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Brauchen wir eine Reform der Promotionsbetreuung?


Das Bessere ist der Feind des Guten 


Das Motto, das ursprünglich als italienisches Sprichwort lautete: Il meglio è l’inimico dell’ bene, wurde auf Französisch nachzitiert bei Voltaire und dann, systematisch nicht überraschend, auch bei Hegel: Le meilleur est l‘ennemi du bon. Es warnt ganz generell vor der zeitgeistbedingten Manie, institutionelle Regeln im Allgemeinen, sprachliche Formulierungen im Besonderen so verfassen zu wollen, dass durch sie alle möglichen besonderen und nicht bloß wesentliche allgemeine Probleme gelöst werden. Im Blick auf dieses caveat lautet unsere Frage: Brauchen wir, und wenn ja, aufgrund welcher allgemeinen Probleme, im deutschen bzw. deutschsprachigen Hochschulsystem eine Reform der Promotionsbetreuung? Und mit welchen Zielvorgaben? Es liegt auf der Hand, dass das Thema mit einer Problemdiagnose beginnen muss, ­gefolgt von Lösungsvorschlägen und einer begründeten Auswahl zwischen ihnen. Es geht dabei nicht um ein wünschenswertes Ideal, sondern um machbare und richtungsrichtige allgemeine Regeln. Der Umgang mit besonderen Problemlagen ist aus diesen auszugliedern und, wie man so sagt, subsidiär zu be
handeln. 


Zunächst aber ist angesichts einer üblichen Debatte um bloße Wörter zu erläutern, warum in diesem Text die Sprache nicht gegendert wird. Denn schon die Rede von Doktoranden und Doktorandinnen erzeugt in den Ohren von Kollegen wie z. B. Jürgen Mittelstraß ein Kratzen, erstens wegen des Küchen­lateins und zweitens aufgrund des unbemerkten Anglizismus, als wäre das deutsche Genus nicht grundsätzlich etwas anderes als ein natürliches Geschlecht. Selbst wenn heute zu überwindende geschichtliche Sozialzustände sprachbildend gewirkt haben, ist mit generischen Nominalausdrücken wie »die Studenten« ganz analog wie im Fall von »die Katzen« kompetent umzugehen, nämlich als konventionsgestützte Sprachverdichtungen. Das Partizip »studens« ist ohnehin neutral; das Deutsche aber verlangt die Entscheidung zwischen den Genera. Atemanhaltende Kürzel wie PromovendInnen gelten inzwischen immerhin (hoffentlich auch in Seminarklassen der Universitäten) als obsolet, da sie ganz offenbar die historische Errungenschaft einer flüssig lesbaren Schrift rückgängig machen; aber auch alle anderen Genderisierungen verschieben den Fokus vom Inhalt auf besexte Ausdrucksformen. 


Im Übrigen kann man sich nicht selbst promovieren, man kann nur promoviert werden, so dass – gemäß dem lateinischen Gerundiv – von Promovenden, also zu Promovierenden, zu sprechen wäre.


1. Problemdiagnose


Eine Änderung der allgemeinen Bedeutung der Promotion und der Lage der an einer Dissertation Arbeitenden hat sich nicht erst in den letzten Jahren ergeben, sondern geht schon auf die Ausweitung der Hochschulsysteme in den 1960er und 1970er Jahren zurück. Die Einführung gestufter Studiengänge wurde später zwar rhetorisch vehement vorangetrieben – genannt sei das Stichwort »Bologna-Reform«, das für eine gesamteuropäische Angleichung der Stufen der Hochschulausbildung auf der Ebene eines Bakkalaureats, Diploms oder Magisters steht (die teils modisch anglisierend, teils strategisch umgetauft wurden in Bachelor und Master) – doch der eigentliche Grund für die Stufungen war und ist der politisch erwünschte und institutionell durch die Ausweitung der Höheren Schulen mit Abitur als Hochschulzulassung erzeugte Zuwachs der Immatrikulationen im Gesamthochschulsystem, zunächst unter Einschluss der Fachhochschulen (kurz: FHs), die sich heute Universities of Applied Sciences, viele inzwischen auch Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (kurz: HAWs), nennen. 


