Ist die Energiewende machbar? Ein Plädoyer für mehr Sachlichkeit und weniger Ideologie
1. Einleitung
Die von der Bundesregierung im Sommer 2011 auf den Weg gebrachte Energiewende ist in der Geschichte der Energieversorgung Deutschlands ein einmaliger Vorgang. Noch nie zuvor wurde im nationalen Alleingang die Energieversorgung so schnell, so umfassend und so radikal verändert. Dass die Energieversorgung effizienter, grüner, intelligenter und mobiler werden soll, ist ohne Zweifel richtig. International, wie auf der letzten UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung (Rio+20) im Jahre 2012 auch bestätigt, findet die deutsche Energiewende mithin hohe Anerkennung, allerdings unter dem Vorbehalt und mit erheblichen Zweifeln hinsichtlich ihres Gelingens.
In unserem Land halten sich die Studien zum Gelingen oder Scheitern der Energiewende nahezu die Waage. Es wäre ein erfolgloses Unterfangen, sich an dieser Stelle mit den darin enthaltenen Widersprüchen und vielfältigen unrealistischen Annahmen auseinanderzusetzen. Überraschenderweise erfolgt dies nicht einmal durch die Politik. Eigenkritik an der Energiewende gilt es offensichtlich zu vermeiden, um die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht zu gefährden. Gerade deshalb ist m. E. der vorgegebene und eingeschlagene Weg der Energiewende – und zwar unter Einschluss der mittlerweile gesammelten Erfahrungen – auf Machbarkeit zu hinterfragen. Machbarkeit bedeutet dabei, dass entsprechend dem Gebot des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität kontinuierlich gewährleistet bleibt. Es ist offenkundig, dass wir mit rd. 2,2 % Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß das Klima nicht im Alleingang retten können.
2. Energiekonzept der Bundesregierung 2011
Im Herbst 2010 sah das Energiekonzept der Bundesregierung vor, die Energiewende hin zu mehr erneuerbaren Energien u. a. durch Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke zu finanzieren. Mit dieser sogenannten Brücke sollten vermeidbare Verteuerungen der Energie-, hier der Strompreise, für den Verbraucher vermieden werden.
Fukushima wurde politisch zum Anlass genommen, in unserem Land schneller aus der Kernenergie auszusteigen, als es ohne die vereinbarte Laufzeitverlängerung der Fall gewesen wäre. Dies geschah, obwohl die Ereignisse in Japan in keiner Weise auf die Gegebenheiten in unserem Land übertragbar sind. Die von der Bundesregierung unverzüglich beauftragte Reaktorsicherheitskommission (RSK) bestätigte dies ebenso wie den hohen Sicherheitsstandard der deutschen Kernkraftwerke.1 Letzterer gebiete keine Neubewertung der mit der Kernenergienutzung verbundenen Risiken oder gar einen vorzeitigen Ausstieg. Die von der Bundeskanzlerin im Frühjahr 2011 ebenfalls eingesetzte Ethik-Kommission kam zu dem Schluss, dass ein die Versorgungssicherheit nicht gefährdender Ausstiegsplan ethisch zu rechtfertigen sei. Die Bundeskanzlerin ist der Ethik-Kommission gefolgt. Sie hat damit m. E. auch als ausgebildete Physikerin und frühere Bundesumweltministerin sachlich wider besseres Wissen entschieden. Allerdings war ihre Entscheidung als Machtpolitikerin in Ansehung des parteiübergreifenden Konsenses nachvollziehbar.
Der parteiübergreifende Konsens zur vorgezogenen Beendigung schließt nach meiner Überzeugung absehbar eine Rückkehr zur friedlichen Nutzung der Kernenergie in unserem Land aus, auch wenn mehrere Länder der EU an ihr festhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2016 (BVerfG, 1 BvR 2821/11, 1 BvR 1456/12, 1 BvR 321/12) die umsetzende Novelle des Atomgesetzes zum beschleunigten Atomausstieg im Wesentlichen für rechtens erklärt. Allerdings hat das Gericht den Gesetzgeber verpflichtet, bis Juni 2018 Ausgleichsmaßnahmen für die Unternehmen RWE, Vattenfall und wohl auch EON vorzusehen. Es dürfte um Entschädigungen für zugesicherte Strommengen gehen, die nicht (mehr) produziert werden können, sowie sogenannte »frustrierte Investitionen«, die in Folge der ursprünglichen Verlängerung der Laufzeiten getätigt wurden.
