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Siedlungsstruktur-Effizienz? 


1. Einleitung


Siedlungen sind in ihrer Struktur und Anordnung im Raum eine wichtige Basis für wirtschaftliche Leistungen der Gesellschaft und setzen den Rahmen für soziales Leben. Hinsichtlich zukünftiger Anforderungen können sie Hindernis für Wandel und Umbau sein, aber auch – neuinterpretiert – Ausgangspunkt und wichtige Ressource für Unbekanntes in der Zukunft. Form und Struktur von Siedlungen sind Ergebnisse menschlicher Aktivitäten (in Produktion, Konsum, Bildung, Gesundheit, Wohnen, Planung, Verwaltung, Politik etc.). Siedlungen in ihrer physischen Ausprägung sind ein Sediment der Geschichte – und dies im wahrsten Sinne des Wortes: 90 % der Materie, die länger als ein Jahr in der Gesellschaft verbleibt, sind mineralisch; davon 90 % in der gebauten Umwelt. Siedlungsstrukturen sind somit das Ergebnis unseres komplexen gesellschaftlichen Systems. In ihrer Entstehung und Entwicklung waren sie zu keiner Zeit an nur einem einzigen Leitbild, einem einzigen Paradigma oder nur einer einzigen Strategie orientiert. Warum also eine Betrachtung aus Sicht der Ressourceneffizienz? 


Aufbau, Instandhaltung und Anpassung von Siedlungen verbrauchen bzw. binden nicht nur große Mengen an Fläche, Material und Energie (und somit Ressourcen), sie erfordern auch große Kapitalinvestitionen – die andernorts vielleicht fehlen. Siedlungsstrukturen verantworten aus Ressourcensicht den größten Massestrom der Gesellschaft und stellen das größte Stofflager. In Deutschland entfallen 10 % des jährlichen Gesamtbruttoinlandsprodukts und 90 % aller Materialströme (ohne Landwirtschaft und Energieträger) auf die Bautätigkeit. Der Nettowert der gebauten Umwelt beträgt 7.981 Mrd. €. Das sind beachtliche 82 % des gesamten nationalen Nettoanlagevermögens im Wert von 9.717 Mrd. €. Wohngebäude sind darin mit 46 %, Nichtwohnbauten mit 20 % und Straßen und Infrastruktur mit 15 % enthalten. Tiere, Pflanzen, langlebige Produktionsmittel und geistiges Eigentum entsprechen einem Wert von 1.736 Mrd. €.1 In der europäischen ›thematischen Strategie für die städtische Umwelt‹ heißt es: »Eine bessere Stadtplanung kann die Auswirkungen der täglichen Nutzung von Ressourcen wie Energie und Wasser verringern. Die Vermeidung der Zersiedelung der Landschaft durch eine auf hohe Bebauungsdichte und vielfältige Nutzung ausgerichtete Besiedlungsplanung bietet Umweltvorteile hinsichtlich Flächennutzung, Verkehr und Heizung und trägt zu einem niedrigeren Ressourcenverbrauch pro Kopf bei.«2 Reutter sieht »Ressourceneffizienz als strategisches Prinzip zur zukunftsfähigen Stadtentwicklung« und Chance »für nachhaltiges Wirtschaften in Stadt und Region«.3

Das Ressourceneffizienzkonzept, aus der Unternehmens- und Konsum­gütersphäre entwickelt, lässt sich aber nicht ohne weiteres auf Siedlungsstruktu
ren anwenden. Siedlungsstrukturen sind im Gegensatz zu den Konsumgütern extrem langlebige ›Güter‹. Die Siedlungsstruktur bestimmt auf lange Zeit Interaktionen, Warentransporte, Aufwand für soziale und technische Infrastruktur, Pflege und Instandsetzung der Gebäude4 (die Effizienz des städtischen Systems). Die langfristige Effizienz der gebauten Umwelt (Urban Fabric5) wiederum hängt nicht nur von ihrer Struktur, sondern auch von ihrer Fähigkeit ab, sich Veränderungen anzupassen zu können.


Der Beitrag wird im Folgenden einige Grundbegriffe erklären und an Hand von zwei konkreten Anwendungsbeispielen aufzeigen, dass durchaus positive Ansatzpunkte in der Anwendung des Effizienzkonzeptes auf die Siedlungsentwicklung gefunden werden können.


