Die deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft. Kritische Ausgabe der Briefe, Beilagen und Akademiearbeiten (Reihe I), Dokumente und Darstellungen (Reihe II). Begründet von Martin Bircher † und Klaus Conermann. Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, in Kooperation mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel herausgegeben von Klaus Conermann. Reihe I, Abt. A: Köthen, Abt. B: Weimar, Abt. C: Halle; Reihe II, Abt. A: Köthen, Abt. B: Weimar, Abt. C: Halle. In Kommission: De Gruyter.
Reihe I, Abt. A: Köthen, Band 5:
Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen: Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650. 5. Bd.: 1639–1640. Unter Mitarbeit von Gabriele Ball und Andreas Herz herausgegeben von Klaus Conermann, Leipzig 2010. Leinen, 711 Seiten, zahlreiche Abbildungen.
Der jüngste Editionsband legt mit über 180 reich kommentierten Briefen, Beilagen und Abbildungen ein Quellenreservoir vor, das die sprachlichen, literarischen und kulturellen Initiativen und Projekte der Fruchtbringenden Gesellschaft (FG) in den Jahren 1639 und 1640 dokumentiert. Den bedrückenden Hintergrund dieser Aktivitäten bildet der Dreißigjährige Krieg, in dessen Eskalationsdynamik sich nur mühsam und noch in weiter Ferne Friedensregelungen mit den auswärtigen Mächten Schweden und Frankreich und mit den aus dem Prager Frieden (1635) ausgeschlossenen oder nicht wirklich befriedeten Reichsständen abzuzeichnen beginnen. Mitteldeutschland, das Kernterritorium der Fruchtbringenden Gesellschaft, ist besonders stark von Verwüstung und Entvölkerung betroffen, da »nichts alss verwüstete lande, welche freundt und feindt zu grunde ruiniret«, zu finden sind, so der schwedische Generalissimus Johan Banér in einem Brief vom 11. November 1640.
Angesichts der Schrecken des Krieges nimmt seit dem gescheiterten Prager Frieden auch in der FG eine an Stärke gewinnende patriotische Friedenspropaganda zu, die sich in einen immer breiter werdenden Strom patriotisch- friedensgesinnter und politisch-kritischer Publizistik einbettet. Sie begegnet tendenziell schon in Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen — Oberhaupt und spiritus rector der FG von 1617–1650 — Tamerlan-Übersetzung (1639), der satirischen LEGATION Oder Abschickung der Esell in Parnassum (1638) Rudolfs von Dieskau, aber auch in einem so unscheinbaren Text wie dem Trauergedicht von Christian Gueintz auf den verstorbenen Fruchtbringer Franz von Trotha oder seiner ganz und gar nicht ›bukolischen‹ ECLOGA oder Friedensgespräch (1639 und 1640), wie auch in Justus Georg Schottelius’ Lamentatio Germaniae exspirantis (1640). Mit der auf Erasmus’ von Rotterdam Querela pacis zurückgehenden Friedensrede Diederichs von dem Werder – erstmals 1639 gedruckt und mehrfach öffentlich aufgeführt – gewinnt die Friedenssehnsucht der Fruchtbringer dann ihre eindrucksvollste Literarisierung. Die Friedensrede ist die Kontrafaktur zum unvermindert anhaltenden Kriegsdruck, wie er sich auch in den politisch-militärischen Berichten der Fruchtbringer Freiherr Enno Wilhelm von Innhausen und Knyphausen und Christian Ernst Knoche an Fürst Ludwig zeigt, die in ausgewählten Stücken ebenfalls zur Veröffentlichung gebracht werden. Den Forderungen nach einem gerechten, die verschiedenen Ansprüche und Interessen äquilibrierenden Universalfrieden konnte sich schließlich auch die für die pazifikatorischen Weichenstellungen wichtige Reichspolitik auf dem Nürnberger Kurfürstentag (1639/40) und dem Regensburger Reichstag (1640/41) nicht entziehen.
