Stellungnahmen zur Stellungnahme
Mitglieder der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zur Beurteilung des Akademienprogramms durch den Wissenschaftsrat
In regelmäßigen Abständen nimmt der Wissenschaftsrat (WR) zu dem von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften e. V. durchgeführten Akademienprogramm Stellung.1 Seine aktuelle Stellungnahme hat der Wissenschaftsrat am 28. Mai 2009 veröffentlicht.2 Beim ersten Blick erscheint diese Stellungnahme durchaus befriedigend. Liest man den Text aber genauer, entstehen Zweifel nicht bloß in Bezug auf die Klarheit des Ausdrucks und die Begründungen, sondern auch in Bezug auf die generelle Haltung des Wissenschaftsrates zum Akademienprogramm und zum System der deutschen Forschungsinstitutionen insgesamt. An der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW) – und gewiss auch an anderen in der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften organisierten Akademien – wurde diese Stellungnahme daher kontrovers diskutiert.
Es steht außer Frage, dass in unserem Land eine Koordination und Evaluierung öffentlicher Forschungsförderung notwendig ist. Wie in jeder Republik ist allerdings auch in der Republik der Wissenschaften jedes Urteil einer Instanz selbst wieder daraufhin zu beurteilen, ob es sachgerecht ist, und das unabhängig von der Frage, ob es verfahrensgerecht zustande gekommen und aufgrund dessen bindend ist. Hier spiegelt sich die auch sonst wichtige Differenz zwischen der Legalität einer politischen und recht- lich-administrativen Steuerung und der sachgerechten oder kooperationsethischen Richtigkeit der entsprechenden Urteile. Im Übrigen war es gerade die zentrale Einsicht des ersten akademischen Wissenschaftlers, Platon, dass dieser Unterschied immer gemacht werden muss. Sie ist das Erbe des Sokrates.
Trotz einiger durchaus befriedigender Punkte in dem Papier des Wissenschaftsrates besteht offenbar Bedarf, die Stellungnahme selbst auf den Prüfstand zu stellen. Es gehört ja zur Idee freier Wissenschaft, dass die von wissenschaftspolitischen Vorgaben Betroffenen die Entscheidungen gewählter Vertreter ihrerseits kommentieren dürfen. Es scheint nämlich in der Tat so, als würde der Wissenschaftsrat zumindest partiell die Leistungen der Akademien und des Akademienprogramms entweder nicht genau genug kennen oder sie nicht ohne Vorurteile bewerten. Innerhalb der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig wurden vor allem die nachfolgend aufgeführten Empfehlungen und Äußerungen des Wissenschaftsrates intensiv diskutiert. An dieser Stelle seien daher, in Auszügen, verschiedene Meinungsäußerungen von Akademiemitgliedern wiedergegeben, die jeweils ausführlichen schriftlichen Stellungnahmen entnommen wurden.
A. Weiterqualifizierungsmaßnahmen für Mitarbeiter
In der Stellungnahme des Wissenschaftsrates ist die Forderung nach Weiterqualifizierungsmaßnahmen für Mitarbeiter während ihrer Tätigkeit in Akademievorhaben enthalten: »Der Weiterqualifizierung des wissenschaftlichen Personals in den Vorhaben des Akademienprogramms für Tätigkeiten außerhalb dieses Programms müssen die Union und die Akademien künftig deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken. Der Wissenschaftsrat empfiehlt, dass die Union ein Dachkonzept erarbeitet, das die Sicherstellung von Weiterqualifizierungsmöglichkeiten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den laufenden Vorhaben des Akademienprogramms zum Ziel hat und das dann projektspezifisch umgesetzt werden muss. In diesem Konzept sollten nötige Freiräume und geeignete Maßnahmen zur Weiterqualifizierung für die Angehörigen der verschiedenen Personalkategorien (hinsichtlich Qualifikationsstufe, Befristung, Kündbarkeit) entworfen und der Finanzbedarf für die Umsetzung dieses Konzepts dargelegt werden.«3
Dieses Votum ist in seinem Wortlaut zum Mindesten zweideutig, wie die Kommentare genauer zeigen werden. Die Ambivalenz in der Empfehlung wird insbesondere in der Stellungnahme von Prof. Hans Joachim Meyer deutlich, dem langjährigen Wissenschaftsminister unseres Bundeslandes, welche im Anschluss an diesen Text in voller Länge wiedergegeben wird. Während nämlich in der Tat zu empfehlen ist, die Mitarbeiter der Akademieprojekte, wo es sinnvoll erscheint, so in ein breiteres wissenschaftliches Leben einzubeziehen, damit ihre Karriere nicht dauerhaft auf ein bestimmtes Akademieprojekt festgelegt bleibt, wird von Herrn Meyer vermutet, dass die implizite Forderung nach Flexibilität und zeitlicher Begrenzung den Besonderheiten typischer Akademieprojekte nicht gerecht wird.
