Karrierechancen in der Wissenschaft
Albert Einstein hat seinerzeit festgestellt: »Zwei Dinge sind zu unserer Arbeit nötig: Unermüdliche Ausdauer und die Bereitschaft, etwas, in das man viel Zeit und Arbeit gesteckt hat, wieder wegzuwerfen.« Sicher gilt dies auch heute noch für kreatives, wissenschaftliches Arbeiten. Engagement für die Forschung verlangt auch ein Mindestmaß an guten Arbeitsbedingungen und eine Zukunftsperspektive. Dabei will nicht jeder oder jede Nachwuchswissenschaftler/in dauerhaft in der Wissenschaft oder Hochschule verbleiben. Umgedreht sollte aber auch die Möglichkeit bestehen, Wissenschaft, Forschung und Lehre zum Beruf werden zu lassen. In beiden Bereichen – der Phase der Qualifikation sowie danach – besteht das Problem prekärer Beschäftigung. Zu kurze, unsichere Verträge erschweren eine vernünftige Planung der Qualifikationsphase ebenso wie ständig befristete Drittmittelbeschäftigungsverhältnisse nach einer erfolgreichen Qualifikation. In den letzten Jahren ist diese Situation auch in Sachsen und bundesweit durch Stellenabbau, Hochschulpakt und Exzellenzinitiative immer kritischer geworden. Zurecht wird daher jetzt der Druck auf den Arbeitsmarkt Hochschule und Wissenschaft – nicht zuletzt auch wegen einer zunehmenden Fachkräftekonkurrenz – größer. Work-Life-Balance ist nicht nur ein Thema für Unternehmen, sondern auch in den Hochschulen. Spätestens nach der Promotion stellt sich diese Frage verstärkt und die einzige Perspektive einer unbefristeten Professur ist für viele unerreichbar. Ein paar Zahlen sollen diese Situation veranschaulichen:
Im Jahr 2014 waren 381.000 Personen im wissenschaftlichen und künstlerischen Bereich an deutschen Hochschulen tätig. Hiervon waren nur rund 63.300 Personen in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis in Vollzeit angestellt. Im Ergebnis dessen waren ca. 83 % der Beschäftigten mit einer unbefristeten Teilzeit oder einer Befristung beschäftigt. Der wissenschaftliche und künstlerische Mittelbau ist mit einem Anteil von gerade einmal 12,3 % in einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung tätig. In Sachsen liegt die Quote an den einzelnen Universitäten zwischen 14 und 40 %. In den 2016 mit den sächsischen Hochschulen abgeschlossen Zielvereinbarungen wurde für jede Hochschule eine Anhebung dieser Quote bzw. eine Stabilisierung auf dem vergleichsweise hohen Wert von 40 % vereinbart. In den Hochschulen für angewandte Wissenschaften/Fachhochschulen liegt der Wert der unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse naturgemäß deutlich höher, da ein Mittelbau im Wesentlichen fehlt. Auf den Unterschied zwischen Männern und Frauen möchte ich an dieser Stelle erst gar nicht eingehen. Der Anteil des drittmittelfinanzierten Personals lag in Sachsen bei 38 % und damit höher als im Bundesschnitt. Drittmittelfinanziert bedeutet in der Regel auch immer befristet. Hier muss dringend eine Änderung des Sächsischen Hochschulfreiheitsgesetzes die Möglichkeit auch der unbefristeten Beschäftigung eröffnen.
Was sagen diese Fakten nun über die Karrierechancen in der Wissenschaft? Der hohe Anteil an Befristungen in Wissenschaft und Forschung offenbart, dass die Möglichkeiten, in einer dauerhaften Anstellung eine Karriere anzustreben, doch sehr beschränkt sind. Hochschulen benötigen ein vernünftiges Verhältnis von unbefristeten Stellen für dauerhafte Aufgaben zu befristeten Beschäftigungsmöglichkeiten. Wie groß dieses Verhältnis ist, darüber muss es einen Aushandlungsprozess geben. Dazu gehört ein Perso nalentwicklungskonzept, dessen Erstellung wir jetzt mit allen sächsischen Hochschulen vereinbart haben.
