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Nutzergetragener Städtebau oder wie Bürger ihre Stadt an Planung beteiligen


Stadtsafaris, Quartiersforen, Ideentische, Online-Bürgerdialoge – kein Planungsverfahren scheint heute mehr ohne Beteiligung auszukommen. Impulsgeber sind dabei nicht nur die Städte und Gemeinden selbst, sondern zunehmend auch eine aktive Stadtgesellschaft, Initiativen und ›Raumunternehmen‹ als selbstbestimmte Raum- und Projektentwickler, die sich aufgelassene Orte schrittweise aneignen, besondere Nutzungsmischungen und Netzwerke bilden und über kluge Finanzierungsstrategien eine langfristige Perspektive aufbauen. Mit ihren Projekten ermöglichen sie für sich und andere die direkte Teilhabe an städtischen Entwicklungsprozessen. Dieser ›Nutzergetragene Städtebau‹ etabliert sich angesichts eines zunehmend unkontrollierbaren Immobilienmarktes als stabilisierendes Modell nachhaltiger und sozial gerechter Stadtentwicklung, da langfristige statt kurzfristige Interessen verfolgt werden, die Entwicklung von Vielen statt einigen Wenigen getragen wird und lokale statt globale Kreisläufe gefördert werden. 


In der Planungsgeschichte gibt es eine lange Tradition der offenen Planung, um Nutzerinteressen und übergeordnete Planung zu vereinen. Einige Ansätze zielen darauf ab, »die Nutzer in den Prozess des Bauens einzubeziehen; andere bemühen sich um die Möglichkeiten des Ausbauens und Veränderns gebauter Strukturen für ein noch nicht vorhersehbares Wachstum; dritte […] nach veränderbaren Gebäudearten«1. Die Ansätze fokussieren entweder die Förderung von Bottom-up-Aktivitäten oder sie zeigen Wege auf, rigide Top-down-Planungen zu flexibilisieren. In den internationalen Planungswissenschaften prägt seit ­einigen Jahren die ›strategische Planung‹ die Debatte. Sowohl auf der Ebene der Raum- als auch der Stadtplanung verbindet die strategische Planung Leitkonzepte mit der Umsetzung konkreter Impulsprojekte. Sie folgen nicht mit zeit­lichem Abstand aufeinander, sondern entwickeln sich sukzessive in ­einem ständigen Wechselspiel. Strategische Planung ist eine lernende Planung. Die ständige Rückkopplung zwischen langfristigen Konzepten und direkten Projekten führt zu einer kontinuierlichen Anpassung von Planwerk und Maß
nahme. 


Auf der Ebene von Governance-Prozessen zeichnen sich strategische Planungen durch das Zusammenspiel von verwaltungsgesteuertem Handeln wie auch von flexiblen Organisationsstrukturen und Netzwerken privater Akteure, insbesondere der Nutzer, aus. 


Der planungsstrategische Ansatz liefert für Stadtentwicklung mit Raum­unternehmen eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten. Dazu zählen 


  • ein offener Planungsprozess, in dem Planungsziel und tatsächliche Entwicklung kontinuierlich gegenseitig rückgekoppelt und angepasst werden, 

  • die Vagheit von Vorgaben in Verbindung mit einer Konzentration auf strategische Orte und realistische Projekte sowie 

  • die wachsende Bedeutung von evolutionären Organisationsprozessen.2

Bisher finden in der Praxis städtebaulicher Entwicklungsvorhaben diese Ansätze kaum Berücksichtigung. Mit Blick auf ein neues Planungsverständnis für Stadtentwicklung durch Raumunternehmen kristallisieren sich allerdings drei zentrale Handlungsfelder heraus, für deren jeweilige Themen es keine übertragbaren Patentrezepte gibt. Diese drei Handlungsfelder werfen vielmehr wesentliche Fragen auf, die ortsbezogen verhandelt werden müssen:3

1. Organisation und Nutzungsentwicklung


Im Gegensatz zu herkömmlichen städtebaulichen Projekten steht bei nutzergetragenen Quartiersentwicklungen die Nutzung am Beginn des Prozesses. In der Folge treffen oftmals formelle Organisationsstrukturen von Seiten der Eigentümer und der Verwaltung auf eher informelle Zusammenschlüsse der Nutzer. Eine entscheidende Fragestellung ist, wie sich die Nutzer organisieren und welchen Einfluss sie auf die Steuerung des Entwicklungsprozesses nehmen können.


2. Ökonomie und Wertschöpfung


Nutzerbasierte Projekte zeichnen sich häufig durch ein Zusammenspiel von nicht kommerziellen und gewinnorientierten Nutzungen aus. Sie generieren eine Öffentlichkeit mit stadtweiter Ausstrahlung und einen Wert für die Stadtgesellschaft, der sich nicht ausschließlich monetär bemessen lässt und den es in städtebaulichen Verfahren wie auch in Verhandlungsprozessen mit privaten Investoren zu sichern gilt. Die öffentliche Hand übernimmt dabei mit ihren eigenen Flächen eine Vorreiterrolle.


