Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

Kunst und Wissenschaft: Leonardo zwischen »automimesis« und Proportionslehre1

Bekanntlich drängten die Künstler und Kunsttheoretiker des 15. und frühen 16. Jahrhunderts darauf, ihre Kunst (»ars«) mithilfe wissenschaftlicher Fundierung aufzuwerten. Geometrische und mathematisch exakte Verfahrensweisen wurden plötzlich propagiert, beispielsweise die Zentralperspektive und die Proportionslehre. Dieses Interesse an mathematischer Genauigkeit, das sich sowohl in Kunstwerken als auch in theoretischen Traktaten niederschlug, hängt mit dem traditionell hohen Status der exakten Wissenschaften zusammen. Vergleichbare Bemühungen um eine Fundierung der bildenden Kunst waren bereits aus der Antike bekannt: Durch die Rationalität der Vermessung konnte sich auch die bildende Kunst dem »logos« und damit einem höher bewerteten Gegenstand menschlicher Aktivität annähern.2 In dieser Tradition standen die Künstler und Theoretiker des Quattrocento, wenn sie den gehobenen Status exakter Wissenschaft auf die Malerei zu übertragen versuchten. So propagierte Leon Battista Alberti eine »wissenschaftliche« Fundierung der Malerei in den ersten beiden Büchern seines Malereitraktats von 1435.3 Ähnliches gilt für Piero della Francescas Perspektivtraktat4 und andere Schriftsteller, die diese Bemühungen um mathematische Exaktheit in der Malerei lobend hervorhoben.5 Auch Leonardo da Vinci steht in dieser Tradition, wenn er schreibt, dass Zahl und Maß, gleichbedeutend mit Arithmetik und Geometrie, eine höhere Gewissheit garantierten und den wahren Urgrund der Malerei schüfen.6

Dass Künstler sich ihres gesellschaftlichen Standes bewusst waren und versuchten, durch Bildung sozial aufzusteigen, verdeutlichte Leonardo mit dem Ausspruch, ein »[u]omo senza lettere« zu sein,7 also ein »Mann ohne angelesene Bildung«, der nicht die reglementierten Curricula eines universitären Studiums durchlaufen hatte. Um eine weitergehende und größtenteils autodidaktische Ausbildung in den traditionellen Zweigen der Wissenschaft – etwa in der Geometrie oder der lateinischen Grammatik – bemühte er sich vor allem seit den späten 80er Jahren des Quattrocento.8

Die Sozialgeschichte der Künstlernobilitierung durch Wissenschaft und Bildung ist in Teilen schon geschrieben9 und in Teilen gerne wieder vergessen worden. Kunst heute ist autonom und frei wie niemals zuvor. Daher wird manchmal vergessen, wovon man sich befreit hat, und man vergisst ebenso leicht, wie schwierig der Prozess der Befreiung war, wie lange er gedauert hat und welcher Mittel er sich bediente. Und hier spielt Wissenschaft im Sinne theoretischer Reflexion, von Bildungsaneignung und exaktem Denken sowie exakter Beobachtung eine große Rolle. Das alles ist bekanntlich bei einem Künstler bis ins kleinste Detail verfolgbar, bei Leonardo da Vinci, dessen Bemühen um eine wissenschaftliche Fundierung der Kunst ich mich zuwenden werde. Hierbei wird es einesteils um seine fast schon paranoid anmutenden Bemühungen gehen, einen als unwissenschaftlich empfundenen Mechanismus künstlerischer Produktion – die in der neueren Forschung als »automimesis« bezeichnete unwillentliche Selbstdarstellung des Künstlers in seinen Werken – zu analysieren; abschließend werde ich mich, anderenteils, mit den wissenschaftlichen Strategien Leonardos zur Bekämpfung der »automimesis« befassen. Im Ergebnis wird sich herausstellen, dass besonders Leonardos Studien zu Proportion, Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers mit seinen Bemühungen zusammenhängen, eine objektivierende, vom subjektiven Selbstausdruck emanzipierte Kunst zu schaffen.

Zu fast allen damals bekannten Wissensgebieten hat Leonardo bekanntlich Studien betrieben, die in Teilen bereits die Systematik heutiger Wissenschaft enthielten. Diese Studien waren für einen Künstler mehr als ungewöhnlich, da sie oft keine erkennbaren Bezüge zur künstlerischen Praxis besaßen. Daher schüttelten Leonardos Zeitgenossen angesichts seiner zahlreichen und zeitraubenden Studien auch nur ungläubig den Kopf.10 Auf den zweiten Blick erkennt man jedoch die tiefere Bedeutung dieser wissenschaftlichen Überlegungen Leonardos, was hier zunächst am Beispiel seiner physiologischen Studien erläutert sei. Die bekannteste dieser Studien thematisiert die sogenannte enkephalo-myelogische Samenlehre, gemäß der das Sperma aus Hirn und Rückenmark stamme.11 Hierbei weist das männliche Geschlechtsorgan gleich zwei Kanäle auf, einen für das aus dem Hirn stammende Sperma, den anderen für den Geist, »spiritus«. Beide Kanäle sind auf der Zeichnung gut zu erkennen. Die entsprechenden Überlegungen Leonardos erlauben sehr weitreichende Schlussfolgerungen im Hinblick auf das persönliche Verhältnis zwischen dem Künstler und seinem Werk. Überraschenderweise war Leonardo der Meinung, dass Künstler sich in ihren Werken selbst abbildeten und dass dieses Selbstabbilden tadelnswert sei. Dicke Maler malten dicke Figuren, schöne Maler schöne Gesichter in ihren Bildern, oder Bildhauer mit abstehenden Ohren schufen Skulpturen mit sogenannten Segelohren. In Gemälden erscheint also ständig und unwillentlich das Antlitz ihres Schöpfers – übrigens auch heute noch, wenn man beispielsweise an Maler wie Neo Rauch und Michael Triegel denkt, deren Physiognomie, Frisur oder Statur in vielen ihrer Gemälde auftauchen.12 In der Fachliteratur des 20. Jahrhunderts wird dieses Phänomen mit dem Begriff »automimesis« bezeichnet,13lsnd im 15. Jahrhundert wurde es mit dem toskanischen Sprichwort »Ogni pittore dipinge sé« (Jeder Maler malt sich selbst)14 beschrieben. Identische und verwandte typische Anschauungen finden sich bei Autoren der Antike15, des Mittelalters16 und der italienischen Renaissance17, aber auch Albrecht Dürer hat die »automimesis« thematisiert. 18 Eine der aufschlussreichsten Auseinandersetzungen mit dem Sprichwort ist von Girolamo Savonarola überliefert, der das unwillentliche Selbstabbilden mit dem Hang der Künstler in Zusammenhang bringt, schablonenartig und zwanghaft immer dieselben Typen zu verwenden.19 Am ausführlichsten aber hat sich Leonardo mit dem Vorwurf der »automimesis« befasst. Für ihn stellte das Phänomen sowohl ein psychologisches als auch ein praktisches Problem der Künstlerwerkstätten dar. Das praktische Problem sei zunächst an zwei Beispielen der Kunst des 15. Jahrhunderts erläutert, die Leonardo in seinen Bemerkungen zur »automimesis« möglicherweise vor Augen standen. So schreibt er in einem um 1508 entstandenen Absatz seines Malerei-Traktats folgendes:

Abb. 1: Leonardo da Vinci, Der Geschlechtsakt im Vertikalschnitt, um 1489, Feder und braune Tusche, 276 × 204 cm, Windsor, Royal Library (RL 19097v) [aus Sigrid Esche, Leonardo da Vinci. Das anatomische Werk, Basel 1954, Abb. 19] Abb. 1: Leonardo da Vinci, Der Geschlechtsakt im Vertikalschnitt, um 1489, Feder und braune Tusche, 276 × 204 cm, Windsor, Royal Library (RL 19097v) [aus Sigrid Esche, Leonardo da Vinci. Das anatomische Werk, Basel 1954, Abb. 19]

»Ich habe Künstler gekannt, bei denen sah es so aus, als hätten sie sich in allen ihren Figuren nach der Natur selbst dargestellt, und man sieht in diesen Figuren die Haltung und die Art ihres Schöpfers. Ist dieser rasch und lebhaft in seiner Rede und in seinen Bewegungen, so sind seine Figuren von ähnlicher Lebhaftigkeit. Ist der Meister fromm, dann sehen die Figuren mit ihren krummen Hälsen ebenso aus; und scheut er Anstrengung, dann scheinen seine Figuren wie die nach der Natur selbst geschaffene Faulheit; und ist er schlecht proportioniert, sind es seine Figuren desgleichen; und ist er verrückt, so zeigt sich das ausgiebig in seinen Bildern […].«20

Abb. 2: Fra Angelico, Verkündigung an Maria, ca. 1440–1446, Fresko, 187 × 157 cm, Florenz, San Marco in Florenz, Zelle 3 [aus Wilhelm Hausenstein, Fra Angelico, München 1923, Tafel 17] Abb. 2: Fra Angelico, Verkündigung an Maria, ca. 1440–1446, Fresko, 187 × 157 cm, Florenz, San Marco in Florenz, Zelle 3 [aus Wilhelm Hausenstein, Fra Angelico, München 1923, Tafel 17]

Vielleicht hat Leonardo mit diesen Beobachtungen an bestimmte Figuren des außerordentlich frommen Malers Fra Angelico gedacht, deren lange Hälse gelegentlich ein wenig krumm wirken. Da nun Fra Angelico als besonders gläubiger Maler häufig betete und dabei seinen Hals demutsvoll dehnte und senkte, übertrug er diese eigene, der intensiven Gebetspraxis geschuldete Deformation seines Halses auf seine Bilder.

Der von Leonardo in seinem Malereitraktat dann geäußerte Vorwurf der schlechten Proportion erinnert an die gedrungenen Gestalten in den Gemälden Filippo Lippis, die sich besonders durch etwas gestaucht wirkende Schädel auszeichnen – Quadratschädel möchte man sagen. Filippo malte also Quadratschädel, weil er selbst einen Quadratschädel hatte, oder weil er, in einem metaphorischen und damit weiteren Sinne, ein Quadratschädel war. Ein anderes Beispiel wären die runden Köpfe, die Giorgio Vasari in seiner Vita Donatellos den Werken der mittelalterlichen Bildhauer scherzhaft unterstellt, denn diese Künstler hätten auch eine runde Gemütsverfassung, »animi tondi«, besessen, d. h. sie waren besonders dumm, ihre Schöpferkraft sei nur grob entwickelt gewesen, erkennbar daran, dass sie sich in ihren Schöpfungen meistens selbst darstellten.21

Wie ernst hingegen Leonardo die Sache mit dem unwillentlichen Abbilden seiner selbst war, mag ein weiteres Zitat aus dem Malereitraktat belegen:

»Ein Maler, der plumpe Hände hat, wird eben solche in seinen Werken machen, und dasselbe wird ihm bei jedem Körperteil passieren, wenn ein langes Studium ihn nicht davon abhält. So achte also, Maler, genau auf jenen Teil, der in deiner Person am häßlichsten ist und versuche dich mit deinem Studium davor zu schützen. Denn wärest du von bestialischer Gestalt, deine Figuren würden ebenso und geistlos aussehen, und ebenfalls wird sich jeder Teil, der gut oder traurig an dir ist, zum Teil in deinen Figuren zeigen. […] Und wärest du hässlich, so würdest du unschöne Gesichter auswählen und hässliche Gesichter machen. […] Und du musst wissen, dass du auf das Äußerste gegen diese Schwäche anzukämpfen hast, zumal sie ein Mangel ist, der mit dem Urteil zusammen zur Welt kam«.22

Gegen die unwillentliche Selbstdarstellung lässt sich allerdings etwas unternehmen, nämlich durch ausgiebiges Zeichnen und durch wissenschaftliche Studien. Das deutet Leonardo in dem zuletzt zitierten Text bereits an, wenn er seinen Künstlerkollegen, den Opfern der »automimesis« also, eifriges Studium nach Modellen empfiehlt. Um die Überwindung der »automimesis« durch intensives Studium zu erläutern, greift Leonardo auf folgende physiologische Erklärung zurück:

Abb. 3: Filippo Lippi, Marienkrönung, 1439–1447, Tempera auf Holz, 200 × 287 cm, Florenz, Uffizien [aus: Robert Oertel, Fra Filippo Lippi, Wien 1942, Abb. 43] Abb. 3: Filippo Lippi, Marienkrönung, 1439–1447, Tempera auf Holz, 200 × 287 cm, Florenz, Uffizien [aus: Robert Oertel, Fra Filippo Lippi, Wien 1942, Abb. 43]

»Da ich mehrfach über die Ursache eines solchen Defekts [d. h. der »automimesis«] nachgedacht habe, glaube ich schlussfolgern zu können, dass die lebendige Seele, die jeden Körper lenkt und leitet, wohl dasjenige sei, was unser [angeborenes] Urteil ausmacht, bevor dieses [Urteil] zu unserem eigenen und eigentlichen Urteil heranreift. Die Seele hat also die gesamte Gestalt des Menschen so herausgebildet, wie es ihr für den eigenen Körper nach ihrem [angeborenen] Urteil gut erschien, sei es mit langer, kurzer oder gestülpter Nase, und so legte sie dem Körper seine Größe und Gestalt fest. Und nun ist dieses [angeborene] Urteil von solcher Mächtigkeit, dass es dem Maler die Hand führt und ihn sich selbst wiederholen lässt, denn es scheint dieser Seele, dies sei die richtige Art und Weise einen Menschen zu gestalten […]«.23

Die a priori bestehende, zusammen mit dem Körper in die Welt gelangte Seele ist also sowohl für das Äußere des Körpers als auch für seine Verrichtungen bestimmend, also zum Beispiel für das Malen. Daher malt der von seiner Seele gelenkte Maler die Figuren genau so, wie diese Seele den eigenen Körper seit der Geburt geformt hatte. Die Wesensverwandtschaft zwischen dem physiologisch bedingten Ausdruck in der Gestalt des eigenen Körpers einerseits und dem Schöpfungsprozess des Künstlers andererseits führt zwangsläufig zu einer unwillkürlichen und ungewollten Selbstreproduktion des Künstlers in seinem Werk: Jeder Maler malt immer denselben Typus, und dieser Typus ähnelt immer seiner eigenen Gestalt, da die Gestalt ihre Form unmittelbar den formenden Kräften der Seele und ihres Urteils verdankt.

Durch eine spezielle Schulung des menschlichen Gehirns kann der Maler dieser unwillentlichen Selbstdarstellung allerdings wirksam entgegentreten, denn die Funktionen des Gehirns und damit des Urteils, das den dicken Maler dicke Figuren und den dünnen Maler dünne Figuren malen lässt, sind manipulierbar. Dieser komplizierte Prozess der Manipulation des alles formenden Urteils sei hier nun erläutert.

Die von Leonardo propagierte Schulbarkeit des Gehirns und die Manipulierbarkeit der künstlerischen Arbeit folgen aus seinen Ansichten zur Physiologie. So befasste sich der Künstler bereits zu Beginn seiner anatomischen und physiologischen Studien gegen Ende der 80er Jahre des 15. Jahrhunderts intensiv mit den Funktionen und den einzelnen »Abteilungen« des Gehirns. Dabei ließ er sich im Wesentlichen von den irrigen, aber weit verbreiteten Vorstellungen der Antike und des Mittelalters leiten. In Anlehnung an diese lange gültigen Allgemeinplätze widmete sich Leonardo dem sogenannten Gemeinsinn, dem »senso comune«, der nach damaligem Verständnis als zentrale Schaltstelle des Gehirns fungiert. Den Ort dieser wichtigsten Steuerungsinstanz des Gehirns veranschaulicht Leonardo in mehreren Zeichnungen, so etwa in einigen Schädelstudien, wo er den Sitz des »senso comune« durch sich kreuzende vertikale und horizontale Linien mathematisch exakt festlegt.24

Die Verortung des Gemeinsinns und anderer Gehirnfunktion illustrierte Leonardo auch in einem um 1489 entstandenen Blatt mit einem Quer- und einem Längsschnitt durch den menschlichen Schädel.25 In dieser Zeichnung demonstriert Leonardo die im Mittelalter gängige Auffassung, dass die verschiedenen Instanzen des menschlichen Gehirns sich auf drei nussschalengroße, hintereinander angeordnete Kammern verteilen: Die erste Kammer, ganz vorn im Schädel angesiedelt, enthält das Eindrucksvermögen (»imprensiva«), die zweite Instanz, in der Mitte platziert, den Gemeinsinn (»senso comune«) und die dritte das Gedächtnis (»memoria«).26

Abb. 4: Leonardo, Anatomische Studien der Hirnkammern, um 1490–1493, Feder, braune Tusche und rote Kreide, 203 × 152 cm, Windsor Castle, RL 12603r [aus Esche, Leonardo, Abb. 54] Abb. 4: Leonardo, Anatomische Studien der Hirnkammern, um 1490–1493, Feder, braune Tusche und rote Kreide, 203 × 152 cm, Windsor Castle, RL 12603r [aus Esche, Leonardo, Abb. 54]

Um die ganze Tragweite dieses physiologischen Denkmodells zu ermessen, muss man sich Leonardos Verständnis der wichtigsten Hirnfunktionen und des »senso comune« vor Augen halten. Dieses Verständnis setzt einen mechanisch direkten Einfluss der Seelenvorgänge auf alle körperlichen Funktionen voraus und lässt sich folgendermaßen resümieren: Die durch die fünf Sinne aufgenommenen Dinge gelangen zunächst in das Eindrucksvermögen, das als zwischengeschaltete Instanz nur eine durchleitende Funktion hat. Die hier (im Eindrucksvermögen) aufgenommenen Eindrücke werden dann vom Gemeinsinn beurteilt. Dort existieren die Eindrücke je nach ihrer Bedeutung mehr oder weniger intensiv weiter, um dann in das Gedächtnis weitergereicht zu werden, wo sie ihrer Bedeutung und Intensität entsprechend entweder erinnert oder aber vergessen werden.27