2. Ressourceneffizienz 


Es ist notwendig, die Teilbegriffe ›Ressourcen‹ und ›Effizienz‹ zu erläutern, um das Konzept der ressourceneffizienten Siedlungsstrukturen zu verstehen. Im umfassenden Sinne wird unter dem Begriff Ressourcen jegliche zur Nutzung verfügbare Form von Kapital verstanden. Im Sinne von Produktionskapital umfasst dies Material oder Energie für Produktionsprozesse (einschließlich wiederverwerteter Anteile), im Sinne von Naturkapital zählen hierzu natür­liche Materialien (einschließlich Sonnenstrahlung, Luft und Wasser), die in ­sozio-ökonomischen Systemen genutzt werden. Menschliche Ressourcen können in Form von intellektuellem Kapital dargestellt werden.6

Natürliche Ressourcen als ein Ausschnitt der o. g. Ressourcen sind Gegenstand der in diesem Beitrag behandelten Perspektive. Zur Definition der natürlichen Ressourcen empfehlen Schütz und Bringezu auf Grundlage einer Auswertung unterschiedlicher Begriffsverwendungen auf nationaler und internationaler Ebene eine zweistufige Begriffsbestimmung, die wie folgt lautet:


»Natürliche Ressourcen umfassen im weiteren Sinne alle Funktionen des Ökosystems Erde sowie des Sonnensystems, die vom Menschen direkt oder indirekt genutzt werden oder genutzt werden können bzw. die die Grundlage seines (Über-)Lebens und Wirtschaftens und der Ko-Existenz mit der Natur darstellen. Dazu zählen z. B. Funktionen wie die Stabilität des Klimas, der Schutz vor schädlicher Strahlung durch die Ozonschicht, die Aufnahmefähigkeit für Schadstoffe, die Stabilität und Regenerationsfähigkeit natürlicher artenreicher Lebensräume und die Solarstrahlung.


Im engeren Sinne versteht man unter natürlichen Ressourcen zum einen biotische und abiotische Rohstoffe (Biomasse und Mineralien) und Wasser, die für die verschiedenen sozio-industriellen Zwecke (für Nahrungsmittel, Bau- und Werkstoffe, zur Energiegewinnung usw.) auf Grund ihrer stofflichen bzw. energetischen Eigenschaften oder technologischen Gegebenheiten der natürlichen Umwelt entnommen werden, und zum anderen das Land, das dafür und darüber hinaus für verschiedene Zwecke und in unterschiedlicher Weise und Intensität genutzt wird (für Siedlungen und Verkehr, Land- und Forstwirtschaft, Abgrabungen, als Erholungsraum und für Naturschutz).«7

Die letztgenannte, engere Definition der natürlichen Ressourcen ist der Ausgangspunkt für die Diskussion über Ressourceneffizienz von Siedlungsstrukturen. Aus raumplanerischer und ingenieurtechnischer Sicht sind Siedlungen durch eine spezifische räumliche und funktionale Ordnung der bau­lichen Elemente und der Anordnung von Freiflächen charakterisiert (Gebäude, technische und grüne Infrastruktur, Dichte der Elemente zueinander, Funktionszuordnungen). Aus Sicht der Materialwissenschaft (Materialflussanalyse, Life Cycle Assessment) ist die Siedlung ein Teil des vorhandenen anthropogenen Lagers (Lage und Struktur von langlebigen Gütern, wie Gebäuden, Infrastruktur). Siedlungsaktivitäten und Siedlungsentwicklung haben Auswirkung auf die natürlichen Ressourcen im o. g. engeren Sinne – Fläche, Material und Energie. Allerdings ist diese Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen um Fragen der Ressourcensubstitution zu erweitern. ›Gebrauchte‹ Materialien, Bauelemente oder ganze Gebäude können als (potenzielle) Ressource für die Entwicklung in der Zukunft verstanden werden – durch Weiterverwendung (Umbau, Modernisierung) und Weiterverwertung (Recycling).8 Die gebaute Umwelt ist ein bedeutsames, im wahrsten Sinne des Wortes ›gewichtiges‹ Materiallager. Beim Recycling ist die Rückgewinnung von Sekundärmaterial aus Abbruch und Abfallstoffen des Bauwesens ein Ansatz zur Ressourcen
schonung. 