Der Versuch der Umlenkung großer Teile der Studierenden auf FHs oder HAWs hat dabei erwartungsgemäß nicht geklappt. Die Nachfrage nach Studien­plätzen an den Universitäten bleibt daher aus dem Blick der Hoffnungen politischer Planer überdimensioniert. Die Einführung einer BA-Phase muss hier als Versuch gewertet werden, der Studierendenströme langfristig dadurch Herr zu werden, dass das Regelstudium auf der Ebene der undergraduates, also vor einem ersten Hochschulabschluss, entsprechend verkürzt wird. Wie in anderen Ländern, besonders in den USA, üblich, soll nur noch einer anzahlmäßig relativ geringen Kohorte der Zugang zu einem Graduiertenstudium mit einem Abschluss auf der MA- oder Diplomebene offenstehen. Dabei verheddert sich die politische Rhetorik allerdings, und zwar nicht zuletzt aufgrund des zu erwartenden Drucks der Studierenden, indem man – zunächst wohl nur für eine Übergangsphase – die Regelstudienzeiten und Normaldauern eines Gesamtstudiums an den bisherigen Diplom- und Magisterstudiengängen orientiert und damit gewisse Illusionen erzeugt. Das gilt besonders für das Masterexamen als Abschluss eines Graduiertenstudiums. Denn im Vergleich zu internationalen Üblichkeiten, besonders aber zur Praxis in den USA, korrespondiert die MA-Phase bestenfalls einem zweijährigen Beginn eines PhD-Studiengangs. Eigene MA-Studiengänge führen dort in der Regel nur zu professional degrees. 


Ungenauigkeiten in der Gesamtkonzeption werden verstärkt durch die ebenso naheliegende wie irreführende Rede von einer Promotionsphase als ­einem dritten Zyklus in der Hoch­schulausbildung. Weit angemessener wäre es, die Promotionszeit als erste Phase eigenständiger Forschung mit zugehöriger Betreuung klar zu benennen. Ausdrücke wie »Graduiertenstudium« sollten also gerade nicht für eine strukturierte Promotion, sondern nur für die MA-Phase verwendet werden. Eine peergestützte Bildung zur Wissenschaft sollte dann z. B. keinen besonderen Erwerb von Schlüsselkompetenzen wie etwa Vortragstechniken zur Pflicht machen oder ein vertieftes Fachcurriculum, obwohl eben das im öffentlichen Gerede allenthalben vorgeschlagen oder gefordert wird. Nette Forderungen nach Verbesserungen und ein guter Klang der Wörter führen hier schnell zu problematischen Entscheidungen über Weg, Ziel und Status der Promotion. 


Ich sage im Folgenden daher erstens etwas zur allgemeine Bedeutung der Promotion für die Wissenschaft, zweitens zur Notwendigkeit von Internationalisierung, drittens zu Problemen auf Seiten der Betreuung und, viertens, auf Seiten der zu Promovierenden, um fünftens auf spezielle Probleme in einzelnen Fächern zurückzukommen.


1.1 Zur allgemeinen Bedeutung der Promotion 
für die Wissenschaft


Die wissenschaftliche Promotion, wie sie sich aus dem Grad des ›philosophiae doctor‹ (im Englischen daher bis heute PhD) in die verschiedenen Sub-Titel z. B. der Natur- und Ingenieurwissenschaften ausdifferenziert hat, spielt nach wie vor eine entscheidende Rolle nicht nur für die Rekrutierung des wissenschaft­lichen Nachwuchses, sondern auch für die Weiterentwicklung der Wissenschaften selbst und durchaus auch für den internationalen Ruf der akademischen Bildung im deutschsprachigen Raum insgesamt. Die Qualität der Promotion ist aber, wie auch viele Kollegen betonen, derzeit bedroht durch eine fehlverstandene Rede von einer »3. Ausbildungsphase« im Zuge des Bologna-Prozesses europäischer Angleichungen, durch eine steigende Anzahl von Drittmittelprojekten, deren Mitarbeiter auf der Basis der Hoffnung auf eine implizit oder explizit versprochene Promotion über die MA-Graduierung hinaus an den Hochschulen gehalten werden, durch die verfehlte Vorstellung von einem ›persönlichen‹ Promotionsrecht von ›Doktor-Eltern‹ und durch Etablierung einer Praxis, nach welcher bloß noch ein Zweitgutachter aus dem lokalen institutionellen Umfeld auf die Arbeit blickt, so dass keine Kontrolle mehr stattfindet, ob wirklich wissenschaftliches Neuland erschlossen wurde. 