Die zugegebenermaßen in großer Eile Mitte 2011 verabschiedete Energiewende wurde weder staatlicherseits noch in der Wirtschaft im Detail auf Machbarkeit geprüft. Die EU hüllte sich in Schweigen zu dem deutschen Alleingang, der mit keinem der Mitgliederländer abgestimmt wurde; eine Belastung, wie sich bei der von Deutschland später eingeforderten Solidarität zur Übernahme von Flüchtlingen zeigen sollte. Das Energiekonzept der Bundesregierung spiegelt politisch und gesellschaftlich die Vision von einer nahezu vollständig erneuerbaren und kohlenstofffreien Energieerzeugung wider und findet bislang mehrheitlich Akzeptanz. Längere Zeit wurde dabei der Eindruck erweckt, dass eine klimafreundliche und regenerative Energiezukunft ohne namhafte Mehrkosten in überschaubarer Zeit erreichbar sei. Zahlreiche Prognosen zur Umsetzung der Energiewende, insbesondere zu den hierdurch entstehenden Mehrkosten, haben sich nahezu gänzlich als falsch erwiesen. Die Tatsache, dass Strompreise extrem gestiegen sind, lässt sich nicht mehr leugnen. So ist z. B. für einen deutschen Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3.500 kWh der Preis für eine Kilowattstunde im Mittel von 17,11 ct im Jahre 1998 auf 29,44 ct im Jahre 2018 angestiegen.2
Die Energieversorgung ist Grundlage einer jeden Volkswirtschaft. Allein deshalb verbieten sich eigentlich Experimente mit ungewissem Ausgang. Zugegebenermaßen gelten für die Stromversorgung physikalische Besonderheiten, die von vielen nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt werden. Dazu gehört, dass Stromerzeugung und Stromverbrauch sekundengenau gleich sein müssen und eine Speicherung von Strom im industriellen Maßstab absehbar noch nicht machbar ist. Die Integration der nur volatil verfügbaren Photovoltaik und/oder Windkraft in die übrige Erzeugungsstruktur erweist sich in der noch zu ertüchtigenden Netzstruktur als außerordentlich kompliziert.
3. Konsequenzen
Die Stromversorgung durch Wind und Photovoltaik stehen nachfolgend im Zentrum, da die Erzeugung durch Wasserkraft in unserem Land nahezu ausgeschöpft ist und Biogasanlagen eher dem Wärmemarkt dienlich sind.
3.1. Technische Folgen
Wie sieht die Realität aus? Wind- und Sonnenenergie werden nach wie vor unkoordiniert ausgebaut, auch wenn die Absenkung der Förderung für erneuerbare Energien sowie auch die Veränderung der Ausbauziele durch die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2017 das Tempo etwas gedrosselt haben. Der Paradigmenwechsel zu Ausschreibungen und damit zu Wettbewerb ist grundsätzlich zu begrüßen. Unkoordiniert ist vor allem der teils extrem verzögerte Netzausbau. Dabei geht es nicht nur um gewaltige Trassen von Nord nach Süd, sondern auch um den umfangreichen Ausbau und die Modernisierung des Niederspannungsnetzes, um den Anforderungen hinsichtlich smart grid bis hin zur Einspeisung des von Haushaltskunden selbst erzeugten Stroms genügen zu können. Erschwerend kommt hinzu, dass es heute und absehbar in der Zukunft nicht annähernd ausreichend Speichermöglichkeiten für Strom gibt. Die bewährten Pumpspeicherkraftwerke der Vergangenheit rechnen sich nicht mehr. Die früher bestehende Hochpreisphase zur Mittagszeit fehlt infolge vermehrt zum Einsatz kommender erneuerbarer Energien.
Der Zubau erneuerbarer Energien führt zwangsläufig dazu, dass zahlreiche fossile Kraftwerke in die Reservehaltung gedrängt werden. Trotz des mittlerweile technisch möglichen, flexibleren Hoch- und Runterfahrens von Kraftwerken können diese infolge geringer Betriebszeiten kaum noch wirtschaftlich arbeiten. Mithin überlegen viele Elektrizitätsversorgungsunternehmen, weitere Kraftwerkskapazitäten stillzulegen. Dies ist nur eingeschränkt möglich und bedarf der vorherigen Genehmigung durch die Bundesnetzagentur (BNetzA). Je häufiger die BNetzA dies aufgrund strategischer Bedeutung für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit untersagt, desto mehr nähern wir uns einem sogenannten Kapazitätsmarkt. In diesem wird zumindest eine volle Kostenerstattung für Kraftwerke zugesagt, die aufgrund ihrer Systemrelevanz am Markt verbleiben müssen.
