Philipp Jakob Spener: Briefe aus der Dresdner Zeit
Band 4: 1690–1691. Herausgegeben von Udo Sträter und Johannes Wallmann in Zusammenarbeit mit Klaus vom Orde. Mohr Siebeck, Tübingen 2017. XLIV + 821 Seiten, Festeinband
Von der auf 23 Bände geplanten Ausgabe der Briefe Philipp Jakob Speners (1635–1705) liegen mit dem vierten und letzten Band der Teilreihe »Briefe aus der Dresdner Zeit« nun inzwischen zehn Bände vor. Mit diesem Band ist das zweite von insgesamt fünf Modulen abgeschlossen. Während das erste, das abgeschlossen ist, den Briefwechsel zwischen Spener und August Hermann Francke aus den Jahren 1689 bis 1704 beinhaltet (255 Briefe) und nur einen Band umfasst, sind nun 659 Briefe Speners aus der Zeit ediert, in der er Oberhofprediger am kurfürstlich-sächsischen Hof in Dresden war (1686 bis 1691). Die Erschließung dieser Briefe ist über die Register, die in jedem einzelnen Band dargeboten werden (Personen-, Orts- und Bibelstellenregister) nun um ein Sachregister erweitert worden, das die wichtigsten Themen aus allen vier Bänden in einem gemeinsamen Index zusammenfasst. Dadurch wird eine gezielte Auswertung aller Texte noch besser ermöglicht. Sowohl für Theologen als auch für Historiker mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen wird eine Fülle von Informationen geliefert. Dabei kann es sich ebenso um Einzelheiten von lokalhistorischem Interesse handeln wie um die ganz Europa betreffenden Fragen. Es werden theologische Fragestellungen erörtert, die von den Vertretern der späten lutherischen Orthodoxie an diejenigen gerichtet wurden, die als »Pietisten« bezeichnet wurden. Daneben steht Spener als Berater in kirchenpolitischen und kirchenrechtlichen Problemen zur Verfügung. Schließlich wenden sich viele – Geistliche und Laien – mit Fragen ihres persönlichen Lebens an den Oberhofprediger. Mit den vorliegenden Briefen werden wir in die Zeit der beginnenden Frühaufklärung geführt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Spener seine Meinung zu auftretenden Problemstellungen dieser Zeit vertritt: zu der – theologischen und naturwissenschaftlichen – Bewertung von Kometen, zum Naturrecht, zu den Fragen, ob man zu Forschungszwecken menschliche Leichen sezieren darf, ob der Abschluss von Versicherungen dem Gottvertrauen widerspricht u. v. m. Die Eigenart dieses Epistolariums ergibt sich zum einen durch die intensive Vernetzung, die Spener schon als Senior des lutherischen Predigerministeriums in der freien Reichsstadt Frankfurt a. M. entwickelt hatte, und zum anderen durch die seit 1686 exponierte Stellung als Dresdner Oberhofprediger; in dieser Funktion war er nicht nur der oberste Geistliche des Kurfürstentums, sondern hatte damit die höchste geistliche Stelle des Luthertums inne, weil der sächsische Kurfürst den Vorsitz der lutherischen Stände (corpus evangelicorum) einnahm.
Trotz der Vielzahl an Einzelfragen bietet der nun vorgelegte Band 4 des Moduls mit den Briefen vom Januar 1690 bis zum Juni 1691 zwei besondere inhaltliche Schwerpunkte. Zum einen geht es um die Frage nach dem Schicksal und der Zukunft Speners in Dresden. Schon im Frühjahr 1689 war es wegen eines beichtväterlichen Schreibens zu einem Zerwürfnis zwischen ihm und seinem Landesherrn gekommen. Die Beziehung der beiden Männer ließ sich nicht mehr wiederherstellen, so dass der Kurfürst sogar damit drohte, seine Residenz nicht mehr zu betreten, so lange der unliebsam gewordene Geistliche noch dort wirkte. Im vorliegenden Band spiegeln sich die intensiven Verhandlungen zwischen den Vertretern der kurfürstlichen Häuser von Sachsen und Brandenburg, die damit zum Abschluss kommen, dass Spener im April 1691 als Propst nach Berlin berufen wurde und Johann Georg III. von Sachsen ihm die Dimission erteilte, der Berufung zu folgen. Im Juni des gleichen Jahres trat er sein neues Amt an.
Ein zweites Hauptthema, das sich in unterschiedlicher Weise durch die Briefe des Bandes zieht, ist die Frage, wie man sich zu der pietistischen Bewegung verhalten solle. In Leipzig, wo der Name »Pietisten« als spöttische Bezeichnung im Sommer 1689 entstanden war, sollte eine durch die kurfürstlichen Behörden veranlasste Untersuchung klären, ob dadurch die Rechtgläubigkeit und kirchliche und gesellschaftliche Ordnung gefährdet werde. An anderen Orten, so etwa in Hamburg und in Gießen, wurden die Kritiker der pietistischen Frömmigkeit aktiv. Spener galt überall als Mentor der Pietisten, so dass die dort und anderswo entstehenden Streitigkeiten in seinem Briefwechsel auftauchen. Die in den kommenden Jahren zahlreich gedruckten Streitschriften erhalten somit eine wertvolle Ergänzung, weil die Schreiben Speners die allererste Zeit dieser Unruhen skizzieren und kommentieren und gleichzeitig in der Form von Briefen deutlich dichter an den Ereignissen sind als die für die Öffentlichkeit bestimmten Druckerzeugnisse.
Die Dresdner Wirksamkeit Speners, die in biografischen Darstellungen als »Übergangsphase« bisher meist lediglich kurz dargestellt und in ihrer Bedeutung nur unzureichend erfasst wurde, erhält durch die Vollendung des »Dresdner Moduls« nun die Grundlage für eine kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliche Forschung, die weit über die biografischen Fragen hinausgeht.
Neben der Drucklegung des vierten Bandes der Dresdner Briefe kann an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass inzwischen die beiden ersten Bände (ebenso die Bände 4 und 5 der »Frankfurter Zeit« und der Briefwechsel mit August Hermann Francke) mit den Briefen von 1686 bis 1688 vollständig digitalisiert und frei zugänglich von der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek vorgehalten werden.1 In Kürze werden weitere, bereits erschienene Bände aus der Frankfurter und Dresdner Zeit auf diese Weise digital zur Verfügung stehen.