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Editorial


Das Jahr 2020 hat uns in vielerlei Hinsicht auf die Probe gestellt. Funktioniert menschliches Miteinander auch wenn weltweit eine Pandemie wütet, die zu drastischen Einschnitten in bisherige Gewohnheiten führt? Können wir große Teile unserer Arbeit ohne Reibungsverluste in den digitalen Raum verlegen? Vertrauen wir einander, vertrauen wir in den Sozialstaat, vertrauen wir in Pharmaindustrie und Gesundheitswesen? In einem Kamingespräch mit Jutta Allmendinger und Jan Wetzel, moderiert von Martin Machowecz (DIE ZEIT), sind wir der Frage nachgegangen, wie es um gesellschaftlichen Zusammenhalt bestellt ist, wenn generalisiertes Vertrauen schwindet. Eindrücklich gewarnt wurde vor der großen Gefahr der digitalen Isolation in der eigenen »Blase«. Digitale Möglichkeiten, Coworking Spaces und sogenannte dritte Orte sollten wir dringend so weiterentwickeln, dass Menschen sich auch weiterhin ›zufällig‹ treffen, kennenlernen und voneinander etwas erfahren, das außerhalb dessen liegt, was sie zu hören erwartet haben. »Isolation ist die Feindin von Vertrauen, das Verharren in den eigenen sozialen Räumen ist es auch.« 


Matthias Middell warnt indes vor einem recht »bräsig daherkommenden Geschichtsbild« und vor allzu viel Biedermeierei, wenn es um die Kenngröße »gesellschaftlicher Zusammenhalt« geht. Mitnichten war der gesellschaftliche Zusammenhalt früher immer stabil; die Erschütterungen in der Revolution von 1989 und der darauffolgenden Transformationsperiode hat die Vertrauensforschung seines Erachtens zu wenig im Blick. Den damals Beteiligten ist noch allzu präsent, »dass die Forderung von oben, doch bitte den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht in Gefahr zu bringen, auch etwas Bedrückendes (um nicht zu sagen Unterdrückendes) haben kann.« Globalisierungs-, Finanz-, Zuwanderungs-, Klima- und Biodiversitätskrise, die Corona-Pandemie und der aus all diesen Unsicherheits-Faktoren stetig wachsende Populismus – der gesellschaftliche Zusammenhalt entwickelte sich nicht zufällig zum Sorgenthema der Bundesrepublik. Doch er kann »weder verordnet werden, noch ist er naturgegeben, sondern er muss im Streit errungen werden und steht am nächsten Tag schon wieder zur Disposition. Davor sollten wir keine Angst haben, sondern dies als Chance zur Intervention begreifen.«


Der mit der Corona-Pandemie einhergehende Schub in Richtung Digita­lisierung traf die Akademie und die Forschungslandschaft im Umfeld nicht unvorbereitet. Nicht umsonst hat jedes Neuvorhaben im Akademienprogramm ganz selbstverständlich auch eine Digitalisierungsstrategie im Gepäck. Jenny Bryś und Claudia Häfner vom Projekt PROPYLÄEN. Forschungsplattform zu Goethes Biographica berichten über das Mammut-Vorhaben einer digitalen Veröffentlichung der ungefähr 20.000 Briefe an Goethe und den damit verbundenen Lückenschluss von der Regestausgabe zum für jedermann online verfügbaren Volltext – ein Vorhaben, das »einen Quantensprung bei der Erschließung der biografischen Zeugnisse Goethes« bedeutet und das ohne die Digital Humanities undenkbar wäre. Das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK, heute SMWKT) förderte von 2017 bis 2019 unter der Leitung der Akademie das Verbundprojekt Virtuelle Archive für die geisteswissenschaftliche Forschung, an dem die landesfinanzierten geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen Sachsens beteiligt waren. Quellen unterschiedlichster Art wurden digital erschlossen und ein Netzwerk der Einrichtungen untereinander geschaffen, das mit dem an der Akademie ansässigen KompetenzwerkD nunmehr vom Ministerium institutionalisiert wurde. Die Abschlussberichte der einzelnen Vorhaben veranschaulichen die Kärrnerarbeit der Digitalisierung, Chancen, Schwierigkeiten und Potenziale und sind eine Fundgrube für Forscher und interessierte Öffentlichkeit zugleich. 


Ebenfalls mit digitalem Standbein ausgestattet ist das interakademische Projekt Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, aus dessen Dresdner Arbeitsstelle Wolfgang Huschner, Cornelia Neustadt und ­Sabine Zinsmeyer berichten. Mit der Erschließung von Inschriften werden erstrangige historische Quellen gesichert. So gibt der Beitrag über den Kaufmann Hans Frenzel Einblicke zur Frömmigkeits-, Kultur- und Sozialgeschichte der Stadt Görlitz im 15. und 16. Jahrhundert. Und er führt uns – ein Jahrhundert nach der schweren Pestepidemie – zugleich in eine Zeit, in der an zahlreichen Orten vieles möglich geworden war: florierender Handel, dauerhafter Frieden und selbstbestimmtes städtisches Zusammenleben. Grundlage bildete das Magdeburger Recht, ein »Exportschlager«, dessen Erfolgsgeschichte vor allem den Schöffen von Magdeburg zu verdanken ist. Pragmatisch sowie mit Augenmaß und Vernunft sprachen sie Recht, ganz gleich, ob es um zu klein gebackene Brote oder um entführte Kurfürstensöhne ging. Eindrucksvoll beleuchtete dies die Ausstellung Faszination Stadt. Die Urbanisierung Europas im Mittelalter und das Magdeburger Recht im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, die in enger Kooperation mit unserer Akademie entstand und deren Eröffnungsvortrag von Heiner Lück im Heft nachzulesen ist. 


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Heft 22 (2020)
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1867-7061

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