Zu den in diesem Heft publizierten Beiträgen der Vortragsreihe »ZUKUNFT – ENERGIE – ZUKUNFT. Energiefragen im 21. Jahrhundert«
Bereits in den vorangegangenen Heften 19 und 20 der »Denkströme« sind Aufsätze zu finden, die verschiedene Aspekte des Megathemas Energieversorgung behandeln. Sie waren Teil der insgesamt 25 Vorträge umfassenden Reihe »ZUKUNFT – ENERGIE – ZUKUNFT. Energiefragen im 21. Jahrhundert«, die von der Technischen Universität Dresden gemeinsam mit der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig in den vergangenen drei Jahren veranstaltet worden war. Um die Ausführungen einem größeren Interessentenkreis zugänglich zu machen und möglichst vieles in Textform zu bewahren, wird diese Praxis im vorliegenden Heft fortgesetzt und soll im nächsten abgeschlossen werden.
Der erste Beitrag schließt an die Ausführungen von Martin Bertau in Heft 20 an, die sich u. a. mit »grünen«, d.h. mit Hilfe von Wind- und Sonnenstrom synthetisierten, Kraftstoffen auseinandersetzten. Hans Zellbeck befasst sich in »Mobil mit Energie« folgerichtig nicht nur allgemein mit den Ansprüchen der Mobilität an eine ausreichende Energieversorgung, sondern speziell mit den neuen Herausforderungen an Konstruktion, Bau und Betrieb von geeigneten Antrieben für den Güter- und Personentransport der Zukunft. Dabei schneidet der moderne, mit fossilem oder synthetischem Dieselkraftstoff betriebene Verbrennungsmotor vergleichsweise gut ab. Er wird nach seiner Auffassung noch lange Zeit die Antriebsquelle der Wahl sein, insbesondere für den Transport von Gütern über lange Strecken, denn er nutzt einen chemischen Speicher konkurrenzloser Energiedichte in einer vorhandenen Versorgungsinfrastruktur bei ständig verbesserter Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Sicherheit.
Die weiteren Aufsätze widmen sich zum einen der Klimaforschung und zum anderen der Kernenergieforschung. Auf den ersten Blick haben sie recht wenig miteinander zu tun, sieht man davon ab, dass in Kernreaktoren ein Teil der Bindungsenergie des Atomkerns grundsätzlich CO2-frei in Wärme umgewandelt wird, wodurch bei ihrer großtechnischen Nutzung zur Energieversorgung ein wichtiger negativ bewerteter Einflussfaktor auf die Klimaentwicklung entfällt.
Von der Klimaforschung erwartet man eine Prognose für viele künftige Jahrzehnte über das Verhalten eines überaus komplexen Systems unserer Umwelt, nämlich des globalen Klimas, bei dynamischer Änderung wesentlicher Einflussgrößen und deren Rückkopplung auf das Gesamtsystem. Letztlich geht es um die wissenschaftliche Begründung von Notwendigkeit und geeigneten Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Begrenzung einer möglichen globalen Katastrophe unvorhersehbaren Ausmaßes. In der Kernenergieforschung steht seit Jahrzehnten vor allem die Sicherheitsforschung im Mittelpunkt. Eines ihrer zentralen Ziele ist die Vorhersage des Verhaltens eines komplexen technischen Systems im Falle des Einwirkens von ungünstigen bzw. unvorhergesehenen Störgrößen auf seine sicherheitsrelevanten Eigenschaften. Auf Basis dessen soll durch entsprechende Auslegung und Betriebsführung ein hypothetischer Reaktorunfall mit seinen katastrophalen Auswirkungen ganz vermieden oder wenigstens begrenzt werden können. Die Disziplinen ähneln sich methodisch, weil sich beide überaus komplexer Modelle bedienen, um auf deren Grundlage mithilfe von Supercomputern sowie großen Datenmengen Vorhersagen für das dynamische Verhalten ihres Forschungsgegenstandes unter dem Einfluss von Störgrößen zu generieren. Auch ist ihnen gemeinsam, dass die mit der Modellierung erzielten Resultate de facto nicht empirisch durch das Experiment abgesichert werden können. Bei der Klimaforschung liegt das auf der Hand; bei der Sicherheitsforschung wird das Problem durch die Möglichkeit von Experimenten zu Teilaspekten eines schweren Kernreaktorunfalls abgemildert, aber nicht beseitigt. In beiden Fällen ist man auf Daten aus der Vergangenheit angewiesen, auf Erfahrungen, die nur aus der sorgfältigen Analyse zurückliegender Ereignisse und Entwicklungen gewonnen werden können.
