Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

Editorial

Wer Ströme liebt, liebt neben dem ruhigen Verlauf schiffbaren Wassers besonders die Stromschnellen. Wer das Denken liebt, liebt neben dem Konsens immer auch den Wirbel des Widerspruchs. Denn nur der Widerspruch bringt uns aus einer Ruhelage oder gar Stagnation in die Bewegung und damit möglicherweise zu einer Entwicklung der Vernunft.

In dieser dritten Ausgabe der Denkströme, des Journals der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, geht es, dem anfänglichen Gedanken folgend, besonders um die Spannung zwischen dem Rückblick auf den ruhigen Verlauf geleisteter Arbeit und dem Vorausblick auf Probleme der Zukunft. Es geht um die Dialektik von Konsens und Widerspruch, und zwar gerade im Hinblick auf die wissenschaftliche und institutionelle Verortung der in der Union der Akademien zusammengeschlossenen Länderakademien und ihrer Arbeits- und Forschungsprogramme. Der Fokus der aktuellen Diskussionen zu diesem Thema ist dabei auf die kürzlich verabschiedete Stellungnahme des Wissenschaftsrates zum Akademienprogramm gelegt, in der der Wissenschaftsrat Empfehlungen zur zukünftigen Ausrichtung und Gestalt des Akademienprogramms gibt. Als Auftakt dazu skizziert Volker Gerhardt, der langjährige Vorsitzende der wissenschaftlichen Kommission der Union, in seinem Artikel »Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung« die Bedeutung des Forschungsprogramms der Akademien. Und er gibt mit seiner positiven Einschätzung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates ein Thema vor, das in der Rubrik »Diskussionen« partiell anders beurteilt wird. Das könnte, oder sollte, im Sinn des Anfangsgedankens auch für einigen Wirbel sorgen. Denn es wird der positiven Einschätzung dieser Empfehlungen und insbesondere ihrem Wortlaut vielstimmig widersprochen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Frage nach der Bedeutung naturwissenschaftlicher Langzeitprojekte an den Akademien. Es geht vielmehr insgesamt um eine Kritik an den Zweideutigkeiten der Einschätzungen des Wissenschaftsrates. Diese lassen das Akademienprogramm nämlich so erscheinen, als sei es zu reduzieren auf die Sicherung eines kulturellen Erbes und dies im Grunde auf die Bewahrung von Texten – als sei echte wissenschaftliche Erforschung gerade auch von sozialwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Aspekten der Welt insgesamt und eigentlich immer besser in den Händen anderer Institutionen aufgehoben, von den Universitäten und den durch die DFG geförderten Projekten bis zu Max-Planck-, Leibniz-, oder Fraunhofer-Instituten. Gerhardts Einschätzung der hohen Bedeutung des Akademienprogramms steht damit in einer gewissen Spannung zum Text der Empfehlungen des Wissenschaftsrates.

