Derjenige ist ein Studierender, der eben studiert.
Vieles liegt im Argen – an den Universitäten besonders viel. Zumindest gewinnt man diesen Eindruck, wenn man die öffentlichen Diskussionen betrachtet, die seit mittlerweile 200 Jahren über Idee und Sinn der Universität geführt werden. Ohne die damit verbundenen vielfältigen und vielfältig wechselnden Probleme kleinreden zu wollen, lässt sich doch eines konstatieren: Zur Lebensform des Professors (zumindest in bestimmten Geistes- und Sozialwissenschaften) und vielleicht auch zu der eines guten Teils der Studierenden dieser Fächer gehört die öffentliche, die politische Klage. Sie unterscheidet sich von der privaten Klage dadurch, dass sie von Studierten betrieben wird, also von denen, die es gelernt haben, ihre Probleme in einer schriftlichen und veröffentlichungswürdigen Form auszudrücken. Die öffentliche Klage in ihrer reflektierten Form nimmt sich zugleich selbst zurück, da sie um die relative Vergeblichkeit ihrer Mühen weiß und sieht, dass das heraufbeschworene Ende der Welt stets nur das Ende ihrer eigenen Welt bedeutet, d. h. dass sie mehr aus Gründen der Therapie des eigenen Selbst als aus Gründen der Therapie der Welt betrieben wird. Die Spieler des Klagespiels sind in aller Regel auch seine eigenen Zuschauer – welche sich ja bekanntlich auch an einem Trauerspiel ergötzen können.
Universitätspolitische Klagen sind inzwischen ohne Bezug auf Wilhelm von Humboldt zumindest in Deutschland undenkbar. Er spielt damit eine ähnliche Rolle wie in England lange Zeit John Henry Newman, dessen Seligsprechung freilich zugleich das endgültige Ende seiner Bedeutung markiert. Dabei schließt die klassische Bildungsdiskussion an die Gründung der Berliner Universität zu Beginn des 19. Jahrhunderts an. Dort ging es nominal um den Standard einer Universität. Substanziell ist diese Debatte auch nach 200 Jahren noch allgemein und auch kontrovers genug, um weiterhin für neue Legitimationen bestimmter Ideen der Universität oder diverser Teilprobleme fruchtbar zu werden.
Lehre und Forschung
Zentrale Spannungslinie der Universität, zugleich aber auch ein ihr eigentümliches Vermögen, ist die Verbindung von Forschung und Lehre. Wenn man den Forschungsbegriff sehr weit versteht, dann organisieren beide Zwecke die Universität von Beginn an, auch wenn die Universität über lange Jahrhunderte eher (Aus-)Bildungsstätte als Forschungsinstitution war und die Idee(n) der Wissenschaft erst in einem langwierigen Prozess seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in ihre institutionelle Struktur integrierte; und dies auch zuerst nur in einigen deutschsprachigen Regionen. Es kam zu einer – oftmals disziplinenspezifischen – Melange von Forschung und Lehre und in Verbindung damit seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer weltweiten Spitzenstellung der deutschen Universitäten bis ins 20. Jahrhundert hinein. Diese Spitzenstellung zeigt sich in zweierlei Aspekten. Zum einen am immensen Output an Forschungsergebnissen der in unaufhörlicher Folge entstehenden universitären Forschungsinstitute. Zum zweiten am Renommee verschiedener ihrer Direktoren, die sich in der Internationalisierung der an diesen Instituten betriebenen – heute würde man wohl sagen – Graduiertenstudiengänge niederschlug. Nun mag es durchaus so gewesen sein, dass sich der Institutsbetrieb bereits in einer kommunikativen Atmosphäre abspielte. Ebenso wichtig sind jedoch auch die Aspekte, die auf die frühe Ambivalenz der Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung hinweisen. Zwar lässt sich für das 19. Jahrhundert noch nicht von einer Ökonomisierung der Universitäten im heutigen Sinne sprechen, doch war die damalige Forschungsuniversität – zumindest in den Naturwissenschaften – von einer sich arbeitsteilig organisierenden Detailforschung nicht so weit entfernt, wie das heute scheinen mag. Auch die Gestaltung der Lehre im 19. Jahrhundert kann keineswegs auf die freie Kommunikation Gleichgesinnter reduziert werden. Dies hat durchaus auch fachliche Gründe. Die systematische und methodische Frageform in den Wissenschaften – die auch die Reflexion auf die Methoden einschließen muss – benötigt in allen Wissenschaften zumindest zu gewissen Anteilen einen mechanisch zu nennenden Prozess der Einübung ganz unterschiedlicher Praktiken. Man denke an Fingerübungen im Labor, an das Erstellen von Statistiken oder das kritische Lesen von Texten. Die Einübung dieser Methoden erfordert selbst andere Didaktiken als die für die Forschung eingeforderte kommunikative Atmosphäre und ist auch nur partiell in der Schule zu lernen.