3. Raumstrategien


Der Umgang mit bestehenden Gebäuden und Freiflächen stellt eine wichtige Ressource in der Entwicklung von Umstrukturierungsgebieten dar. Raumstrategische Ansätze kombinieren die Offenhaltung von Räumen für Aneignungs- und Selbstorganisationsprozesse, für Rückbau und punktuelle Neugestaltungen. In der Entscheidung über den Umgang mit dem Raum sollten planerisches Wissen und Erfahrungswissen der Nutzer fließen. Das setzt den Verzicht auf flächendeckende Realisierung, die Verschränkung von informeller mit regulatorischer Planung, wie auch die vertikale und horizontale Kooperation zwischen Akteuren voraus.


Praxis des Unfertigen


Die Praxis des Unfertigen ist für nutzergetragene Entwicklungen Voraussetzung und Qualität zugleich, widerspricht aber dem Determinismus der Planung. In dem Spannungsfeld zwischen Festlegung und Offenheit bewähren sich Ansätze, die im Rahmen eines Gesamtkonzeptes kleinräumliche Bereiche definieren, für die mit den Beteiligten und externen Experten Spielregeln vereinbart und planungsrechtlich gesichert werden.4

Wichtig ist dabei, Spielregeln an die ›Begabung‹ der einzelnen Bereiche und die zeitliche Entwicklung zu koppeln. Neben den klassischen städtebau­lichen Parametern wie Dichte, Erschließung und öffentlichen Räumen eines Bereichs betrifft dies auch seine weichen Standortfaktoren: Welche Räume eignen sich für eine Ausdehnung von Bestandsnutzungen? Wo ist Schutz vor Lärm gefragt und an welcher Stelle eine radikale Öffnung zur Nachbarschaft? Was sind Laborräume, in denen für einen bestimmten Zeitraum unterschiedliche Nutzungen im Wechsel getestet werden können und wo sollten Impulse durch Neubauten gesetzt werden? Welche Atmosphären, Öffentlichkeiten und mögliche Nutzungsmilieus zeichnen die Bereiche aus? Die zeitliche Dynamisierung von Planung und Spielregeln schafft mehr Flexibilität, weil die Entscheidungsfindung über einen längeren Zeitraum gestreckt wird und so aktuelle Entwicklungen und Planung kontinuierlich aufeinander abgestimmt werden können.


Stadt machen mit Raumunternehmen


Können Raumunternehmen einen wirklichen Beitrag zur sozialen und ökonomischen Entwicklung von Nachbarschaften und Quartieren leisten?


In Hamburgs HafenCity wurde der Masterplan im östlichen Bereich zu Gunsten einer nutzergetragenen Entwicklung geändert,5 im Rotterdamer Bahnhofsquartier haben Akteure mitten in der niederländischen Finanzkrise einen Büroblock in Eigenregie übernommen6 und in Basels größtem Entwicklungsgebiet im Rheinhafen hat sich im Zuge eines Vergabeverfahrens ein Trägerverein zur Nutzung der öffentlich zugänglichen Räume7 gebildet.


Allen Projekten gemein ist, dass es um die nutzergetragene Entwicklung eines größeren Gebietes geht und nicht mehr um die bloße Zwischennutzung oder den Erhalt von einzelnen Bestandsgebäuden. Deutlich wird an den Projekten auch, dass Nutzer nicht als zahlende Mieter oder potenzielle Eigentümer gefragt sind, sondern als eigenständige Raumentwickler, die ein Stadtviertel mit ihren Ideen, ihrem Engagement und ihrer Verantwortung mit voranbringen. Es geht den Menschen um neue Formen des Zusammenlebens und der Gemeinschaft, um Teilhabe durch zivilgesellschaftliches Engagement, die ­Re-Lokalisierung von Produktionskreisläufen und Lebenswelten, um sinnvolle Lebensarbeit und nachhaltiges Wirtschaften. 


Nicht mehr expansives Wachstum um jeden Preis, sondern vielmehr die Frage, wie wir in Zukunft in der Stadt gut leben können, rückt in den Vordergrund: Raumunternehmen schaffen Nachbarschaften, die darauf Antworten suchen. Das macht sie für die kommende Stadt attraktiv.


  1. 1Philipp Oswalt u. a., »Offene Planung«, in Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer und Philipp Misselwitz (Hg.), Urban Catalyst, Berlin 2013, S. 165–189.

  2. 2Klaus-Stephan Otto und Thomas Speck (Hg.), Darwin meets Business: Evolutionäre und bionische Lösungen für die Wirtschaft, Wiesbaden 2011.

  3. 3Lisa Buttenberg, Klaus Overmeyer und Guido Spars (Hg.), Raumunternehmen: Wie Nutzer selbst Räume entwickeln, Berlin 2014, S. 152–160.

  4. 4Gerd Schmidt-Eichstaedt und Klaus Overmeyer, »Mellowpark Campus«, Studie zur Umsetzung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes für die nutzergetragene Entwicklung eines 7 ha großen Jugendsportgeländes im Rahmen des EXWOST Forschungsprogrammes, Berlin 2010.

  5. 5HafenCity Hamburg GmbH, Die Überarbeitung des Masterplans, http://www.hafencity.com/de/konzepte/die-ueberarbeitung-des-masterplans.html (12.7.2016).

  6. 6Schieblock, het Schieblock / Blog, http://www.schieblock.com (12.7.2016).

  7. 7Verein I_LAND – Zwischennutzung Klybeckinsel, Vermietung Teerfläche ExEsso für temporäre Projekte,http://i-land.ch (12.7.2016).
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Heft 18 (2017)
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