Johann Christoph Gottsched: Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe.
Unter Einschluß des Briefwechsel von Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Im Auftrage der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig herausgegeben von Detlef Döring und Manfred Rudersdorf.
Band 4: 1736–1737. Herausgegeben und bearbeitet von Detlef Döring, Rüdiger Otto und Michael Schlott unter Mitarbeit von Franziska Menzel. Walter de Gruyter, Berlin, New York 2010. XLVIII und 674 Seiten.
Der Briefwechsel (insgesamt 218 Schreiben) des im Juli 2010 erschienenen 4. Bandes umfasst die Jahre 1736 und 1737 und zeigt Gottsched auf dem Gipfel seines Ruhmes und seiner Anerkennung als Dichtungstheoretiker, Sprachwissenschaftler, Philosoph, Theaterreformer und Publizist. In immer neuen Orten innerhalb des deutschsprachigen Raumes gewinnen seine Schüler Wirkungsmöglichkeiten, vor allem als Lehrer (in Gymnasien und in Privathaushalten) und als Geistliche. In ihren Briefen berichten sie über ihre beruflichen Erfolge im Sinne der Lehren und Ideen Gottscheds, aber auch über Schwierigkeiten. Vor allem die Einführung der Beschäftigung mit der deutschen Sprache in den Gymnasien findet vielerorts den heftigsten Widerstand der noch ganz der traditionellen Pflege der klassischen Sprachen verpflichteten Lehrer. Wer eine »deutsche Grammatic« einführen wolle, schreibt ein Hamburger Lehrer und Anhänger Gottscheds, werde einfach ausgelacht. Weitere in den Briefen immer wieder auftauchende Themen sind Fragen der Dichtungstheorie, der Übersetzung fremdsprachiger Bücher und der Drucklegung von Werken, um deren Vermittlung in der Verlagsstadt Leipzig Gottsched gebeten wird. Besonders interessant sind in dieser Hinsicht die ausführlichen Briefe des in Süddeutschland lebenden Geistlichen und Lehrers Jakob Brucker. Er will seine noch heute gerühmte mehrbändige Philosophiegeschichte in Leipzig bei dem Verleger Bernhard Christoph Breitkopf herausgeben und über Gottsched laufen alle im Detail notierten Verhandlungen. Nur relativ selten sind uns aus dem 18. Jahrhundert solche die Buchherstellung betreffenden Nachrichten in dieser Ausführlichkeit überliefert. In einigen Schreiben, insbesondere des Schauspieldirektors Johann Neuber, geht es um die Verbreitung von Gottscheds Ideen zur Reform des Theaters. Auch über die Vorgänge an den benachbarten Universitäten, vor allem Halle und Jena, erhält der Leser manche Nachricht aus den in Leipzig einlaufenden Briefen. Als ein vergebliches Bemühen wird sich Gottscheds Versuch herausstellen, den preußischen Kronprinzen Friedrich für die Beschäftigung mit der deutschen Sprache zu interessieren. Er widmet ihm seine »Ausführliche Redekunst«, über deren Präsentation beim Prinzen der Feldprediger des kronprinzlichen Regiments Gottsched ausführlichen Bericht abstattet. Immerhin ordnet Friedrich an, dass die »schönsten Stellen« des Buches für ihn angestrichen werden sollen.
