Die Reformation: Fürsten – Höfe – Räume
Bericht zur internationalen Tagung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig vom 31. Oktober bis 4. November 2016
Ein Jahr vor dem 500-jährigen Reformationsjubiläum 2017 veranstaltete die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig eine internationale Tagung, die dem Verhältnis von politischer Herrschaft und Reformation gewidmet war.1 Die inhaltliche Ausrichtung erhielt ihren Impuls von dem an der Akademie angesiedelten Forschungsprojekt »Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532«, daher stand das deutsche Territorialfürstentum im Mittelpunkt. Berücksichtigt wurden aber auch diejenigen europäischen Länder, die eine zur deutschen Fürstenreformation analoge Entwicklung aufwiesen. Gemäß den Forschungsschwerpunkten der Akademie wurden nicht nur allgemein- und kirchenhistorische Fragestellungen betrachtet, sondern auch Aspekte der Kunst- und Musikgeschichte sowie der Kultur- und Sprachgeschichte einbezogen.
Eröffnet wurde die Tagung mit einer Sektion zu den Reformationsfürsten der ersten Generation, in der die Voraussetzungen für die Einführung der Reformation, das Vorgehen verschiedener Landesherren und die Schwierigkeiten, auf die sie dabei stießen, beleuchtet wurden. Im Auftaktvortrag verglich Stefan Michel (Leipzig) die Positionen der Brüder Friedrich und Johann von Sachsen. So trete im Falle Johanns die Hinwendung zu Luther und die Förderung der Reformation nur allzu deutlich zutage. Die Einstellung Kurfürst Friedrichs hingegen sei wesentlich schwieriger zu fassen, da er einerseits für den Schutz Luthers eintrat, sich aber andererseits am Kaiser orientierte. Mit der Umsetzung der Reformation in Hessen unter Landgraf Philipp I., dem Großmütigen, der den sächsischen Fürsten eng verbunden war, und der Spaltung des Landes nach dessen Tod befasste sich Manfred Rudersdorf (Leipzig). Die Unterschiede zur sächsischen Reformation standen hier ebenso zur Debatte wie das Bestreben des Landgrafen, im Geiste gesamtprotestantischen Denkens die Einheit der Augsburger Konfessionsverwandten zu erhalten. Auch Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach war schon früh bestrebt, die Reformation in seinem Einflussbereich (Ungarn, Schlesien, Franken) zu stärken, war in der Umsetzung jedoch ebenfalls durch den Widerstand der Stände bzw. die kaiserliche Politik eingeschränkt, wie Reinhard Seyboth (München/Regensburg) herausstellte. Der von Almut Bues (Warschau) gehaltene Vortrag nahm den Bruder Markgraf Georgs, Herzog Albrecht von Preußen, Hochmeister des Deutschen Ordens, in den Blick. Dieser stieß in seinem Territorium auf keinen nennenswerten Widerstand gegen die Umsetzung der Reformation und unterstützte auf vielfältige Weise, etwa durch die Beförderung des Druckes reformatorischer Schriften, die Einrichtung von Schulen oder die Aufnahme geflohener Evangelischer, wofür er allerdings lebenslang mit der Reichsacht gestraft wurde. Mit Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg stellte Arnd Reitemeier (Göttingen) den letzten Fürsten dieser Reihe vor. Anhand des von ihm gewählten Beispiels wurde ein weiterer Punkt, der die landesherrliche Beförderung der Reformation erschweren konnte, deutlich, nämlich die durch eine desolate Finanzlage verursachte Abhängigkeit von den Landständen und die damit einhergehenden beschnittenen innenpolitischen Möglichkeiten.