Wegen der Besonderheiten in Hochschulen und Forschungseinrichtungen wurde vor mehr als zehn Jahren mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz erstmals eine Regelung geschaffen, die die Möglichkeiten der Befristung spezifisch regeln hilft. Die Novellierung war aufgrund einer massenhaften Ausdehnung der Befristung dringend erforderlich. Ich habe mich daher im Gesetzgebungsverfahren zum neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) dafür eingesetzt, das technische Personal aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herauszunehmen. Die Möglichkeiten der Befristung sollten wieder auf das zurückgeführt werden, wofür sie benötigt werden – die Qualifikationsphase und die Beschäftigung in Drittmittelprojekten. Das WissZeitVG sollte klare Regelungen auch für diese Beschäftigungsverhältnisse enthalten.
Leider gehen die getroffenen Normierungen nicht weit genug, auch wenn wichtige Schritte enthalten sind. Nach wie vor bleibt es bei dem Grundsatz, dass mit wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die nicht promoviert sind, für maximal sechs Jahre befristete Verträge abschlossen werden dürfen. Im Anschluss daran besteht die Möglichkeit, nochmals für sechs Jahre befristete Verträge abzuschließen. Neu an dieser Stelle ist jedoch, dass diese befristete Beschäftigung nur dann möglich ist, wenn die Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt. Insofern ist eine Befristung nur möglich, wenn
- bei Personal, das nicht promoviert ist, die Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt (i. d. R. Promotion),
- auch bei Personal, das promoviert ist, die Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt.
Was dies umfasst, lässt das Gesetz leider offen. Wenn man aber die bisherige Rechtsprechung hierzu anschaut, dann wird man eine Qualifizierung wohl in den Fällen annehmen, in denen
- es ein definiertes Qualifizierungsziel gibt,
- es ein strukturiertes Vorgehen im Sinne dieses Qualifizierungsziels gibt und
- das Erreichen des Qualifizierungsziels in irgendeiner Weise zertifiziert bzw. belegt wird.
In Frage kommen die Erlangung der Berufungsfähigkeit auf eine Professur, die Habilitation oder der Erwerb habilitationsäquivalenter Leistungen, aber auch der Erwerb bestimmter Kenntnisse und Fähigkeiten in der Lehre.
Hinzu kommt, dass die Vertragsdauer der angestrebten Qualifizierung angemessen sein muss. Das ist ein entscheidender Fortschritt. Wir wissen, dass Befristungen gern von Semester zu Semester oder von Jahr zu Jahr abgeschlossen wurden. Dieser Praxis wurde mit der Neuregelung in § 2 Abs. 1 Satz 3 des WissZeitVG ein Riegel vorgeschoben. Dies schafft verlässlichere Arbeits- und Qualifizierungsbedingungen. Dabei ist eine Befristung für maximal sechs Jahre möglich, im zweiten Anwendungsfall, d. h. bei Personal, das promoviert ist, sogar bis maximal sechs plus sechs Jahre (bzw. in der Medizin plus neun Jahre). Diese Zeiten bieten schon eine gewisse Art an Sicherheit und einen verlässlichen Rahmen für die Arbeit.
Zu beachten ist hierbei, dass Vorbeschäftigungszeiten als studentische Hilfskraft und Beschäftigungen als Hilfskraft im Masterstudium nicht mehr auf Verträge zur Qualifizierung angerechnet werden und für maximal vier Jahre befristet werden können. Neu aufgenommen wurde ebenfalls, dass Krankheitszeiten nach Ablauf der gesetzlichen oder tarifrechtlichen Lohnfortzahlung nicht auf die höchstmögliche Befristungsdauer angerechnet werden. Darüber hinaus verlängert sich die Dauer des befristeten Vertrages im Einverständnis mit den Beschäftigten um folgende Zeiten:
- Beurlaubung oder Ermäßigung der Arbeitszeit um mindestens ein Fünftel der regelmäßigen Arbeitszeit für die Betreuung oder Pflege eines Kindes unter 18 Jahren oder Pflege eines pflegebedürftigen Angehörigen,
- Beurlaubung für eine wissenschaftliche oder künstlerische Tätigkeit oder einer außerhalb des Hochschulbereichs oder im Ausland durchgeführte wissenschaftliche, künstlerische oder berufliche Aus-, Fort- oder Weiterbildung,
- Inanspruchnahme von Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes und Zeiten eines Beschäftigungsverbotes im Umfang, in dem eine Erwerbstätigkeit nicht erfolgte,
- Grundwehr- und Zivildienst sowie
- Freistellung im Umfang von mindestens einem Fünftel der regelmäßigen Arbeitszeit zur Wahrnehmung von Aufgaben in einer Personal- oder Schwerbehindertenvertretung, von Aufgaben der Frauen-/Gleichstellungsbeauftragten oder zur Ausübung eines mit dem Arbeitsverhältnis zu vereinbarenden Mandates.