Die bedeutendste dieser Instanzen des Gehirns ist zweifelsohne der »senso comune«. Er zeichnet für den Ausdruck der seelischen Zustände verantwortlich, denn er ist einerseits der Sitz der Seele; andererseits unterliegen die Ausdrucksmittel wie beispielsweise die Gesten, Gebärden und die Mimik mittels der Nerven, Sehnen und Muskeln seinem Einfluss.28 Dieser Einfluss verläuft über vom Gemeinsinn ausgehende Impulse, die sich durch einen »Geist« (»spirito«) genannten Träger bis zu den ausführenden Organen fortsetzen.29 Der Geist wiederum ist eine immaterielle Substanz, die ohne Körper nicht wirken kann und daher Nerven und Muskeln braucht, um die Bewegungen eines beseelten Lebewesens hervorzubringen.30

Eine Illustration dieser Gedanken mag man in einigen anatomischen Studien Leonardos sehen, wo die Nervenbahnen und deren Durchgang durch die Nackenwirbel dargestellt sind.31 Wie hoch Leonardo die genaue Kenntnis der Nervenbahnen einschätzte, belegt der begleitende Text zur Zeichnung der Halswirbel: »Diese Darstellung ist für gute Zeichner so wichtig wie die Ableitung lateinischer Wörter für Grammatiker; da derjenige, der nicht weiß, welche Muskeln welche Bewegungen verursachen, die Muskeln von Gestalten bei Bewegungen und Handlungen schlecht zeichnen wird.«32 Wenden wir diese Beischrift Leonardos auf die »automimesis« an, dann müsste der Künstler also die Muskeln- und Nervenbahnen genau kennen, da ihre Kenntnis bei der Unterdrückung der unwillentlichen Selbstdarstellung eine besondere Rolle spielt.

Leonardos Reflexionen über die direkten Verbindungen zwischen Gemeinsinn und den Verrichtungen des Körpers waren nur ein erster Schritt, um die »automimesis« zu besiegen. Ein weiteres Mittel sah er in der Zerstreuung und der Muße, die er in seinem Malereitraktat ausdrücklich empfiehlt33 und zum Entsetzen seiner Auftraggeber selbst ausgiebig pflegte.34 Konkret: Beim Malen des Abendmahls einfach mal vom Gerüst herunter steigen und spazieren gehen. Außerdem glaubte er, dass die unwillentliche Selbstdarstellung des Künstlers durch Schulung und Übung vermieden werden könne. Die Begründung hierfür lässt sich etwa folgendermaßen zusammenfassen: Da der »senso comune« als zentrale Instanz der Seele die wahrgenommenen Eindrücke und Informationen der Außenwelt verarbeitet und also eine aktive und selektierende Instanz ist, ergibt sich eine gewisse Lernfähigkeit des Künstlers, mit der wiederum der von der Seele »a priori« diktierte Hang zur Darstellung ihrer selbst unterbunden werdenlagen der Malerei</span>, hgeispielsweise seine Fähigkeit, Figuren zu zeichnen, dann nimmt der »senso comune« das Erlernte in sich auf, in diesem Fall die zur Übung gezeichneten Figuren, die dann verarbeitet werden, um der »automimesis « entgegen zu wirken.

Die Schulung des »senso comune« kann gezielt gegen die »automimesis« eingesetzt werden, indem eben jene Figuren erlernt werden, die dem eigenen Wiederholungstrieb entgegenstehen. Ein dicker Maler müsste also am besten dünne Figuren darzustellen üben und umgekehrt ein dünner Maler dicke Figuren, oder am besten natürlich perfekte Figuren bzw. jene Musterfiguren, die Leonardo zeichnete und aus seiner Vermessung des Menschen gewann. Konkret beschreibt Leonardo dieses Vorgehen folgendermaßen:

»Der Maler soll sich seine (Muster-) Figur nach der Regel eines natürlichen Körpers bilden, der in der Proportion allgemein für lobenswert gilt. Außerdem soll er sich selbst ausmessen und feststellen, in welchem Teil er sehr viel oder wenig von jener vorgenannten lobenswerten Figur abweicht. Und wenn er das gelernt hat, dann muß er mit seinem ganzen Studium dafür sorgen, dass er nicht bei den von ihm geschaffenen Figuren in die gleichen Mängel verfällt, die sich an seiner eigenen Person finden.«35

Abb. 5: Leonardo da Vinci, Proportionszeichnung zu Vitruv, Venedig, um 1490, Feder, Tinte und Tusche über Metallstift, 344 × 245 mm, Venedig, Gallerie dell’Accademia [aus Leonardo da Vinci 1452–1519, Leipzig 1952, Abb. 9] Abb. 5: Leonardo da Vinci, Proportionszeichnung zu Vitruv, Venedig, um 1490, Feder, Tinte und Tusche über Metallstift, 344 × 245 mm, Venedig, Gallerie dell’Accademia [aus Leonardo da Vinci 1452–1519, Leipzig 1952, Abb. 9]