Die zweite Sektion richtete den Fokus auf das Handeln der fürstlichen Akteure im Spannungsfeld von religiösen Überzeugungen und politischen Handlungsspielräumen. Hier wurde das fürstliche Amt zunächst von Armin Kohnle (Leipzig) aus reformatorischer und sodann von Steffen Schlinker (Würzburg) aus rechtshistorischer Sicht erörtert. Kohnle näherte sich seiner Thematik auf Grundlage der Schriften Luthers, Müntzers und Calvins und fragte nach deren Einstellung zum Fürsten, zu dessen Rechten und Pflichten, zu seinem Verhältnis zur kirchlichen Gewalt sowie zur Gehorsamspflicht der Untertanen. Die Zwillingsstellung des Fürsten als Glied des Reiches einerseits und »imperator in territorio suo« andererseits betonte Schlinker. Er verwies für diese Entwicklung auf die Rezeption des römischen Rechts, aus der zu Beginn der Reformation ein Verständnis von einem den anderen Herrschaftsformen übergeordneten Fürstentum resultiert habe. Auf diesen Ausführungen zur Rolle des Fürsten aufbauend beschrieb Enno Bünz (Leipzig) die Ausweitung der Herrschaft auf inhaltliche kirchliche Belange durch die Einführung des landesherrlichen Kirchenregiments. Vor allem am Beispiel Kursachsens machte er deutlich, wie neue Institutionen geschaffen wurden und durch die Integration der Kirche der frühmoderne Staat eine beträchtliche Stärkung erfuhr. Martina Schattkowsky (Dresden) machte darauf aufmerksam, dass die Frühzeit der Reformation auch den Fürstinnen neue Freiräume eröffnete. Dies verdeutlichte sie mit der Betrachtung der sächsischen Fürstinnen Herzogin Elisabeth, Kurfürstin Anna und Kurfürstin Magdalena Sibylla, die – nicht immer in Übereinstimmung mit ihren Ehemännern – die Frömmigkeit zum Gegenstand ihres politischen Handelns machten. Wiederholt wurde im Anschluss darauf eingegangen, ob man analog zum Begriff des Reformationsfürsten auch von Reformationsfürstinnen als neuem Typus sprechen könne. Welchen Anteil eine weitere Akteursgruppe an der sogenannten fürstlichen Politik hatte, hinterfragte Christoph Volkmar (Magdeburg) und hob dabei im Speziellen auf die Rolle der fürstlichen Räte ab, ging aber auch auf die Theologen und die Landstände ein. Die anschließende Diskussion betraf besonders das Gewicht der Theologen an den fürstlichen Entscheidungen, das – obwohl eher indirekter Natur – nicht unterschätzt werden dürfe.
Die folgenden beiden Sektionen waren der Kunst und Kultur vorbehalten und machten die interdisziplinäre Ausrichtung der Tagung besonders deutlich. Der Beitrag von Naima Ghermani (Grenoble) konzentrierte sich auf die Gattung des Ehepaarbildnisses, dessen Produktion während der Reformationszeit eine starke Konjunktur aufwies. Ghermani führte dies auf die Neubewertung der Ehe zurück, die sich beispielsweise darin spiegele, dass nun zu den Eigenschaften, derer ein Fürst bedurfte, auch die Ehefähigkeit zählte, und die nach dem Vorbild Luthers und Katharina von Boras in Zyklen von Ehepaarbildnissen repräsentativ dargestellt werden sollte. Mit den stilistischen Differenzierungen von Luthers Briefprosa in deutscher Sprache befasste sich Hans Ulrich Schmid (Leipzig) und konnte deutliche Unterschiede zwischen der privaten und der Fürstenkorrespondenz herausarbeiten, womit er zahlreiche weiterführende Fragestellungen anregte. Einen im weiteren Sinne damit zusammenhängenden Aspekt thematisierte Klaus Bochmann (Halle a. d. S.), indem er den Einfluss der Reformation auf die Schriftsprachen in Europa in den Blick nahm. Zwar habe es in vielen Ländern schon volkssprachliche Schrifterzeugnisse vor der Reformation gegeben, doch habe diese – im Zusammenspiel mit dem Buchdruck – sowohl die Anzahl als auch das inhaltliche Spektrum dieser Schriften stark erweitert. Der Musik der frühen Reformationszeit und der mit ihr verbundenen Person des »reformatorischen Urkantors« Johann Walter wandten sich die Ausführungen Christoph Krummachers (Leipzig) und Jürgen Heidrichs (Münster) zu. Das Spannungsfeld, in dem sich der Hofkapellmeister Walter bewegte, zwischen dem ernestinischen Hof in Torgau und der dortigen städtischen Oberschicht sowie dem albertinischen Hof in Dresden, seine Tätigkeitsfelder in konfessionell unterschiedlich ausgerichteten Umgebungen und die daraus resultierenden Gewissenskonflikte, wurden von Krummacher beleuchtet. Heidrich hingegen stellte ein einzelnes Werk Walters, das »Geistliche Gesangbuchlein« (1524), in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Seinen Überlegungen zufolge habe das Buch zunächst außerhalb des Gottesdienstes Anwendung gefunden, vorrangig in den lateinischen Schulen, von wo aus das Liedgut über die Schüler verbreitet wurde. Somit habe es wohl dem Zweck gedient, das reformatorische Gedankengut präsent zu machen bzw. zu verankern. Welchen Anteil die Fürstenschulen an der blühenden Musiklandschaft in den wettinischen Landen um die Mitte des 16. Jahrhunderts trugen, veranschaulichte Stefan Menzel (Weimar) am Beispiel des Cantus figuralis sehr eindrücklich. Eine weitere Perspektive fügte Stefan Bürger (Würzburg) hinzu, indem er für den Zeitraum des späten 15. bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert die Beziehungen zwischen Sakral- und Profanbauten in ihrer architektonischen Ausgestaltung präsentierte und neue Strömungen und Ansprüche herausarbeitete.
