Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Band IV (gâba – hylare).
Von Albert L. Lloyd und Rosemarie Lühr unter Mitarbeit von Gerlinde Kohlrusch, Maria Kozianka, Karen K. Purdy und Roland Schuhmann, Göttingen 2009. LII Seiten + 1302 Spalten.
Band IV des »Etymologischen Wörterbuchs des Althochdeutschen« enthält die Artikelstrecke gâba ›Gabe, Geschenk‹ bis hylare ›Meerweihe‹.
An Aufbau und Struktur des Wörterbuchs hat sich gegenüber den vorhergehenden Bänden nichts geändert. Aus Gründen der Benutzerfreundlichkeit ist aber ab Band IV für jeden Band ein eigenes Abkürzungs- und Literaturverzeichnis vorgesehen.
Nach wie vor werden drei Artikelarten unterschieden: Hauptlemmata, Nebenlemmata und die sogenannten »Filler«. In den Hauptlemmata wird die Etymologie eines Wortes ausführlich dargestellt. Es handelt sich hierbei um Grundwörter, die die Ableitungsbasis für andere Wörter bilden. Bei den Nebenlemmata geht es um Wörter, die Besonderheiten in der Wortbildung oder semantischen Entwicklung zeigen und deshalb ausführlicher bearbeitet werden. Schließlich sind noch die sogenannten »Filler« anzuführen. Dies sind durchsichtige Ableitungen und Komposita, bei denen Angaben zur Bedeutung, grammatischen Einordnung und Beleglage erfolgen. Außerdem werden auch hier wie bei Haupt- und Nebenlemmata die Fortsetzer des jeweiligen althochdeutschen Wortes bis ins Neuhochdeutsche und die germanischen Verwandten angegeben.
Bei den Hauptlemmata hat sich die strikte dreiteilige Artikelgliederung bewährt. Im ersten Abschnitt wird die Entwicklung des althochdeutschen Wortes über das Mittelhochdeutsche bis ins Neuhochdeutsche verfolgt. Falls das betreffende Wort im Neuhochdeutschen nicht hochsprachlich vorkommt, wird nach mundartlichen Fortsetzern gesucht. Von den über 4 000 behandelten althochdeutschen Wörtern der Lemmastrecke G–H sind lediglich etwa 1 100 Wörter bis in die Gegenwartssprache fortgesetzt, immerhin knapp 200 Wörter kommen heute nur mundartlich vor. Gerade diese Dialektwörter werden in etymologischen Wörterbüchern des Neuhochdeutschen in der Regel aber nicht erfasst und bearbeitet. Es handelt sich in Band IV z. B. um Dialektwörter wie die Substantive bairisch, schwäbisch, rheinisch grand ›Trog, Eimer‹ (althochdeutsch grant), bairisch, schwäbisch, rheinisch, pfälzisch, obersächsisch, thüringisch grindel ›Pflugbaum‹ (althochdeutsch grintil), bairisch, schwäbisch, badisch grüsch ›Kleie‹ (althochdeutsch grusko), bairisch, schwäbisch, badisch, hessisch, obersächsisch, thüringisch hiefe ›Hagebutte‹ (althochdeutsch hiofa, hiofo) oder die Verben schwäbisch, hessisch, obersächsisch gleifen ›mit einer Schräge versehen‹ (althochdeutsch gleifen) und mecklenburgisch, niedersächsisch gnieden ›glätten‹ (althochdeutsch gnîtan).
Im zweiten Abschnitt eines Hauptlemmas wird eine vollständige Übersicht der sprachlichen Verwandten in den übrigen germanischen Sprachen gegeben und die urgermanische Vorform nebst Etymologie ermittelt.
Im letzten Artikelteil erfolgt die Einbettung des Wortes in den indogermanischen Kontext. In diesem Zusammenhang werden sprachgeschichtliche Probleme einschließlich abzulehnender oder zweifelhafter Etymologien erörtert. Die Rückführung der althochdeutschen Wörter bis ins Vorurgermanische ist besonders wichtig, weil für Forschungen zu anderen altgermanischen Sprachen oft keine ausführlichen oder nur veraltete Etymologica zur Verfügung stehen. Die konsequente Anwendung moderner Erkenntnisse der Indogermanistik wie der Laryngaltheorie und der Theorie über die indogermanischen Akzent- und Ablauttypen optimiert das Rekonstruktionsverfahren und gewährt neue und tiefere Einblicke in die Wortbildung.
Literaturangaben zu jedem Abschnitt ermöglichen dem Benutzer des Wörterbuchs, die etymologische Diskussion nachzuvollziehen.
