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600 Jahre Alma mater Lipsiensis

Zur Entstehungsgeschichte der fünfbändigen Gesamtgeschichte der Universität Leipzig1

Bekanntlich ist die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig eine mitteldeutsche Gelehrtengesellschaft mit Mitgliedern aus den drei Sitzländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dabei hat die Universität Leipzig – dem Standort geschuldet – seit alters her besondere Verbindungen zu ihrer jüngeren Schwester, der Akademie, die erst seit 1995 über ein eigenes Gebäude am Eingang des Leipziger Musikviertels verfügt. Seit der Gründungsfeier der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften am 1. Juli 1846 in der Aula der Universität Leipzig hat sich eine enge und höchst produktive Nachbarschaft zwischen der Hochschule und der Akademie herausgebildet, die über den Wandel der Zeiten hinweg den interdisziplinären Meinungsaustausch beharrlich gefördert und gepflegt hat – im Idealfall der Leibniz’schen Maxime gemäß, »theoriam cum praxi« im Interesse des allgemeinen Erkenntnisgewinns zusammenzuführen.

Die Universität bietet seit den Zeiten der Akademie-Gründung immer auch einen institutionellen und sozialen Raum, der notwendig ist, um in geeigneter Weise Forschungsstellen der Akademie über die Stadt verteilt unterzubringen. Dazu gehört auch die benachbarte, stark frequentierte Universitätsbibliothek, die Albertina, die am Schriftenaustausch der Akademie beteiligt und bis heute eine professionelle Treuhänderin der eingehenden wissenschaftlichen Gegengaben aus dem In- und Ausland geblieben ist.

Von einer besonders publizitätsträchtigen Bedeutung ist neuerdings zweifellos die gemeinsame Verleihung des Leipziger Wissenschaftspreises durch die Akademie, die Universität und die Stadt Leipzig. Hierdurch wird nicht nur das öffentliche Interesse auf die reiche Forschungs- und Bildungslandschaft in der Messestadt Leipzig gelenkt, sondern in einem ganz allgemeinen Sinn auch das Ansehen der Stadt als eines traditionellen Ortes der Wissenschaften und der Forschung in Mitteldeutschland gestärkt. Großangelegte Akademieprojekte befassen sich mit der Musikkultur der Familie Bach, mit den Werken Felix Mendelssohn Bartholdys und der Briefedition Johann Christoph Gottscheds, mit Repräsentanten des geistigen Lebens in Alteuropa also, deren Namen einst wie jetzt auf das engste mit der Stadt Leipzig und ihrem kulturellen innovatorischen Profil verbunden sind.

In diesem Kontext eines gut funktionierenden und vernetzten Kommunikationsraumes erwies sich die Universität Leipzig als ein wichtiger personeller und intellektueller Kristallisationspunkt mit nationaler und internationaler Ausstrahlungskraft. Die Beschäftigung mit der sechshundertjährigen Geschichte der Alma mater Lipsiensis über die großen Epochengrenzen, über die kulturellen und politischen Zäsuren einer wissenschaftlichen »longue durée« hinweg hat es vermocht, sowohl die Existenzweise und die Ausbildungsfunktion der Universität als auch die Mutationen und Reformschübe im zentralen Bereich der Forschung und der Lehre in einem gesamtgeschichtlichen Zusammenhang darzustellen und kritisch zu würdigen. Herausgekommen ist dabei eine fünfbändige problem- und quellenorientierte Gesamtgeschichte der Leipziger Universität, deren erste Bände im Jubiläumsjahr 2009, die beiden letzten im Jahre 2010 erschienen sind. Dabei sind die Querverbindungen und Rückwirkungen zur Akademie, insbesondere natürlich im 19. und 20. Jahrhundert, jeweils an geeigneter Stelle angemessen berücksichtigt worden.2

Während die Universität Leipzig aus Anlass ihrer Sechshundertjahrfeier erstmals eine wissenschaftlich aufgearbeitete, empirisch fundierte Gesamtgeschichte in mehreren Bänden erhalten hat, steht eine entsprechend gründlich recherchierte Entwicklungsgeschichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig noch aus. Allein schon wegen des kriegsbedingten beträchtlichen Material- und Aktenverlustes könnte sie nicht geschrieben werden, ohne die Geschichte der Leipziger Universität und ihrer benachbarten und überregionalen Schwesteranstalten, der wichtigen Korrespondenz- und Projektpartner der Akademie, in adäquater Weise einzubeziehen. Darin liegt eine gewisse, wenn auch nicht a priori garantierte Chance der Realisierbarkeit, freilich aber auch eine große methodische und wissenschaftsorganisatorische Herausforderung, ein solch schwieriges und zeitintensives Unternehmen über die Darstellung des üblichen normativen und institutionellen Handlungsrahmens hinaus in Angriff zu nehmen.3