Im Unterschied zu wissenschaftlichem Fehlverhalten wie z. B. im Fall erfundener, verfälschter oder blind kopierter Daten sind Plagiate im Sinn der Kopie von Textpassagen ein vieldiskutiertes Begleitphänomen. Es tritt besonders häufig dort auf, wo noch nicht wirklich ein eigenständiges wissenschaftliches Projekt durchgeführt, sondern nur erst die Kenntnis wissenschaftlicher Methoden vorgeführt und damit bloß die Bedingung eines wissenschaftlichen ­Diploms oder Master-Grads erfüllt wird – was in der Medizin, den Rechts- oder den Erziehungswissenschaften noch allzu häufig für die Vergabe eines Doktortitels ausreicht.


Der Promotion liegt der Idee nach eine selbständige Forschungsleistung zugrunde, deren Ergebnis als Dissertation in schriftlicher Form öffentlich zu machen und wissenschaftlich zu begutachten ist, was durch die Verleihung ­eines Doktorgrads dokumentiert wird. Das braucht eine wissenschaftliche Betreuung durch erfahrene Vertreterinnen oder Vertreter einer Fachdisziplin, die die Arbeit beratend begleiten; diese bleibt dennoch ein selbständiges Projekt. Die Bindung an nur eine Betreuungsperson kann dabei Probleme mit sich bringen, so etwa eine zu große Abhängigkeit des Projekts von dieser Betreuungsperson und die damit verbundenen Risiken für den Anspruch von Promovenden auf eine nachhaltige Förderung. Die Ersetzung des klassischen Modells durch ein größeres Betreuungskollektiv kann jedoch ebenfalls problematische Nebenfolgen haben. Obwohl die administrative Aufsicht und die nachhaltige Qualitätssicherung bei entsprechenden Kommissionen liegen müssen, sind Betreuungsgruppen erfahrungsgemäß in den meisten Fällen wenig für eine themengenaue Unterstützung von höchst spezialisierten Promotionsprojekten geeignet, können sogar einer Verflachung der Projekte und einer Umwandlung in eine dritte Ausbildungsphase Vorschub leisten. Die Individualpromotion ermöglicht Einzelforschung jenseits von Programmen und Promotionsstudien. Im Interesse einer innovativen Wissenschaftsentwicklung sollte diese Form der Promotion weiterhin qualitativ abgesichert werden.


1.2 Zur Notwendigkeit von Internationalisierung


Die Notwendigkeit der Internationalisierung der Studiengänge ergibt sich nicht bloß aus dem Prozess der europäischen Einigung und den damit verbundenen intereuropäischen Freizügigkeiten in Bezug auf die Ausbildung und dann auch auf das Wohnen und Arbeiten, sondern auch aus der grundsätz­lichen und insgesamt durchaus unvermeidlichen Globalisierung der Welt, nicht nur unter Gesichtspunkten von Wirtschaft und Handel, sondern gerade auch des Wissens, der Wissenschaft, und durchaus auch der Lebenswelt. 


Die Wertigkeit bzw. Anerkennung der Promotion in den unterschied­lichen Disziplinen und dann auch im Allgemeinen ist daher gerade auch angesichts des europäischen und internationalen Arbeitsmarkts für Wissenschaftler kein bloß nationales Problem. Es kann deswegen nicht im nachhaltigen 
Interesse der zu Promovierenden liegen, dass die (durchschnittliche) Qualität, das mit ihr sehr eng verkoppelte (durchschnittliche) Ansehen und damit auch die Wertigkeit und der längerfristige Nutzen einer Promotion geringer wird, etwa aufgrund von wissenschaftspolitischen Entscheidungen wie im Fall der Einführung eines FH-Doktorats in Fulda und an anderen hessischen Stand­orten oder aufgrund von Incentives und Zielvereinbarungen mit W-Professuren an den Hochschulen, wie sie zu einer Zunahme von Pro-Kopf-Promotionen und damit auf absehbare Weise zu einer Senkung von Qualitätsstandard 
führen. 