In der anschließenden Sektion wurden die Gegner der Reformation in den Blick genommen. Den Auftakt bildete das Haus Wettin, dessen zwei Linien ein gegensätzliches Verhältnis zu Luther unterhielten. Auf der Grundlage der Korrespondenz zwischen Herzog Georg von Sachsen und den ernestinischen Kurfürsten zeigte Christian Winter (Leipzig), dass es dabei zwar häufig zu Konflikten kam, diese aber befristet blieben. Daneben bestanden eine von dynastischer Solidarität gekennzeichnete familiäre Verbundenheit und ein Zusammenwirken in reichspolitischen Fragen fort. Zum endgültigen Bruch kam es erst vor dem Hintergrund der offenen Nachfolge im Herzogtum Ende der 1530er Jahre. Wie sehr die Reformation bzw. deren Bekämpfung die Amtszeiten Karls V. und Ferdinands I. prägten, war Thema des Vortrages von Martina Fuchs (Wien). Im Vergleich zu seinem Bruder Karl habe Ferdinand auf diesem Gebiet den größeren Pragmatismus bewiesen, was ihm letztendlich auch die Anerkennung seines Kaisertums seitens beider Konfessionen eintrug. Ausgehend von der verfassungs- und kirchenrechtlichen Doppelstellung der Reichsbischöfe (spiritualis und saecularis) und den daraus entstehenden Herausforderungen während der Reformationszeit analysierte Eike Wolgast (Heidelberg) Reaktionen verschiedener Bischöfe, die Entwicklung in den Diözesen sowie den gesellschaftlichen Umgang mit den neu entstandenen Spannungsfeldern. In eine Fernzone der kaiserlichen Politik begab sich Wolfgang Huschner (Leipzig), der den Konflikt zwischen Heinrich V. und Albrecht VIII. in Mecklenburg und Pommern beleuchtete. In anschaulichen Fallbeispielen entwarf er ein vielfältiges Panorama für den von spezifischen Interessen geleiteten Umgang mit der konfessionellen Spaltung in verschiedenen Orten des Territoriums.
Die Reformation ohne Fürsten war der sechsten Sektion vorbehalten. Hier unterstrich zunächst Uwe Schirmer (Jena) die Rolle der Landstände bei der Einführung der Reformation in Kursachsen, die ihm zufolge bereits ab 1521 vor Ort von regionalen Herrschaftsträgern mitgestaltet wurde, bevor sich die Ernestiner öffentlich zum neuen Glauben bekannten. Für das Verständnis der Entwicklung in den Städten sei es laut Olaf Mörke (Kiel) unabdingbar, nicht nur deren Status als beispielsweise Reichs- oder Hansestädte in den Blick zu nehmen, sondern auch deren Umfeld und die auf sie wirkenden Interessen zu betrachten. Hierbei dürften dennoch die innerstädtischen Akteure – wie auch in der Diskussion akzentuiert wurde – nicht vernachlässigt werden. Mit völlig anderen Voraussetzungen als im Reich mit seinem einheitlichen Kirchensystem, verbreitete sich die Reformation in Ostmitteleuropa, wo die einzelnen Gemeinden das Kirchenwesen organisierten, wie Joachim Bahlcke (Stuttgart) aufzeigte. Durch die Vielzahl der hier ausgeprägten religiösen Ausrichtungen sei die Durchschlagskraft des Protestantismus hier auch geringer ausgefallen, da er nicht die einzige Alternative zum Katholizismus darstellte.
Die letzte Sektion schließlich wandte sich der Fürstenreformation außerhalb des Reiches zu und schaute nach Skandinavien und in die Niederlande. Tarald Rasmussen (Oslo) betonte die frühe und eindeutige Bindung Dänemarks unter Christian III. und seinem Sohn Friedrich an die lutherische Lehre und die enge Verbindung zu Wittenberg. Er thematisierte die Motive und Strategien des Königs zur Umsetzung der neuen Lehre sowie dessen Verhältnis sowohl zum Kaiser als auch zum Calvinismus. Mit der Ausbreitung der Reformation in Schweden befasste sich Otfried Czaika (Oslo) und identifizierte als Katalysator für die Hinwendung Gustav Wasas zum Luthertum das Blutbad von Stockholm. Für das junge schwedische Königtum habe die Reformation eine Möglichkeit der Legitimierung nach innen und außen dargestellt. Die letztendlich gescheiterte Politik Wilhelms von Oranien in den Niederlanden wurde von Nicolette Mout (Leiden) erörtert. Der sich schließlich dem Calvinismus zuwendende Monarch habe versucht, mit Hilfe eines Religionsfriedens die konfessionelle Pluralität seines Herrschaftsbereiches zu organisieren, habe aber die aus dem Reich adaptierten politischen Mittel nicht erfolgreich umsetzen können.