Welche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen man schaffen muss, um im Herstellungs- und Arbeitsprozess Komplikationen im Kleinen wie im Großen zu vermeiden, verdeutlicht das schrittweise Heranreifen des Mammutprojekts der Leipziger Universitätsgeschichte über den konzentrierten Zeitraum von zehn Jahren hinweg. Auch die »Entstehungsgeschichte« der eigentlichen »Geschichte« ist ein durchaus spannendes und lehrreiches Kapitel der Organisations- und Wissenschaftsgeschichte einer Institution, die ihren Status als exponierte Stätte der Forschung und der Ausbildung von Generation zu Generation neu erkämpfen, neu profilieren und neu verteidigen muss. So ist die Universitätsgeschichte, wie in den neu erschienenen Bänden nachzulesen ist, keineswegs nur eine lineare Erfolgs- und Fortschrittsgeschichte aufgeklärter Menschheitsgeschichte, sondern gleichsam auch eine Geschichte innerer Kämpfe und disziplinärer Spannungen, eine Geschichte äußerer Bedrohung und autonomer Selbstbehauptung, eine Geschichte von Reformeuphorien und Reformblockaden, schließlich eine Geschichte von intellektuellen Protagonisten der Moderne wie der Antimoderne, in der sich die sozialen und politischen Gesellschaftskonflikte der jeweiligen Zeit wie in einem Brennpunkt zu spiegeln verstanden.4

Universitätsgeschichte bildet einen Teil von Geschichte überhaupt – diese Leitmaxime, die im Jahre 1982 von dem Gießener Allgemeinhistoriker Peter Moraw pointiert zu Papier gebracht wurde, darf jenseits allen Spezialistentums auch heute noch, fast 30 Jahre danach, ein hohes Maß an Gültigkeit beanspruchen.5 Universitätsgeschichte bedeutet nicht nur Bildungs-, Kulturund Wissenschaftsgeschichte im Rahmen der traditionellen Human- und Geisteswissenschaften, sondern sie strahlt ebenso interdisziplinär aus in die Bereiche der politischen Geschichte, der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte, der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte und ist zugleich ein wesentlicher Faktor für die Bewertung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse der Moderne und ihrer sozialen Trägergruppen. In auffälligem Kontrast zur generellen Bedeutung universitärer Bildung und Ausbildung steht freilich noch immer die eher defizitär behandelte Erforschung der einzelnen Universitäten und der ihr vorgeschalteten höheren Bildungsanstalten. Auch wenn der Forschungsstand insgesamt an empirischer Breite und Tiefe und damit auch an methodischem Profil gewonnen hat, so ist dies in der Regel, freilich nicht allein, Ausdruck anlass- und standortgebundener Forschungstätigkeit, bedingt durch die Dignität von Jubiläen, Zentenarfeiern, institutionellen Zäsuren und den Jahresmarken besonderer Gelehrtenbiographien.6

Auch die hier anzuzeigende erste zusammenhängende Gesamtgeschichte der sechshundert Jahre alt gewordenen Universität Leipzig gehört in diesen Kontext der jubiläumsbedingten Selbstdarstellung einer großen gelehrten Institution, die in ihrem intellektuellen Selbstverständnis über eine ununterbrochene lange Kontinuität in der Ausübung von Forschung und Lehre, von institutioneller Erneuerung und curricularer Reformanpassung verfügt. Um ein solches historiographisches Großunternehmen in angemessener Weise strukturieren und im vorgegebenen Rahmen zum Erfolg führen zu können, bedurfte es wie bei jeder monographischen Untersuchung auch hier methodischer, inhaltlicher und zeitlicher Prämissen, die es bei der Aufgaben- und Zielvorstellung von Anfang an konsequent zu beachten galt. Es sollte sich 2009 auf keinen Fall wiederholen, was hundert Jahre zuvor zum 500. Jubiläum der Universität nur notdürftig zustande gekommen war, nämlich eine fakultätsbezogene Verlegenheitslösung in segmentierten Einzeldarstellungen, die auf diese Weise das Scheitern der geplanten Gesamtgeschichte nur unzureichend aufzufangen verstand.7 Die vor mehr als acht Jahren neu gebildete universitätsgeschichtliche Kommission in Leipzig war sich daher im Grundsätzlichen einig über das methodische Verständnis einer modern verfassten, an den Quellen orientierten Universitätsgeschichte, die in der Folge ganz wesentlich die Forschungsarbeit der Autoren geprägt und angeleitet hat. Nicht das kleine Format von Aufsätzen, sondern der Verbund größerer monographischer Darstellungen war das Ziel der Fachgelehrten, die für die große Aufgabe einer universitären Gesamtgeschichte gewonnen werden konnten.

