Editorial
Die Stadtbevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten auf der ganzen Welt deutlich zunehmen – voraussichtlich mit weit überdurchschnittlichen Zuwächsen in Asien und Afrika, möglicherweise auch bei uns, bedingt durch Zuwanderung und demographischen Wandel. Dies wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, mit denen sich die Wissenschaft beschäftigen muss, soll der mit dieser Entwicklung einhergehende soziale Wandel in geordneten Bahnen bleiben und das Wohlergehen der Bevölkerung nicht darunter leiden.
Eine der grundsätzlichen Fragen, die in diesem Heft in verschiedenen Varianten immer wieder aufgegriffen wird, gilt der Struktur der künftigen Stadt: Wird es »die« Zukunftsstadt überhaupt geben oder erwartet uns eher ein Potpourri von Stadttypen, je nach regionalen und nationalen Gegebenheiten? Unter welchen Bedingungen lässt sich die Stadt der Zukunft zugleich menschlich und naturverträglich, gar sozialverträglich gestalten? Was also benötigen die Menschen der Zukunft für ein gutes Leben? Die Erkenntnis, dass Siedlungsstrukturen das Ergebnis komplexer gesellschaftlicher Systeme sind, spiegelt sich gerade in diesen Fragen.
Manches spricht für die »grüne« Zukunftsstadt. Die Stadt als Gegenpol zur umgebenden Landschaft verblasst zunehmend, die »Grüne Infrastruktur« sollte demnach – gleichsam als Ersatz für die Landschaft – zunehmend Einzug in die Städte halten, auch in Hinblick auf die Folgen des zu erwartenden Klimawandels und für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität in urbanen Räumen. Aber der Wettbewerb um die Fläche führt in vielen Fällen, auch bei uns, eben doch zu einer Bebauung. Wie also können freiraumbezogene Argumente in den stadtpolitischen Aushandlungsprozessen durchsetzungsstärker gemacht werden?
Diese Diskussion um Ressourceninanspruchnahme wird durch das globale städtische Wachstum intensiviert werden und an Bedeutung gewinnen. Die sich weiter beschleunigenden Urbanisierungsprozesse in Asien und Afrika werden wohl Anlass geben für die vorausschauende Betrachtung der Ressourcenströme, auch um unkoordinierte Rohstoffextraktionen im städtischen Umland vermeiden zu helfen.
Darüber hinaus darf eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung Fragen der sozialräumlichen Differenzierung nicht verdecken. Ungleichverteilung von Bevölkerungsgruppen im Raum hinsichtlich ihrer sozialen Schichtzugehörigkeit, Berufsgruppe, Religion, ethnischen Zugehörigkeit oder Alter können zu einer gesellschaftlichen Herausforderung werden, wenn damit Integrationshemmnisse verbunden sind.
Was also ist die Zukunft der Stadt? Wie können wir die gegenwärtige Stadt, auf der diese Zukunft bauen soll, charakterisieren? Kann sie diese Zukunft aus eigener Kraft, ohne zentralstaatliche Eingriffe erreichen?
Fragen über Fragen, die in einem Symposium sowie in zahlreichen weiteren Veranstaltungen der Arbeitsgruppe Stadtentwicklung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig aufgeworfen und fachübergreifend unter Beteiligung der Praxis diskutiert wurden. Die betreffenden Vorträge bilden den Schwerpunkt des vorliegenden Hefts der Denkströme.
Über ausgewählte aktuelle Forschungsergebnisse und damit verbundene neue Publikationen informieren einige Akademievorhaben im Berichtsteil des Heftes.