Wilhelm von Humboldt, der immer wieder als Kronzeuge für einen gelingenden Forschungsprozess herangezogen wird, hat eine solche methodische Ausbildung nicht primär im Sinn gehabt, auch wenn er sich mit einem inhaltlichen Kanon konfrontiert sah, der »einfach kapiert werden« musste, wie Fach und Häuser in ihrem Beitrag »Homo Studens« schreiben.1 Humboldt konnte den Methodenpluralismus der heutigen Zeit nicht kennen. Unter Wissenschaft zu Zeiten seines Studiums zwischen 1788 und 1790 wurde zwar nicht etwas völlig anderes verstanden als später, aber es bestanden doch hinreichend große Differenzen. Sein Bruder Alexander erlernte z. B. die grundlegenden Mechanismen der Pflanzenbestimmung privat bei einem Apotheker. Wilhelm von Humboldt konnte daher 1809, also einige Jahrzehnte vor dem eigentlichen Aufkommen der Forschungsuniversität, noch schreiben: »[D]as wesentlich Nothwendige ist, dass der junge Mann zwischen der Schule und dem Eintritt ins Leben eine Anzahl von Jahren ausschliessend dem wissenschaftlichen Nachdenken an einem Orte widme, der Viele, Lehrer und Lernende in sich vereinigt«. Und er konstatierte, dass »der Universitätslehrer nicht mehr Lehrer, der Studirende nicht mehr Lernender [ist], sondern [… selbst] forscht«.2 Die Umsetzung dieses Ideals in seiner Reinheit wird durch die Komplexität der heutigen Forschungsmethodiken verhindert. Humboldt selbst hatte während des Studiums Kontakt mit den führenden Gelehrten der Göttinger Universität, über alle Fächergrenzen hinweg. Die methodische Ausbildung, die er brauchte, hatte er im Wesentlichen von Privatlehrern schon vorher erhalten.
Man kann also sagen, dass in der Ausdifferenzierung der Arbeitsteilung und Spezialisierung der Methoden sachlich bereits eine gewisse Tendenz zum Auseinandertreten von Forschung und Lehre, Bildung und Ausbildung angelegt ist. Indem ein Kanon spezifischer Praxen zunächst einfach gelernt werden muss, entsteht zwischen ProfessorInnen und Studierenden erst einmal ein Verhältnis von Meister und Lehrling. Dies tritt in der wissenschaftlichen Ausbildung in einen möglichen Konflikt zu Bildungsidealen, die sich in Formeln wie »Lehre aus Forschung« ausdrücken lassen.
Wahrheit und Nutzen
Diese Beobachtung führt uns auf die Beziehung der Begriffe »Wahrheit« und »Nutzen«. Sie ist in vielfältiger Weise mit dem Spannungsbereich von Forschung und Lehre verbunden. Wie allgemein bekannt, ist die Trennung von Kant herausgestellt worden.3 Für die »Wahrheit« ist – nach Kants Aufteilung in die Bildungsebene der philosophischen Fakultät und die Ausbildungsebene der »oberen« Fakultäten – die »untere« philosophische Fakultät verantwortlich. Die »Nützlichkeit« ist der »technischen« Ausrichtung der »höheren« Fakultäten zugeordnet: Jurisprudenz, Theologie und Medizin. Hatte Kant dabei noch eine Nützlichkeit im Sinn, »welche die oberen Fakultäten zum Behuf der Regierung versprechen«, wie er sich ausdrückt, wenn es um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe geht, so wird heute ein Studium als nützlich angesehen, wenn es den beruflichen Lebenszielen der Studierenden dient. Damit jedoch ist der Nutzen immer noch im Blick auf Staat und Gesellschaft definiert. Kants Trennung von Nutzen und Wahrheit, so wertvoll sie analytisch ist, ist dabei in mehrerer Hinsicht nur eine idealtypische Unterscheidung, die sich heutzutage kaum noch im Geflecht der Fakultäten wiederfindet. So sind alle wissenschaftlichen Universitätsangestellten dazu angehalten, Forschung zu betreiben, unabhängig davon, welcher Fakultät sie angehören. Die philosophische Fakultät hat längst nicht mehr das Monopol auf die Kontrolle der wissenschaftlichen Ergebnisse, wie dies bei Kant gedacht ist. Betrachtet man die Fakultäten vom Gesichtspunkt der Studierenden, so gibt es das Primat