Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge
Anmelden
Bereiche

Editorial

Ströme verbinden und trennen. Man denke etwa – nicht nur in Zeiten des Karnevals – einerseits an die ›Rheinschiene‹, andererseits an die Differenz zwischen linksrheinischer und rechtsrheinischer Lebensweise. Es ist ja geradezu sprichwörtlich, dass etwa für einen Westfalen die Erfahrung des ›ganz Anderen‹ an Kultur und Lebensform keine Schiffsreise nach Übersee verlangt. Auch auf dem Weg von der rheinischen zur Berliner Republik musste ein Strom überschritten werden, die Elbe, so dass einer unserer Autoren die Metapher von einer ›westelbischen‹ Habilitation gebrauchen kann. Auf diesen Weg schauen einige der Diskussionen dieser vierten Ausgabe der Denkströme zurück, nicht nur, weil wir in unseren Zeiten aus dem Feiern kaum herauszukommen scheinen, sondern auch, weil die Fortsetzung des Wegs ins Ungewisse führt. So schreibt Eva Maria Stange sozusagen aus der noch lebendigen Erfahrung als Wissenschaftsministerin des Freistaates Sachsen heraus über die zu reformierende Reform im Bolognaprozess und die Bedeutung der Exzellenzinitiative. Es sind, so betont sie, die Bildungsproteste ernst zu nehmen. Denn die Widersprüche zwischen den politischen Hochglanzbroschüren des deutschen Bildungswesens und den Strukturproblemen des Alltags sind geradezu unerträglich geworden. Vielleicht wird das nur deswegen nicht gemerkt, weil die inzwischen alltäglichen begrifflichen Vertuschungen eines anglisierenden ›Schönsprech‹, von der euphemistischen Rede über ein ›benchmarking‹, ›controlling‹ oder ›center of excellence‹ über die Verheißungen von ›employability‹ nach Abschluss des ›bachelor‹ bis zu einer ›university of applied sciences‹, mangels Sprachkompetenz und ohne Übersetzung in klares Deutsch gar nicht mehr begriffen sind.

Aber auch die Vergangenheit wird schöngeredet, wenn man nicht auch an die Opfer und Kosten erinnert, die auf dem Weg vom Rhein über die Elbe dem deutschen Bildungswesen zugemutet wurden. Wolfgang Schluchters Beitrag greift dazu das Thema eines Akademieforums »Der Umgang der Gesellschaft mit Intellektuellen. Wissenschaftler nach der Wende« auf, nicht nur um Hintergründe, Begriffe, Verfahrensweisen und politische, finanzielle, strukturelle und ethische Probleme der ›Abwicklungen‹ im Umbau der ostdeutschen Universitäten und Akademien zu schildern, sondern auch, um das ernüchternde Fazit zu ziehen, dass das Wissenschafts- und Hochschulsystem der Bundesrepublik Deutschland am Ende nicht gestärkt aus dem Prozess hervorgegangen ist. Nur etwas weniger allgemein, aber nicht weniger ernüchternd, ist die wissenschaftliche Leistungsbilanz der ostdeutschen Universitäten nach 1989, welche Peer Pasternack auf der Grundlage der Daten des Instituts für Hochschulforschung an der Universität Halle-Wittenberg zieht. Zwar lässt sich das Bild je nach Disziplinbereich und Region noch differenzieren. Aber die generelle Richtung scheint klar, gerade auch dann, wenn man die Diagnosen von Matthias Middells Überlegungen zu einer wohl immer noch nötigen postrevolutionären Intellektuellenpolitik hinzunimmt: Ohne strukturelle Gegensteuerung, wie sie weit und breit nicht in Sicht ist, laufen die fünf neuen Bundesländer (ohne Berlin) Gefahr, dass sich zumindest im Bereich der Forschung Probleme, welche die Abwicklungen unweigerlich mit sich brachten, verstetigen und statt einer nachhaltigen Aufholbewegung ein nachhaltiger Rückfall hinter die ›westelbischen‹ Leistungen ergeben. Das wiederum macht die Frage nur umso brisanter, ob sich die menschlichen und moralischen Opfer, die man gebracht hat, als »›der Osten‹ ›dem Westen‹ weichen« musste (Schluchter), auch wirklich gelohnt haben.

Die Geschichte fließt in ihrem Strom viel ruhiger, wenn sie aus der Ferne betrachtet wird, in allem aber versöhnlicher, selbst wo es um die Wiederentdeckung blutiger Geschichten aus dem Halberstädter Dom geht (Fuhrmann) oder um die immer auch streitbare Korrektur von Geschichtsbildern, wie zum Beispiel zur Rolle von Universitäten und Intellektuellen bei der ›Erleuchtung der Welt‹ (Döring, Fulda, Witte, Stockinger), zur Ausbreitung des Magdeburger Rechts in Ostmitteleuropa (Lück), die Religionspolitik Georgs von Sachsen (Jadatz), die ›Großmachtpolitik‹ Moritz’ von Sachsen (Winter) oder auch die hochinteressante Geschichte der altägyptischen Wortforschung (Dils).

loading ....
Artikel Navigation
Heft 4 (2010)
Beiträge Diskussionen Berichte & Notizen
Footer - Zusätzliche Informationen

Logo der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Sächsische Akademie
der Wissenschaften

ISSN:
1867-7061

Alle Artikel sind lizensiert unter:
Creative Commons BY-NC-ND

Gültiges CSS 2.1
Gültiges XHTML 1.1