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Die Inschriften des Doms zu Halberstadt (Die Deutschen Inschriften, Band 75, Leipziger Reihe 3. Bd.).

Gesammelt und bearbeitet von Hans Fuhrmann, Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 2009. 516 Seiten, 81 Tafeln mit 209 s/w-Abbildungen, eine Tafel mit Steinmetzzeichen und ein Grundriss des Halberstädter Doms mit einem Lageplan der Inschriftenträger.

Sechs deutsche Akademien der Wissenschaften und die Österreichische Akademie der Wissenschaften betreiben das interakademische Vorhaben »Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit« an acht Standorten (Bonn, Göttingen, Greifswald, Halle, Heidelberg, Mainz, München, Wien). Aufgabe ist es, die Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit bis zum Jahr 1650 zu sammeln und kommentiert zu veröffentlichen. Mit dieser Sammlung und Veröffentlichung der Inschriften begannen vor etwa 75 Jahren einige Wissenschaftsakademien in Deutschland und Österreich. Nach und nach schlossen sich seither weitere Akademien an. Die Ergebnisse ihrer Forschungen werden in der Reihe »Die Deutschen Inschriften« (DI) publiziert. Die in Halle ansässige Inschriftenarbeitsstelle der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig betreut die Bundesländer Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Der vorliegende Band, der dritte der Leipziger Reihe, ist der 75. im Gesamtcorpus, die drei folgenden Bände stehen ebenfalls kurz vor ihrer Publikation.

Inschriften sind herausragende historische Quellen. Meist auf dauerhaftem Material, wie Stein, Holz, Metall und Leder, aber auch auf Glas, Textilien oder anderen Gegenständen angebracht, ergänzen sie die handschriftliche oder gedruckte Überlieferung unserer Vergangenheit. Meistens richten sie sich durch ihren Entwurf, ihre Ausführung und Anbringung an die Öffentlichkeit. Häufig sind sie an oder in öffentlichen Gebäuden oder Plätzen zu finden.

Wichtigste Aufgabe der wissenschaftlichen Edition ist die genaue Wiedergabe der Inschriftentexte, die oft wegen ihres Erhaltungszustandes und der verwendeten Abkürzungen nicht leicht zu entziffern und manchmal wegen ihres Inhaltes – etwa in versifizierten Texten – schwierig zu verstehen sind. Um Inschriften in ihrem Zusammenhang zu begreifen, müssen neben den Texten auch die Inschriftenträger – oft bedeutende Kunstwerke – und ihre Standorte in die Deutung einbezogen werden. In einem Inschriftenartikel werden deshalb die Inschriftenträger unter Einbeziehung evtl. angebrachter Wappen meist knapp beschrieben, um so den Zusammenhang von Träger und Text zu erläutern. Sind Inschriften nicht mehr im Original erhalten, werden ihre Texte auch dann veröffentlicht, wenn sie durch Abschriften, Nachzeichnungen oder Photographien bekannt sind. Fremdsprachige Texte, seien sie lateinisch, griechisch oder auch im Deutsch einer älteren Sprachstufe erhalten, werden übersetzt. Fragen, welche die Inschriften und/oder ihre Träger hinsichtlich Geschichte, Kunstgeschichte oder bezüglich theologischer, volkskundlicher und sprachwissenschaftlicher Zusammenhänge, aber auch wegen ihrer Schriftformen aufwerfen, werden kommentiert. Eine dem Katalog vorangestellte Einleitung bietet dem Nutzer eine Auswertung des Bestandes, seine paläographische Einordnung sowie die Verortung im bearbeiteten Raum. Zahlreiche Register sowie Abbildungen ausgewählter Inschriften bzw. Inschriftenträger erschließen und illustrieren die Edition und den sie begleitenden Kommentar. Inschriften dienen so als Quellen für vielfältige Fragestellungen, z. B. der Regional- und Landesgeschichte, der Kultur- und Mentalitätsgeschichte, der Theologie, verschiedener Philologien und etlicher anderer Wissenschaftszweige. Darüber hinaus bewahren sie die oft aggressiven Umwelteinflüssen ausgesetzten Denkmäler in Wort und Bild.