An dieser Stelle soll daher das methodische Verständnis von Universitätshistorie und deren Stellenwert im gegenwärtigen Spektrum der Geschichtswissenschaft in den Blickpunkt gerückt werden.8

Das institutionelle Gedächtnis der Universität ebenso wie das kollektive Gedächtnis der Universitätsangehörigen, die Bilder der Universität von sich selbst ebenso wie die Wahrnehmung der Universität durch die gesellschaftliche Umwelt stellten bekanntlich seit jeher entscheidende Faktoren eines jeden Reform- und Veränderungsdiskurses dar. Das war, wie allgemein anerkannt, im alteuropäischen Humanismus und in der Aufklärung so; das war auch zu Zeiten der preußischen Universitätsreform unter Wilhelm von Humboldt am Beginn des 19. Jahrhunderts nicht viel anders als zu den Glanzzeiten der klassischen preußisch-deutschen Universität um 1900 oder heute nach den tiefen Umbrüchen des 20. und den Konsequenzen des Bologna-Prozesses des noch jungen 21. Jahrhunderts.

Universitätsgeschichtsschreibung heute darf daher nicht als antiquarische Traditionspflege zur zeremonialen Umrahmung von Feiern bei runden Geburtstagen und Jubiläen missverstanden, ja missbraucht werden. Sie sollte vielmehr im kritischen Rückblick auf die Vergangenheit auch zum Verständnis der Gegenwart und ihrer Probleme beitragen, nicht durch unreflektierte Rückprojektion gegenwärtiger Maßstäbe in zurückliegende Zeiten, auch nicht durch gewaltsame Aktualisierung historisch ferner Phänomene, sondern gerade auch in dem Bemühen um die Darstellung der Andersartigkeit, der Wandlungsfähigkeit der Institution und ihrer Identität in vergangenen Zeiten. Hinter der Chiffre »Universität« verbergen sich daher durchaus verschiedene organisatorische Ausprägungen und institutionelle Typen zu je unterschiedlichen Zeiten.

Dass die Universitätsgeschichte aber nicht bei einer kurzgegriffenen Rückschau nur auf die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts – so zentral und so wichtig sie unbestritten ist – stehen bleiben kann, versteht sich eigentlich von selbst. Ist die Universität doch neben der christlichen Kirche die älteste, noch immer lebendige Institution der europäischen Geschichte: Sie hat, wie der Tübinger Universitätshistoriker Anton Schindling zu Recht festgestellt hat, eine die Jahrhunderte überspannende signifikante Tiefendimension, die nicht nur äußerlich in weit zurückliegenden Gründungsvorgängen, in traditionellen Universitätsnamen, alten Gebäuden und Insignien zum Ausdruck kommt, sondern auch noch immer in institutionellen Ordnungen, in Fächer- und Fakultätsstrukturen, in Prüfungs- und Qualifikationskriterien, in Lehrtraditionen und Schulzusammenhängen, in Beständen und Traditionen des Wissens, wie sie nicht nur in Lehrinhalten vorkommen, sondern auch in den großen universellen Büchersammlungen der alten Universitätsbibliotheken kulturbewahrend vereinigt sind – und zwar diesseits der digitalen Modernisierung.9