Effizienz, Suffizienz und Konsistenz stehen als normative Grundkonzepte im Zentrum des Diskurses über Strategien der nachhaltigen Entwicklung.9 Der Effizienz-Begriff ist eine Grundkategorie der Ökonomik. Effizienzkonzepte vergleichen Input und Outputgrößen.10,11,12 Ausgangspunkt aller Effizienzkonzepte ist der Aspekt des Handelns unter Knappheit. Das allgemeine Effizienzkonzept, das auf wirtschaftlichen Mitteleinsatz abzielt, wird deshalb auch als ›ökonomisches Prinzip‹ bezeichnet, das ein Abwägen des Aufwands und Ertrags bedeutet. Nach dem ökonomischen Prinzip ist eine Einheit effizient, wenn mit einer gegebenen Inputmenge ein maximaler Output erzielt wird (Maximalprinzip) oder wenn ein gegebener Output mit einem minimalen Input erreicht wird (Minimalprinzip).13

Die Idee hinter den Effizienzstrategien ist die Entkopplung der Wohlstandsentwicklung vom Ressourcenverbrauch: d. h. mehr Produkte mit weniger Ressourceneinsatz zu erzeugen. Für Industrieprodukte (Konsumgüter) mag die Strategie der Entkopplung bzw. die ›Dematerialisierung‹ ein geeignetes Paradigma sein, aber in Bezug auf Stabilität und langfristige Nutzbarkeit der Gebäude und Bauprodukte könnte dieser Ansatz falsch sein. Vermeintliche Effizienzgewinne auf Produktebene müssen kritisch hinsichtlich einer langfristigen Nutzbarkeit und Anpassungsfähigkeit (resilience) diskutiert werden. Problematisch ist auch, dass Bemühungen um ›Dematerialisierung‹ in Bauprodukten und Gebäuden zugleich durch eine Erhöhung der allgemeinen Ineffizienz des städtischen Gefüges (z. B. Dichteverlust in Siedlungsgebieten) aufgewogen werden. Ziel sollte ein sparsamerer Materialeinsatz für Siedlungsgebiete pro Wohneinheit (Häuser, Produktionsmittel) insgesamt sein. Dies leitet über zu stadtplanerischen Fragen nach Dichte und Verteilung der Funktionen. Es ist immer das Gesamtprodukt aus gebäudespezifischen und siedlungsstrukturspezifischen Ressourcenaufwendungen in einer Langzeitperspektive zu bewerten. Die Frage der Langfristeffizienz ist dabei eine der am schwierigsten zu beantwortenden Fragen.


Die mit der Effizienz verbundene Vorstellung von win-win-Situationen, mehr Output mit weniger Input zu erzeugen, dass also »die Realisierung ­eines Wohlstandsniveaus bei gleichzeitiger Schonung/Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen«14 möglich ist, ist vermutlich die Hauptursache dafür, dass das Effizienzkonzept so attraktiv erscheint. Schiller, Blum und Behnisch: »Dies umso mehr, als dass das politische Konzept eine direkte Entsprechung im umgangssprachlichen, typischerweise positiv konnotierten Effizienzbegriff hat. Dieser bezeichnet in der Regel ein angemessenes oder wünschenswertes Verhältnis von Aufwand und Nutzen, wobei die spezifischen Implikationen der Begriffsverwendung selten reflektiert werden: ›Vielfach dient das Adjektiv ­›effizient‹ […] lediglich als Synonym für das Adjektiv ›gut‹.‹ Vor diesem Hintergrund muss das Konzept Effizienz – ähnlich wie das darüber liegende Konzept ›Nachhaltigkeit‹ – für große Teile des politischen und gesellschaft­lichen Diskurses vor allem als ›Boundary Object‹ aufgefasst werden. ›Boundary ­Objects‹ haben, gerade aufgrund ihrer Unschärfe oder Plastizität, das diskursive Potenzial, verschiedenen Akteursgruppen als Orientierung zu dienen und zugleich als gemeinsamer Bezugspunkt zwischen diesen zu vermitteln.«15