Angesichts der Reflexionen Leonardos über die Bekämpfung der »automimesis « erscheinen auch seine wissenschaftlichen Studien wie etwa die Anthropometrie, die Vermessung des Menschen, in einem anderen Licht. Im Verlaufe dieser Vermessung gelangte Leonardo beispielsweise zu seiner berühmten Zeichnung von Vitruvs Proportionsfigur aus dem Jahre 1490.36 Eingedenk seines Kampfes gegen die »automimesis« mutet diese Figur geradezu emblematisch an: Sie steht für den »wissenschaftlich«-objektiven Versuch, dem unerwünschten Ausdruck des Selbst ein objektivierendes Korrektiv in Gestalt einer rational definierten Musterfigur entgegenzusetzen. Im eifrigen Studium dieser perfekten Musterfigur nimmt das Gehirn quasi direkt die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studien auf, um dann eine rational kontrollierte, auf Objektivierung zielende Kunst zu produzieren. Dass dieser Kontrollwahn, der letztlich die Kunst einer alles bestimmenden Rationalität unterwirft, irgendwie nicht funktionieren kann, hat Leonardo in den Jahren nach 1500 selbst eingesehen: Denn er schreibt anlässlich der systematischen Erfassung der Bewegungen und Regungen des Menschen, letztlich käme es dann doch auf das Genie des Künstlers an.37 Mit dieser Einsicht beginnt auch eine neue Epoche in der Kunstgeschichte, in der Kunst zu ihrer Emanzipation nicht mehr der Wissenschaft bedarf. Protagonist der neuen Epoche war Michelangelo38, der bekanntlich die mit der Proportionslehre verbundene Regelhaftigkeit bzw. überhaupt pedantische Maßvorstellungen ablehnte39 und allein auf die emanzipatorische Kraft der Kunst selbst vertraute. Und in dieser neuen Epoche, in der Michelangelo als Ausdruckskünstler den Typ des Auftragskünstlers ablöst, entspannt sich das Verhältnis der Künstler und Theoretiker zur unwillentlichen Selbstdarstellung in dem Maße, wie gleichzeitig auch das Interesse an einer Nobilitierung der Kunst durch Wissenschaft zurückgeht.

Wie sehr sich die Ansichten zur »automimesis« in der Mitte des 16. Jahrhunderts zu wandeln beginnen40 und damit einen Wandel der Kunstauffassung schlechthin dokumentieren, belegen schon die entsprechenden Bemerkungen Giorgio Vasaris. Während er noch in der ersten, 1550 erschienenen Fassung seiner Sammlung von Künstlerbiographien zu Beginn der Vita Donatellos (s. o.) das unwillentliche Selbstabbilden als ein negatives Charakteristikum einstuft, entfällt dieser Passus in der zweiten Ausgabe von 1568. Zudem modifiziert Vasari das toskanische Sprichwort in der Vita Michelangelos, wenn er dem Künstler die Worte in den Mund legt, dass jeder Künstler sich selbst gut male.41 Eine Generation später, in einer Sammlung italienischer Sprichwörter, hat sich diese eher positive Auffassung weiter durchgesetzt, denn dort heißt es nun: »Jeder gute Maler malt sich selbst«.42

Weitere Belege dafür, dass »automimesis« nun zunehmend nicht mehr nur als Defekt gesehen wird, sondern als mehr oder weniger unverzichtbares Charakteristikum des kreativen Künstlers, finden sich schon bei Filippo Baldinucci in einer Bemerkung über die Nobilitierung Caravaggios,43 besonders aber bei weiteren Biographen und Kunstkritikern des italienischen Barock.44 Eine ähnliche Entwicklung lässt sich für die französische45 und für die niederländische Kunsttheorie46 des 17. bis 18. Jahrhunderts feststellen. Der Bedeutungs- und Bewertungswandel des toskanischen Sprichworts »Ogni pittore dipinge sé« erweist sich somit als ein Gradmesser für die Emanzipation des Künstlers, für die Möglichkeit also, das eigene Subjekt zunehmend in den Mittelpunkt der künstlerischen Praxis zu stellen. Damit stellt sich im Grunde die Frage nach der Wissenschaftlichkeit von Kunst, nach der möglichen Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst, unter ganz anderen Vorzeichen. Doch das wäre Gegenstand einer eigenständigen Untersuchung.