Alte Universitäten gibt es in Deutschland gewiss viele; sehr alte, bis ins Mittelalter reichende Universitäten nur einige wenige – in Leipzig sind es bekanntlich 600 Jahre seit der Gründung, in Heidelberg, der ältesten Hohen Schule im heutigen Deutschland, noch 23 Jahre mehr. Die deutsche Universität als Institution sollte sich daher ihrer bis ins 14. Jahrhundert auf Prag, Wien und Heidelberg, auf Köln und Erfurt zurückreichenden mehr als 600-jährigen Geschichte in besonderer Weise bewusst sein. Universitätsgeschichtsschreibung muss andererseits jedoch kritisch mit allen nur vermeintlichen Kontinuitäten umgehen; sie muss in der Lage sein, anachronistische Rückprojektionen aus der klassischen in die vorklassische »alteuropäische« Zeit der Universitäten aufzulösen, sie von Anfang an zu vermeiden. Darin liegt ein großes Potential ihrer Aufgabe und eine Herausforderung an die Seriosität ihrer Korrektivfunktion gegenüber falschen Linearisierungen, eine Herausforderung an ihre analytische und ihre darstellerische Gestaltungskraft. So drängen sich aus der aktuellen Reform- und Zäsurerfahrung heraus Fragen auf nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten, nach Formen des Neubeginns, nach langer Dauer und tief greifendem Wandel, nach Fremdem und Vertrautem in der Vergangenheit der Universitäten, bei denen gerade Leipzig angesichts der Brüche und der Bedrängnisse im zurückliegenden Jahrhundert der Extreme als ein eindrucksvolles Beispiel dafür stehen kann, wie unterschiedlich universitäre Erfolgsgeschichten und akademische Leistungsbilanzen in Forschung und Lehre im Wettbewerb mit anderen Konkurrentinnen ausfallen können.10

Angeregt durch die Leitung der Universität wurde frühzeitig eine Kommission aus universitätsinternen Experten eingesetzt, die zur Aufgabe hatte, unter Wahrung der Disziplinenvielfalt und der unterschiedlichen Fächerkulturen nach dem Scheitern des Versuchs von 1909 erstmals die Erarbeitung einer umfassenden quellenfundierten und darstellerisch ansprechenden Leipziger Universitätsgeschichte in Angriff zu nehmen. Der interdisziplinär zusammengesetzten Kommission gehören folgende Professoren an: Enno Bünz, Ulrich von Hehl, Günther Heydemann, Manfred Rudersdorf, Hartmut Zwahr (alle Historisches Seminar), Detlef Döring (Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig), Bernd-Rüdiger Kern (Juristenfakultät), Dieter Michel (Fakultät für Physik und Geowissenschaften), Ortrun Riha (Medizinische Fakultät), Günther Wartenberg († 2007) und Klaus Fitschen (Theologische Fakultät), Thomas Topfstedt (Institut für Kunstgeschichte) und Gerald Wiemers (Universitätsarchiv). Mit Ortrun Riha, Dieter Michel und Manfred Rudersdorf sind zugleich drei Ordentliche Mitglieder der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in diesem Gremium vertreten, das zunächst von Günther Wartenberg, nach seinem Tod von Manfred Rudersdorf geleitet wurde.11

Die interdisziplinäre Herangehensweise an die Aufarbeitung der Geschichte entsprach von Anfang an dem Auftrag der Kommission. So entstand nach langen, teilweise kontrovers geführten Debatten die Konzeption einer umfassenden mehrbändigen Universitätsgeschichte, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die universitäre Entwicklung über die Ebene der Fakultäten und Institute hinaus sowohl in einen gesamtgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen, als auch in ihren geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Bezügen darzustellen. Die fünfbändige Universitätsgeschichte ist wie folgt gegliedert:

Geschichte der Universität Leipzig in fünf Bänden.

Herausgegeben im Auftrag des Rektors von der Senatskommission zur Erforschung der Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2009/10.

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Band 1: Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009. Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit 1409–1830. Von Enno Bünz, Manfred Rudersdorf und Detlef Döring.

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Band 2: Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009. Das 19. Jahrhundert 1830/31–1909. Von Hartmut Zwahr und Jens Blecher.

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Band 3: Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009. Das 20. Jahrhundert 1909–2009. Von Ulrich von Hehl, Günther Heydemann, Klaus Fitschen und Fritz König.

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Band 4: Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009. Fakultäten, Institute und Zentrale Einrichtungen, in zwei Halbbänden. Herausgegeben von Ulrich von Hehl, Uwe John und Manfred Rudersdorf.

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Band 5: Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009. Geschichte der Leipziger Universitätsbauten im urbanen Kontext. Herausgegeben von Michaela Marek und Thomas Topfstedt.