Idealerweise sollte eine an einer deutschen Hochschule in einem Fach erreichte Promotion die betreffende Person befähigen, nach einer entsprechenden Post-Doc-Phase als Hochschullehrer oder professioneller Forscher an ­irgendeiner akademischen Einrichtung, also etwa in Colleges oder Universities bzw. an entsprechenden Forschungsinstitutionen, zu arbeiten, am Ende auch auf leitender Position, obgleich spätere Forschung und Lehre nicht die einzige Zielvorstellung für eine Promotion ist. 


Als Forderung nach besserer Qualitätssicherung wurde daher von verschiedensten Seiten und Institutionen eine Trennung von Betreuung und Begutachtung wie in den USA ins Gespräch gebracht. Zum einen Teil wird diese Trennung z. B. in den Niederlanden über eigens evaluierte Graduiertenschulen organisiert, zum anderen externalisiert auf das Begutachtungssystem von peer reviewed journals – mit Vor- und Nachteilen. 


1.3 Probleme auf Seiten der Betreuung 


Auf der Seite der Betreuung entstehen Probleme durch die steigenden Anzahlen an Bewerbern um eine Promotion. Hinzu kommt mit der zugehörigen Kontrolle von Zielvereinbarungen ein gewisser Druck, möglichst viele Personen auf der BA-, MA- und Promotionsebene zum Abschluss zu führen und dabei möglichst gute Noten zu vergeben. Das ist besonders für Hochschullehrer des inzwischen nicht mehr ganz neuen W-Typs problematisch. Diese sind weit stärker von universitären Gremien und Leitungspersonen wie Dekanen und Rektoren abhängig als klassische Universitätsprofessuren. Damit geht eine Absenkung der curricularen Anerkennung von Oberseminaren und Doktorandenkolloquien einher, da diese aus den geforderten Leistungen grundständiger Lehre je nach Bundesland oder Standort teilweise oder ganz herausgenommen sind, es sei denn, sie werden im Rahmen von Promotionsschulen angeboten. Die ironische Folge ist, dass gerade solche Incentives dafür sorgen, dass die individuelle Betreuungsleistung von zu Promovierenden weit mehr als früher zur Privatsache wird, jedenfalls dort, wo eine Anrechnung der entsprechenden Kolloquien und Doktorandenseminare auf das Lehrdeputat wegfällt. 


Die im Zuge einer allgemeinen Qualitätssicherung der Leistungen der Dissertation prima facie als dienlich erscheinende Trennung von Betreuung und Begutachtung oder auch nur die Fortschreibung der bis in die 90er Jahre im Osten Deutschlands üblichen Praxis einer Bewertung der Dissertation durch mindestens einen externen Gutachter finden angesichts der skizzierten Rahmenbedingungen unter den Hochschullehrern verständlicherweise keine Freunde. Aber auch die zu Promovierenden selbst haben angesichts des offenbaren Risikos an einer solchen verpflichtenden ›Fremdbegutachtung‹ kein gesteigertes Interesse. 