Kommentare
1. »Die Empfehlung des Wissenschaftsrates, die Mitarbeiter der Akademieprojekte weiterzubilden, die sich zunächst wie eine Selbstverständlichkeit anhört, ist ambivalenter, als das scheinen mag. Denn die Möglichkeiten der akademischen Weiterbildung etwa auch durch aktive Lehre in den Universitäten sind bekanntlich längst gegeben. Auch eine projektnahe Weiterbildung ist längst etabliert. Wenn man die Situation der Akademie-Mitarbeiter mit der von Arbeitnehmern in anderen Berufen vergleicht, fragt man sich, an welche besondere Weiterbildung der WR denkt, etwa eine solche, welche auf einen ganz anderen Beruf vorbereitet? Unter welchen Prämissen ist das sinnvoll? Es bleibt daher kaum ein anderer Schluss offen als der, dass es darum gehen soll, wissenschaftliche Mitarbeiter so weiterzubilden, dass man sie danach in einen nichtakademischen Beruf entlassen kann. Denn die Möglichkeiten für die akademische Weiterbildung sind ja gegeben. Hier ist das Gutachten offenkundig auf möglicherweise folgenreiche Weise zweideutig und unklar. Denn aus der nach allen Regeln der sprechakttheoretischen Grammatik naheliegenden Lesart ›folgt‹ implikativ, dass sich der WR das Akademienprogramm als eine Forschungsförderung im Stil der DFG vorstellt, d. h. als eine Art Mischung aus Forschung und Nachwuchsausbildung. Für den Nachwuchs muss dann freilich eigens eine zielführende Weiterbildung angeboten werden. Doch damit wäre die Idee langfristiger, nachhaltiger wissenschaftlicher beruflicher Arbeit ad acta gelegt.«
2. »Der WR hat unberücksichtigt gelassen, dass die Akademiemitglieder zum großen Teil selbst an Universitäten tätig sind und die Qualifizierung der Mitarbeiter in Akademievorhaben stets im Auge haben. Gleichwohl sind Qualifizierungsprogramme, die jetzt sogar als Bestandteil der Antragstellung gefordert werden, nur sehr schwer zu verwirklichen: Die notwendige Stellenausschreibung bei Neuvorhaben bringt es obendrein mit sich, dass die letztlich einzustellenden Mitarbeiter durchaus unterschiedliche Qualifizierungen haben können. […] Ein im Antrag vorformuliertes Qualifizierungsprogramm müsste somit einen hohen Grad von Unverbindlichkeit haben.« Damit gehörte es zu einer Verbalpolitik, welche einer sinnvollen wissenschaftlichen Projektplanung viel weniger zuträglich ist, als man zur Zeit allenthalben meint.