Während die Bände 1 bis 3 chronologisch-strukturell einen epochenübergreifenden historischen Längsschnitt von 1409 bis 2009 präsentieren, umfasst der Band 4 die Geschichte der einzelnen Fakultäten und Disziplinen, und Band 5 beschreibt kunst- und kulturhistorisch die Geschichte der Universitätsbauten vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Mit dem fünfbändigen Werk liegt jetzt erstmals ein fundierter, auf Quellenstudien und zahlreichen wissenschaftlichen Vorarbeiten beruhender Überblick über die Geschichte der Leipziger Alma mater vor.

Der erste Band widmet sich den ersten 400 Jahren der Universität im Kontext der alteuropäisch-ständestaatlich geprägten Geschichte der Vormoderne. Schwerpunkte bilden die Gründungsvoraussetzungen der Alma mater Lipsiensis, die Einstellung der Leipziger Gelehrten zur scholastischen Lehrmethode und zur Wittenberger Reformation, das Verhältnis von orthodoxem Luthertum und universalem Humanismus sowie die Bedeutung der Universität für die Aufklärung und die bürgerliche Gelehrtenwelt im Gefolge der Französischen Revolution. Im zweiten Band findet die klassische Universität des 19. Jahrhunderts, einer Hochzeit der Leipziger Hohen Schule, geprägt durch die konstitutionellen Universitätsreformen, die 48er-Revolution und das preußisch-deutsche Kaiserreich, ihre Darstellung. In einem Exkurs werden die Beziehungen zwischen Universität, der Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft, der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und der Historischen Kommission skizziert. Die durch zwei Kriege und zwei Diktaturen geprägte universitäre Entwicklung des 20. Jahrhunderts mit ihren Brüchen und ihren Neuanfängen wird im dritten Band auf breiter empirischer Basis erforscht und differenziert dargestellt.

Band 4 umfasst die Geschichte und Entwicklung der vierzehn Fakultäten und der alten traditionellen Zentralen Einrichtungen, wie der Universitätsbibliothek, der Kunstsammlung der Universität (Kustodie), des Universitätsarchivs, des Deutschen Literaturinstituts sowie des Rechenzentrums. Mit diesem Band, der insgesamt 56 Beiträge von über 90 Autoren enthält, entstand ein eindrucksvolles Gemeinschaftswerk der heutigen res publica litteraria an der Leipziger Universität, das in seiner spezifischen Anlage, in seiner Breite und Vollständigkeit zweifellos einen Solitär in der deutschen Universitätslandschaft der Gegenwart darstellt.

Die Architektur und Baugeschichte der Universität Leipzig wird im Band 5 von zwölf Autorinnen und Autoren ausführlich präsentiert. Erstmals wird die universitäre Baugeschichte im Kontext der städtebaulichen und architekturhistorischen Entwicklung der Stadt Leipzig dargestellt. Besondere Aufmerksamkeit verdient neben dem Aufsatzteil der umfangreiche Katalog aller Universitätsbauten, der eine Fülle von Informationen zur Architektur-, Bau- und Nutzungsgeschichte der einzelnen Gebäude stichwortartig darbietet.

Das Gesamtprojekt der fünfbändigen »Geschichte der Universität Leipzig« ist im Auftrag des Rektors von der Senatskommission herausgegeben und verantwortet worden. Der Leipziger Universitätsverlag hat in professioneller Weise die verlegerische Betreuung übernommen. Die hohen Druckkosten, die das Gesamtwerk verursacht hat, übernahm dankenswerterweise die Horst-Springer- Stiftung für neuere Geschichte Sachsens.

Eine eigens vom Rektor eingerichtete und von der Kommission betreute Publikationsreihe, die »Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte«, kurz: BLUWiG genannt, hat über viele Jahre hinweg thematisch wie chronologisch breit gestreute fächerübergreifende Qualifizierungs- und Forschungsarbeiten zum Druck gebracht, die einen besonderen Anreiz für die wissenschaftliche Nachwuchsförderung darstellten. Studenten, Doktoranden und Postgraduierte haben sich dabei große Verdienste erworben. Deren Forschungsergebnisse sind über den Weg der neu geschaffenen BLUWiG-Reihe selbstverständlich in die große Universitätsgeschichte eingeflossen. Bislang sind in dieser bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig verlegten Reihe bereits 23 stattliche Bände erschienen, darunter zahlreiche Magisterarbeiten, Dissertationen und eine Habilitationsschrift.