Der Ausbau der Transportnetze ist dringend geboten, um den im Norden und Osten unseres Landes erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien rechtzeitig in die Verbrauchszentren im Süden und teils auch im Westen zu transportieren. Rechtzeitig bedeutet: bevor die Kernkraftwerke dort vom Netz gehen und der Strom – allem voran aus Windkraft – benötigt wird. Von den Offshore-Windparks soll im Rahmen der Energiewende umfangreich Kredit genommen werden.
Umso mehr beunruhigte es die Politik, dass sich bei den zuerst geplanten Offshore-Anlagen unerwartet größere Probleme und Verzögerungen zeigten. Der Gesetzgeber hat dem Umstand, dass noch keine hinreichenden praktischen Erfahrungen mit der Anbindung von Offshore-Windparks vorlagen, die weit von der Küste entfernt errichtet werden, durch eine gesetzliche Regelung Rechnung getragen. Für den Fall der Verzögerung der Errichtung, der Anbindung oder einer Störung des Betriebs erhält der Investor/Betreiber unter Anrechnung eines Selbstbehaltes danach eine Entschädigung. Die Kosten dieser gesetzlichen Haftungsregelung werden auf das Netzentgelt umgelegt und letztendlich vom Verbraucher bezahlt. Der Verbraucher, in erster Linie der Haushaltskunde, wird damit zum sogenannten Ausfallbürger und hat für die noch nicht ausgereifte Technik der Energiewende zu zahlen.
Es wurde in der Politik nach bereits verabschiedetem Netzausbauplan erneut lange darum gestritten, die Höchstspannungsleitungen, die sogenannten Stromautobahnen, möglichst unterirdisch zu verlegen. Dies verteuert den Ausbau um das 6- bis 8-Fache und verlängert die Bauzeit. Man erhofft sich eine höhere Akzeptanz durch die Anrainer. Von den insgesamt geplanten und teils zu ertüchtigenden 7.700 Leitungskilometern waren Ende 2017 weniger als 15 % realisiert.
Folge der fehlenden Leitungskapazität ist, dass immer mehr Noteingriffe ins Netz mit extremen Folgekosten für den Verbraucher vorgenommen werden müssen.3 Spätestens im Jahr 2020 wird in Ostdeutschland sechsmal so viel Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt, wie dort verbraucht wird. Dieser Strom muss abgeleitet werden, um nicht weiterhin grenznah über polnische und tschechische Netze nach den Gesetzen der Physik nach Süddeutschland zu fließen. Beide Länder wollen dies durch Einbau von Regeltransformatoren verhindern, um selbst ihre Netzkapazität nutzen zu können.
Wind- und Solarstrom könnten am ehesten wettbewerbsfähig werden, wenn es gelänge, diesen Strom im industriellen Maßstab zu speichern. Es fehlt hierzu nicht an innovativen Ideen, wie z. B. die Konzeption von Druckluftspeichern oder den Ansatz, überschüssigen Windstrom per Elektrolyse in Wasserstoff oder anschließend in Methan umzuwandeln (»Power to Gas«). Außer über Batteriespeicher wird auch darüber nachgedacht, erneut Nachtstromspeicherheizungen mit modifiziertem Einsatz zur Anwendung zu bringen (»Power to Heat«). All diese technischen Ansätze sind jedoch noch fern davon, erprobt und zu vertretbaren Kosten zur Anwendung zu kommen.
3.2. Kosten
Die Art und Weise der Subventionierung der erneuerbaren Energien hat zu Fehlsteuerungen geführt, die immer offenkundiger werden und deren Ausmaß vielen Bürgern noch nicht bewusst ist. Hauptverursacher für steigende Strompreise ist die Ökostromabgabe. Mit ihr wird Strom aus Windparks, Solaranlagen und Biogas subventioniert. Die Aussage des früheren Kanzleramtsministers und heutigen Bundesministers für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier, die Kosten der Energiewende allein im Strombereich beliefen sich, wenn nichts getan würde, »bis Ende der 30er Jahre auf rd. eine Billion Euro«, könnte nach Ermittlungen des Instituts für Wettbewerbsökonomie der Universität Düsseldorf sogar früher Wirklichkeit werden.4 Für eine vierköpfige Familie würde dies direkte und indirekte Kosten in Höhe von über 25.000 Euro bedeuten.