Frieden beginnt mit Vertrauen und Verständigung, mit Dialog und Sprache, den Kernpunkten des Programms der Fruchtbringenden Gesellschaft. Darum setzt Ende 1638 nicht von ungefähr die organisierte, dabei vollständig entkonfessionalisierte Arbeit der Fruchtbringer an der Mutter-, Volks- oder Landessprache ein, dabei zurückgreifend auf frühere Bemühungen, die bis ins Jahr 1618 und die ratichianische Bildungsreform in Köthen und Weimar zurückgehen. Die seit Ende 1638 geführte Debatte um eine grundlegende deutsche Grammatik bringt mit der Deutschen Sprachlehre (1641) des Hallenser Gymnasialdirektors Christian Gueintz ein erstes, kontrovers diskutiertes Referenzwerk der Fruchtbringenden Gesellschaft hervor. Schon zuvor war Fürst Christians II. von Anhalt-Bernburg Guevara-Übersetzung Vnterweisung Eines Christlichen Fürsten 1639 in Köthen erschienen. Das beigegebene sog. Druckfehler-Verzeichnis ist in Wahrheit ein umfangreiches Verbesserungswerk, das den Text nach den in der Diskussion sich abzeichnenden grammatischen (und teilweise orthographischen) Regeln dieser Sprachlehre durchkorrigiert. In den Anfängen dieser rasch an Intensität und Wirkungskraft gewinnenden fruchtbringerischen Sprachdebatte – tatsächlich wird die Gesellschaft 1639 und in den 40er Jahren zum organisierenden Zentrum der »Spracharbeit« in Deutschland – werden bereits die unterschiedlichen Argumentationen und Konzepte der Regulierung, Standardisierung und Kodifizierung des Hochdeutschen abgesteckt und erprobt. Dies wird besonders an der noch im selben Jahr 1641 erstmals erschienenen deutschen Grammatik von Justus Georg Schottelius, der Teutschen Sprachkunst, greifbar. Sie führt die Positionen des wichtigsten sprachtheoretischen Gegenspielers von Gueintz und Fürst Ludwig in der FG ins Feld. Flankiert wird diese 1639/40 schon an etlichen ausführlichen grammatischen Gutachten und Stellungnahmen zu verfolgende Spracharbeit von Bibeldichtungen, -harmonien und -übersetzungsbemühungen, von Diskussionen und Entwürfen zur Poetik, von Martin Opitz’ Initialwerk zur historischen deutschen Philologie (annotierte Ausgabe des frühmittelhochdeutschen Annolieds) sowie vielen anderen Zeugnissen literarischer und gelehrter Produktivität und Rezeption, die den immensen europäischen Kulturtransfer in Renaissance und beginnendem Barock bezeugen. So versuchte sich Hans Ludwig von Knoch 1639 an einer Übersetzung des Don Quijote, die zwar Stückwerk blieb, aber den bedeutenden Anteil der FG an der deutschen Rezeption moderner spanischer Literatur um eine weitere Facette bereichert.
In diesen Jahren tritt auch der Wolfenbütteler Hof (damals noch in Braunschweig) als ein Zentrum der FG hervor, sowohl in der Sprachdebatte, als auch in der Person Herzog Augusts d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel selbst. 1640 erschien erstmals seine Passionsharmonie, deren eigenhändiger Entwurf von 1638/39 sich erhalten hat. Das Werk erschien 1641 und 1650 in zwei weiteren Auflagen im Druck. Diese Arbeit war unverfänglicher als Herzog Augusts theologisch und kirchenpolitisch heftig umstrittenes großes Projekt einer Revision der Lutherbibel, ist aber ebenfalls unter den Gesichtspunkten muttersprachlicher Reform- und dogmatisch-exegetischer Harmonisierungsbestrebungen bedeutsam. Für diese spricht schon die enge Zusammenarbeit mit Georg Calixt, dem Ireniker an der welfischen Universität in Helmstedt, und dem württembergischen Hofprediger und Konsistorialrat Johann Valentin Andreae. Bei ihm markiert das Jahr 1640 den Beginn einer lebenslangen intensiven Korrespondenz mit Herzog August, der Andreae 1646 auch den Weg in die FG ebnete.
An den Bestrebungen und Arbeiten zur Sprachregulierung, Literaturreform und historischen Philologie beteiligten sich nicht nur prominente Mitglieder wie Fürst Ludwig, Diederich von dem Werder oder Martin Opitz sowie Aufnahmekandidaten wie Christian Gueintz und Augustus Buchner, sondern auch weit weniger bekannte Fruchtbringer wie die anhaltischen Räte Martin Milagius und Joachim Mechovius, der Hallesche Verbindungs- und Obmann der erzstift-magdeburgischen Stände Hans von Dieskau, Jacob Martini (Universitätslehrer in Wittenberg), Balthasar Walther (Superintendent der Stadt Braunschweig), Friedrich Hortleder (Hofrat in Weimar) u. a.
Die innergesellschaftlichen Gepflogenheiten und Usancen – die gegenseitige Werkkritik, Literatur- und Nachrichtenaustausch, Ersinnen und Führen von Mitglieder-Impresen, deren Übersetzung ins Französische, die Vorbereitungen zu einem überarbeiteten illustrierten Gesellschaftsbuch u. v. m. – finden nicht nur in den Korrespondenzen der Jahre 1639/40 ihren selbstverständlichen Niederschlag, sondern auch in einer im FG-Archiv erhaltenen, allerdings nicht datierbaren, mit burlesken Versen versehenen Federzeichnung des »Ölbergers«, des rituellen Trinkgefäßes der FG, die im angezeigten Band abgebildet wird.
Die weibliche Parallelgründung zur Fruchtbringenden Gesellschaft, die bis heute in der Forschung unterschätzte Tugendliche Gesellschaft, hat in diesem Band wieder einen literarischen und anmutigen bildnerischen Auftritt aus Anlass des Todes eines Mitglieds, der Prinzessin Anna Sophia von Anhalt- Bernburg. Schlaglichter zur deutschen und europäischen Kriegs-, Diplomatie-, Alltags-, Frömmigkeits- und Kulturgeschichte erhellen ihrerseits die wenig bekannte Epoche des 30jährigen Krieges der späten 30er und 40er Jahre. Vier Register beschließen den Band: ein Wörterverzeichnis, (erstmals) ein Glossar der in den Quellen erscheinenden sprachwissenschaftlichen Fachtermini (»Kunstwörter«), ein Sach- und ein Personenregister. Letzteres kumuliert als einziges Register nicht die Einträge des Bandes mit jenen der Vorgängerbände. Dies hätte den vertretbaren Umfang der Register im Band erheblich gesprengt. Alle Register aber können in kumulierter Form online eingesehen werden: http://www.hab.de/forschung/projekte/fruchtbringerei/register.htm.