der Wahrheit (oder der Forschung) vor dem Nutzen (oder der Berufsausbildung) auch an den Fakultäten nicht, die aus ehemaligen philosophischen hervorgegangen sind. Das ›Problem‹, wenn man es denn so nennen will, das sich aus der methodischen Ausbildung ergibt, ist, dass die Fähigkeit zu methodisch kontrolliertem Arbeiten nach wissenschaftlichen Standards nicht allein im Bereich der Wissenschaft nachgefragt wird, sondern auch in einer Vielzahl von möglichen anderen Tätigkeitsfeldern. Dies verkompliziert die Verhältnisse in Bezug auf Wahrheit und Nutzen und scheint auch der Hauptgrund dafür zu sein, dass die ja eigentlich naheliegende Konsequenz aus Kants Unterteilung, die Trennung der Universität in zwei separate Institutionen, nicht als zielführend erscheint.4 So muss die Universität mit der in ihr angelegten Hybridität von Berufsausbildung und wissenschaftlicher Forschung leben. Kants idealtypische Rekonstruktion der unterschiedlichen Aufgaben der »wissenschaftlichen« (philosophischen) Fakultät und der der »technischen« Ausbildung in den »oberen« Fakultäten läuft jedoch unter Umständen darauf hinaus, dass einer fachhochschulartigen Berufsausbildung eine allgemeine Bildung vorgelagert wird und dass eine kanonische Grundlagenwissenschaft das Anwendungswissen der »oberen« Fakultät allererst bereitstellt und kontrolliert. Das amerikanische Bildungsmodell, in dem eine Bachelorphase den Ausbildungen an Law oder Medical School vorgelagert ist, entspricht dieser Tradition.
Bildung
Der Chicagoer Soziologe Andrew Abbott formuliert in einer Rede vor den angehenden Collegestudierenden seiner Universität die starke These, »that there is no instrumental reason to get an education, to study in your courses, or to pick a concentration and lose yourself in it. It won’t get you anything you won’t get anyway or get some other way. So forget everything you ever thought about all these instrumental reasons for getting an education.«5 Statt nach instrumentellen Zielen der Bildung zu suchen, sei die Bildung ein Zweck in sich selbst. Nur wer nach ihr suche, habe auch etwas vom Studium. Wenn diese These stimmt, dann ist die Hoffnung der angehenden Studierenden auf eine bessere Berufsposition eine Illusion. Allerdings ist Abbotts These in mehrfacher Hinsicht zu differenzieren:
Die erste Differenzierung betrifft die Adressaten der Rede. Wer sind die Studierenden, zu denen er redet und wo befinden sie sich? Die Neuimmatrikulierten der University of Chicago zählen nach Abbott selbst zu den 2 % eines Geburtsjahrgangs in den USA, die es an ein Elite-College geschafft haben. Allein, dass sie so weit gekommen sind (oder so weit gebracht wurden), führt Abbott aus, garantiert ihren »worldly success«, nicht die Wahl des Studienfaches oder die Note. Sie werden im Durchschnitt fünfmal so viel verdienen, wie das amerikanische Durchschnittseinkommen beträgt. Aber auch wenn Chicago keine Eliteeinrichtung wäre, so sind doch die Zwecke der »College instruction« andere als hierzulande. Der amerikanische Bachelor – wenn eine solche Abstraktion über die Vielfalt der amerikanischen Einrichtungen erlaubt ist – hat nicht den Zweck, die Employability zu erhöhen, sondern dient dazu – wie Abbott ja auch institutionenaffin ausführt –, die Bildung zu fördern. Berufsnahe Studiengänge wie Jura oder Medizin werden gar nicht angeboten, sondern existieren als Masterstudiengänge an eigenen Medical bzw. Law Schools. Dies ist ein beträchtlicher Unterschied zum deutschen System. Weil man in diesem bestimmte Zertifikate benötigt, um später einen Beruf ausüben zu können, und weil diese Zertifikate nur an Universitäten erwerbbar sind, gibt es allerdings tatsächlich »instrumental reasons«, eine Universität zu besuchen. Ob die jeweilige »Ausbildung« an den Universitäten