»Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften«. Eine gemeinsame Ausstellung der Universität Leipzig, der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und der Stadt Leipzig anlässlich des 600-jährigen Jubiläums der Universität Leipzig
Begleitvorträge – Einführung
Das 600. Jubiläum der Gründung der Universität Leipzig (1409) war Anlass für die Gestaltung der Ausstellung »Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften«, die vom Juli bis zum Dezember 2009 im Alten Rathaus der Stadt zu sehen war. Über Inhalt und Intention dieser Exposition, an deren Konzeption die Sächsische Akademie der Wissenschaften maßgeblich beteiligt war, ist in den »Denkströmen« bereits ausführlich berichtet worden.1 Zu den zahlreichen Veranstaltungen des umfangreichen Begleitprogramms gehörte eine ebenfalls von der Akademie mitgetragene Vortragsserie »Erleuchtende Stunden«, die ab Ende August jeweils am Donnerstag Abend interessierte Hörer in den Festsaal des Alten Rathauses einlud. Einem breiteren Publikum sollten auf diese Weise einzelne Persönlichkeiten, einzelne Wissenschaften oder einzelne Entwicklungstendenzen, die in der Ausstellung zwangsläufig nur durch wenige Exponate in ihrer Bedeutung angedeutet werden konnten, näher vorgestellt werden. Angestrebt wurde eine Vortragsform, die ein Laienpublikum anzusprechen vermag, aber zugleich auch allen an ein wissenschaftliches Niveau zu stellenden Forderungen Genüge leistet.
Mit der Ausstellung »Erleuchtung der Welt« wurde erstmals in Gestalt einer großen Sonderausstellung die Bedeutung Leipzigs und Mitteldeutschlands für die Geschichte der Aufklärung dokumentiert. Da sich nicht zuletzt auf dieses Zeitalter unsere eigene Gegenwart gründet, liegt der aktuelle Wert eines solchen Vorhabens auf der Hand. Als Referenten der Vortragsserie wurden ausgewiesene Wissenschaftler aus Leipzig, aus Sachsen und aus den verschiedensten Teilen Deutschlands gewonnen. Die insgesamt 14 Vorträge widmeten sich u. a. der Philosophie Christian Wolffs (Dirk Effertz), dem Auftreten von Christian Thomasius (Frank Grunert), den Leipziger Naturalienkabinetten (Veit Hammer), der botanischen Forschung (Peter Otto), der sächsischen Schulgeschichte (Thomas Töpfer) und dem Wirken Bachs an der Universität (Peter Wollny). Den konkreten Anlass der Ausstellung, die Universitätsgründung des Jahres 1409, brachte Enno Bünz zur Darstellung. Einem Thema, das in der stark wissenschaftsgeschichtlich orientierten Ausstellung zwangsläufig nur am Rande berücksichtigt werden konnte, dem Leben der Studenten in der Zeit der Aufklärung, wandte sich Katrin Löffler zu. Drei ausgewählte Vorträge sollen im Folgenden zum ›Nachlesen‹ in den »Denkströmen« bereitgestellt werden. Sie behandeln jeweils Persönlichkeiten der Literaturgeschichte und hängen daher thematisch eng zusammen.
Die Wahl literaturgeschichtlicher Beiträge erfolgte nicht zufällig. Die Rolle Leipzigs in der Literaturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts gehörte zu den Schwerpunkten der Ausstellung. Im Gegensatz z. B. zur kirchlichen Erneuerungsbewegung der Reformation, in der Mitteldeutschland ebenfalls eine zentrale Bedeutung zukam, besaß die Literatur (Poesie, Drama, Prosa) in der vernunftorientierten Zeit der Aufklärung eine ganz eigenständige, aufgewertete Position. Lessings »Nathan«, um nur ein besonders bekanntes Beispiel zu nennen, symbolisiert eines der zentralen Prinzipien der Aufklärung, die Toleranz, der Nachwelt gegenüber eindrücklicher als wohl jede theoretische Abhandlung der Zeit. In der interdisziplinär orientierten Forschung, die Betonung liegt auf interdisziplinär, wird diese Stellung der Literatur durchaus erkannt. So berücksichtigt der in Basel gegenwärtig erscheinende »Grundriss der Geschichte der Philosophie« (seit Generationen bekannt als »Ueberweg«) in seinen Bänden zur Philosophie des 18. Jahrhunderts auch immer ausführlich die Belletristik dieser Epoche und das mit vollem Recht.
