Statt eines Editorials1
Der eigentlich belebende Odem der Universität, die himmlische Luft, in welcher alle Früchte derselben aufs fröhlichste sich entwickeln und gedeihen, ist ohne Zweifel die akademische Freiheit.
Was aber ist die Universität? Von der einen Seite: die gesammte Verstandesbildung des Zeitalters. Jeder einzelne Lehrer muß theils für sein Fach auf der Höhe der Ausbildung dieses Faches in seinem Zeitalter stehen, theils die Fähigkeit und Geschicklichkeit besitzen, sich vollständig und innigst mitzutheilen. Von der andern Seite müssen, als die Stellvertreter desjenigen Zeitalters, welchem die höchste Bildung des gegenwärtigen übergeben wird, Lehrlinge vorhanden seyn, die zu der Stufe, auf welcher der Universitätsunterricht anhebt, und nothwendig anheben muß, durch den früher erhaltenen Unterricht gehörig vorbereitet sind. Ist durch Aneinanderfügung dieser beiden Grundbestandtheile die Universität erst errichtet, so geht sie ihren zweckmäßigen Gang durch sich selbst fort, und bedarf über diesen Punkt hinaus keiner Nachhülfe von außen. Vielmehr sind dergleichen äußere Einwirkungen und Eingriffe schädlich, und für den beabsichtigten Fortgang der Verstandesbildung störend. Eine Universität muß drum, falls sie ihren Zweck erreichen, und in der That seyn soll, was sie zu seyn vorgiebt, von diesem Punkte aus sich selbst überlassen bleiben; sie bedarf von außen und fodert mit Recht vollkommene Freiheit, die akademische Freiheit in der ausgedehntesten Bedeutung des Worts.
Wohl aber könnte es scheinen, daß unsrer akademischen Freiheit große Gefahr drohe. Indem solche, die durch eigene Erfahrung durchaus keinen Begriff sich zu machen vermögen vom Studieren, Universitäten sehen, und die mancherlei Eigenthümlichkeiten derselben erblicken, können sie, bei ihrem gänzlichen Unvermögen, alle diese Anstalten sich zu denken als das Mittel für den ihnen völlig verborgenen Zweck, dieselben nicht anders begreifen, denn als einen besondern Stand von Studenten, der eben so, wie etwa der Adel-, oder Bürger-, oder Bauernstand, auch in der Welt seyn müsse, aus keinem andern Grunde, als um zu seyn, und um die Zahl der Stände voll zu machen; und welcher nun einmal, zu folge seines Daseyns, die und die Befreiungen und Privilegien von Gott und Rechtswegen besitze. Der eigentliche Mittelpunkt und Sitz ihres Irrthumes liegt klar am Tage. Das Studieren ist ein Beruf; die Universität mit allen ihren Einrichtungen ist nur dazu da, um die Ausübung dieses Berufs zu sichern; und nur derjenige ist ein Studierender, der eben studiert. Diese aber können die Sache nur also begreifen, daß es eine besondere Gattung von Menschen gäbe, die da Studenten sind, ob sie nun studieren oder nicht studieren, oder was sie treiben. Die Vorstellung von einer ganz besondern und eigenthümlichen, aller Fesseln des gewöhnlichen Erdenlebens entbundenen Lebensweise, die uns nur einmal zu Theil werde, und die schnell vorübergehe, schmeichelt dem Hange zum Wunderbaren und nicht wohl Begreiflichen. Daß durch eine solche Sitte, wenn sie überhand nimmt und herrschend wird, die akademische Freiheit in allen Punkten angegriffen und vernichtet, ja das ganze Wesen der Universität aufgehoben wird, ist unmittelbar klar. Ja selbst die allgemeine Freiheit der ganzen Universität, die Lehrfreiheit, wird dadurch beeinträchtiget: denn es ist ja dieser Menschenklasse eingefallen, die Lehrer ohngefähr so anzusehen, als vom Staate zu ihrer Belustigung angestellte Schauspieler einer besondern Art, die nur das sagen dürften, was solche Zuhörer gern hörten, und durchaus nichts anderes, und denen diese Zuhörer, falls sie sich vergriffen, diese Fehlgriffe durch Zeichen, die gleichfalls vom Schauspielhause entlehnt sind, nur anzuzeigen hätten. Wären die Lehrer so, wie sie dieselben voraussetzen und fordern, so würde bald der allein gültige Lehrkanon durch solche Zuhörer zu Stande gebracht seyn. Aber je gebildeter jemand selbst ist, desto innigern Antheil nimmt er an dem Wachsthume der Bildung, und es ist gerade dies seine höchste Herzensangelegenheit. Dies ist ein Grundsatz, der ohne Ausnahme gilt, und welcher einen sichern Maasstab hergiebt, um die wahre Bildung jedes Einzelnen zu schätzen. Nur jene ihre natürliche Feinde begehren ein anderes. Diese wollen an ihren Professoren Schmeichler haben, und unterwürfige Diener, die die Miene der Abhängigkeit von ihrem Wohlwollen keinen Augenblick ablegen, die ihnen nach dem Munde reden, ihre Thorheiten billigen, ihre Ausschweifungen verdecken helfen, jeden ernsthaften Beschluß, der gegen sie gefaßt werden könnte, hintertreiben, unter der Einrede, daß dieß alles nun einmal nicht zu ändern stehe, daß es von jeher so gewesen sey, und auch wohl so bleiben werde, und welche auf diese Weise sich zu Werkzeugen der Unterdrückung der akademischen Freiheit machen, und Feinde und Widersacher werden des Studierens selbst.
- 1Auszüge zusammengestellt aus Johann Gottlieb Fichte, Ueber die einzig mögliche Störung der akademischen Freiheit. Eine Rede beim Antritte seines Rektorats an der Universität zu Berlin den 19ten Oktober 1811; nach Johann Gottlieb Fichte, Werke 1808–1812, Band I/10, hg. von Reinhard Lauth u. a., Stuttgart-Bad Cannstatt 2005, S. 357–375.