Die Ambivalenz der Deutung der WR-Empfehlung zeigt sich auch in der Gegenüberstellung der beiden folgenden Stellungnahmen Nr. 3 und 4:
3. »Pläne für eine Weiterqualifizierung der Mitarbeiter bereits mit dem Förderantrag einzureichen, stellen eine unnötige Erhöhung der Bürokratie dar. Da meist erst mit dem Bearbeitungsbeginn der Projekte die Ist-Qualifizierung der einzustellenden Mitarbeiter, Arbeitsumfang, -methode und -rhythmus endgültig klar werden, sind solche Pläne von Anfang an Makulatur.«
4. »Die Forderung des Wissenschaftsrates nach Weiterqualifizierungsmaßnahmen halte ich für berechtigt und essentiell, natürlich nur bei den Wissenschaftlern, die auf einer gewissen Stufe ihrer Karriere stehen. Nach meiner Meinung sollte bei jeder Neueinstellung eines Wissenschaftlers die Frage der Promotion oder Habilitation erörtert werden. Natürlich bedeutet dies auch die Bereitschaft der Arbeitsgruppenleiter, über geeignete Themen nachzudenken, Kooperationen mit Universitäten und anderen Forschungsinstitutionen anzustreben (Promotionsrecht!) und nach Möglichkeit DFG-Projekte (mit Zugewinn weiterer Wissenschaftler) einzuwerben. Dies würde zweifellos die Qualität der Arbeit erhöhen. Auch die Akademie-Leitung muss ein solches Klima unterstützen.«
5. »Mit der Idee, die Mitarbeiter nur für kurze Zeit in den Projekten zu halten und ansonsten für ein Leben außerhalb des akademischen Raumes oder für eine Universitätsprofessur zu qualifizieren, würde das Akademienprogramm insgesamt in seinem Profil gegenüber der DFG-Förderung zu unspezifisch und in letzter Konsequenz überflüssig werden. Dabei wäre dem WR etwas anderes zu denken zu geben. Denn eine vergleichende Analyse der realen Ergebnisse und realen Kosten der in den Akademien betriebenen Forschung mit der auf kürzere Fristen angelegten Forschung, wie sie etwa durch die DFG finanziert ist, spricht insgesamt zugunsten der Akademieforschung, und das erst recht, nachdem seit über 10 Jahren ein gegenüber der früheren Praxis modernes Projektmanagement für die Beantragung und Betreuung der Akademieprojekte eingeführt wurde und die evaluative Überprüfung von Zwischen- und Endergebnissen erstens weit strenger und zweitens weit durchsichtiger und öffentlicher ist als die Bewertungen abgeschlossener (Drittmittel)Projekte in irgendeinem anderen Fördermodus. Der Wissenschaftsrat bleibt die Anerkennung dieser Tatsache schuldig, womöglich aus Unkenntnis.«
B. Abwertung naturwissenschaftlicher Langzeitprojekte
Ebenfalls zweideutig ist die bereits 2004 vom WR aufgestellte, zunächst eigentlich unzweideutige Behauptung, dass die naturwissenschaftlichen Langzeitprojekte der Länderakademien »nicht einmal marginale Bedeutung«4 besitzen. Denn man kann sie qualitativ wie quantitativ lesen. Das Urteil wird in der aktuellen Stellungnahme ohne Begründung einfach wiederholt. Dabei wäre in beiden Fällen nicht bloß der Ist-Zustand zu beurteilen gewesen, zumal es hier Unterschiede im Konzept der einzelnen Akademien gibt, sondern auch, ob der Ausbau eines solchen Programms im deutschen Forschungssystem nicht höchst sinnvoll wäre. Es sind ja die sich aus der Gegenwart ergebenden Empfehlungen für zukünftiges Handeln nicht bloß auf die Vergangenheit hin zu beurteilen, sondern es sind aus den erreichbaren Möglichkeiten die absehbar besten auszuwählen. Nur dann kann eine Entscheidung als vernünftig gelten.
»In seiner Stellungnahme von 2004 hatte der Wissenschaftsrat festgestellt, dass das Akademienprogramm für die Förderung naturwissenschaftlicher und biomedizinischer Vorhaben ›eine nicht einmal marginale Bedeutung‹ besitzt. An seiner Einschätzung der sehr geringen Bedeutung des Akademienprogramms für die naturwissenschaftliche Forschung hält der Wissenschaftsrat fest. Seine Empfehlung von 2004, solche Projekte in andere Trägerschaften zu überführen, bedeutete gleichwohl nicht, dass diese Vorhaben um den Preis des Verlustes wissenschaftlich hochwertiger Erkenntnisse und Daten bis 2012 abgewickelt werden sollten.«5
Kommentare
1. »Mit der Meinung, es ginge bei der naturwissenschaftlichen Langzeitforschung nur um die Erfassung empirischer Daten und nicht um empirische Langzeitforschung, korrespondiert die Meinung, geisteswissenschaftliche Lang- zeitforschung erschöpfe sich im Erhalt kultureller Relikte.«