3. Siedlungsstrukturelle Analyse 


Welche Methode aus Sicht der Ressourceneffizienz eignet sich zur Untersuchung der Siedlungsstruktur? Die theoretische Grundlage für die Siedlungsanalyse im Rahmen der Ressourcennutzung wurde von Baccini und Brunner mit ›Metabolism of the anthroposphere‹ geschaffen.16,17 Die darauf aufbauende Materialflussanalyse unter dem Label des Urban Metabolismus ist heute durch einen hohen Grad an Diversifikation gekennzeichnet. Beispiele gibt es auf Ebene nationaler Volkswirtschaften für Dänemark18, für den Wohnungs­bestand in Deutschland19 oder für die gesamte bebaute Umwelt von Japan20. Nationale Perspektiven werden durch Untersuchungen auf regionaler oder kommunaler Ebene, wie sie von Daxbeck, Kilialova und Obernosterer für Wien21 oder Sahely, Dudding und Kennedy für die Greater Toronto Area22 durchgeführt wurden, ergänzt. Diese Studien liefern den Hintergrund für noch weiter räumlich differenzierte Studien auf Ebene von Quartieren und Stadtteilen. Aus Sicht des Autors sind aber nur kleinräumliche Analysen (bottom up) geeignet, Fragen zur Ressourceneffizienz von Siedlungsstrukturen zu beantworten, denn es ist unabdingbar, Lagen und städtische Bebauungsmuster möglichst differenziert zu erfassen und zu modellieren. Für diese kleinräumliche Skala hat das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) den Strukturtypenansatz (Urban Structure Type – UST) entwickelt. Über den Strukturtypenansatz lassen sich zudem moderne GIS-Tools für die Stadtanalyse nutzen und in das Konzept der Materialflussanalyse integrieren. Zahlreiche Publikationen sind hierzu erschienen.23,24,25

Eine praktische Art und Weise, spezifische Eigenschaften von Siedlungen zu beschreiben, ist die Verwendung von Typologien (für Gebäude, Infrastruktur und städtische Gebiete). Dabei sind Stadtstrukturtypen (UST) grundlegende Raumeinheiten mit physiognomisch homogenen Eigenschaften hinsichtlich Form und Anordnung von Gebäuden und Freiflächen. Stadtstrukturtypen beschreiben Landnutzungen mit ähnlichen Funktionen, mit ähn­lichen Umwelt- und Infrastrukturbedingungen und erlauben Rückschlüsse auf ihre Entstehungszeit. Sie bilden die morphologische Situation des Stadtgebiets26 ab und lassen sich mit Datenbanken verknüpfen, die spezifische Informationen zu Flächen, Volumen, Materialien und Energie enthalten. Der daraus resultierende ›Ressourcen-Stadtplan‹ ermöglicht die Berechnung der Ressourcenintensität und der stofflichen Aufwendungen auf Ebene der Stadt, für städtische Teilräume bis zum Mikromaßstab (1–5 ha). Die empirische Arbeit der Kartierung nach Stadtstrukturtypen kann visuell auf der Grundlage von Karten und Luftbildern erfolgen oder halbautomatisiert unter Nutzung geoinformatorischer Werkzeuge (z. B. des im IÖR entwickelten Werkzeugs 
›Sementa‹). 


Die Analyse der Siedlungsstrukturen (Abb. 1) kann sich auf den Status quo beziehen, aber auch die Dynamik der Veränderung lässt sich beobachten oder Entwicklungsszenarien für die Ex-ante-Studien können simuliert werden. Durch die Erstellung instruktiver Szenarien, z. B. in Zusammenarbeit mit Planungsbehörden, technischen Experten und Forschungspartnern, lassen sich Effekte verschiedener Entwicklungspfade aus Sicht der Ressourceninanspruchnahme veranschaulichen, sodass sowohl städtische Verwaltungs- und Planungsmitarbeiter als auch Politiker für Fragen der Ressourceninanspruchnahme sensibilisiert werden können. 


Abb. 1: Multi-Level-Analyse des städtischen Raums, Quelle: Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung.
 Abb. 1: Multi-Level-Analyse des städtischen Raums, Quelle: Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung.


4. Einige beispielhafte Ergebnisse 


4.1 Wer zahlt die Kosten für die Infrastruktur in Zeiten 
des Bevölkerungsrückgangs? 


In einem gemeinsamen Projekt des Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Dresden, des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und des Ingenieurbüros Baur+Kropp Dresden wurde der Zusammenhang zwischen städtischer Dichte und Infrastrukturkosten untersucht. Ein besonderes Augenmerk lag auf indirekten Wirkungen des demografischen Wandels. Nicht nur in Ost-Deutschland, sondern auch in einigen schrumpfenden Regionen in West-Deutschland wird zukünftig eine geringere Anzahl Menschen die Kosten für die Infrastrukturen tragen müssen. In dem Projekt wurde die Entwicklung des städtischen Raums bis 2030 entlang möglicher Veränderungen der verschiedenen UST skizziert. Die Veränderung der Bevölkerungsdichte in diesen UST bis 2030 wurde mit den technischen Infrastrukturen in diesen städtischen Teilräumen verknüpft. In der Zukunft zu erwartende Kosten für die technische Infrastruktur (Trinkwasser und Kanalisation sowie lokale Straßen) wurden eingeschätzt und hochgerechnet. Das Ziel war, die Entwicklung der Infrastrukturkosten in Gemeinden mit rückläufiger Bevölkerung zu bewerten und insbesondere zu prüfen, ob die Stadt- und Infrastrukturplanung den steigenden Infrastrukturkosten durch gezielten Stadtumbau, Verdichtung und Siedlungsrückbau entgegenwirken könnten. 