Der jetzt vorgelegte Band enthält in 281 Katalognummern die Sammlung der Inschriften des Halberstädter Doms, darunter diejenigen des größten an einer Kirche erhaltenen Domschatzes in Deutschland. Sie spiegeln die Geschichte des Bistums, seiner Bischöfe und des sie tragenden Domkapitels seit dem 9. Jahrhundert sowie die Baugeschichte der gotischen Kirche. Häufig bieten die Inschriften durch die Aufnahme von liturgischen Texten oder Zitaten christlicher Autoren Erläuterungen und Reflexionen theologischer oder typologischer Sachverhalte. Die Schwerpunkte der kommentierten Edition liegen neben den für Kirchen üblichen Inschriften des Totengedenkens, der Glocken, des Gebäudes und seiner Ausstattung insbesondere auf der umfangreichen Überlieferung an Glasmalereien und dem Domschatz, der unschätzbare Kunstwerke byzantinischer und niedersächsischer Herkunft enthält. Eine reiche Paramentensammlung erstreckt sich über die mittelalterlichen Epochen. Einzigartig sind die romanischen Wirkteppiche des 12. Jahrhunderts, die ältesten erhaltenen ihrer Art. Die Inschriften der frühen Neuzeit zeichnen die späte und sanfte Reformation des Halberstädter Doms in einem Geist gegenseitiger Toleranz nach.

Die Geschichte des Halberstädter Bistums und seiner Gründung im frühen 9. Jahrhundert erschließt sich im Rückblick durch Inschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts. Karl der Große wird zwar schon seit dem Ende des 10. Jahrhunderts in erzählenden Quellen der Region als Bistumsgründer genannt. Die Betonung des Frankenkaisers, der in Halberstadt seit der Mitte des 14. Jahrhunderts auch als Heiliger verehrt wurde, in Inschriften, die erst drei oder mehr Jahrhunderte nach der Erhebung des Erzbistums Magdeburg auf Kosten des Bistums Halberstadt geschaffen wurden, weist auf das fortdauernde Trauma hin, das die Beschneidung des bischöflichen Territoriums nach der Mitte des 10. Jahrhunderts verursacht hatte. Dessen andauernder Wirkung versuchte man durch die Hervorhebung des Kultes um den Gründer und Heiligen und den Hinweis auf die frühe Gründung zu begegnen. Der Widerstand gegen die Schmälerung des Bistums und die frühe Geschichte des Dombaus sind außerdem durch die Grabschrift Bischof Bernhards von Halberstadt dokumentiert, der im Jahr 968 starb. Er hatte zeitlebens versucht, die Erhebung Magdeburgs zu verhindern und sofort nach dem Einsturz des Domes im Jahr 965 einen Neubau begonnen. Das Alter der Halberstädter Kirche wird auch durch drei Gedächtnisinschriften für Halberstädter Bischöfe des späten 9. bis zum ersten Drittel des 11. Jahrhunderts betont, deren Gräber für den Bau des gotischen Domes im 14. Jahrhundert zunächst aufgehoben werden mussten und deren Namen nach der Wiedereinbringung ihrer sterblichen Überreste an der Chorschrankenwand über den Begräbnisplätzen – vermutlich um das Jahr der Domweihe 1491 – angebracht wurden.

Spannungen innerhalb der Halberstädter Geistlichkeit um die Mitte des 12. Jahrhunderts kann man aus einer nur abschriftlich überlieferten Inschrift erkennen. Das Schicksal eines ermordeten Geistlichen bringt uns die Grabschrift eines dem Reformklerus zugeneigten Domherrn nahe, die in leoninisch gereimten elegischen Distichen den Tod des Klerikers beklagt, der für seine Überzeugung starb.