  1. 1Der vorliegende Text ist die stark gekürzte Fassung eines Vortrages, gehalten am 17. April 2009 anlässlich der Verleihung des Wissenschaftspreises der Stadt Leipzig, der Universität Leipzig und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. 2 Philostratos, Eikones, 1.1 (294K).
  2. 2Philostratos, Eikones, 1.1 (294K).
  3. 3Vgl. Leon Battista Alberti, Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei, hg. von Oskar Bätschmann u. a., Darmstadt 2000; Leon Battista Alberti, Della pittura. Über die Malkunst, hg. von Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda, Darmstadt 2002.
  4. 4Piero della Francesca, De prospectiva pingendi, hg. von G. Nicco Fasola, Florenz 1942. Siehe auch Leonardo Olschki, Geschichte der neusprachlichen wissenschaftlichen Literatur, 3 Bde., Heidelberg etc. 1919–1927; André Chastel, Art et humanisme à Florence au temps de Laurent le Magnifique, Paris 1982 (zuerst 1959), S. 96–102.
  5. 5Luca Pacioli, Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proportionalita, Venedig 1494, Widmung, S. 1; Camillo Lunardi, Speculum lapidum [1502], S. xlviii, zit. bei Hans Ost, Leonardo-Studien, Berlin / New York 1975, S. 109. Vgl. auch Anthony Blunt, Artistic Theory in Italy 1450–1600, Oxford 1940, S. 50–52 (über Mario Equicola, Istituzioni, 1541).
  6. 6Leonardo da Vinci, Das Buch von der Malerei, hg. von Heinrich Ludwig, 3 Bde., Wien 1882, § 33 (Codex Urbinas, 19r, von ca. 1500). Vgl. auch die textkritische Neuausgabe mit gleicher Nummerierung: Leonardo da Vinci, Libro di pittura, hg. von Carlo Pedretti und Carlo Vecce, 2 Bde., Florenz 1995. Zu dem Thema der Künstlernobilitierung siehe auch Frank Zöllner, »Leonardo da Vinci: Die Geburt der ›Wissenschaft‹ aus dem Geiste der Kunst«, in Leonardo da Vinci. Der Codex Leicester, Ausst.-Kat., München/Berlin 1999, S. 15–31.
  7. 7Jean Paul Richter (Hg.), The Literary Works of Leonardo da Vinci, 2 Bde., New York 1970 (zuerst 1883), § 10 (Codex Atlanticus, 119v-a). Vgl. auch ebd. §§ 11–12; Giuseppina Fumagalli, Leonardo omo senza lettere, Florenz 1952, S. 38–39.
  8. 8Vgl. Leonardos Lateinübungen im Codex Trivulzianus, ca. 1487–1489 und im Ms. H (etwa fols. 3v-4r und 134v von ca. 1493–1494 und zur Euklidischen Geometrie). Die Nachweise finden sich bei Augusto Marinoni, Gli appunti grammaticali e lessicali di Leonardo da Vinci, 2 Bde., Mailand 1944 und 1952; Leonardo da Vinci, Scritti letterari, hg. von Augusto Marinoni, 4. Aufl., Mailand 1991, S. 227–238 und S. 258–267.
  9. 9Vgl. Alfred von Martin, Soziologie der Renaissance, München 1974 (zuerst 1931); Ernst Kris und Otto Kurz, Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch, Frankfurt am Main 1980 (zuerst 1934); Rudolf und Margot Wittkower, Künstler – Außenseiter der Gesellschaft, Stuttgart 1989 (zuerst engl. 1963); Martin Warnke, Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1985; Alessandro Conti, Der Weg des Künstlers. Vom Handwerker zum Virtuosen, Berlin 1998 (zuerst 1987); Joanna Woods-Marsden, Renaissance Self- Portraiture: The Visual Construction of Identity and the Social Status, New Haven 1998.
  10. 10Vgl. hierzu Giorgio Vasari, Lebensbeschreibungen [1568] und Paolo Giovio, Das Leben Leonardo da Vincis [ca. 1527], zit. in André Chastel, Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde und die Schriften zur Malerei, München 1990, S. 100 und S. 72. Vgl. auch Pietro Novellaras Brief an Isabella d’Este vom 14. April 1501 mit entsprechenden Klagen, zit. in Edoardo Villata, Leonardo da Vinci. I documenti e le testimonianze contemporanee, Mailand 1999, Nr. 151.
  11. 11Vgl. Erna Lesky, Die Zeugungs- und Vererbungslehren der Antike und ihr Nachwirken (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, 1950, Nr. 19), Mainz 1951; Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, 3 Bde. Frankfurt (Main) 1988–1989 (zuerst frz. 1976 und 1984), Bd. 2, S. 167–171, Bd. 3, S. 151, 160–162; Thomas Laqueur, Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, München 1996 (zuerst engl. 1990), S. 49–58; Ulrich Pfisterer, »Zeugung der Idee – Schwangerschaft des Geistes. Sexualisierte Metaphern und Theorien zur Werkgenese in der Renaissance«, in Ulrich Pfisterer und Anja Zimmermann (Hg.), Animationen/Transgressionen. Das Kunstwerk als Lebewesen, Berlin 2005, S. 41–72. Weitere Literatur bei Piers D. Britton, »(Hu)moral Exemplars: Type and Temperament in Cinquecento Painting«, in Jean A. Givens u. a. (Hg.), Visualising Medieval Medicine and Natural History, 1200–1550, Aldershot 2006, S. 177–204 und Frank Zöllner, »Ökonomie und Askese: Vincent van Gogh als ›célibataire francais‹«, in Philine Hellas u. a. (Hg.), Bild/Geschichte. Festschrift für Horst Bredekamp, Berlin 2007, S. 537–547; Beate Fricke und Tanja Klemm, »Conceptio-perceptio. Das ›Weimarer Blatt‹ von Leonardo da Vinci«, in Matthias Bruhn und Kai-Uwe Hemken (Hg.), Modernisierung des Sehens. Sehweisen zwischen Künsten und Medien, Bielefeld 2008, S. 82–99.
  12. 12Vgl. Neo Rauch, Randgebiet, hg. von Klaus Werner für die Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig, Leipzig 2000, S. 48, 55, 57, 60, 63–65, 67, 73, 75; Michael Triegel, Ausstellungskatalog, Frankfurt 1999, Nr. 1, 5, 31, 83. – Das Phänomen ist für die zeitgenössische Kunst, soweit ich sehe, noch niemals ernsthaft untersucht worden. Der einfachste Grund für die »automimesis« ist, wie Michael Triegel freundlicherweise mitteilt, dass Künstler sich im Atelier aus naheliegenden praktischen Gründen der eigenen Statur und des eigenen Gesichts als Modell bedienen.