Um ein realistisches Bild institutioneller und technischer Einschränkungen für Infrastrukturanpassungsmaßnahmen zu zeichnen, wurden mehrere Workshops mit Vertretern der betreffenden Städte, Stadtplanung, Wohnungswirtschaft und zuständigen Versorgern durchgeführt und gemeinsam verschiedene Stadtumbau-Szenarien entwickelt. Diese Entwicklungsszenarien wurden bewusst kontrastierend angenommen, um die maximale Bandbreite möglicher Handlungsalternativen aufzuzeigen. Die Ergebnisse der verschiedenen Szenarien sind in der nachfolgenden Abbildung (Abb. 2) dargestellt. Die schlechte Erkenntnis war, dass sich steigende Kosten, die von den Bürgern aufgrund des Bevölkerungsrückganges geschultert werden müssen, auch durch Strategien der Verdichtung inkl. eines Teilrückbaues des Siedlungskörpers kaum abmildern lassen. Größere Auswirkungen haben die gewählten Unterhaltsstrategien auf den Erhalt und die Finanzierung der bestehenden Netze. Dies ist wenig überraschend, da die bestehenden Netze nachweislich kaum umzubauen waren. Wenn die Bevölkerung abnimmt, ist es für Kommunen, kommunale Unternehmen und Versorger wichtiger denn je, das Augenmerk auf die operativen Kosten zu lenken, Finanzierungsmodalitäten zu optimieren und Umsätze zu stabilisieren. Legt man die berechneten durchschnittlichen Kostensteigerungen zu Grunde und die sich abzeichnenden Probleme der Finanzierung zukünftiger Investitionen, so wird deutlich, dass zusätzliche finanzielle Hilfen erforderlich sein werden, um einen deutlichen Anstieg der Infrastrukturkosten zu vermeiden. An diesem Beispiel wird erkennbar, dass siedlungsstrukturelle Effizienzgewinne unter diesen speziellen Rahmenbedingungen nicht zu erzielen sind, und dass die stadtplanerischen Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung leicht überschätzt werden.


Abb. 2: Kosten für Trinkwasser pro cbm – Zersiedelung oder Bevölkerungsverlust, Quelle: Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung.
 Abb. 2: Kosten für Trinkwasser pro cbm – Zersiedelung oder Bevölkerungsverlust, Quelle: Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung.