Um die Mitte des 12. Jahrhunderts ist auch der älteste der romanischen Wirkteppiche entstanden, der heute zu den Zimelien des Halberstädter Domschatzes gehört. In zweimal zwei Szenen aus der biblischen Geschichte Abrahams, die in dreimal drei leoninischen Hexametern erläutert sind, zeigt das Textil die Typologie des Erlösungsopfers Christi mit seinen trinitarischen, eucharistischen und christologischen Grundlagen. Der den Teppich beschließende Erzengel Michael versinnbildlicht mit der potestas dei eine der Eigenschaften Gottes, die die Heilsgeschichte erst möglich machten. Weitere mit Inschriften versehene Teppiche des 12. Jahrhunderts und solche des 13. bis 16. Jahrhunderts vervollständigten die textile Kirchenausstattung.

Halberstädter Bischöfen und Klerikern, die seit der Mitte des 12. Jahrhunderts als Pilgerreisende und/oder Kreuzfahrer das Heilige Land besuchten, insbesondere der Teilnahme Konrads von Krosigk (1201–1208, † 1225) am Vierten Kreuzzug und an der Eroberung Konstantinopels, verdankt der Halberstädter Dom große Teile seines weltberühmten Domschatzes. Etliche der mitgebrachten Reliquien wiesen Schmuck auf oder wurden mit solchem versehen – Inschriften durften dabei nicht fehlen. Man findet sie im griechischen Original oder in lateinischer Sprache an einzigartigen Gegenständen wie Reliquiaren, byzantinischen Email- oder Elfenbeinarbeiten und Textilien.

Inschriften gehörten auch zu monumentalen Ausstattungsstücken des Doms, wie der vielleicht zur Domweihe 1220 aufgestellten Triumphkreuzgruppe oder auch zur heute nicht mehr existierenden gotischen Orgel von 1361. Als man im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts den Neubau des gotischen Domes begann, war wahrscheinlich wieder die Konkurrenz zum Erzbistum Magdeburg treibende Kraft, wo nach dem Brand im Jahr 1207 seit 1209 ein gotischer Neubau begonnen worden war, der nun Gestalt annahm. In der Folge des Baufortschritts im Halberstädter Dom wurden nach und nach einzelne Bauteile und die benötigte Ausstattung gestiftet und mit Inschriften versehen. Dazu gehören der Zyklus der Glasfenster, Wandmalereien, Skulpturen, Glocken, Altarretabel, Paramente und liturgisches Gerät.

Da der Dom als Begräbnisstätte für den Klerus diente, weisen die Grabmonumente Inschriften auf, die das Gedächtnis der Toten bewahren und das liturgische Gedenken erleichtern sollten. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts finden sich an einzelnen Grabdenkmälern Inschriften, die reformatorisches Gedankengut transportieren. Im Jahre 1558 wird der offiziell noch katholische Erzbischof von Magdeburg und Administrator von Halberstadt, Friedrich von Brandenburg (1550–1552), auf seinem überdimensionalen Epitaph als evangelischer Christ dargestellt. Sein persönliches Glaubensbekenntnis kann man an den angebrachten Inschriften ablesen. Nachdem der Dom im Jahr 1591 durch den Landesherrn selbst, Bischof Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg (1566–1613), sehr zurückhaltend reformiert worden war, bestand mehrere Jahrhunderte lang ein gemischtkonfessionelles Domkapital mit einer Mehrzahl von evangelischen und einer Minderheit von katholischen Kanonikern. Die nun entstehenden Inschriften, etwa an der im Jahr 1592 aufgestellten Kanzel, lassen den konfessionellen Konsens erkennen, den die politische Situation erforderte. Nur der Dreißigjährige Krieg brachte vorübergehend Veränderungen in diesem Verhältnis, wie etwa an der Öffnung des Kirchenraumes als Begräbnisstätte auch für weltliche Personen, ja selbst für Offiziere, zu sehen ist. Jedoch setzte man nach dem Ende des Großen Krieges die friedliche Koexistenz beider Bekenntnisse fort, so dass in Inschriften die Überzeugungen beider Konfessionen sichtbar werden. In dieser gegenseitigen Duldung scheinen die Wurzeln für die Erhaltung der Halberstädter Kunstschätze zu liegen, die zu den bedeutendsten Europas gehören.

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Heft 3 (2009)
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1867-7061

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