Es gibt noch einen weiteren Grund dafür, die Literatur in der erwähnten Ausstellung eingehender zu berücksichtigen. Die von den heutigen Lesern noch einigermaßen registrierte Literatur setzt eigentlich erst mit Lessing ein, der geographisch in der Hauptsache mit Berlin, Hamburg und vielleicht noch mit Wolfenbüttel in Verbindung gebracht wird. Die dann folgende sozusagen als kanonisch festgeschriebene Literaturgeschichte spielt sich in Berlin, insbesondere aber in Weimar ab. Mit Beginn der Romantik treten noch Jena und Dresden hinzu. Leipzig dagegen spielt eine nur marginale Rolle. Die drei im Folgenden veröffentlichten Vorträge, in deren Mittelpunkten Gottsched, Gellert sowie Novalis und Friedrich Schlegel stehen, können dazu beitragen, dieses einseitige Bild zu korrigieren oder wenigstens anzuzweifeln. Dabei nähern sich Daniel Fulda (Halle) und Bernd Witte (Düsseldorf) nicht allein und vielleicht nicht zuerst Gottsched und Gellert als Dichter, sondern sie beleuchten vielmehr deren Stellung zur deutschen Nation. Gottsched erscheint als ein entschiedener Verfechter eines Kulturnationalismus, der für die Gleichberechtigung deutscher Sprache, Literatur und Kultur zu Felde zieht; das ist ein zentraler Punkt innerhalb seines Aufklärungsprogramms. Die Beschäftigung mit Gellert weist in eine ähnliche Richtung. Mit dem Verweis auf den Leipziger Dichter und Professor wird insbesondere die so zählebige »fritzische Legende« in Frage gestellt, laut der deutsches Nationalbewusstsein und deutsche Literatur eigentlich erst mit dem Preußenkönig Friedrich anhob. Keinen Geringeren als Goethe konnte und kann man als Zeugen dieser Behauptung anführen. Nach ihm sind es die zu Beginn des Siebenjährigen Krieges getexteten »Kriegslieder« des Anakreontikers Johann Wilhelm Ludwig Gleim, die die neuere deutsche Literatur einläuten. Bernd Witte zeigt uns im Widerspruch dazu Gellert als einen sächsischen Patrioten und Dichter, der selbstbewusst die Notwendigkeit des Friedens und die Bedeutung der von ihm und anderen vorgelegten (nicht von Friedrich abhängigen) Dichtung verteidigt – auch dem preußischen Herrscher gegenüber, der nach der Legende der deutschen Dichtung angeblich erstmals einen wahren Gehalt vermittelt habe. Ludwig Stockingers Beitrag wiederum führt uns in die Zeit der Romantik. Schon vor einhundert Jahren hat der Leipziger Germanist Georg Wittkowski die Behauptung in die Welt gesetzt, Leipzig habe nach dem Siebenjährigen Krieg jegliche Bedeutung für die Geschichte der Literatur verloren. Dieses Urteil, das in dieser Schärfe nur als verfehlt bezeichnet werden kann, ist bis heute in vielerlei Publikationen lebendig geblieben. Der im Rathaus gehaltene Vortrag des Leipziger Germanisten Ludwig Stockinger belegt, dass Novalis und der mit ihm befreundete Friedrich Schlegel als Zentralfiguren der romantischen Bewegung um 1800 durch ihre Studienzeit in Leipzig wesentliche Anregungen zu ihrer späteren Entwicklung empfangen haben. So zeigen sich alle drei Beiträge dahingehend orientiert, bisher zementierte Auffassungen zu hinterfragen. Das entsprach auch den Intentionen der Jubiläumsausstellung, die nicht nur Bekanntes illustrieren wollte, sondern der Forschung Impulse zu verleihen suchte, die zum Verlassen gängiger Spuren anregen.
- 1Detlef Döring, »Die ›Erleuchtung der Welt‹. Ein Bericht über die Jubiläumsausstellung anlässlich des 600. Jahrestages der Gründung der Universität Leipzig«, in Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Heft 3, Leipzig 2009, S. 23–41.