Ungeachtet der Befristungsmöglichkeiten zur Qualifizierung gibt es die Möglichkeit zur Drittmittelbefristung. Hier wurde nunmehr gesetzlich klar geregelt, dass die Befristungsdauer der Projektdauer angepasst werden soll. Damit wird auch in diesem Bereich der kurzatmigen Befristung vorgebeugt. Daneben stehen natürlich – wie in jedem anderen Bereich auch – die Befristungsmöglichkeiten nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz zur Verfügung, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte.
Die Regelungen im novellierten WissZeitVG gehen allerdings nicht weit genug. Ich hätte mir klare und verbindlichere Regelungen von Mindestbefristungszeiten gewünscht. Auch dabei ist es wichtig, alle Interessen – nämlich die der Wissenschaft und Lehre sowie der Mitarbeiter/innen – im Blick zu haben. Gemeinsam mit den sächsischen Hochschulen haben wir mit dem Rahmenkodex über den Umgang mit befristeter Beschäftigung und die Förderung von Karriereperspektiven an den Hochschulen im Freistaat Sachsen einige Lücken geschlossen. Ziel ist es, dass sich die gesetzlich verankerte Beschäftigungsflexibilität des WissZeitVG nicht einseitig zum Nachteil der Beschäftigten auswirkt. Hintergrund des Rahmenkodex ist es insbesondere, den Qualifikationsweg hin auf eine Professur bzw. andere Karrierewege innerhalb der Hochschule planbarer zu gestalten. So legt der Rahmenkodex Mindestvertragslaufzeiten für alle Anwendungsgruppen des WissZeitVG fest. Auch sind die Sollvorschriften weniger flexibel, als es das WissZeitVG vorsieht. Dieser Rahmenkodex ist in den Hochschulen verbindlich etabliert durch Vereinbarungen mit den jeweiligen Personalräten. Die Personalverantwortung der Hochschulen wird so gewahrt. In Verbindung mit den Personalentwicklungsplänen erhoffe ich mir durch diese Regelungen mehr Verlässlichkeit für die wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter/innen bei der Wahl des Karriereweges.
Doch diese Regelungen allein reichen nicht aus, wenn es nach wie vor nur verhältnismäßig wenige Professuren als einzige dauerhafte Stellen an den Hochschulen gibt. Neben den bereits heute existierenden Möglichkeiten der dauerhaften Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter / wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw. Lehrkraft für besondere Aufgaben benötigen wir perspektivisch eine attraktive Stellenkategorie analog den vormaligen (Ober-)Assistenten. In einigen Bundesländern gibt es diese Stellenkategorie neben der Professur bereits. Hier geht es auch darum, diese Stelle so flexibel zu gestalten, dass sowohl Aufgaben der Lehre wie auch der Forschung damit verbunden sind. Lehre muss dabei den gleichen anerkannten Stellenwert haben wie eine exzellente Forschung. Gerade für eine qualitative gute Entwicklung der Lehre ist es erforderlich, dass nicht nur die Professur dazu qualifiziert ist und die enge Verbindung von Forschung und Lehre praktiziert, sondern Lehrerfahrung und Lehrentwicklung möglich sind.
Der Weg zur Professur ist oft sehr langwierig. Das neue Bund-Länder-Nachwuchswissenschaftlerprogramm hat eine gute Möglichkeit für exzellente junge Wissenschaftler/innen eröffnet: den Tenure-Track. Der neue Karriereweg zur Professur – auch an derselben Hochschule – ist attraktiv für die besten Köpfe aus dem In- und Ausland und schafft frühe Planbarkeit für diejenigen, die ihre berufliche Perspektive in der Wissenschaft sehen. Die Entscheidung für oder gegen eine Entfristung wird ausschließlich aufgrund von Leistungen gefällt. Die Tenure-Track-Professur wird mit einer Laufzeit von bis zu sechs Jahren gefördert. Bei einem positiven Evaluationsergebnis erfolgt die Übernahme in eine Lebenszeitprofessur. Um zu vermeiden, dass Stelleninhaber am Ende der Tenure-Track-Professur überraschend mit einem negativem Evaluationsergebnis umgehen müssen, findet nach drei bis vier Jahren eine Zwischenevaluation statt. Es besteht die Möglichkeit, gegebenenfalls bestehende Zweifel auszuräumen und zu korrigieren. Insgesamt werden über das Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses deutschlandweit 1.000 Tenure-Track-Professuren gefördert. Das ist, gemessen an den zur Verfügung stehenden Professorenstellen, eine respektable Größe, die – wie ich finde – Karrierechancen in der Wissenschaft und Forschung steigert. Das Programm sollte auch zu einem Aufwuchs an Professuren führen.