4.2 Ressourceneinsparpotenziale durch den Einsatz von Sekundärrohstoffen 


Das Projekt ›Ressourceneffizienzpotenzial in der Abfall- und Recyclingwirtschaft‹ in Kooperation mit der INTECUS GmbH Dresden untersuchte Möglichkeiten, wie Bau- und Abbruchabfälle aus dem Hochbau möglichst hochwertig rezykliert werden könnten (hochwertig bedeutet ›vom Hochbau zur Weiterverwendung im Hochbau‹) – bevor sie im Unterbau von Straßen oder als ›bergbauliches‹ Verfüllungsmaterial verwendet werden. Der Typologie-Ansatz (für Gebäude und UST) kam zum Einsatz, um die bestehende gebaute Umwelt Deutschlands zu modellieren. Dieser typologisch differenzierende Schritt war notwendig, um die Unterschiede in der Materialzusammensetzung zwischen verschiedenen Nutzungstypen der Nichtwohngebäude, unterschiedlichen Mehr- und Einfamilienhäusern sowie unterschiedlichen Straßen abbilden zu können. Eine Verknüpfung zwischen Gebäude und technischen Infrastrukturen ist nur über den Strukturtypenansatz möglich. In mehreren Sensitivitätsrechnungen wurde der mögliche Einsatz von Sekundärrohstoffen für den Zeitraum 2010 bis zum Jahr 2050 untersucht. Bauproduktgruppen waren Beton, Ziegel, Kalksandstein, Porenbeton, Gips, Holz, Mineralwolle- und Hartschaumdämmung, Glas und Kunststoffe. Entlang dieser Produktgruppen wurden die Herkunft, Zusammensetzung und Verwertungswege der Bauprodukte bestimmt. Aktuelle innovative Technologien des Recyclings wurden ausgewertet, Optimierungspotenziale der technischen Prozesse recherchiert und daran anschließend wirtschaftliche Engpässe und typische Hindernisse zur Erhöhung des Recycling identifiziert. Als sehr anspruchsvoll und schwierig erwies sich die Diskussion mit den Verbandsvertretern zu möglichen Anteilen an Sekundärmaterial in neuen Bauprodukten. Zu quantitativen Setzungen solcher Beimengungen waren die Experten nur bereit, als eindeutig kommuniziert wurde, dass es sich lediglich um Testrechnungen handelt und die Setzungen unter der Annahme vorteilhafter Rahmenbedingungen einer zukünftigen Kreislaufwirtschaft getroffen wurden. Darüber hinaus waren Aussagen zur zukünftigen Bautätigkeit und den Gesamtmengen an Bauprodukten zu treffen. Die räumlich differenzierte Studie brachte u. a. zu Tage, dass die Recycling­potenziale nicht auf nationaler, sondern auf regionaler Ebene diskutiert werden müssen. Grund hierfür sind Transportdistanzen, die je nach Veredelungsgrad des Produktes sehr unterschiedlich sind und bei den mineralischen Zuschlagsstoffen im Allgemeinen nicht über 25 km weit reichen. Regionale Stoffstrombilanzen sind notwendig, um nachzuweisen, ob Angebot und Nachfrage nach Sekundärmaterial einander entsprechen und die Nutzung von Rezyklat ohne zusätzliche Transportaufwendungen realistisch ist. Die Testrechnungen zeigten, dass der Sekundärrohstoffeinsatz von 6 % (gegenwärtig) auf 16 % im Jahr 2030 und 20 % im Jahr 2060 ansteigen könnte. Der absolute Gesamtbetrag in Mio. Tonnen wird aber durch die künftige Nachfrage (Bautätigkeit allgemein) bestimmt. Aufgrund des Bevölkerungsrückgangs in Deutschland wird die Bautätigkeit auf lange Sicht zurückgehen. Dies bedeutet, dass der Gesamt­betrag an potenziell eingesetztem Sekundärrohstoff von 20 Mio. Tonnen im Jahr 2030 auf 12 Mio. im Jahr 2060 abnehmen wird. Dennoch: Angesichts eines Bau­volumens im Hochbau von ca. 120 Mio. Tonnen (bzw. 75 Mio. Tonnen 2050) pro Jahr (nur statistisch erfasste Bautätigkeit) ist dies ein bedeutsamer Beitrag zur Ressourcenschonung durch Vermeidung der Neuinanspruchnahme von Primärrohstoffen. 


Die Studie untersuchte auch den Beitrag bauplanerischer und siedlungsstruktureller Effekte auf die Ressourcenschonung. Folgende Annahmen wurden simuliert: Der Holzbauanteil im Wohnungsbau steigt von derzeit 15 % im EFH-Bau auf 30 %, im MFH-Bau von 2 % auf 15 %. Es wird angenommen, dass Betonbauteile durch neue Rezepturen und Bewehrungstechnologie mit 10 % Materialeinsparung realisiert werden (dies kann auch durch optimierte Spannweiten und materialbewusstes Entwerfen erreicht werden). Dreifachverglasung wird bei Nichtwohnungsbauten zum Regelfall. Die Dämmstoffmengen werden um 30 % gegenüber heute erhöht. Es werden zudem nur halb so viele Einfami­lienhäuser gebaut wie in einem Szenario ›business as usual‹, dafür aber entsprechend mehr Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern. Die Übersetzung dieser Annahmen in Gebäudetypen und Stadtstrukturen errechnet ein weiteres Ressourcenschonungspotenzial von 6 bis 8 %, so dass sich in Summe möglicherweise unsere jährlichen Ressourceninanspruchnahme für das Bauen um 25 bis 30 % reduzieren ließe.


