Relationes. Schriftenreihe des Vorhabens »Wissenschaftsbeziehungen im 19. Jahrhundert zwischen Deutschland und Russland auf den Gebieten Chemie, Pharmazie und Medizin« bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Neuerscheinungen 2018
Operateure zwischen Deutschland und Russland. Biobibliographisches Lexikon der Vertreter operativer Fächer im 19. Jahrhundert.
Von Marta Fischer, Shaker, Aachen 2018 (Relationes 21), 673 Seiten, 232 Abbildungen, Festeinband
Das in bewährter Weise von Marta Fischer verfasste biobibliografische Lexikon zu den in Russland chirurgisch tätigen Professoren stellt sich der schwierigen Aufgabe, einen Überblick über die Entwicklung der russischen Universitätsmedizin unter dem Aspekt des bilateralen Wissensaustauschs mit Deutschland zu liefern. Ein Lexikon zu den nicht-operativen Fächern ist in Vorbereitung, wobei den Nervenärzten ein eigenes Segment zugebilligt wird (Relationes 22, siehe unten). Gemeinsam werden diese Bände den Anspruch eines personenbezogenen Handbuchs zu den deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen auf dem Gebiet der Medizin im 19. Jahrhundert erfüllen.
Der bekannteste russische Chirurg, Nikolaj Ivanovič Pirogov (1810–1881), ist bereits in Band 20 der Reihe Relationes monographisch gewürdigt worden und wird im vorliegenden Band nicht nochmals berücksichtigt. Von seiner Schlüsselstellung in der russischen Medizin (und natürlich in der russischen Chirurgie) zeugen jedoch die zahlreichen Verweise auf seine Person. Anders als in den vorausgehenden Lexikonbänden fehlen diesmal Einträge zu den »großen Namen« auf deutscher Seite, sofern diese »nur« als akademische Lehrer fungierten und keine aktiven Verbindungen nach Russland pflegten. Ihre Vielzahl hätte den ohnehin schon weit gespannten Rahmen gesprengt und außerdem liegen zu diesen Personen auch schon hinreichend Forschungsarbeiten vor. Ein Blick in das verdienstvolle Personenregister belegt jedoch die beeindruckende Menge dieser Kontakte, die in den Artikeln zu den einzelnen russischen Operateuren konkretisiert sind.
Es fällt auf, dass unter den operativen Fächern die Augenheilkunde eine prominente Stellung einnimmt. Das liegt zum einen an ihrer großen sozialmedizinischen Relevanz, zum andern jedoch auch am vergleichsweise guten Forschungsstand: Der historisch interessierte Ophthalmologe Julius Hirschberg (1843–1925) hat im Rahmen seines vielbändigen Handbuchs zur Geschichte der Augenheilkunde akribisch die ihm zugänglichen Namen der zwischen 1800 und 1875 in Russland tätigen Fachvertreter zusammengetragen. Ansonsten wird (wieder einmal) deutlich, dass im 19. Jahrhundert heutige Fächergrenzen und Spezialisierungen noch nicht existierten, sodass die meisten Operateure auf mehreren Gebieten tätig waren. Was gleichfalls erkennbar ist und den Handbuchcharakter entsprechend dem Anliegen des Akademievorhabens unterstreicht, sind die durch Anästhesie und Asepsis gesetzten Meilensteine auf dem Weg zur modernen Chirurgie: Diese Umbrüche und das Mitwirken an den Innovationen lassen sich an den Publikationen vieler Protagonisten ablesen.
Nervenärzte. Deutsch-russische Wissenschaftsbeziehungen im 19. Jahrhundert auf den Gebieten Psychiatrie, Neuropathologie und Neurologie. Ein biobibliographisches Lexikon.
Von Birk Engmann, Shaker, Aachen 2018 (Relationes 22), 643 Seiten, 68 Abbildungen, Festeinband
Das vorliegende biobibliographische Lexikon der Psychiater, Neurologen und Neuropathologen, die im 19. Jahrhundert beim Wissenschaftsaustausch zwischen dem deutschsprachigen Raum und dem Russischen Reich eine Rolle spielten, ist thematisch durch das Akademie-Projekt Wissenschaftsbeziehungen im 19. Jahrhundert zwischen Deutschland und Russland auf den Gebieten Chemie, Pharmazie und Medizin angeregt worden, aber außerhalb davon entstanden. Der Verfasser hat sich als klinisch tätiger Psychiater parallel zu seiner Haupttätigkeit in die Geschichte seines Faches eingearbeitet und die gewaltige Mühe dieses Lexikons auf sich genommen. Die Ergebnisse einer systematischen Auswertung dieses Lexikons sind schon in weitere Veröffentlichungen eingeflossen und werden in monographisch zusammengefasster Form ebenfalls im Rahmen der Schriftenreihe Relationes erscheinen.
Wie auch schon in anderen Bänden wurde wieder eine Reihe historischer Begriffe übernommen, die teilweise mangels geläufiger Alternative als Lehnübersetzungen figurieren (z. B. »jüngerer/älterer Arzt«, »Hospitalklinik«, »vaterländisch« usw.), wobei sich der Verfasser in der Terminologie insgesamt eng an seine Quellen gehalten hat. Hinzuweisen ist besonders auf das Wort »Neuropathologe«, das im 19. Jahrhundert meistens unserem »Neurologen« entspricht (wörtlich »Spezialist für Nervenkrankheiten«) und heute eine andere Bedeutung hat (Spezialist für pathologisch-anatomische Veränderungen in Struktur und Gewebe des Nervensystems). Auch sonst ist wieder die im 19. Jahrhundert typische Unschärfe der Fächergrenzen zu bemerken.
Das Gebiet der Nervenheilkunde stellt für das Akademievorhaben eine wichtige Bereicherung dar, zumal es im ursprünglichen Antrag bzw. Arbeitsplan nicht ausgewiesen war. Deshalb wurde dieses Lexikon in die Schriftenreihe des Projekts aufgenommen; dem aufmerksamen Leser wird allerdings auffallen, dass es kleinere Abweichungen von den Gepflogenheiten der anderen Lexika gibt, die von Projekt-Seite nicht harmonisiert wurden, so wie auch keine intensiven Nachrecherchen oder autoptische Kontrollen der Literaturangaben erfolgen konnten. Die Zitation ähnelt derjenigen von medizinischen Fachzeitschriften, manche Einträge mussten mangels erreichbarer Informationen relativ kurz ausfallen und Nachweise bzw. Anmerkungen stehen im Text, nicht in Fußnoten. Frau Dr. Marta Fischer hat die formale Aufbereitung des Manuskripts entsprechend dem Layout der Reihe Relationes sowie die aufwendige Erstellung des Personenregisters übernommen. Trotz offener Fragen gibt der Band einen guten Überblick über die Anfänge der Nervenheilkunde und die damals im Zentrum stehenden Probleme, unter denen die soziale Situation eines der drängendsten war. Nicht umsonst finden sich unter den erfassten Personen diesmal auffallend viele Revolutionäre.