Einige der von Mitgliedern unserer Leipziger Akademie vorgebrachten Bedenken sind dazu in einer Synopsis der »Stellungnahmen zur Stellungnahme« zusammengefasst. Als Haupttenor könnte man Folgendes festhalten: In der Stellungnahme des Wissenschaftsrates klingen implizite Vorurteile gegen die Akademien durch. Es wurden offenbar die strengen Anfangsevaluationen, die dicht begleitenden Begutachtungen und die Betreuung durch ausgewiesene Experten und insbesondere die Endbewertung der Ergebnisse der Forschung im Langzeitprogramm der Akademien kaum angemessen gewürdigt. Sie sind nämlich in vielen Aspekten weniger kontingent und angesichts einer öffentlichen Kommentierung der vorgelegten Werke gerade auch in den Feuilletons von Zeitungen sogar nachweisbar zielführender als das, was in der etwa von der DFG begleiteten Universitätsforschung praktiziert wird oder auch nur möglich ist. Entsprechendes ist auch den Einschätzungen des vormaligen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst des Freistaates Sachsen, Hans Joachim Meyer, und des früheren Mitglieds des Wissenschaftsrates, Lothar Kreiser, zu entnehmen. Uns geht es natürlich nicht darum, andere zu kritisieren oder gar uns selbst zu loben. Wir sind vielmehr interessiert an einem gemeinsamen und als solchem zunächst natürlicherweise immer auch kontroversen Diskurs. Ziel sollte eine angemessene Einschätzung des Systems der akademischen Institutionen in unserem Lande sein, in dem die Akademien ihren Platz haben und in dem die damit gegebenen Chancen auszubauen sind. Dabei wäre es ein Fehler, die eigenen Einschätzungen völlig zugunsten von angeblich objektiveren Fremdbeurteilungen auszuklammern, zumal auch letztere immer perspektivisch, also subjektiv bleiben. Es kann daher auch nicht einfach darum gehen, ob eine Mehrheit oder Minderheit die eher optimistischen Einschätzungen Volker Gerhardts teilt oder den eher pessimistischen Bemerkungen Lothar Kreisers zustimmt. Denn zunächst sind mögliche Bedenken erst einmal zu formulieren. Erst danach kann man sie in ihrer Gewichtung bewerten. Erst dann werden auch nachhaltige Übereinstimmungen oder Dissense sichtbar. Und nur so lassen sich die Akademien und das Akademienprogramm in einem Gesamtsystem akademischer Forschungseinrichtungen und universitärer Institutionen vernünftig platzieren. Der Appell an einen angeblich schon erzielten Konsens dagegen verdeckt oft nur, dass dieser immer auch Ergebnis einer subjektiv vielleicht wohlmeinenden, aber häufig allzu selbstherrlichen oder gar hemdsärmeligen Wissenschaftspolitik der letzten 30 Jahre in unserem Lande sein kann, die es zu überwinden gilt. Eine solche Politik wird naturgemäß ziellos, wenn immer neue Ideen je neuer Protagonisten eine Art Dauerrevolution der Verhältnisse erzeugt oder kontingente Peer-Group-Foren wechselnde und oft auch bloß modische Entscheidungen fällen. Was wir brauchen, ist eine ruhige Zielorientierung, in der allein autonome und nachhaltige Forschung möglich ist.

Wie wichtig nachhaltig-zielgerichtete Forschungen sind, die, wenn sie von einem langen Atem empirischer Forschung abhängen, anders zu organisieren sind als solche, in denen es um neue Theorien und neuartige Experimente geht, demonstriert für ein naturwissenschaftliches Langzeitvorhaben exemplarisch der Beitrag von Isolde Röske zur Beobachtung und Erforschung des Wassers in Talsperren.

Auf schöne Weise zeigt zuvor schon Detlef Döring in seinem Bericht über die Jubiläumsausstellung anlässlich des 600. Jahrestages der Gründung der Universität Leipzig, dass es immer wieder der Aufhebung von Vorurteilen über eine Institution bedarf. So waren, wie aus diesem Beitrag hervorgeht, die Deutschen Universitäten des 18. Jahrhunderts viel besser und für die spätere Wissenschaftsentwicklung bedeutsamer als ihr überkommener Ruf. Diesen haben, nebenbei bemerkt, die Urteile der Zeit der Revolution und Reform geprägt, die ja geradezu notwendigerweise ungerecht ausfallen.

Wie ein Vorurteil auf interessante Weise auch zu positiven Entwicklungen führen kann, wird in dem Beitrag von Frank Zöllner vorgeführt, der dieses Jahr den Leipziger Wissenschaftspreis erhalten hat. In seinem Vortrag über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft bei Leonardo da Vinci anlässlich der Preisverleihung zeigt Zöllner, wie die Annahme einer nach damaliger Überzeugung ›angeborenen‹ Prägung der bildnerischen Darstellungen des Menschen durch die eigene Gestalt (der Kleine malt alle klein, der Schlanke alle schlank etc.) zur vermeintlichen Notwendigkeit einer Kompensation durch systematisches Wissen über die Perspektive führt. Am Ende steht dann die wirkliche Überwindung impliziter Subjektivität durch explizite Berücksichtigung von Perspektivität. Vielleicht können wir gerade in der gegenwärtigen Debatte um die rechte Wissenschaftspolitik etwas davon lernen.

Weitere Texte behandeln die Korrelation von wissenschaftlich-technischer Entwicklung und Anthropologie (Richard Saage), erläutern die Konzeption und Erarbeitung des Mendelssohn-Werkverzeichnisses (Ralf Wehner) und berichten über den Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen (Jana Moser und Michael Wetzel). Wie inzwischen üblich, schließt das Heft mit Berichten und Notizen zu Veröffentlichungen und anderen Ergebnissen der Arbeit in der Akademie.

loading ....
Artikel Navigation
Heft 3 (2009)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1