5. Schlussbemerkung 


Das städtische Wachstum weltweit wird der Diskussion um Ressourceninanspruchnahme auf lange Sicht Nachdruck verleihen. Stadtentwicklung, Stadtplanung, Hochbaudesign und Management werden im Rahmen der Nachhaltigkeitsdebatte und mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Städte an Bedeutung gewinnen. Es ist hilfreich, wenn Instrumente zur Hand sind, die die Auswirkungen der Stadtentwicklung für den urbanen Metabolismus antizipieren und zuverlässige Informationen bereitstellen, damit Entscheidungen auch unter Berücksichtigung von Ressourcenschonungsaspekten getroffen werden. Vorstellungen von einer nachhaltigen Stadtentwicklung und Visionen, wie Null-Emissions-Städte, Zero-Waste-Cities oder Smart-Cities konkret aussehen könnten, sind hinsichtlich des urbanen Metabolismus kritisch zu reflektieren. Die vorgestellte Methode der Kombination von Stadtstrukturanalyse, Mater­ialfluss und Effizienzanalyse kann auf nationaler Ebene hoch aggregierte Bilder, oder auch auf Stadtteilebene konkrete Bilder des Materiallagers und stofflicher, energetischer Optimierungspotenziale verdeut­lichen. Es sind Zeitschnittbetrachtungen oder auch Veränderungsdynamiken 
abbildbar. 


Die alltägliche Planungspraxis hat i. d. R. kaum Bezug zu Ressourcenimplikation, mit Ausnahme der Flächeninanspruchnahme und Bodenversiegelung. Stadtgestalterische Aspekte, funktionale Zuordnungen, Flächennutzungskonflikte, bau- und umweltrechtliche Belange bestimmen die tägliche Auseinandersetzung. Rohstoffinanspruchnahme und sogar die gut etablierten Fragen der Energieeffizienz werden nicht als Folgewirkungen stadtplanerischer Entscheidungen diskutiert, sondern einzig auf die Seite der Gebäudeplanung und des Gebäudemanagements verwiesen. Dennoch: Tatsache ist und bleibt, dass Stadtplanung Gebäudegrößen, Muster und Dichten der Bebauung bestimmt und damit auch die Infrastrukturen, die zur Erschließung der Siedlungsstrukturen dienen. Damit wird aber zugleich der Ressourcenaufwand bestimmt für Konstruktion und langfristig für Betrieb, Reparatur, Renovierung, Recycling und Entsorgung. 


Es werden vermutlich die sehr dynamischen Urbanisierungsprozesse in Asien, Afrika und auch teils in Südamerika sein, die Anlass geben für die vorausschauende Betrachtung der Ressourcenströme, um mögliche regionale Rohstoffknappheiten vorherzusehen und unkoordinierte Rohstoffextraktionen im städtischen Umland vermeiden zu helfen. Ergebnisse der urbanen Materialflussanalysen werden in diesem Umfeld mehr sein als ein Add-on der allgemeinen Diskussion über die Landnutzung und Stadtplanung. Die Auseinandersetzung mit Materialflussanalysen und Energieanalysen im Zusammenhang mit Stadtentwicklung und Infrastrukturausstattung wird die Planer anhalten, über qualifizierte städtische Dichte und stadtregionale Entwicklungsstrategien nachzudenken. In den altindustrialisierten Ländern wird es um Fragen der Vermeidung von Effizienzverlusten gehen.


  1. 1DESTATIS, Statistisches Bundesamt (Hg.), »Vermögensrechung« https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/Vermoegensrechnung/Tabellen/Nettoanlagevermoegen.html (24.6.2017).

  2. 2Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission an den Rat und das europäische Parlament über eine thematische Strategie für die städtische Umwelt, KOM(2005) 718 endgültig, Brüssel 2006, S. 12.

  3. 3Oscar Reutter, Ressourceneffizienz – Der neue Reichtum der Städte: Impulse für eine zukunftsfähige Kommune, München 2007, S. 9.
  4. 4http://ec.europa.eu/environment/archives/greenweek2011/content/prof-clemens-deilmann.html (4.8.2017).

  5. 5Urban Fabric meint die Summe der Gebäude (Wohn-, Gewerbe und Industrie), die Verkehrsinfrastruktur (Straßen und Schienen) und die technische Infrastruktur (Energieversorgung, Wasserversorgung und Sammelnetze).

  6. 6Nach https://sustainabilitydictionary.com/2005/12/03/resource/ (4.8.2017).

  7. 7Helmut Schütz und Stefan Bringezu, »Ressourcenverbrauch von Deutschland – aktuelle Kennzahlen und Begriffsbestimmungen«, in UBA-Texte 02/08, Dessau-Roßlau 2008, S. 45 f.
  8. 8Thomas Lichtensteiger (Hg.), Bauwerke als Ressourcennutzer und Ressourcenspender in der langfristigen Entwicklung urbaner Systeme, Zürich 2006.

  9. 9Holger Rogall, Nachhaltige Ökonomie: Ökonomische Theorie und Praxis einer Nachhaltigen Entwicklung, Weimar 2009.