wirklich die Fähigkeiten lehrt, die in den entsprechenden Berufen benötigt werden, mag offen bleiben. Abbott jedenfalls vertritt bezüglich der Collegeausbildung, deren Kerngehalt er unter den fünf Punkten »critical thinking, analytic reasoning, lifetime learning, independence of thought, and skill at writing« fasst, die Ansicht, dass dies (alles in allem) nicht der Fall ist. Genauer gesagt, argumentiert er zweigleisig. Zum einen behauptet er, dass es einer Universität nicht notwendigerweise bedürfe, um diese Fähigkeiten einzuüben. Praktika ermöglichten dies vielleicht besser. Zum anderen zählt er die Fächer auf, in denen oben genannte Fähigkeiten gar nicht gebraucht würden. So gelte für Juristen wie Unternehmer: »[T]oo much critical thinking will get them in trouble, and independence is likewise problematic«. Viel wichtiger sei hier etwa rhetorisches Können, das aber nicht zum Curriculum des Colleges gehöre. In jeder Hinsicht sinnvoll seien diese Fähigkeiten letztlich nur für eine wissenschaftliche Tätigkeit an der Universität selbst. Alle anderen – so die These – haben unter Umständen nichts davon, außer dass sie sie haben.
Bildungsferne Hedonisten?
Ob an Bildung als Selbstzweck interessiert oder nicht: Nur ein relativ geringer Anteil der Abiturienten fühlt sich gut genug informiert, um eine sichere Entscheidung über Studium, Studienfach oder Studienort treffen zu können. So heißt es in einer 2008 erhobenen Studie6: »Lediglich 7 % der angehenden Studienberechtigten 2008 geben an, keine besonderen persönlichen Probleme bei der Wahl ihres künftigen Werdegangs zu haben« – eine Zahl, die weniger problematisch ist, als sie auf den ersten Blick scheint, zeigt sie doch, dass es sich die meisten bei dieser schwierigen Entscheidung nicht leicht machen. Weiter heißt es: »Zwei von fünf Befragten machen die nur schwer absehbaren Entwicklungen des Arbeitsmarkts Sorge, und ein Fünftel aller Befragten hat Schwierigkeiten, abzuschätzen, welche Qualifikationen und Kompetenzen in Zukunft überhaupt wichtig sein werden. Ebenfalls zwei Fünftel fühlen sich kurz vor dem Schulabschluss von der Vielzahl der sich ihnen bietenden Alternativen überfordert. Probleme ergeben sich jedoch nicht nur aus ›äußeren‹ Faktoren: Mehr als jede/r Vierte ist sich nicht über seine/ihre individuellen Fähigkeiten, die persönliche Eignung und die eigenen Interessen im Klaren.« Weiterhin fühlt sich nur gut ein Viertel der SchülerInnen gut »über die verschiedenen infrage kommenden Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten informiert? […] Jede/r Dritte stuft den eigenen Informationsstand über nachschulische Bildungsalternativen sogar als unzureichend ein.«7 Man kann diese Informationsdefizite auf das mangelnde Engagement der angehenden Studierenden zurückführen, doch ebenso besteht – nach Ansicht der Abiturienten – bei vielen der vorhandenen Informationsquellen ein beträchtliches Defizit. Als Orientierungsmedium für die Studienwahl wird am häufigsten das Internet genutzt, das auch gleichzeitig von den Befragten als die beste Informationsquelle eingestuft wird (Nutzung: 97, Ertrag: 82)8, ebenfalls viel genutzt, wenn auch mit ambivalenten Erfolg, werden Informations-Materialien wie Flyer und Broschüren (90, 44) oder auch spezielle Bücher und Zeitschriften zur Studien- bzw. Ausbildungswahl (82, 44). Persönliche Kontakte zu Auszubildenden und Studierenden (79, 46), zu Eltern (91, 48) und Freunden (90, 42) schneiden ebenfalls relativ gut ab. LehrerInnen sind dagegen nach der Selbsteinschätzung keine große Hilfe (69, 17). Bessere, wenn auch nicht glänzende Zahlen ergeben sich für die Hochschulinformationstage (64, 36), wohingegen sowohl HochschullehrerInnen (43, 11), als auch Hochschulrankings (32, 11) nur bescheidene Ergebnisse erreichen.