2. »Die SAW verliert – zumindest partiell – an Bedeutung, wenn ihr die naturwissenschaftlichen Projekte genommen werden, weil durch die Synthese geisteswissenschaftlicher und naturwissenschaftlicher Projekte erlangte Synergieeffekte, die bislang von nicht zu unterschätzender Bedeutung waren, verloren gehen (siehe in diesem Zusammenhang auch die jüngsten erfolgreichen Anstrengungen des Präsidenten der Leopoldina, Volker ter Meulen, die ursprünglich rein naturwissenschaftlich geprägte Leopoldina durch geisteswissenschaftliche Sektionen wie Wissenschafts- und Medizingeschichte, Wissenschaftstheorie, Ökonomik und Empirische Sozialwissenschaften sowie Kulturwissenschaften zu erweitern). Das Profil der SAW wird durch drei Klassen bestimmt, deren Projekte die Vielfalt der spezifischen Bedeutung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften unterstreichen. Das besondere Profil der SAW mit ihrem vergleichsweise umfangreichen Potential an naturwissenschaftlichen Projekten würde durch die Entscheidung des Wissenschaftsrates empfindlich beschädigt.«
3. »Die Kosten der naturwissenschaftlichen Projekte sind gerade in Relation zu ihrem Nutzen ausgesprochen gering.« Ihr Gewinn ist eben deswegen vergleichsweise hoch, weil gerade beispielsweise in der Medizin mit wenig administrativem Aufwand neben den sonstigen Tätigkeiten von Naturwissenschaftlern betreute Langzeitbeobachtungen vorgenommen werden können, was echte interdisziplinäre Synergien ermöglicht. »Die Projektleiter stecken außerdem einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Arbeitskraft freiwillig und ohne jede finanzielle Anerkennung in die Projektarbeit.«
4. »Gerade angesichts des bekanntermaßen problematischen Zustandes der klinischen Forschung in unserem Lande wäre eine von Länderakademien betreute nachhaltige Forschung an den Universitäten ein Weg aus der Misere. Statt diese institutionell und strukturell naheliegende Option zu ergreifen, werden die naturwissenschaftlichen Langzeitprojekte eingestellt. Aufgrund einer allzu großen Bevorzugung von kleinteiligen und kurzfristigen Projekten, die von Nachwuchswissenschaftlern betrieben werden, welche man schnell wieder aus dem akademischen Bereich aussondern kann, sind wir insgesamt in den Wissenschaften zu einem Land mit kurzem Atem geworden. In anderen Ländern gibt es immerhin die Möglichkeit der kontrollierten Kontinuität durch eine Kette von Anschlussprojekten, was bei uns arbeitsrechtlich ausgeschlossen ist. Das wie eine Naturtatsache zu behandeln, ohne institutionell gegenzusteuern, kann nicht als vernünftig gelten.«
5. »Die schon im Jahre 2004 problematische Bemerkung, dass die Naturwissenschaften im Akademienprogramm nur marginale Bedeutung hätten, und dabei die Arbeit der Technikwissenschaftlichen Klassen gar nicht zu erwähnen, wird durch Wiederholung im Jahr 2009 nicht besser, eher provokanter. Was vielleicht aus finanzieller Sicht des Förderumfangs stimmt, ist im Blick auf die Arbeit in den Projekten und ihre Ergebnisse am Ende sogar beleidigend für die betroffenen Naturwissenschaftler. Solche Äußerungen sind zumindest nicht vornehm und verletzen im Grunde einen Ehrenkodex, wie er für den Umgang zwischen Wissenschaftlern umso notwendiger wird, je mehr wir uns gegenseitig evaluieren.«
C. Forderung nach Fortführung naturwissenschaftlicher Projekte durch andere Geldgeber
Der WR fordert von den Akademien Bemühungen um die Fortführung der nach dem neuesten Beschluss spätestens 2015 zu beendenden naturwissenschaftlichen Projekte der Länderakademien durch andere Geldgeber:
»Der Wissenschaftsrat fordert die Akademien und die Union auf, sich noch intensiver darum zu bemühen, eine Fortführung rein naturwissenschaftlicher Projekte – bei erwiesener wissenschaftlicher Qualität – außerhalb des Akademienprogramms zu ermöglichen. Als Träger dieser Projekte ist vor allem an die außeruniversitären Wissenschaftsorganisationen zu denken, in denen die Langfristforschung in den relevanten Gebieten (v. a. Umwelt-, Klima-, und Bio- diversitätsforschung) bereits institutionell verankert ist. Der Wissenschaftsrat empfiehlt, dass alle rein naturwissenschaftlichen Vorhaben des Akademienprogramms, für die bis dahin keine alternative Finanzierung realisiert werden kann, im Jahr 2010 einer umfassenden, von der Wissenschaftlichen Kommission der Union zu organisierenden Projektevaluierung unterzogen werden. Neben der wissenschaftlichen Qualität der Projekte muss im Rahmen dieser Evaluierung insbesondere auch geprüft werden, wie intensiv nach alternativen Trägerschaften/Fördermöglichkeiten gesucht worden ist. Darüber hinaus muss hierbei auch das definitive Ende der Laufzeit der Vorhaben im Akademienprogramm festgelegt werden. Der Wissenschaftsrat bittet die GWK, bei positiver Einschätzung der wissenschaftlichen Qualität und der Bemühungen zur Übertragung der Vorhaben, eine Auslauffinanzierung der Vorhaben bis 2015 zu ermöglichen.«6
Kommentare
1. »Nicht geprüft wurde, ob es überhaupt realistische Möglichkeiten für eine Finanzierung der aus dem Akademienprogramm auszugliedernden Projekte gibt. Denn es ist ja auch tatsächlich nicht der Fall, und zwar weil das Forschungsformat der Akademien nicht in das außerhalb des Akademienprogramms mögliche Förderungsraster fällt. Damit wird Unmögliches gefordert und auf der Basis falscher Prämissen geurteilt. Das alles steht auch im Widerspruch zu dem Argument, für natur- und technikwissenschaftliche Projekte gäbe es generell hinreichend gute Fördermöglichkeiten. Dies gilt z.B. nicht für längerfristig angelegte empirische Begleitforschungen mit der Zielsetzung wissenschaftlich anspruchsvoller Allgemeinaussagen, wie sie weit über die Datensammlungen von nichtakademischen Instituten hinausgehen, so z.B. Begleitforschungen an medizinischen Fakultäten, Gletscherforschung, Forschung zur Seismik oder zur Boden- und Wasserqualität. Solche Forschungen lassen sich nachhaltig am besten, weil administrativ effizient und evaluativ effektiv, von Länderakademien begleiten, und das ohne allzu große bürokratische Belastungen etwa von Klinikdirektoren; von der ›Nutzung‹ der Kompetenz und Erfahrung emeritierter Kollegen gar nicht zu sprechen. Eine systemische Prüfung fand nicht statt, ob es nicht doch eine höchst sinnvolle Betreuung empirischer Langzeitprojekte durch die Akademien geben kann oder sollte, und zwar in Ergänzung zu bzw. neben den im Grunde mehr auf das Harnack- oder Personenprinzip als auf das Projektprinzip setzenden und dabei durchaus personal- und kostenintensiven außeruniversitären Institutionen wie Max-Planck- oder Leibniz-Gesellschaft einerseits, den von der DFG und ähnlichen Drittmittelgebern geförderten universitären Forschungen mit relativ kurzen Laufzeiten und ständig wechselndem Personal auf der Doktoranden- und Post-Doc-Ebene andererseits.«
2. »Der WR wiederholt seine Feststellung, dass naturwissenschaftliche und medizinische Vorhaben nicht in das Programm gehören. Fünf Jahre Akademienprogramm unter neuem Vorzeichen, in Umsetzung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates, haben das Ergebnis gebracht, dass nur ein einziges der bisherigen Vorhaben in eine Förderung außerhalb des Akademienprogramms überführt werden konnte. Die Vorschläge des WR sind in dieser Hinsicht nicht konkret genug. Die Begründung der obigen Feststellung und eine Erklärung des Vorteils der vorgeschlagenen Maßnahme bleiben aus.«
3. »Der wiederholte Vorschlag, die naturwissenschaftlichen Langzeitvorhaben in andere Trägerschaften zu überführen, wird wider besseres Wissen um die Unmöglichkeit der Umsetzung unterbreitet. Auch wenn die SAW diesen Weg intensiv versucht, besteht nur in wenigen Fällen Aussicht auf Erfolg.«
4. »Leider steht die Ablehnung von naturwissenschaftlichen Langzeitprojekten weiterhin gravierend im Raum. Für diese Projekte gibt es in der Wissenschaftslandschaft keine alternativen Fördermöglichkeiten, es sei denn, man gibt sie an andere Institutionen, beispielsweise der blauen Liste ab. Ob die Forschung damit besser und effizienter (billiger) wird, wäre aber erst zu prüfen. Bei der DFG existieren derartige Förderprogramme für Akademien nicht.«