Die Kostenexplosion könnte zum Spaltpilz der Gesellschaft werden. Mehr als 600.000 Bürger haben bereits jetzt Probleme, ihre Stromrechnung zu bezahlen. Die Mehrheit der Bürger dürfte nicht für eine Energiewende um jeden Preis sein. Die Folgen der Energiewende wurden und werden bislang völlig unzureichend kommuniziert.
3.3. Volkswirtschaftliche Folgen
Verfehlt und kurzsichtig erscheint die immer wieder erhobene Forderung, die preislich entlastete stromintensive Industrie bzw. das entsprechende Gewerbe stärker für die Ökostromabgabe heranzuziehen, um die Haushaltstarife zu entlasten. Hierbei wird verkannt oder bewusst ignoriert, dass energieintensive Industrien, wie z. B. Chemie-, Aluminium-, Eisen- und Stahl-, Papier-, Zement- und Gas-Industrie, moderate Energiepreise benötigen, um weltweit wettbewerbsfähig produzieren zu können. Sollte ihnen dies in unserem Land nicht mehr möglich sein, müssten sie die Produktion einstellen bzw. ihre Fertigung ins Ausland verlegen, wo günstigere Rahmenbedingungen herrschen. Versicherungspflichtige Jobs und die bisherige Wertschöpfung in unserem Land gingen verloren und dies mit weit gravierenderen Folgen, als es höhere Stromhaushaltstarife verursachen können. Mehr als die Hälfte des Stroms wird noch in der Industrie verbraucht. Dabei sollte Erwähnung finden, dass durch technische Weiterentwicklungen bereits erhebliche Einsparungen und damit Effizienzsteigerungen erzielt werden konnten.
Manche verwundern die hohen Netzausbaukosten, hat doch das deutsche Stromnetz im internationalen Vergleich früher qualitativ stets gut abgeschnitten. Dabei darf nicht verkannt werden, dass die heutigen Anforderungen an das Netz gänzlich andere sind. Die Dezentralisierung der Erzeugung, die Platzierung der erneuerbaren Energien an hierfür geeigneten Standorten, die Entwicklung von Verbrauchern zu Erzeugern und Einspeisern sowie schließlich der national und international zunehmende Handel bedingen ein anders ausgelegtes Netz. Intelligente Netze, insbesondere Verteilernetze sind geboten, um den aus mittlerweile 1,6 Mio. angeschlossenen Anlagen erzeugten Ökostrom aufnehmen und verteilen zu können.
Die Verfügbarkeit von Strom aus Sonne und Wind bestimmt die Natur. Die Einspeisung ins Netz ist mithin sehr volatil. Waren wir früher Weltmeister, was die Verfügbarkeit anging, so haben sich die Redispatch-Eingriffe extrem vervielfacht. Anstelle von früher wenigen Eingriffen pro Jahr, sind es heute mehr als 1.000, um das Netz zu stabilisieren.
Hans-Werner Sinn, bis 2016 Präsident des ifo Instituts – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V., hat auf der Grundlage der Daten vom Öko-Institut e. V. von 2014 rechnerisch nachgewiesen, dass nicht nur wegen der tagesaktuellen Unstetigkeiten von Strombedarf und Stromerzeugung, sondern auch wegen der saisonalen Schwankungen 50 % der Stromerzeugung fossil bleiben müssen.5 Stattdessen etwa 6.400 Pumpspeicher-Kraftwerke in unserem Land zu errichten, bezeichnet er zu Recht als unrealistisch.
Für Europa hat die European Climate Foundation (ECF) in ihrer Studie »Roadmap 2050« (04/2010)6 schon vor einigen Jahren festgestellt, dass die Vervielfachung der Wind- und Sonnenenergie nicht nur wegen höherer Kosten an ihre Grenzen stößt. Diese Form der Energieerzeugung erfordere erhebliche Back-up-Kapazitäten durch regelbare konventionelle Kraftwerke. In Europa entspräche die sogenannte Reserve 65 % der heute installierten Kapazität an Kohle- und Gaskraftwerken.
Es verwundert schon, dass die wissenschaftlichen Aussagen zu den Kosten sowie auch der technischen Machbarkeit ohne Einfluss auf das unveränderte Ziel der Energiewende bleiben, bis 2050 mindestens 80 % der Stromerzeugung ausschließlich durch erneuerbare Energien zu produzieren.
