9, 10, 12 und 18), 460720 (K 3) und 460915.
- 33Siehe ebd., Dokument Nr. 460812.
- 34George Steiner, Warum Denken traurig macht: zehn (mögliche) Gründe, Frankfurt a. M. 2006, S. 37 f.
- 36Caspar (v.) Stieler, Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs, oder Teutscher Sprachschatz, Nürnberg 1691, Nachdr. mit einem Nachwort von Stefan Sonderegger, München 1968.
- 37Georg Philipp Harsdörffer, Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht- und Reimkunst/ ohne Behuf der Lateinischen Sprache/ in VI. Stunden einzugiessen, 3 Teile, Nürnberg 1648‒1653, Nachdr. Hildesheim u. a. 1971, 1. Teil (2. Aufl. 1650), S. 130 f. Vgl. Herz, Die Rechtschreibdebatte (Fn. 9), S. 122–124.
- 39Maas, Grundzüge (Fn. 15), S. 250. Gerhard Augst hat sechs orthografische Normierungsprinzipien aufgestellt und behandelt: Das Laut-, das (etymologische) Stamm-, das (semantische) Homonymie-, das ästhetische, das pragmatische und das grammatische Prinzip. Augst, Die linguistischen Grundlagen (Fn. 24).
- 40Horst Haider Munske, Orthographie als Sprachkultur, Frankfurt a. M. u. a. 1997, S. 2 und 208, vgl. S. 26.
- 41Justus Georg Schottelius, Der Teutschen Sprache/ Einleitung/ Zu richtiger gewisheit und grundmeßigem vermügen der Teutschen Haubtsprache/ samt beygefügten Erklärungen, Lübeck 1643, S. 127.
- 42Vgl. Cordula Neis, »Génie de la langue, Apologie der Nationalsprachen und die Berliner Preisfrage von 1771«, in Gerda Haßler (Hg.), Texte und Institutionen in der Geschichte der französischen Sprache, Bonn 2001, S. 69–88.
- 43Jacques Derrida, Gestade, hg. von Peter Engelmann, Wien 1994, S. 196.
- 44Ebd., S. 222.
- 45Jacques Derrida, Fichus. Frankfurter Rede, aus dem Frz. von Stefan Lorenzer, mit einer Replik von Irving Wohlfarth, hg. von Peter Engelmann, Wien 2003, S. 21.
- 46Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. 10.2: Kulturkritik und Gesellschaft II. Eingriffe, Stichworte, Anhang, Frankfurt a. M. 1977, S. 486.
- 47Ebd. S. 696 f.
- 48Ebd., und S. 699 f.
- 49Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft I. Prismen. Ohne Leitbild, Frankfurt a. M. 1977, S. 314.