Bevor Klaus Heine in seinem Beitrag zur Paläoklimatologie die aktuellen Daten, die zur Klimavergangenheit vorliegen, darstellt und interpretiert, soll noch auf die bereits anderweitig publizierten Ausführungen von Hans von Storch hingewiesen werden.1 In seinem Vortrag »Die Rolle der Klimaforschung im energiepolitischen Entscheidungsprozess« ordnete er die wissenschaftliche Klimaforschung in die politischen Entscheidungen zur Energieversorgung ein und warnte dabei nachdrücklich vor einer Überforderung der Wissenschaft. Teile der Öffentlichkeit, aber auch einzelne Wissenschaftler, seien der Auffassung, die Wissenschaft erzwinge gewisse Entscheidungen der Gesellschaft. Damit fehle der Gesellschaft die Freiheit eigener Entscheidungen, wenn das »überlegene« Wissen aus der Wissenschaft lediglich geeignet umgesetzt werden müsse. Mit solch einem Anspruch – so sein Petitum – wird das Kapital der Wissenschaft, das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre Objektivität, verbraucht. Die Vorstellung, dass die Wissenschaft die »richtigen« Entscheidungen zum Umgang mit dem Klimawandel bereit halte, negiere den politischen Charakter gesellschaftlicher Entscheidungen. Objektiv falsch seien lediglich diejenigen politischen Entscheidungen, die die erwartete Wirkung auf das Problem gar nicht haben können. So gesehen bildete die in der Auseinandersetzung erprobte Qualität des gesellschaftlichen Entscheidungsprozesses das Fundament erfolgreichen politischen Handelns.
Der Aufsatz »Klimawandel – Was lehrt die Paläoklimaforschung« von Klaus Heine gestattet einen faszinierenden Einblick in die Leistungen von Forschern, die es geschafft haben, ein nahezu vollständiges Bild vom globalen Klima und seinen Veränderungen im Laufe von mehreren hunderttausend Jahren vorlegen zu können. Von besonderem Interesse für uns heute sind die Schlussfolgerungen, die in Bezug auf den menschengemachten Einfluss beim Klimawandel aus den Daten der Vergangenheit gezogen werden können. Klaus Heine kommt zum Schluss, »dass die anthropogenen Forcings sehr vielfältig sind und von Albedo-Änderungen (Änderung der Landbedeckung) über Aerosoleinträge in die Atmosphäre bis zu Veränderungen des Chemismus der Atmosphäre (Treibhausgase) reichen«. Trotz ständig erweiterter Erkenntnisse und großer Fortschritte in der Forschung würde nach seiner Auffassung »der Klimasensitivität des CO2-Gehalts in den Modellen mehr Bedeutung geschenkt, als den Daten der – vor allem terrestrischen – Paläoklimaarchive zu entnehmen ist«. Es liegt auf der Hand, dass hier noch großer Forschungsbedarf auch jenseits der Modellierung des Klimageschehens besteht.
Zum Thema Kernenergie sind in der Reihe insgesamt vier Vorträge gehalten worden. Horst Michael Prasser zeigte in seinem ersten, hier nicht abgedruckten, Vortrag unter dem Titel »Basisinnovationen bei Kernreaktoren«, welche Resultate die jahrzehntelange erfolgreiche Reaktorsicherheitsforschung erzielt hat und wie diese in das Design und die Betriebsführung der heute international in Bau und Betrieb befindlichen Druck- und Siedewasserreaktoren eingeflossen sind. Deren Resistenz gegen interne Störfälle sowie äußere Einwirkungen konnte beträchtlich gesteigert werden, ohne deren Wirtschaftlichkeit generell in Frage zu stellen. Er stellte überzeugend dar, dass die wissenschaftliche Forschung signifikante Verbesserungen einer grundsätzlich bewährten Technik ermöglicht hat, sodass diejenigen Länder, die Kernreaktoren in ihre Energiesysteme integrieren wollen, auf diese Reaktortypen noch sehr lange setzen werden.2
Der zweite Beitrag von H. M. Prasser greift darüber hinaus, indem er sich mit neuen Forschungs- und Entwicklungsresultaten befasst, die auf die drängendsten Fragen bei der Nutzung der Kernspaltungstechnologie – die nach einer nachhaltigen Kernbrennstoffversorgung, der Sicherheit des Betriebs, der langzeitsicheren Entsorgung der radioaktiven Reststoffe und der Verhinderung der Proliferation militärisch nutzbaren Kernbrennstoffs – neue Antworten bereit halten. Seine »Kurze Führung durch den Zoo von Kernreaktortypen« offenbart ungeachtet der Diversität der vorgestellten Konzepte die Hauptzielrichtung innovativer Kernreaktorforschung: Neben der höchstmöglichen Sicherheit der Anlage steht die Spaltung der langlebigen Transurane und damit die wesentliche Entschärfung der Anforderungen an ein Endlager für radioaktive Abfälle im Fokus der Forscher. Ohne das Schließen des Kernbrennstoffkreislaufs einschließlich der Wiederaufarbeitung – so Prasser – sind diese neuen Technologien allerdings nicht zu haben.