Zu einem schwierigen, seine berufliche Existenz gefährdenden Problem wird die Auseinandersetzung mit Vertretern der lutherischen Orthodoxie. Diese sehen in der von Gottsched propagierten Philosophie Christian Wolffs eine Bedrohung des christlichen Glaubens. Als eine besondere Gefahr erscheint ihnen die von Gottsched propagierte »philosophische Predigt«, also die Übertragung der Prinzipien des Wolffianismus auf die Homiletik. Auf Betreiben Leipziger Geistlicher wird vor dem Oberkonsistorium in Dresden ein Verfahren gegen Gottsched eröffnet, das unter Umständen zur Amtsentsetzung führen kann. In der Tat muss er sich im September 1737 in Dresden auf das Schärfste »weisen« lassen. In dieser Situation erhofft sich Gottsched Unterstützung durch einen neuen Mäzen, den Reichsgrafen Ernst Christoph von Manteuffel in Berlin. Die Korrespondenz mit dem Grafen ist einer der wenigen überlieferten echten Briefwechsel Gottscheds, d. h. wir besitzen hier die Schreiben beider Partner. So erhalten wir u. a. ausführliche Nachrichten aus Gottscheds Feder über den Hergang der dann doch für ihn glimpflich endenden Untersuchungen des Oberkonsistoriums. Überhaupt wird nun der Briefwechsel mit Manteuffel bis zu dessen Umzug nach Leipzig (1741) die wohl wichtigste Quelle zu Gottscheds Biographie in jenen Jahren, über die wir verfügen. Zusätzliche Bedeutung erlangt diese Verbindung durch Frau Gottscheds Beteiligung an der Korrespondenz, die unabhängig von ihrem Mann mit dem Grafen einen intensiven Austausch von Gedanken und Nachrichten betreibt. Ein weiteres, die Gemüter in weiten Teilen Deutschlands erhitzendes Ereignis im Zusammenhang mit dem Thema Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft bildet der Streit um die sogenannte Wertheimer Bibel. Es handelt sich dabei um eine deutsche Übersetzung des Pentateuchs (fünf Bücher Mose), die ganz und gar dem Rationalismus der Schule Wolffs verpflichtet ist. Ihr Verfasser ist der Gottschedkorrespondent Johann Lorenz Schmidt, der mit der Inhaftierung und einer Anklage vor dem Reichshofrat in ärgste Bedrängnis gerät. Auch Gottsched und den anderen Leipziger Wolffianern droht durch diese Vorgänge neues Ungemach, denn sie hatten Schmidt in seinem Vorhaben ideell unterstützt bzw. bestärkt und mussten nun fürchten, in die Untersuchungen einbezogen zu werden. Eine Reihe der im Band abgedruckten Briefe gibt Auskunft über jene Vorgänge. Schmidt kann seinem Kerker entfliehen und gelangt nach Leipzig, wo er für kurze Zeit ein Versteck findet, um von hier aus in das sichere dänische Altona zu entkommen. Schließlich beteiligt sich noch Gottscheds Frau wenigstens indirekt an den Auseinandersetzungen mit den Theologen. Sie veröffentlicht anonym das Theaterstück »Die Pietistery im Fischbeinrock«, das die Pietisten, die zu den heftigsten Gegnern des Wolffinanismus zählen, mit der schärfsten Lauge des Spottes übergießt. In der Öffentlichkeit wird intensiv über die Verfasserschaft spekuliert, in Preußen wird das Stück sofort verboten. Der Name der Verfasserin wird erst viel später bekannt.
Manches erfahren wir über die Arbeit der weiterhin von Gottsched geleiteten Deutschen Gesellschaft, die u. a. die Herausgabe ihrer berühmten »Beyträge zur Critischen Historie der Deutschen Sprache« fortsetzt. Die Briefe an Gottsched bilden fast so etwas wie die Redaktionspost der Zeitschrift. Auch über die Rezeption des Blattes seitens der Leserschaft erfahren wir einiges. Das Fernziel, der Gesellschaft eine kurfürstlich/königliche Privilegierung zu verschaffen, bleibt allerdings auch jetzt unerfüllt, trotz aller erneuten Bemühungen Gottscheds. Bedenklich sind einige sich abzeichnende Krisenmomente, die 1738 in eine schwere Erschütterung der Sozietät münden werden. Ebenfalls noch hinter dem Horizont liegt eine andere Krise, der Literaturstreit mit den »Schweizern«, denn der (in größeren zeitlichen Abständen) mit Johann Jakob Bodmer in Zürich geführte Briefwechsel nimmt noch seinen Fortgang. Man tauscht untereinander Freundlichkeiten aus und Bodmer wird gar Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Einblicke in die Anfänge der »Klassikereditionen « gewährt die Diskussion zwischen Bodmer und Gottsched über die Prinzipien einer Edition der Werke von Martin Opitz, die von beiden als jeweils eigenes Unternehmen geplant wird.
Die Überlieferung des Briefwechsels wird in der Folgezeit immer dichter, sodass der fünfte Band, mit dessen Erscheinen im Frühsommer 2011 zu rechnen ist, nur noch anderthalb Jahre umfassen wird (1738 bis Juni 1739).