  10. 10U. a. Frank Figge, »Environmental Value Added – Ein neues Maß zur Messung der Öko-Effizienz«, in Zeitschrift für Angewandte Umweltforschung 14/1-4 (2001), S. 184–197.
  11. 11Kurt Bohr, »Effizienz & Effektivität«, in Waldemar Wittmann u. a. (Hg.), Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Stuttgart 1993, S. 855–869.
  12. 12Steffen Fleßa, Gesundheitsökonomik. Eine Einführung in das wirtschaftliche Denken für Mediziner, Berlin/Heidelberg 2005.
  13. 13U. a. Andreas Kositzki, Das öffentlich-rechtliche Kreditgewerbe. Eine empirische Analyse zur Struktureffizienz und Unternehmensgröße im Sparkassensektor, Wiesbaden 2004, S. 38; Michael Schlander, »Gesundheitsökonomie: Der Effizienz auf der Spur«, in Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen 103 (2009), S. 117–125.
  14. 14Gerd Scholl und Jens Clausen, »Öko-Effizienz – mehr Fragen als Antworten?«, in Ökologisches Wirtschaften 3 (1999), S. 10–11.

  15. 15Georg Schiller, Andreas Blum und Martin Behnisch, »Resource efficiency of settlement structures: terms, conceptual implications and connecting factors to the resilience debate«, in Raumforschung und Raumordnung 70/4 (2012), S. 377–386.
  16. 16Peter Baccini und Paul H. Brunner, Metabolism of Anthroposphere, Heidelberg 1991.
  17. 17Dies., Metabolism of the Anthroposphere: Analysis, Evaluation, Design, Cambridge 2012.
  18. 18Daniel B. Müller, »Stock dynamics for forecasting material flows – Case study for housing in The Netherlands«, in Ecological Economics 59/1 (2006), S. 142–156.

  19. 19Matthias Buchert u. a., »Nachhaltiges Bauen und Wohnen in Deutschland. Stoffflussbezogene Bausteine für ein nationales Konzept der nachhaltigen Entwicklung – Verknüpfung des Bereiches Bauen und Wohnen mit dem komplementären Bereich ›Öffentliche Infrastruktur‹«, in UBA-Texte 01/04 (2004), https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/2600.pdf (4.8.2017). 

  20. 20Seiji Hashimoto, Hiroki Tanikawa und Yuichi Moriguchi, »Where will large amounts of materials accumulated within the economy go? – A Material Flow Analysis of Construction Minerals for Japan«, in Waste Management 27/12 (2007), S. 1725–1738.

  21. 21Hans Daxbeck, Albena Kisliakova und Richard Obernosterer, Der ökologische Fußabdruck der Stadt Wien, Ressourcen-Management-Agentur (RMA), Endbericht im Auftrag der Magistratsabteilung 22 – Umweltschutz der Stadt Wien, Wien 2001.

  22. 22Halla R. Sahely, Shauna Dudding und Christopher A. Kennedy, »Estimating the urban metabolism of Canadian cities: Greater Toronto Area case study«, in Canadian Journal of Civil Engineering 30/2 (2003), S. 468–483.

  23. 23U. a. Georg Schiller, »Urban infrastructure: challenges for resource efficiency in the building stock«, in Building Research & Information 35/4 (2007), S. 399–411.
  24. 24Clemens Deilmann, »Verknüpfung von Verkehrserschließungsfläche und Wohngebäudebestandsstatistik mittels idealtypischer Strukturtypen der Wohnbebauung – Stoffströme und Flächenszenarien bis 2025«, in Andreas Blum und Karin Gruhler (Hg.), Typologien der gebauten Umwelt – Modellierung und Analyse der Siedlungsentwicklung mit dem Strukturtypenansatz, Aachen 2010, S. 61–80.
  25. 25Martin Behnisch u. a., »Urban Pattern Specification using Spatial Metrics and Density Values«, in Hans-Knud Arndt, Gerlinde Knetsch und Werner Pillmann (Hg.), Enviroinfo 2012. Man – Environment – Bauhaus, Proceedings of the 26th International Conference »Informatics for Environmental Protection«, Dessau 2012, S. 319–329.
  26. 26Stephan Pauleit und Friedrich Duhme, »Stadtstrukturtypen – Bestimmung der Umweltleistungen von Stadtstrukturtypen für Stadtplanung«, in Raumplanung 4 (1999), S. 33–44.
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Heft 18 (2017)
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