Abschließend möchte ich noch zu einem weiteren Aspekt kommen, der bei der Frage einer Karriere in Wissenschaft und Forschung aus meiner Sicht eine tragende Rolle spielt. Mir geht es um Vereinbarkeit der Karriere- mit der Familienplanung. Das Statistische Bundesamt hatte erst am 7.3.2018 in einer Pressemitteilung über die Kinderlosenquote in Zusammenhang mit beruflicher Stellung und Bildung berichtet. Zwar nähern sich die Quoten von Akademikerinnen und Nichtakademikerinnen einander an, dennoch ist es weiterhin offensichtlich, dass die Kinderlosenquote bei den Akademikerinnen ungebrochen hoch ist. Während von den gleichaltrigen Frauen, die keinen beruflichen Abschluss hatten, sowie bei Frauen mit einer Lehre oder einer Anlernausbildung 18 % ohne Kind waren, lag die Kinderlosenquote bei Frauen mit Fachhochschul- oder Hochschulabschluss beziehungsweise Promotion bei 27 %. Im Zeitverlauf steigt die Kinderlosigkeit gerade bei den ostdeutschen Akademikerinnen besonders schnell. Gerade hieran lässt sich erkennen, dass eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie im wissenschaftlichen Bereich für die Akademikerinnen offensichtlich nur schwer umsetzbar ist, auch wenn die Kinderbetreuungsmöglichkeiten in den ostdeutschen Ländern vergleichsweise sehr gut sind. Auch familienpolitische Komponenten in der Qualifikationsphase ändern daran nicht viel. Ein wesentlicher Grund für den Ausstieg aus der Wissenschaft oder die Entscheidung für die Kinderlosigkeit sind die fehlenden verlässlichen Perspektiven. Nach der Promotion gibt es daher meist einen Karrierebruch. Mit dem Professorinnenprogramm wurde ein gutes Instrument geschaffen. Dies mag zwar in erster Linie der Erhöhung des Frauenanteils in der Professorenschaft dienen, doch werden die Hochschulen durch die zusätzlich zur Verfügung stehenden Mittel auch verpflichtet, weitere gleichstellungspolitische Maßnahmen zu ergreifen. Dies sind insbesondere auch Maßnahmen, die eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie beinhalten. So ist es kein Zufall, dass viele der Hochschulen, die Mittel über das Professorinnenprogramm eingeworben haben, auch das Zertifikat »Familiengerechte Hochschule« tragen. Eben auch durch solche Maßnahmen werden Bedingungen geschaffen, die dazu beitragen können, den Weg in die Wissenschaft als Beruf zu beschreiten.
Fazit: In der Gesamtschau sind in der jüngsten Vergangenheit etliche Maßnahmen ergriffen worden, um die Arbeitsbedingungen in Wissenschaft und Forschung zu verbessern und verlässlichere Karriereperspektiven zu schaffen. Es gilt, diese Maßnahmen zu verstetigen und auszubauen. Das ist nicht allein Aufgabe der Ministerien, sondern bedarf neben der Schaffung von mehr haushaltsfinanzierten Stellen und einer weiteren Karriereoption neben der Professur vor allem einer Veränderung der Kultur an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Nicht jeder Promovierende muss und will in der Wissenschaft verbleiben. Dafür muss es rechtzeitig Ausstiegsoptionen geben. Aber wer die Wissenschaft und/oder die Lehre zum Beruf machen möchte und die qualitativen Voraussetzungen dazu mitbringt, sollte eine erreichbare Perspektive an den Hochschulen oder Forschungseinrichtungen haben.