1.4 Probleme auf Seiten der zu Promovierenden 


Auf beiden Seiten gibt man sich angesichts der skizzierten Sachlage – trotz aller verbalen Kritik oder Apologetik – faktisch weitgehend mit der Fortschreibung der Praxis einer weitgehenden Abhängigkeit von den jeweiligen Doktorvätern und Doktormüttern zufrieden. Das verstärkt aber nur die grundsätzlichen Probleme der zu Promovierenden, besonders auch das Problem des ›Betreuungsschutzes‹, den man ›Vertrauensschutz‹ nennen könnte, wenn man den Terminus nicht bloß rechtlich, sondern auch moralisch auffasste. Es geht auf der Ebene einer institutionellen Absicherung um eine Art Betreuungsvertrag, auf der Ebene freier Kooperation zwischen Betreuern und Betreuten um ein gegenseitiges freies Versprechen zwischen zu promovierenden Personen und sogenannten Doktoreltern. Der Betreuungs- oder Vertrauensschutz betrifft unter anderem die Absicherung der zu Promovierenden gegen unvorhergesehene Zufälle. So hängen (und hingen) z. B. manche Promotionen so sehr an Einzelpersonen, dass Krankheit oder Tod auch sachlich gute und wichtige Projekte zunichtemachen (konnten). Und es werden (und wurden) die sogenannten Zweitgutachter häufig oder zumeist erst in der Schlussphase oder nach Abgabe der Dissertation mehr oder minder nur von der Betreuungsperson ausgewählt, was zumindest prinzipiell auch Willkürentscheidungen ermöglicht hat und Gefälligkeitsgutachten von Kollegen derselben Institution zum Normalfall hat werden lassen. Aber auch dann, wenn die Zweitgutachter extern benannt werden, sind Freundschaftsgutachten die Regel, wo es keine intrinsische Motivation gibt, sich der zusätzlichen Aufgabe und Verantwortung zu unter
ziehen. 


Das Prinzip des Betreuungsschutzes würde eine frühe Fixierung der bisher sogenannten Zweitbegutachtung, auch gleich als potentielle Zweitbetreuung, nahelegen, und zwar unabhängig davon, ob man zulässt, dass diese intern, am selben Institut, stattfinden darf oder extern zu benennen ist. Am Ende wäre in Bezug auf die Anrechnung der Leistung Erst- und Zweitbetreuung bzw. -begutachtung gleichzustellen, obwohl im Einzelfall die Lasten verschieden sein werden. Denn nur dann wird über das je besondere Thema hinaus ein hinreichend großes allgemeines Interesse erzeugt werden können, an Promotionsverfahren überhaupt teilzunehmen. Es waren ja die Schwierigkeiten, willige Zweit- oder Drittgutachter zu finden, welche dazu geführt haben, dass praktisch an allen ostdeutschen Universitäten und in allen Disziplinen auf ein externes Gutachten als verpflichtende Bedingung zur Qualitätssicherung verzichtet wurde. 


1.5 Probleme in speziellen Fächern 


Als Probleme in speziellen Fächern lassen sich neben der (zu) langen Dauer der Promotionen in den philologischen und philosophischen Fakultäten und Fächern der Geisteswissenschaften auch eine (zu) kurze Dauer an besonderen Standorten der Rechtswissenschaften und generell in der Medizin nennen. In der Chemie ist die Promotion, nicht bloß das Diplom, seit Langem Stan­dardabschluss des Studiums. In den Wirtschaftswissenschaften ist wie in den Rechtswissenschaften der Doktortitel als Statussymbol für viele berufliche Aufstiege fast notwendige Bedingung. Die früheren höheren Fakultäten, die Jurisprudenz und Medizin erweisen sich dabei gerade deswegen, weil sie in erster Linie berufsausbildend sind – häufig mit aus der Universität ausgegliederter Forschung – als ›problematische‹ Fächer. Ihre Promotionspraxis hat mit einer wissenschaftlich eigenständigen Forschung nur sehr bedingt noch etwas zu tun, jedenfalls wenn man von glücklichen Sonderfällen absieht. 


2. Lösungsvorschläge 


In der Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zusammen mit der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften Promotion im Umbruch1 wird erstens empfohlen, die eigenständige Projektdurchführung und wissenschaftliche Qualität der Promotion von vornherein durch mindestens zwei gleichrangige Betreuer und Gutachter aus verschiedenen akademischen Institutionen als Experten zum Thema zu sichern, zweitens, bloße professional degrees unterhalb der Wertigkeit eines PhD wie z. B. international den MD (Medical Doctor) als ›Berufsdoktorate‹ klar von einer wissenschaftlichen Promotion zu unterscheiden. Gerade auch die in den Rechtswissenschaften vergebenen Doktortitel müssen sich nachhaltig an den Standards einer wissenschaftlichen Promotion orientieren. Das verlangt von den wissenschaftlichen Einrichtungen eine wirkliche Reform des Promotionswesens und von der Politik eine kluge Beschränkung der gesetzlichen Regelungen zum formellen Vergabe-Recht von Doktortiteln. Im Interesse von allgemeiner Funktion, Wertigkeit und Ansehen der (deutschen) Promotion wäre sogar dringend zu empfehlen, nach Möglichkeit gar keine bloßen Berufsdoktorate weiterzuführen oder, wie in der ›Hessenpromotion‹, neu an Fachhochschulen einzuführen. 