5. »Ob es für die Naturwissenschaften und Medizin genügend andere Förderprogramme gibt, ist offen. Auf jeden Fall ist die Anzahl der noch nicht in andere Förderprogramme überführten Projekte, die noch aus dem alten Akademienprogramm stammen, alarmierend. Es ist offenbar so, dass die normalen naturwissenschaftlichen und medizinischen Förderprogramme (außerhalb des Akademienprogramms) Langzeitprojekte zu wenig zulassen bzw. immer schon zu wenig zugelassen haben.«
6. Die Konsequenzen einer Laufzeitkürzung naturwissenschaftlicher Vorhaben werden am Beispiel eines Projekts aus der SAW so geschildert: »Als im Jahre 2000 drei Mitarbeiter eingeworben wurden, ist ihnen eine gewisse Stellensicherheit für den Fall positiver Evaluierungen des Projektes zugesagt worden. Unter dieser Voraussetzung haben die Mitarbeiter zugesagt, unter dieser Voraussetzung wurden die Arbeitsverträge geschlossen. Die Entscheidung im Jahre 2004 hat die Mitarbeiter nachvollziehbar verunsichert.«
7. Gerade auch der eine Ausnahmefall eines erfolgreich in andere Trägerschaft überführten Akademievorhabens zeigt, dass der Akademie damit wertvolles Forschungspotential einschließlich qualifizierter Mitarbeiter verloren ging. »Das Langzeitprojekt von OM Haustein (Leipzig) ›Humanökologische Forschung‹ wurde auf Grund des Wissenschaftsratsbeschlusses von 2004 am Ende des Jahres 2005 ersatzlos gestrichen, obwohl bereits der positiv evaluierte Neuantrag im Prinzip bewilligt war. So suchte seine Arbeitsgruppe nach Alternativen und hat ein neues Projekt der Grundlagenmedizin mit der Werkstoffkunde in Verbindung mit biologischen Matrices (OM Worch, Dresden) initiiert und OM Simon (Leipzig, späterer Sprecher) einbezogen. Schließlich wurde daraus eine besondere Form des SFB zwischen den beiden Universitäten Dresden (TU) und Leipzig als sogenannter Transregio unter Einbeziehung weiterer 14 Arbeitsgruppen, zweier zentraler Projekte und einem Graduiertenkolleg sowie einem Verwaltungsprojekt.« Klar war, dass unsere Akademie einen SFB gar nicht beantragen kann und damit dieses Projekt aus dem Akademienprogramm ausscheidet. Dass von der Akademie angestoßene Vorhaben Erfolg haben können, zeigt das Beispiel freilich auch – wie der Beitrag zu diesem Projekt in der Rubrik »Berichte und Notizen« deutlich macht.
D. Einengung des Akademienprogramms
Es lässt sich in der Stellungnahme des WR eine Tendenz zur Einengung auf ein rein textwissenschaftliches Akademienprogramm ablesen: Nachdem bereits naturwissenschaftliche Langzeitprojekte aus dem Akademienprogramm gestrichen wurden, hat es nun den Anschein, dass auch sozial-, rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Projekte nicht mehr in das Akademienprogramm aufgenommen werden sollen, es sei denn, sie sind interdisziplinär angelegt. Lediglich »in der disziplinenübergreifenden Langzeitforschung der Geisteswissenschaften im engeren Sinne sowohl mit den Natur- als auch mit den Sozial-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sieht der Wissenschaftsrat ein profilverleihendes Element für das Akademienprogramm«7. »Der Wissenschaftsrat sieht die Hauptaufgabe des Akademienprogramms in der Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung des kulturellen Erbes in den Geisteswissenschaften im engeren Sinne. Daher erscheinen eine Fokussierung auf die Textwissenschaften und eine Profilierung vor allem über Editionen und Wörterbücher gerechtfertigt.«8
Kommentare
1. »Das neue Akademienprogramm, wie es der WR sich vorstellt, ist eigentlich kein Wissenschaftsprogramm mehr, obwohl die Bewilligungskommission das Wort ›wissenschaftlich‹ im Namen trägt. Denn gewünscht oder gefordert werden vom WR offenbar nur noch Projekte zur ›Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung respektive Nutzbarmachung kultureller Wertbestände‹ mit ›Fokussierung der Textwissenschaften‹ und in Kooperation mit Bibliotheken, Museen, Archiven und Denkmalämtern. Datensicherung aber ist keine Wissenschaft.«
2. »Vor einem allgemeinen Trend, das Akademienprogramm mit der Reduktion auf Datensicherung und Textbetreuung einzuengen, muss aus unserer Sicht an dieser Stelle entschieden gewarnt werden.«
3. »Zum kulturellen Erbe zähle ich neben Kunst, Religion, Gesellschaft, Wirtschaft die Erkenntnisse der Wissenschaften, auch die der Geisteswissenschaften im umfassenden Sinne, die der Naturwissenschaften und der Technikwissenschaften. Das Wort Technikwissenschaften kommt in der Stellungnahme nicht vor. Offenbar zählt der Wissenschaftsrat die Erkenntnisse der Technikwissenschaften nicht zum kulturellen Erbe.«