  13. 13Martin Kemp, »›Ogni dipintore dipinge sé‹: A Neoplatonic Echo in Leonardo’s Art Theory?«, in Cecil H. Clough (Hg.), Cultural Aspects of the Italian Renaissance. Essays in Honour of Paul Oskar Kristeller, New York 1976, S. 311–323; Frank Zöllner, »›Ogni pittore dipinge sé‹. Leonardo on ›automimesis‹«, in Matthias Winner (Hg.), Der Künstler über sich in seinem Werk. Internationales Symposium der Bibliotheca Hertziana, Rom 1989, Weinheim 1992, S. 137–160; Ulrich Pfisterer, »Künstlerische ›potestas audendi‹ und ›licentia‹ im Quattrocento«, in Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana, 31, 1996, S. 107–148, bes. S. 137–138; Daniel Arasse, Le Sujet dans le tableau, Paris 1997, S. 7–9; Domenico Laurenza, »De figura umana«. Fisiognomica, anatomia e arte in Leonardo, Florenz 2001, S. 111–114 und 120–126; Ulrich Pfisterer, »Künstlerliebe. Der ›Narcissus‹-Mythos bei Leon Battista Alberti und die Aristoteles-Lektüre der Frührenaissance«, in Zeitschrift für Kunstgeschichte, 64, 2001, S. 305–330, bes. S. 327; David Rosand, Drawing Acts. Studies in Graphic Expression and Representation, Cambridge 2002; Frank Zöllner, »Leonardo und Michelangelo: Vom Auftragskünstler zum Ausdruckskünstler«, in Maren Huberty und Roberto Ubbidiente (Hg.), Leonardo da Vinci all’Europa. Einem Mythos auf der Spur, Berlin 2005, S. 131–167; Philip Sohm, The Artist Grows Old. The Aging of the Artists in Italy, 1500–1800, New Haven etc. 2007, S. 43–57 und 176–177; Robert Zwijnenberg, »St. John the Baptist and the Essence of Painting«, in Claire Farago (Hg.), Leonardo da Vinci and the Ethics of Style, Manchester/ New York 2008, S. 96–118.
  14. 14Vgl. hierzu die Zusammenstellung bei Salvatore Battaglia, Grande dizionario della lingua italiana, IV (1966), S. 512, Nr. 20. Die gängige Prägung des Sprichworts ist abgedruckt bei Albert Wesselski (Hg.), Angelo Polizianos Tagebuch (1477–1479) mit vierhundert Schwänken und Schnurren aus den Tagen Lorenzos des Großmächtigen und seiner Vorfahren, Jena 1929, S. 72, Nr. 150.
  15. 15Platon, Timaios, 29-31; Cicero, Tusculanae disputationes, 5, 16 (47); Seneca, Epistolae, 75, 4, 114; Philo Alexandrinus, De specialibus legibus (De monarchia), I.6, 32–35 (216M), Ed. Cohn, Berlin 1906, V, 8–9. Vgl. hierzu Karl Borinski, Die Antike in Poetik und Kunsttheorie, 2 Bde., Leipzig 1914–1924, I, S. 25; Eduard Norden, Die antike Kunstprosa vom VI. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance, 5. Aufl. Darmstadt 1958, S. 11; Bernhard Schweitzer, »Der bildende Künstler und der Begriff des Künstlerischen in der Antike« (Neue Heidelberger Jahrbücher 25), in Bernhard Schweitzer, Zur Kunst der Antike, 2 Bde., Tübingen 1963, I, S. 11–104, S. 77; Zöllner, »›Ogni pittore‹« (Fn. 13), S. 37; Pfisterer, »Künstlerische ›Potestas audendi‹« (Fn. 13), S. 137. – Verwandt ist auch das Sprichwort »Wenn Ochsen malen könnten, würden sie die Welt nach dem Bilde des Ochsen malen« (Fritz Mauthner, Wörterbuch der Philosophie, 2 Bde., Zürich 1980 [zuerst 1910/1911], II, S. 91), das auf Xenophanes (25, fr. 15) zurückgeht: »Wenn Kühe, Pferde oder Löwen Hände hätten und damit malen und Werke wie die Menschen schaffen könnten, dann würden die Pferde pferde-, die Kühe kuhähnliche Götterbilder malen und solche Gestalten schaffen, wie sie selber haben.« Zitiert nach Wilhelm Capelle (Hg. u. Übers.), Die Vorsokratiker, Stuttgart 1968, S. 121.
  16. 16Vgl. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, 2.43; Dante, Il convivio, 4, canz. 3.52–53; Fra Giordano da Pisa, Prediche, Florenz 1739, S. 211 (entst. 1304). – Vgl. zu den mittelalterlichen Quellen Martin Kemp, »Leonardo da Vinci. Science and the Poetic Impulse«, in The Royal Society of the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce Journal 123, 1983, fasc. 5343, S. 196–213; Patrick Boyde, Dante Philomythes and Philosopher, Cambridge etc. 1981, S. 224–229 und S. 256–257; Zöllner, »›Ogni pittore‹« (Fn. 13), S. 37; Pfisterer, »Künstlerliebe« (Fn. 13), S. 327–328.
  17. 17Vgl. etwa ein um 1474/1475 entstandenes Streitgedicht Matteo Francos, abgedruckt in Luigi Pulci und Matteo Franco, Il »Libro dei Sonetti«, hg. von Giulio Dolci, Mailand 1933, S. 24; weitere Belegstellen sind: Gasparo Visconti [1461–1499], Il canzoniere per Beatrice d’Este e per Bianca Maria Sforza, hg. von Paolo Bongrani, Mailand 1979, S. 117–118; Paolo Pino, »Dialogo di pittura«, in Paola Barocchi (Hg.), Trattati d’arte del Cinquecento, 3 Bde., Bari 1960–1962, S. 133; Giovan Maria Cecchi [1518–1587], Commedie inedite, hg. von Giovanni Tortoli, Florenz 1855, S. 167; Anton Francesco Doni, La seconda libreria, Venedig 1551, fol. 30v. – Eine vollständige Zusammenstellung und Analyse der entsprechenden Quellen – auch der des Mittelalters und der Zeit bis ins 20. Jahrhundert – stehen bislang noch aus. Vgl. auch Anm. 43-45.
  18. 18William M. Conway, The Literary Remains of Albrecht Dürer, Cambridge 1889, S. 180; Ernst Ullmann, Albrecht Dürer. Schriften und Briefe, Leipzig 1978, S. 174 f.
  19. 19Girolamo Savonarola, Prediche sopra Ezechiele, hg. von Carlo Ridolfi, 2 Bde., Rom 1955, I, S. 337–352, S. 343.
  20. 20Leonardo, Buch (Fn. 6), § 108. – Vgl. auch ebd., §§ 105–106, 109, 136–137, 186, 282 und 499.
  21. 21Giorgio Vasari, Le vite de’ più eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani [1550], hg. von Luciano Bellosi und Aldo Rossi, Turin 1986, S. 310 [in der Originalausgabe von 1550 S. 333].