Ebenso uneindeutig fällt die Antwort aus, wenn man nach den Motiven des Studiums und nach Gründen für die Wahl des Hochschulortes fragt.9 90 % der Studierenden haben ein Fachinteresse am Studienfach, Begabung und Neigung verspüren 86 % und ein wissenschaftliches Interesse haben immerhin 43 %. Soziale Motive spielen bei etwa einem Drittel der Studierenden eine Rolle. Eine sichere Berufsposition schätzen 68 %, gute Verdienstmöglichkeiten 66 % und 57 % wählen das Studium wegen eines festen Berufswunsches. Ganze 7 % wählen ein Studienfach, weil es das »kleinste Übel« ist, auch andere sogenannte studien- und berufsferne Motive sind schwach vertreten.
Bezüglich der Wahl der Hochschule geben 46 % an, zumindest eine andere Hochschule erwogen zu haben. Offenbar am wichtigsten sind bei der Wahl die hochschulinternen Bedingungen, so nennen 60 % den guten Ruf der Hochschule, den guten Ruf der Lehrenden in ihrem Hauptfach bezeichnen 32 % als Motiv. Auch die Antworten »vielfältiges Lehrangebot«, »gute Ausstattung«, »überschaubare Verhältnisse« und »gute Rankings« erreichen Ergebnisse im mittleren Drittel. Bildungsferne und hedonistische Motive spielen ebenfalls eine Rolle. Günstige Lebensbedingungen in der Universitätsstadt geben 47 % der Studierenden als Grund an, 22 % meinen, dass sie aus finanziellen Gründen nicht fern vom Elternhaus studieren können und für 31 % sind nichtexistente Studiengebühren wichtig. Schließlich sind für 30 % das gute Freizeitangebot und für 48 % die Atmosphäre am Hochschulort wichtig.
Man erfährt aus diesen Zahlen viel. Das wichtigste Ergebnis ist jedoch, dass sie auf ihre Weise die Wirklichkeit der Massenuniversität darstellen. Auf einer empirischen Ebene lässt sich die Bestimmung des Studierenden nicht finden, sondern nur eine Diversität von Bestimmungen, wie eben jene des bildungsfernen Hedonisten.
Das selbstbestimmte Studieren
Wie verhält es sich mit jener Gruppe von Studierenden, die mit »dem omnipräsente[n] Ruf nach selbstbestimmten Studieren […] ins Feld zieht«?10 Unterliegt diese in ihrem Anspruch auf Selbstbestimmtheit einem grundlegenden Missverständnis, der mit Fichte expliziert werden kann? Fichte kritisiert die Studenten seiner Zeit, indem er ihnen unterstellt, dass sie sich als »Berufsgruppe« mit eigenen Privilegien verstünden.11 Sie sind dies aber nicht, da sie bei Lichte betrachtet keinen Beruf ausüben, sondern für eine Reihe von Jahren eine Bildungsinstitution durchlaufen. Genauer polemisiert Fichte gegen die Idee, das Studieren sei Selbstzweck, das Studentendasein eine Lebensform. Es geht nicht darum, dass die »Selbstbestimmung« der Teilnehmenden an bestimmten sozialen Praktiken erst dann gerechtfertigt ist, wenn sich jene Teilnehmenden auch selbst erhalten können, wie dies in einem Beruf typischerweise der Fall ist; sondern es geht vielmehr darum, dass personale Bildung Berufsvorbildung ist. Gebildet werden soll eine autonome Person, die sich als solche weiterbilden kann.