3.4. Klimapolitische Folgen
Der Klimaschutz diente noch vor dem Argument der Ressourcenschonung als Rechtfertigung der Energiewende. Das in Deutschland zur Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien politisch so gelobte EEG verteuert den Strom und bringt für das globale Klima nichts, wie auch jüngst von der EU festgestellt wurde. Infolge des von der EU festgelegten Caps, also der Gesamtmenge der genehmigten CO2-Zertifikate, kann das EEG den CO2-Ausstoß nicht weiter verringern. Der grüne Strom, den es in Deutschland hervorbringt, verdrängt zwar den bei uns aus fossilen Quellen erzeugbaren Strom, aber zugleich verdrängt er auch die CO2-Zertifikate aus Deutschland und senkt deren Preis. In anderen Ländern finden diese an der Börse gehandelten Zertifikate guten Absatz und ermöglichen dort den Ausstoß von genauso viel zusätzlichem CO2, wie in Deutschland eingespart wurde. Die Kohle- oder Gaskraftwerke, die dank der billigen Zertifikate nicht nachgerüstet oder durch effizientere Anlagen ersetzt werden müssen, stehen dann in Polen oder Italien. Für das Klima spielt es keine Rolle, an welcher Stelle unseres Globus Kohlendioxyd emittiert wird. Es bedarf mithin – zumindest europaweit – einer Preispolitik beim CO2-Zertifikatehandel, der die vorgenannte Praxis nicht mehr wirtschaftlich erscheinen lässt.
4. Machbarkeit
Ob die Energiewende mit Erfolg umgesetzt werden kann, ist gewiss noch in zahlreichen Bereichen zweifelhaft. Das erklärt sich u. a. daraus, dass auf Visionen von technischen Lösungen Kredit genommen wird, die noch der abschließenden Entwicklung bedürfen (z. B. Speichertechnologien). In Anbetracht des Gesamtzeitraums erscheint es durchaus legitim, angemessen auf Innovationen zu setzen, die ja stattfinden. Vermieden werden müssen aber sogenannte »bottle necks«. Strom ist unaufhebbar leitungsgebunden. Mithin muss zeitgerecht sichergestellt werden, dass der erzeugte Ökostrom entweder gespeichert oder zum Verbraucher transportiert werden kann.
So musste z. B. allein der Netzbetreiber TenneT im Norden im Jahr 2017 nach eigenen Angaben fast eine Milliarde Euro für Noteingriffe ins Netz zahlen. Wenn Strom aus erneuerbaren Energien technisch nicht ins Netz eingespeist werden kann, erhält der sogenannte abgeriegelte Investor/Betreiber gleichwohl seine Förderung. Solche Kosten landen am Ende beim Verbraucher und werden sozialisiert. Gleiches gilt, wenn aus erneuerbaren Energien mehr Strom erzeugt als benötigt wird. In einem solchen Fall erhält ein ausländischer Abnehmer Geld für die Abnahme dieses Stroms, sogenannte negative Strompreise; Kosten, die der Verbraucher letztendlich über die Netzentgelte ebenfalls zu zahlen hat.
Die Gründe hierfür sind sehr komplex und nicht allein mit der unzureichenden Flexibilität der konventionellen Kraftwerke zu erklären. Ursächlich sind in erster Linie der Vorrang der Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien und die gleich hohe Förderung auch bei nicht möglicher Einspeisung. Hier zeigt sich ein Hauptproblem der Energiewende: die Unverträglichkeit zweier sich widersprechender Systeme, nämlich Wettbewerb und Regulierung. Seit der Liberalisierung des Energiemarktes bildet sich der Strompreis durch Angebot und Nachfrage. Für den Ökostrom gelten diese Regeln des Strommarktes nicht, sondern das Subventionssystem des EEG. Dieses ist durch den Vorrang der Einspeisung von Ökostrom sowie langfristig hierfür festgelegte Vergütungen gekennzeichnet.
Den zweifelhaften Luxus, das planwirtschaftliche Subventionssystem des EEG und den Wettbewerbsmarkt unkoordiniert nebeneinander existieren zu lassen, führt zu extremen Kostenbelastungen. Eine Abschwächung dieses Konflikts, allerdings nur für Neuanlagen in der Zukunft, hat das 2017 novellierte EEG gebracht. Eine Kürzung der für 20 Jahre zugesagten Förderung für Altanlagen dürfte verfassungsrechtlich nicht durchsetzbar sein.