Gleich zwei Abendvorträge bereicherten das ansehnliche Tagungsprogramm. Thomas Kaufmann (Göttingen) reflektierte zunächst den Begriff der Lutherischen Konfessionskultur, bevor er sich mit der Buch- und Bildpolitik der ernestinischen Herzöge sowie dem Siegelring Luthers zwei Aspekten dieser Konfessionskultur widmete, die beide eine Politisierung der Religion widerspiegelten. So hätten die Ernestiner den Verlust politischer Macht durch bildliche Darstellungen, die eine besondere Nähe zu Luther betonten, zu kompensieren versucht. Der Siegelring hingegen sei Luther vom ernestinischen Kurfürsten Johann Friedrich geschenkt worden, gelangte dann aber in den Besitz des Albertiners Johann Georg, der diesen angeblich zeitlebens trug, und sei als Symbol des Übergangs der Kurwürde von der ernestinischen auf die albertinische Linie verstanden worden. Nach der »Fähigkeit der Kunst zur Subversion« fragte Jürgen Müller (Dresden), indem er sich exemplarisch einigen Bildern der Reformationszeit zuwandte, in denen er verschiedene Codes sichtbar machte, die gegen die antikisierenden Ideale der Renaissance polemisierten. Dabei werde mit weit verbreiteten Motiven gespielt und bewusst eine Unsicherheit bei der Identifizierung einkalkuliert, deren semantisches Potential erst durch den Betrachter ausgeschöpft und durch den Rezeptionsvorgang aktualisiert werden musste.
Standen in den sieben Sektionen die Fürsten sowie die von ihnen gestalteten Strukturen im Zentrum, so wurde in den intellektuellen, höfischen, städtischen und ständischen Eliten auch weiteren Akteuren des Gestaltungsprozesses der ihnen gebührende Raum gegeben. Gegner der Reformation wurden ebenso berücksichtigt wie Varianten des Verlaufs neben der Fürstenreformation im deutschen wie im europäischen Raum. Wiederholt wurde der Fürst als treibende Kraft hinter der Umsetzung der Reformation herausgestellt, dabei aber gleichzeitig die Frage nach dem Funktionieren der Reichs- sowie der neu eingerichteten Institutionen aufgeworfen. Gerade durch die interdisziplinäre Ausrichtung wurde auch die Bedeutung der Reformation als Kommunikations-, Medien- und Bildungsereignis betont. Im Anschluss an die einzelnen Vorträge entspannen sich zum Teil sehr rege Diskussionen, sodass die Konferenz auch ihrem Auftrag als Ort des Austauschs gerecht wurde. Die Beiträge der Tagung waren derart ausgewählt, dass sie einen repräsentativen Schnitt durch die aktuelle Forschung lieferten und dabei allgemein nachvollziehbar sehr differenzierte Aspekte beleuchteten und neue Ansätze in die Diskussion einbrachten. Diese Ergebnisse der Tagung verdichtete Manfred Rudersdorf (Leipzig) in einer thesenartigen Zusammenfassung. Der knapp 500-seitige Tagungsband Die Reformation: Fürsten – Höfe – Räume, herausgegeben von Armin Kohnle und Manfred Rudersdorf, ist 2017 als Band 42 der Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte im Franz Steiner Verlag erschienen.2
- 1Die Reformation: Fürsten – Höfe – Räume, Internationale wissenschaftliche Tagung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig vom 31. Oktober bis 4. November 2016, Programm und Rückblick unter https://www.saw-leipzig.de/de/aktuelles/tagung-die-reformation-fuersten-hoefe-raeume (30.1.2018). Im Franz Steiner Verlag ist bereits der gleichnamige Tagungsband erschienen: Die Reformation. Fürsten, Höfe, Räume, hg. von Armin Kohnle und Manfred Rudersdorf unter Mitarbeit von Marie Ulrike Jaros (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Band 42), Stuttgart 2017. XII + 497 Seiten, 64 Abbildungen, Festeinband.
- 2Vgl. Fn. 1.