Eine hellsichtige Kritik an einer falsch verstandenen Selbstbestimmung formuliert später auch Karl Marx in der Deutschen Ideologie im Zuge der Auseinandersetzung mit Max Stirner. Stirners »eigentliche Weisheit« bestehe darin, »daß es von Deinem Willen abhängt, ob Du denkst, lebst etc., überhaupt in irgendeiner Bestimmtheit bist. Sonst, fürchtet er, würde die Bestimmung aufhören, Deine Selbstbestimmung zu sein. Wenn Du Dein Selbst mit Deiner Reflexion oder nach Bedürfnis mit Deinem Willen identifizierst, so versteht es sich von selbst, daß in dieser Abstraktion Alles nicht Selbstbestimmung ist, was nicht durch Deine Reflexion oder Deinen Willen gesetzt ist, also auch z. B. Dein Atmen, die Zirkulation Deines Blutes, Denken, Leben pp.«12
Bezogen auf die studentische Praxis bedeutet dies, dass sie – will sie nicht zu einer rein voluntaristischen Veranstaltung verkommen und mit einem abstrakten und leeren Begriff von Selbstbestimmung operieren – eines gehaltvollen Begriffes von sich selbst bedarf, also ihre eigenen Bedingtheiten kennen muss. Bestimmte Forderungen verletzen den Begriff dieser Praxis und führen in einen (ontologischen) Selbstwiderspruch. So wäre etwa die Forderung nach einem lebenslangen Studium begrifflich unsinnig. Zwar erhebt niemand eine solche Forderung, aber es gibt Haltungen, welche dieser Forderung entsprechen. Dies betrifft manchmal auch die Forderung nach der Selbstbestimmung der Länge des Studiums, selbst wenn es sachliche Gründe dafür gibt, die Entscheidung über seine Länge in gewissem Ausmaß in die Hände der Studierenden zu geben. In wissenschaftlicher und generell berufspraktischer Hinsicht sollen die Studierenden zur Selbsttätigkeit angeleitet werden und dazu gehört die Einübung der notwendigen methodischen Fähigkeiten, die sich im Bakkalaureat nicht als gemeinsame Forschung darstellt, sondern erst in der »Berufsweiterbildung « zum Magister. Zur politischen Selbsttätigkeit gehört jedoch die kritische Auseinandersetzung mit der Institution, in der man sich nun einmal aufhält – auch wenn diese nicht in einem ritualisierten Klage- oder Protestritual enden sollte.
- 1Wolfgang Fach und Franz Häuser, »›Homo Studens‹. Was ihn erwartet, was er erwartet und was er erwarten darf«, in Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Heft 5 (2010), S. 179–193.
- 2Wilhelm von Humboldt, »Ueber die mit dem Koenigsbergischen Schulwesen vorzunehmende Reformen«. Auszug aus: Der Königsberger und der Litauische Schulplan, in Andreas Flitner und Klaus Giel (Hg.), Wilhelm von Humboldt. Werke in fünf Bänden, Band IV, Darmstadt 1964, S. 168–173.
- 3Immanuel Kant, »Der Streit der Fakultäten«, in Ders., Werkausgabe, Band 11, Frankfurt a. M. 1977, S. 261–393.
- 4Dies gilt erst einmal nur für Deutschland. In den USA ist die Trennung von oberer und unterer Fakultät gewissermaßen durchgeführt, Jura und Medizin sind als Masterstudiengänge an separaten Institutionen verankert. Allerdings hat der Bachelor – wenn man so generelle Aussagen überhaupt treffen kann – zumindest historisch einen anderen, stärker allgemeinbildenden Charakter als der Magister oder das Diplom hierzulande.
- 5Andrew Abbott, »›Welcome to the University of Chicago‹. The Aims of Education Address (for the class of 2006)«, September 26, 2002, http://www.ditext.com/abbott/abbott_aims.html (27.09.2010).
- 6Vgl. zum Folgenden: Christoph Heine u. a., »Informationsverhalten und Entscheidungsfindung bei der Studien- und Berufswahl – Studienberechtigte 2008 ein halbes Jahr vor dem Erwerb der Hochschulreife«, in Forum Hochschule 1/2010, http://www.his.de/pdf/pub_fh/fh-201001.pdf (27.09.2010).
- 7Ebd., S. 2.
- 8Ebd.; die erste Zahl bezeichnet im Folgenden den prozentualen Anteil der Nutzung, die zweite den prozentualen Anteil derjenigen, die das genutzte Angebot als nützlich einschätzten.
- 9Vgl. zum Folgenden: Christoph Heine u. a., »Studienanfänger im Wintersemester 2007/08. Wege zum Studium, Studien- und Hochschulwahl, Situation bei Studienbeginn«, in Forum Hochschule 16/2008, http://www.his.de/pdf/pub_fh/fh-200816.pdf (27.09.2010).
- 10Fach und Häuser, »›Homo Studens‹ […]« (Fn. 1).
- 11Vgl. Johann Gottlob Fichte, Ueber die einzig moegliche Störung der akademischen Freiheit, Berlin 1812.
- 12Karl Marx und Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, Berlin 1969 (= Marx-Engels- Werke, Band 3), S. 272.