2.1 Prinzip der Doppelbetreuung mit formal gleichberechtigten Gutachtern 


Obwohl es prima facie vernünftig scheint, für alle Promotionen Betreuung und Begutachtung personell zu trennen, kann dies erstens einer Spezialisierung der Themen und damit der Rolle der Promotion im innovativen Forschungsprozess durchaus auch abträglich sein und zweitens einen erheblichen Aufwand bedeuten. Als realistisch umsetzbare Maßnahme wird hier daher die beschriebene Doppelbetreuung in Kooperation mit externen institutionellen Anbindungen empfohlen. 


Was die Promotionsmöglichkeiten für Absolventen von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften betrifft, wurde in den Hochschulgesetzen zum ­einen der Wechsel eines Absolventen an eine Universität vorgesehen, mit einem Master-Abschluss als Regelvoraussetzung; zum anderen die kooperative Promotion, die die Promotion von HAW-Absolventen an einer HAW in Kooperation mit einer promotionsberechtigten und den Doktorgrad dann auch verleihenden Hochschule vorsieht. Bisher besitzen nur Universitäten, ihnen gleichgestellte Hochschulen oder vom Wissenschaftsrat entsprechend akkreditierte Hochschulen das institutionelle Promotionsrecht. Neue Regelungen umgehen die Gleichstellung einer Einrichtung mit Universitäten oder einer vom Wissenschaftsrat vorgenommenen Akkreditierung und setzen auf individuelle und formale forschungsbezogene Leistungsindikatoren (z. B. Höhe der Drittmittel, Anzahl der Publikationen) der beteiligten Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, womit die Promotion von nicht notwendig schon wissenschaftlichen Kriterien abhängig gemacht wird. Die in einigen Bundesländern beobachtbaren Initiativen, neben den bereits etablierten Verfahren der kooperativen Promotion auch bestimmten Organisationseinheiten von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften durch eine entsprechende Gesetzgebung ein autonomes Promotionsrecht zu verleihen, bedeuten dabei, dass Durchführung und Qualitätskontrolle der Verfahren nicht mehr allein den (Fakultäten der) Universitäten obliegen. 


Eine fachübergreifende Angleichung der Standards und Zulassungs­bedingungen, auch durch Promotionskommissionen an den Universitäten, und eine Verstärkung des Prinzips der Doppelbetreuung durch mindestens zwei gleichrangige Hochschullehrer aus verschiedenen akademischen Einrichtungen könnten zusammen mit einer Reform des Prüfungswesens die Qualitätssicherung der Promotion erheblich voranbringen. Insbesondere wären damit keine weiteren bürokratischen Kooperationsverträge nötig. Nur wenn sich ein wissenschaftliches Projekt an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung dadurch auszeichnet, dass es von disziplinär einschlägigen Kolleginnen oder Kollegen an einer Universität mitbetreut werden kann, ist es zu einer Promotion zu führen. Sachspezifisch ausgerichtete kooperative Promotionen erhielten damit sozu­sagen den Status von Normalfällen. 


Die Qualitätssicherung der Promotion muss auf das wesentliche Ziel der Wissenschaft bezogen bleiben. Es geht um die Erforschung von neuem, nachhaltigem, reproduzierbarem Wissen, das als Ergebnis der Forschung wissenschaftlich evaluiert und publiziert wird. Eine Dissertation als Präsentation der Ergebnisse eines ersten eigenständigen wissenschaftlichen Forschungsprojekts muss dabei den wissenschaftlichen Standards entsprechen. Es wird daher – auch im Rahmen von strukturierten Promotionen – ein modifiziertes Modell der Individualbetreuung empfohlen, das die Vorteile einer mentorenbegleiteten Projektautonomie bewahrt. Der Charakter der Promotion als einer auf eigenständige Forschung ausgerichteten Qualifikationsphase sollte nicht durch eine zu starke curriculare Ausrichtung unterminiert werden. Allgemein nützliche, aber für das konkrete Promotionsprojekt nicht erforderliche Curricula sollten bezüglich ihrer Bedeutung für die wissenschaftliche Arbeit geprüft werden. Sie gehören grundsätzlich in die Ausbildungsphase von Master-Studien oder eines Diplomstudiengangs. 