Im vorliegenden Band konnten nun für eine ganze Reihe von Wörtern die Herkunft und die verwandtschaftliche Einordnung geklärt werden, die nach Kluge-Seebold1 ohne Etymologie sind. Es handelt sich hier z. B. um die Lemmata Glanz (althochdeutsch glanz), gleißen (althochdeutsch glîzan), Hader ›Scheuertuch‹ (althochdeutsch hadara), Halm (althochdeutsch halm), Hamster (althochdeutsch hamustra), Harfe (althochdeutsch harpfa), Hasel (althochdeutsch hasal), Hering (althochdeutsch hâring), Holunder (althochdeutsch holuntra), Hopfen (althochdeutsch hopfo) oder Hund (althochdeutsch hunt). Beim Substantiv Geisel (althochdeutsch gîsal) wurde gezeigt, dass es sich um ein Erbwort und nicht um eine Entlehnung aus dem Keltischen handelt.
Schwierig ist mitunter die etymologische Erklärung von nur einmal belegten Wörtern, sogenannten Hapaxlegomena (griechisch wörtlich ›einmal Gesagtes‹), zumal wenn ihre Schreibung nicht völlig zu sichern ist. Das trifft z. B. auf das Femininum gulte im Codex latinus monacensis 14745 zu. Das Wort glossiert lateinisch turtur ›Turteltaube‹, die Parallelhandschriften übersetzen lateinisch turtur dagegen mit turtiltûba. Das Althochdeutsche Wörterbuch2 (Band 4, S. 474) erwägt für das Wort eine verschriebene Kurzform von mittelhochdeutsch gürtel-tûba ›Turteltaube‹. Fehlgraphien von -l- für -r- kommen nun tatsächlich vereinzelt vor, so dass vielleicht von einer verschriebenen Form *gurte (statt gulte) ausgegangen werden kann. Trifft dies zu, dann handelt es sich bei dem Femininum um eine Ableitung mit dem individualisierenden n-Suffix vom starken Maskulinum gurt ›Gürtel‹. *gurte ›die gegürtelte (Taube)‹ wäre dann nach den am Hals befindlichen dunklen Querbinden auf hellem Untergrund benannt.
Ist gulte (< älterem *gulta mit unterbliebener Brechung von u zu o im Oberdeutschen) aber keine verschriebene, sondern eine sprachwirkliche Form, ist das Wort anders zu erklären. In diesem Fall würde es sich um die Substantivierung eines schwundstufigen femininen Verbaladjektivs mit dem Fortsetzer von urgermanisch *-tō- zum starken Verb gellan ›laut tönen, schreien‹ handeln. gulte wäre dann die ›Ruferin, Schreierin‹. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten kann letztlich auf Basis des einen Belegs nicht getroffen werden. Mit Blick auf mögliche Neufunde ist es jedoch wichtig, beide Erklärungen anzuführen.
Das Wörterbuch versucht auch, durch innersprachlichen Vergleich die Bedeutung von Wörtern zu erschließen, verwiesen sei hier z. B. auf helwehût. Bei dem Substantiv handelt es sich wieder um ein Hapaxlegomenon. helwehût kommt bei Hildegard von Bingen vor: isti helwehuth accipiant eamque arvina dasses interius inunguant et gelankin sepe circumcingant ›Dort legt man die helwehuth auf, reibt sie innen mit Dachsfett ein und umwickelt die Gelenke öfters‹. In synchronen althochdeutschen Wörterbüchern ist als Bedeutung des Kompositums ›Hirschhaut‹ angegeben. Doch ist das Vorderglied helwe- lautlich, aber auch aus sachlichen Gründen nicht mit ›Hirsch‹ in Verbindung zu bringen. helwe- ist eher an mhd. helwe, ahd. helawa ›Abfall, Spreu‹ anzuschließen. Für medizinische Wickel dürften kaum kostbare Hirschhäute verwendet worden sein, sondern Fellfetzen, die, mit Salben eingeschmiert, um die schmerzende Körperstelle gebunden wurden. Als Bedeutung des Kompositums ist deshalb ›Abfallfell, minderwertiges Fell, minderwertige Tierhaut‹ anzunehmen.