Es erscheint aus meiner Sicht durchaus vorstellbar, dass der Weg in eine klimafreundlichere Wirtschaft über eine etwas längere Brücke führt. Die mehr und mehr außer Kostenkontrolle geratene Energiewende zeitlich zu strecken, könnte mit höherer Sozialverträglichkeit begründet werden, ohne größeren Schaden im politischen Raum zu nehmen. Die vorerwähnten sogenannten »Altlasten« und die Kosten für den dringend benötigten Netzausbau lassen allerdings wenig Spielraum.
Die Energiewende ist kein Selbstläufer. Für ihre Umsetzung bedarf es eines fortzuschreibenden Masterplans, der laufend aktualisiert und den neuen Entwicklungen angepasst werden muss. Die Weiterentwicklung der Technik und verändertes Verbraucherverhalten müssen ebenso Berücksichtigung finden wie eventuell neue Umweltgesichtspunkte. Eine der größten Herausforderungen dürfte auf dem nationalen sowie europäischen Markt die fortschreitende Digitalisierung werden.
Unsere hochentwickelte Volkswirtschaft bedarf der Versorgungssicherheit. Solange Ökostrom zwar reichlich produziert, aber noch unzureichend transportiert und gespeichert werden kann, müssen wir uns ergänzend auf fossile Energieträger abstützen. Möge dies bei dem Ruf nach einem zügigen Ausstieg aus der Kohle – auch im Interesse der Beschäftigten – angemessen Berücksichtigung finden. Zu wünschen wäre eine offene Informationspolitik.
- 1RSK/ESK-Geschäftsstelle beim Bundesamt für Strahlenschutz (Hg.), »Anlagenspezifische Sicherheitsüberprüfung (RSK-SÜ) deutscher Kernkraftwerke unter Berücksichtigung der Ereignisse in Fukushima-I (Japan)« (RSK-Stellungnahme 11.–14.5.2011, 437. RSK-Sitzung), o. O. 2011, www.bmu.de/fileadmin/bmu-import/files/pdfs/allgemein/application/pdf/sicherheitsueberpruefung_stellungnahme_rsk.pdf (17.8.2018).
- 2BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (Hg.), »BDEW-Strompreisanalyse Mai 2018«, Berlin 2018, www.bdew.de/media/documents/1805018_BDEW-Strompreisanalyse-Mai-2018.pdf (17.8.2018); vgl. auch in diesem Beitrag 3.2. Kosten.
- 3Die Redispatchkosten beliefen sich im Jahr 2017 auf 1,4 Mrd. Euro, im Jahre 2016 waren es 1,1 Mrd. Euro, so laut Sandra Enkhardt die Aussage von Jochen Homann, Präsident der BNetzA. Sandra Enkhardt, »Redispatchkosten steigen auf 1,4 Milliarden Euro 2017«, in PV Magazine 2 (6/2018), www.pv-magazine.de/2018/06/18/redispatchkosten-steigen-auf-14-milliarden-euro-2017 (17.8.2018).
- 4Justus Haucap, Ina Loebert, Susanne Thorwarth, Kosten der Energiewende. Untersuchung der Energiewendekosten im Bereich der Stromerzeugung in den Jahren 2000 bis 2025 in Deutschland, Ein Gutachten im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, o. O. 2016, http://www.insm.de/insm/dms/insm/text/soziale-marktwirtschaft/EEG/INSM_Gutachten_Energiewende.pdf (17.8.2018).
- 5Hans-Werner Sinn, »Buffering volatility: A study on the limits of Germany’s energy revolution«, in European Economic Review 99 (2017), S. 130–150, www.cesifo-group.de/DocDL/cesifo1_wp5950.pdf (17.8.2018). Diese Einschätzung äußerte er u. a. auch in den Vorträgen »Wie viel Zappelstrom verträgt das Netz«, München 2017, www.youtube.com/watch?v=rV_0uHP3BDY (17.8.2018) oder »Die Bändigung des grünen Zappelstroms«, Vortrag im Rahmen der Reihe Zukunft – Energie – Zukunft der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und der Technischen Universität Dresden, Dresden 2016, www.saw-leipzig.de/de/aktuelles/Zukunft-Energie-Zukunft-Sinn (17.8.2018).
- 6European Climate Foundation, »Roadmap 2050«, www.roadmap2050.eu (17.8.2018).