2.2 Notwendige Strukturdebatten in den ›höheren‹ Fakultäten


In der Medizin steht eine Strukturdebatte an. Die Frage nach der Einführung einer fachdisziplinären Promotion Dr. med. auf gleicher Ebene wie in anderen Wissenschaften und die Vergabe eines bloßen Berufsdoktorats (MD) mit der Studienabschlussprüfung wie in anderen Ländern wurde bisher nur in ersten Ansätzen diskutiert. Die medizinischen Fakultäten und die Gesetzgeber auf Landesebene sind daher aufgefordert, gemeinsam die Probleme der gegenwärtigen medizinischen Promotion im Blick auf das gesamte System von Ausbildung, ärztlicher Praxis, wissenschaftlicher Forschung und Rekrutierung von Hochschullehrern durch zielführende Reformen der Dissertationspraxis anzugehen. Die Fakultäten könnten gemeinsam mit dem Medizinischen Fakultätentag (MFT) ein Modell entwickeln, das eine mehrjährige integrierte, ggf. parallel zur Facharztausbildung erarbeitete, wissenschaftliche Promotion einerseits und die Einstufung des regulären Studienabschlusses im Fach Medizin als Berufsdoktorat mit der internationalen Bezeichnung MD (»Medicinae Doctor«, auch »Medical Doctor«) andererseits vorsieht. Damit würde der Dr. med. zu einem wissenschaftlichen Doktorat mit einer Wertigkeit (weit) oberhalb des Diplom, Magister oder Master im Fach Medizin, auch oberhalb eines nicht neben dem Studium stattfindenden medizinischen Doktorats, für das manche Vorschläge eine dreiviertel- oder, wie in der Schweiz, eine einjährige Dissertationszeit veranschlagen. 


In den Rechtswissenschaften sollten die Standards für Promotionen sowohl im Fach selbst als auch im Vergleich zu anderen Fächern besser als bisher angeglichen werden. Insbesondere ist die Beteiligung externer Gutachter im Interesse einer allgemeinen Qualitätssicherung der juristischen Promotion zu fordern. 


Auch in den Wirtschaftswissenschaften gibt es zwischen den verschiedenen Institutionen und Standorten Differenzen in den Qualitätsstandards wirtschaftswissenschaftlicher Promotionen. Angesichts der verschiedenen Grade, die für eine Promotion vergeben werden (Dr. rer. pol., Dr. phil., Dr. rer. oec. usw.), wäre eine Vereinheitlichung zu empfehlen, was auch für verwandte Disziplinen gilt. Neue Grade auf der Ebene von Berufsdoktoraten führen tendenziell zur Ausweitung der Vergabe formeller Doktorgrade und ziehen den all­gemeinen Status der Promotion in Mitleidenschaft. Dennoch spricht viel dafür, dass die Hochschulgesetzgeber für die Medizin ein Berufsdoktorat einführen sollten (bei klarer Unterscheidung zu einem wissenschaftlichen Doktorat). Es wird jedoch in jedem Fall davon abgeraten, jenseits der Medizin Berufsdoktorate einzuführen. Wo aber, wie in der Medizin, ein Berufsdoktorat und ein wissenschaftliches Doktorat eingeführt werden, muss der Unterschied der Öffentlichkeit durch Politik und Wissenschaft klar und deutlich vermittelt werden. 


  1. 1Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Federführung: Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig) (Hg.), Promotion im Umbruch, Halle a. d. S. 2017, https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2017_Promotion_im_Umbruch.pdf (30.1.2018).
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Heft 19 (2018)
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