Wie Etymologie und Sachgeschichte bei der Suche nach dem Benennungsmotiv Hand in Hand gehen, zeigt beispielsweise die Erklärung des Substantivs althochdeutsch hornung ›Februar, Februarius‹. In anderer Bedeutung, aber gleicher Lautgestalt gibt es im Nordseegermanischen und Altnordischen Entsprechungen, so z. B. mittelniederländisch horninc, altfriesisch horni(n)g, altisländisch hornungr ›außereheliches Kind, Bastard‹ und altenglisch das Kompositum hornung-sunu ›außerehelicher Sohn, Bastard‹. Die Substantive gehen auf urgerm. *χurnunga-/-inga- zurück, eine Ableitung mit dem Suffix *-inga-/-unga- von *χurnan- ›Horn‹ in der Bedeutung ›Ecke, Spitze, Winkel‹. Demnach wäre die Bezeichnung für das ›außereheliche Kind‹ als patronymische Bildung wohl das ›aus dem Winkel Stammende, das im Winkel Gezeugte‹. Das Altisländische verzeichnet eine parallele Bildung hrísungr ›unehelicher Sohn‹ (eigentlich ›der im Gebüsch Gezeugte‹), die von hrís ›Gesträuch, Gestrüpp, Wald‹ abgeleitet ist. Rechtlich war das außereheliche Kind nicht dem ehelichen gleichgestellt.
Was nun den Monatsnamen betrifft, so wurde die Auffassung vertreten, dass das Moment des ›Benachteiligtseins‹ des unehelichen Kindes auf den Monat ›Februar‹ übertragen wurde‚ da dieser wegen seiner geringen Anzahl an Tagen gleichfalls ›benachteiligt, zu kurz‹ gekommen sei. Diese gängige Herleitung ist jedoch fragwürdig: Die Anzahl der Tage als Benennungsmotiv kommt kaum in Frage, weil die Monatsnamen ursprünglich weniger zur Bezeichnung der römisch-christlichen Kalendermonate dienten, sondern eher jahreszeitliche Einheiten von der ungefähren Größe eines Monats benannten.
Daneben gibt es noch eine Vielzahl von Vorschlägen für Benennungsmotive des Monatsnamens: So sei mit hornung der Zeitraum bezeichnet worden, in dem Festgebäcke in Horn- oder Mondsichelform gebacken wurden. Nach einer anderen Erklärung sollen im Februar die Trinkhörner besonders häufig in Gebrauch gewesen sein, wonach schließlich der Monat benannt worden sei.
Eine weitere Auffassung besagt, dass hornung zu altisländisch hjarn ›gefrorener Schnee, Harschschnee‹ < urgerm. *χerzna- gehört, doch ist diese Verbindung schon wegen der Tiefstufe der Monatsbezeichnung nicht möglich. Ableitungen mit dem Suffix *-inga/unga- weisen die gleiche Ablautstufe wie ihre Basis auf wie z. B. altisländisch hildingr ›Krieger, Fürst‹, das von hildr ›Kampf‹ gebildet ist.
Eine Ableitung von althochdeutsch horo ›Schmutz, Kot‹ (Februar als Schmutzmonat) ist von der Wortbildung her nicht möglich, da dann das -n- in hornung unerklärt bliebe.
Am naheliegendsten ist die Benennung von hornung als Monat, in dem die im Februar abgeworfenen Geweihe der Hirsche eingesammelt wurden. Die Abwurfstangen waren im Frühmittelalter ein wertvoller Rohstoff zur Herstellung von Geräten und Dingen des täglichen Bedarfs. hornung hätte dann zunächst den Vorgang des Geweihabwurfs bezeichnet, der dann metonymisch auf den Zeitraum des Einsammelns des Gehörns übertragen wurde. Das gleiche Wortbildungsmuster wie hornung zeigt z. B. althochdeutsch offarunga ›Opfer‹ (eigentlich ›Handlung des Opferns‹), eine Ableitung von offar ›Opfer, Dienst‹. Hinzu kommt, dass auch andere althochdeutsche volkssprachliche Monatsbezeichnungen nach wirtschaftlichen Tätigkeiten benannt sind: winnimânôd ›Mai‹ mit dem Vorderglied winni ›Weide‹ ist der ›Monat, in dem das Vieh auf die Weide geführt wird‹ oder hewimânôd ›Juli‹ mit dem Vorderglied hewi- ›Heu‹ ist der ›Monat, in dem Heu gemacht wird‹.
Zurzeit verfasst die Arbeitsgruppe »Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen« Band V, der die Alphabetstrecke I bis L beinhalten wird.
- 1Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von E. Seebold. 24., durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin, New York 2002.
- 2Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, begründet von E. Karg-Gasterstädt und Th. Frings, Band IV: G–J, hg. von R. Große, bearb. von S. Blum u. a., Berlin 1986.