4. »Wie definiert der Wissenschaftsrat den Begriff Textwissenschaften? Drücken wir uns nicht alle über gesprochene oder geschriebene Texte aus? Das so empfohlene enge Spektrum des Akademienprogramms spiegelt die Vielfalt der in den wissenschaftlichen Akademien vertretenen Wissenschaftsgebiete nicht wider. Der Name ›Akademienprogramm‹ ist in dieser engen Ausrichtung irreführend und sollte durch eine zutreffende Bezeichnung, z.B. ›Finanzierungsprogramm für Editionen und Wörterbücher‹ ersetzt werden. Das Akademienprogramm ist in dieser vom Wissenschaftsrat empfohlenen Ausrichtung kein wissenschaftliches Forschungsprogramm mehr, denn es soll ja allein zur ›Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung‹ bekannter Fakten dienen. Die wissenschaftlichen Akademien hätten damit in der Zukunft kein eigenes Forschungsprogramm, das neue wissenschaftliche Erkenntnisse hervorbringt. Wenn der Wissenschaftsrat die Tätigkeiten der deutschen wissenschaftlichen Akademien allein in der Herausgabe von Editionen und Wörterbüchern sieht, muss er wohl sein Informationsdefizit über die reale Arbeit im Programm beseitigen oder sich über den Begriff wissenschaftlicher Forschung im Unterschied zum Erhalt des materialen kulturellen Erbes in Bibliotheken und Museen aufklären.«
5. »Die Ermutigung des WR ›zur interdisziplinären Zusammenarbeit der Geistes- und Naturwissenschaften in Vorhaben des Akademienprogramms‹ hört sich zunächst gut an und wird gern entgegen genommen. Wie sie aber zustande kommen soll, wenn naturwissenschaftliche Vorhaben von der Förderung ausgeschlossen werden sollen, bleibt unklar. So ist die ›disziplinenübergreifende Langzeitforschung der Geisteswissenschaften im engeren Sinne sowohl mit den Natur- als auch mit den Sozial-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften‹, wie sie der WR sieht, als ›ein profilverleihendes Element für das Akademienprogramm‹, wohl mehr mit schneller Feder dahingeschrieben als inhaltlich untersetzt bzw. zu untersetzen.«
6. »Es wird eindeutig die diachrone Blickrichtung und eine auf das Sammeln und Auswerten abzielende Methodologie präferiert. Je weiter die Forschung in die Vergangenheit zurückreicht, umso mehr ist die geforderte Interdisziplinarität schon durch den Entwicklungsstand der untersuchten (heutigen) Wissenschaften / Künste / kulturellen Bereiche gegeben. D. h., was Akademienprogramm heißt, ist ein sehr kleiner Ausschnitt aus der Forschung. Er erbringt Grundlegungen und Einschätzungen für die breite Öffentlichkeit und Werkzeuge für nachfolgende Spezialforschungen. Das Programm koppelt aber von der Forschung im Sinne einer weiterführenden Erkenntnis der Welt, von der Lösung aktueller wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme, von der Entwicklung neuer Gegenstände, Teildisziplinen, Lösungsverfahren, Methoden usw. ab.«
E. Zusammenarbeit mit internationalen geisteswissenschaftlichen Instituten
Der Wissenschaftsrat empfiehlt die Zusammenarbeit mit internationalen geisteswissenschaftlichen Instituten:
»Die Zusammenarbeit von Akademien und anderen außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist hingegen derzeit noch unterentwickelt. Die Akademien sollten deshalb die Kooperation mit einschlägigen außeruniversitären Institutionen, insbesondere auch mit den Deutschen Geisteswissenschaftlichen Instituten im Ausland, erkennbar intensivieren.«9
Kommentare
1. »Die Empfehlung, insbesondere mit den Deutschen Geisteswissenschaftlichen Instituten im Ausland zu kooperieren, weist auf eine Unkenntnis der Aufgabe dieser Institute: Die DHI im Ausland widmen sich den Beziehungen zwischen Deutschland und dem jeweiligen Partnerland in vergleichend-historiographischen Forschungsprojekten und ermöglichen wissenschaftliche Kontakte durch die Vergabe von Ausbildungs- und Forschungsstipendien. Für unsere Akademie ist daher die Empfehlung nicht relevant oder nicht hilfreich.«
2. »Es ist leichter, von internationaler Kooperation zu reden, als eine solche sinnvoll herzustellen«.