  22. 22Leonardo, Buch (Fn. 6), § 109.
  23. 23Ebd., § 108.
  24. 24Windsor Castle, RL 19057r (Frank Zöllner, Leonardo da Vinci 1452–1519. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen, Köln etc. 2007 (zuerst 2003), Kat. Nr. 260, und S. 106–116). Vgl. hierzu Martin Kemp, »›Il concetto dell’anima‹ in Leonardo’s Early Skull Studies«, in Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 34, 1971, S. 115–134. Siehe auch Laurenza, »De figura umana« (Fn. 13), S. 11–28 und passim.
  25. 25Windsor Castle, RL 19018r (Zöllner, Leonardo (Fn. 24), Kat. Nr. 353).
  26. 26Vgl. hierzu Kemp, »Il concetto dell’anima« (Fn. 24) und Zöllner, »›Ogni pittore‹« (Fn. 13).
  27. 27Jean Paul Richter (Hg.), The Literary Works of Leonardo da Vinci, 2 Bde., 3. Aufl., Oxford 1970 (zuerst 1883), § 836–838 und Leonardo, Buch (Fn. 6), § 15.
  28. 28Richter, Literary Works (Fn. 27), § 838.
  29. 29Ebd. § 859.
  30. 30Ebd., §§ 1212 und 1214.
  31. 31Vgl. Zöllner, Leonardo (Fn. 24), Kat.-Nr. 360 und 356.
  32. 32Windsor Castle, RL 19021v (Zöllner, Leonardo (Fn. 24), Kat. 356); Kenneth D. Keele und Carlo Pedretti, Leonardo da Vinci. Corpus of the Anatomical Studies in the Collection of her Majesty the Queen at Windsor Castle, 3 Bde., London / New York 1978–1980, fol. 62v, mit Transkription und Übersetzung des Textes.
  33. 33Leonardo, Buch (Fn. 6), § 56.
  34. 34Vgl. den entsprechenden Bericht Matteo Bandellos über Leonardos Mußestunden während seiner Arbeiten am »Abendmahl«, zit. bei Villata, Leonardo (Fn. 10), Nr. 346.
  35. 35Leonardo, Buch (Fn. 6), § 109.
  36. 36Frank Zöllner, »Die Bedeutung von Codex Huygens und Codex Urbinas für die Proportions- und Bewegungsstudien Leonardos da Vinci«, inZeitschrift für Kunstgeschichte, 52, 1989, S. 334–352; Eckhard Leuschner, »Wie die Faschisten sich Leonardo unter den Nagel rissen: eine architekturgeschichtliche Station auf dem Weg des ›Vitruvianischen Menschen‹ zum populären Bild«, in Christian Hecht (Hg.), Beständig im Wandel. Innovationen – Verwandlungen – Konkretisierungen. Festschrift für Karl Möseneder zum 60. Geburtstag, Berlin 2009, S. 425–440.
  37. 37Leonardo, Buch (Fn. 6), § 403.
  38. 38Frank Zöllner, »Dall’artista legato a commissioni all’artista d’espressione: Leonardo e Michelangelo«, in Pietro C. Marani u. a. (Hg.), L’opera grafica e la fortuna critica di Leonardo da Vinci, Florenz 2006, S. 101–119.
  39. 39Ascanio Condivi, Vita di Michelagnolo Buonarroti, hg. von Giovanni Nencioni, Florenz 1998, S. 57 (Michelangelos Ablehnung der Proportionslehre Albrecht Dürers); Giorgio Vasari, Le vite de’ più eccellenti pittori scultori ed architettori, hg. von Gaetano Milanesi, 9 Bde., Florenz 1906, VII, S. 270 (man müsse »le seste negli occhi e non in mano« haben, d. h. das subjektive Augenmaß zählt mehr als das reale Maß).
  40. 40Vgl. auch einige weitere Belege für das 15. und 16. Jahrhundert, wo das Sprichwort weniger gewertet verwendet wird als bei Leonardo: Pulci und Franco, Il »Libro« (Fn. 17), S. 24; Cecchi, Commedie inedite (Fn. 17), S. 167 (Cecchi verstirbt 1587); Anton Francesco Doni, La seconda libreria, Venedig 1551, fol. 30v.
  41. 41Vasari, Le vite (Fn. 39), VII, S. 279–280: »[…] ogni pittore ritrae se medesimo bene«.
  42. 42»Ogni buon pittore dipinge sè«. Orlando Pescetti, Proverbi italiani, Venedig 1603, fol. 283r.
  43. 43Filippo Baldinucci, Notizie dei professori del disegno da Cimabue in qua, hg. von Ferdinando Ranalli, 5 Bde., Florenz 1845–1847, III (1846), S. 690. – Zur weiteren Rezeption dieses Sprichworts siehe Filippo Baldinucci, Notizie de’ professori del disegno da Cimabue in qua, hg. von Francesco Baldinucci u. a., 6 Bde., Florenz 1681–1728, II (1686), S. 40 (Vita des Antonio Rossellino); ebd., III (1728), S. 202 (Vita des Gregorio Pagani); Philip Sohm, »Caravaggio’s Deaths«, in The Art Bulletin, 84, 2002, S. 449–468.
  44. 44Vgl. die Zusammenstellung weiterer Quellen bei Sohm, »Caravaggio’s Deaths« (Fn. 43), Anm. 97; Sohm, The Artist (Fn. 13), S. 176 (u. a. Giovanni Battista Manzini, Il trionfo del pennello, Bologna 1633; Carlo Cesare Malvasia, Felsina pittrice. Vite dei pittori bolognesi [1678], hg. von G. P. Zanotti, 2 Bde., Bologna 1841, II, S. 136). – Siehe auch Giancarla Periti, »From Allegri to Laetus-Lieto: The Shaping of Correggio’s Artistic Distinctiveness «, in The Art Bulletin, 86, 2004, S. 459–476.
  45. 45Vgl. Thomas Kirchner, L’expression des passions: Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts, Mainz 1991, S. 239–240. Genannt sei Charles-Alphonse Du Fresnoy, L’Art de peinture. Traduit en francois, enrichy de remarques, et augmenté d’un dialogue sur le coloris, 2. Aufl., Paris 1673, S. 75. Zur Weiterverbreitung der positiven Konnotation des toskanischen Sprichwortes vgl. auch Charles-Alphonse Du Fresnoy, The Art of Painting. […] Translated into English by Mr Dryden, London 1715, S. 62–64; vgl. auch Claude-Henri Watelet, L’Art de peindre, 2. Aufl., Amsterdam 1761, S. 134.
  46. 46Ingrid A. Cartwright, Hoe schilder hoe wilder. Dissolute Self-Portraits in Seventeenth- Century Dutch and Flemish Art, Phil. Diss., University of Maryland 2007, S. 53–68; Jan Blanc, Peindre et penser la peinture au XVIIe siècle. La théorie de l’art de Samuel van Hoogstraten, Bern etc. 2008, S. 121.
loading ....
Artikel Navigation
Heft 3 (2009)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1