Bruno Thomauske schließt mit seinem Beitrag »Endlagerung – Endloses Bemühen« an die Ausführungen Prassers an. Als Mitglied der ehemaligen sogenannten Endlagerkommission der Bundesregierung richtet er seinen Blick auf die Herausforderungen, die bei der Endlagerung insbesondere hochradioaktiver wärmeentwickelnder Abfälle über einen Zeitraum von mindestens 1 Million Jahre bestehen. Dabei handelt es sich nicht allein um eine technisch anspruchsvolle Herausforderung, sondern auch um eine auf juristischem, politischem und gesellschaftlichem Gebiet. Seine Prognose für Deutschland lautet, »dass das Verfahren zur Festlegung eines Endlagerstandortes und zur Errichtung des Endlagers sehr lange dauern wird«. Gleichwohl sieht er in der gewählten Herangehensweise die einzige Möglichkeit, die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle zu realisieren, auch »wenn die überwiegende Mehrheit der heute Lebenden die Lösung des Problems nicht mehr erleben wird«.
Ohne einen Beitrag zu den Fortschritten bei der Kernfusion wäre das Thema Kernenergie unvollständig geblieben. Sybille Günter füllte diesen Platz durch ihren Vortrag »Kernfusion – mehr als eine Hoffnung?!« mit ansteckendem Optimismus. Sie berichtete über die außerordentlichen Fortschritte, die die Plasmaphysik beim Einschluss eines Fusionsplasmas in den vergangenen Jahrzehnten machen konnte, so dass die berechtigte Hoffnung wächst, noch in diesem Jahrhundert die kontrollierte Kernfusion zur Energieversorgung einsetzen zu können. Deutschlands Physiker spielen in der internationalen Fusionsforschung eine sehr gute Rolle, denn sie verfügen als einzige weltweit im eigenen Land über zwei große Experimentiereinrichtungen, den ASDEX Upgrade in München und den Wendelstein VII–X in Greifswald. Mit ihnen werden konkurrierende Konzepte der Magnethalterung des Fusionsplasmas erprobt. Während der heute noch favorisierte Tokamak, realisiert in ASDEX, prinzipiell nur gepulst betrieben werden kann, macht der Stellerator Wendelstein es möglich, ein kontinuierlich brennendes Plasma zu erzeugen. Wendelstein, an dessen Realisierung Sybille Günter großen Anteil hat, machte durch seine Erfolge erst kürzlich von sich reden.3 Die Brenndauer des Plasmas im Minutenbereich ist bereits erreicht; als ehrgeiziges Ziel werden 30 Minuten bei einer Plasmatemperatur von ca. 20 Mio. °C ins Auge gefasst. Beide Maschinen haben bisher die Erwartungen ihrer Erbauer deutlich übertreffen können. Ungeachtet dessen stehen insbesondere bei der ingenieurtechnischen Umsetzung noch gigantische Aufgaben an, die nur bei nicht nachlassendem Engagement der beteiligten Staaten und in intensiver internationaler Zusammenarbeit lösbar erscheinen.4
- 1Der Text ist in voller Länge unter https://www.novo-argumente.com/artikel/klimadebatte_zwischen_wissenschaft_und_politik (30.6.2019) zu finden.
- 2Über die Details der sogenannten Reaktorgeneration III+ kann sich der interessierte Leser z. B. hier ausführlicher informieren: Brian Wheeler, »Gen III reactor design«, in Power Engineering 04/06 (2011) oder https://de.nucleopedia.org/wiki/Generation_III (30.6.2019).
- 3»Successful second round of experiment with Wendelstein 7-X«, in atw – International Journal for Nuclear Power 1 (2019), S. 55.
- 4Der tiefer interessierte Leser sei z. B. verwiesen auf Sibylle Günter, »Stromerzeugung durch Kernfusion – Zukunftsmusik?«, in Matthias Herkt (Hg.), Vorsicht Höchstspannung! Sichere Energie für morgen, Gütersloh, München 2012.