F. Weitere Kommentare
1. »Ich halte es für untragbar, dass der WR in seiner Stellungsnahme mehrmals empfiehlt, in der Forschung gegenüber dem Plan Lücken zu lassen. Nun ist das zwar jedem Forscher klar, dass er am Ende seiner Tätigkeit weiß, was noch zu erforschen gewesen wäre (ohne Lücken geht es also gar nicht). Die Lücke aber bereits von Anfang an im Sinne von Oberflächlichkeit und Weglassen zu empfehlen, um Termine einzuhalten und die elektronische Datenspeicherung zu erlauben, liegt für mich außerhalb des wissenschaftlich Zulässigen. Der WR hat damit die von ihm akzeptierte Ausrede bei Nichterreichen von Forschungszielen frei Haus geliefert.«
2. »Der Satz ›Die hohe wissenschaftliche Qualität der mit Mitteln des Akademienprogramms geförderten Projekte ist durch die deutlich verbesserten Evaluationsverfahren sichergestellt‹ bestätigt die unerträglichen Zweideutigkeiten in der Stellungnahme des WR. Denn die ›hohe Qualität‹ ist doch offenbar das Ergebnis der Anstrengungen aller Beteiligten. Die These, erst die Empfehlungen des WR hätten zur hohen Qualität der Forschungen in den Akademien geführt, ist historisch einfach falsch. Es wäre auch merkwürdig, wenn dazu 5 Jahre ausreichten. Der WR ist neben anderen nur eine Instanz, welche Anpassungen an die gegenwärtige Lage durchsetzt. Ob diese gut und klug sind, ist erstens institutionentheoretisch zu beurteilen und lässt sich nicht einfach behaupten und wird sich zweitens realiter erst in der weiteren Geschichte der Wissenschaften zeigen. Träger dieser Geschichte und des Erfolgs sind aber immer vor allem die Forscher, Projektleiter und begleitenden Kommissionen, nicht die wissenschaftspolitischen Rahmensetzer.«
3. Der Vorschlag des WR, eine höhere Personalausstattung der Themen anzustreben, um die Laufzeit zu verkürzen, geht an der Realität und den Spezifika von Langzeitvorhaben mit Messreihen und aufeinander aufbauender Forschung mit aufwendigen Recherchen vorbei.«
Zusammenfassung
Dieser Überblick zu den Antworten der Akademiemitglieder auf die Stellungnahme des Wissenschaftsrates steht in der Tradition der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, die sich als ein Ort der offenen Diskussion und des wissenschaftlichen Meinungsaustauschs unter Gelehrten verschiedenster Fachrichtungen versteht. Dabei geht es uns immer auch um eine allgemeine Verbesserung und gute Entwicklung des Systems der wissenschaftlichen Institutionen in unserem Lande. Dieser Zielstellung ist ja gerade auch der Wissenschaftsrat verpflichtet. Es wird selbstverständlich anerkannt, dass sich die Abläufe zum Zustandekommen administrativer Entscheidungen über die Ausrichtung wissenschaftlicher Institutionen und die Steuerung von Entwicklungen über Empfehlungen etwa des Wissenschaftsrates oder auch über finanzielle Anreize wie Programmausschreibungen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert haben. Umso wichtiger erscheint uns die Rückkoppelung, also die öffentliche Debatte über Verständnisse von Empfehlungen und die Bewertungen von Entscheidungen. Wir hoffen, mit dieser Zusammenschau eine für alle Seiten fruchtbare und weiterführende Diskussion anzustoßen.
- 1Dies ist in der »Ausführungsvereinbarung zur Rahmenvereinbarung Forschungsförderung über die gemeinsame Förderung eines von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften e. V. durchgeführten Programms« im Abkommen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) vorgesehen.
- 2WR Wissenschaftsrat, Stellungnahme zum Akademienprogramm, Saarbrücken 2009, http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/9035-09.pdf.
- 3Ebd. S. 28.
- 4Ebd., S. 22.
- 5Ebd., S. 22.
- 6Ebd., S. 22 f.
- 7Ebd., S. 23.
- 8Ebd., S. 21.
- 9Ebd., S. 24.