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Die fünfbändige Gesamtgeschichte ist auf diese Weise bemüht, die vergangenen Ereignisse unvoreingenommen und auf empirischer Grundlage in das kollektive Gedächtnis der Universität zu rufen. Sie stellt keine unreflektierte oder gar eindimensionale, harmonisierende Jubiläumsschrift dar. Nüchternheit, Offenheit und Kritik prägen das Bild. Die Bände spiegeln wider, dass zur sechshundertjährigen Geschichte der Universität neben den Höhepunkten und Erfolgen der wissenschaftlichen Entwicklung auch die dunklen Kapitel der Alma mater gehören. Der Analyse der Brüche, der Bedrängnisse und der Fehlleistungen, insbesondere im »langen« 20. Jahrhundert, ist daher ausreichend Raum zugestanden worden.

Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen institutionellen Geschichte spiegelt gleichsam die gegenwärtige Entwicklung der Alma mater Lipsiensis. Diese befand sich stets in einem Wechsel von Kontinuitäten und Diskontinuitäten, sie ist als Gesamtinstitution Ausdruck von Beständigkeit und war zugleich doch tief greifenden Wandlungen unterworfen. Die vielfältigen universitätsgeschichtlichen Veranstaltungen, die beeindruckende Jubiläumsausstellung12 und die Bände der Universitätsgeschichte selbst präsentieren die großen Umbruchphasen im europäischen Renaissance-Humanismus, in der Aufklärung, zur Zeit des Neuhumanismus Anfang des 19. Jahrhunderts und nicht zuletzt in der Glanzzeit der klassischen deutschen Universität um 1900. Aber auch die politisch-ideologisch motivierten Umbrüche des 20. Jahrhunderts im Gefolge der beiden Weltkriege sind Ausdruck eines extremen Wandels, eines dialektischen Widerspiels von Zäsur, Indoktrination, Überlebensräson und Neuanfang.

Die identitätsstiftende Bedeutung der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte für das intellektuelle und kulturelle Selbstverständnis einer Universität darf sich demnach also eines hohen Stellenwerts erfreuen. So bleibt am Schluss der Wunsch der Herausgeber und Autoren, dass die vorgelegten Bände bei Lehrenden, Studierenden und Lesern außerhalb der Universität interessierte Aufnahme finden und die Bereitschaft zu kritischer Auseinandersetzung erzeugen – sowohl mit der Geschichte der Leipziger Universität als auch mit Entscheidungen und Entwicklungen, die ihre Zukunft prägen werden.

  1. 1Ein ausführlicher Bericht über Entstehung und Publikation der Gesamtgeschichte der Leipziger Universität ist in dem Dokumentationsband »Das Jubiläumsjahr der Universität Leipzig 2009« publiziert, der, herausgegeben von Magnifizenz Franz Häuser, im Leipziger Universitätsverlag erscheint.
  2. 2Vgl. zum Gesamtzusammenhang den Überblick von Manfred Rudersdorf, »Universitätsgeschichte im Jubiläumsjahr. 600 Jahre Alma mater Lipsiensis 1409– 2009«, in Die Leipziger Rektoratsreden 1871–1933. Reden zur feierlichen Übergabe am 19. März 2009, Leipzig 2009 (= Leipziger Universitätsreden, Neue Folge Heft 108), S. 27–44.
  3. 3Nach wie vor eine der besten Akademiegeschichten hat bislang die Bayerische Akademie der Wissenschaften zu München erhalten. Vgl. Ludwig Hammermayer, Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1 Kallmünz 1959, Neudruck München 1983; Bd. 2 München 1983. – Zur Berliner Akademie vgl. das ältere Werk von Adolf (von) Harnack, Geschichte der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 3 Bde., Berlin 1900, Neudruck Hildesheim 1970. – Für die Leipziger Akademie steht das aktuelle Dissertationsprojekt von Saskia Paul kurz vor der Vollendung: Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig von ihrer Reorganisation nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Akademiereform in den frühen 70er Jahren. Betreuer der Dissertation sind die Professoren Detlef Döring und Manfred Rudersdorf (Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig / Universität Leipzig).
  4. 4Vgl. dazu neuerdings die problemorientierten, interdisziplinär ausgerichteten Beiträge in folgendem Sammelband: Manfred Rudersdorf, Wolfgang Höpken und Martin Schlegel (Hg.), Wissen und Geist. Universitätskulturen, Leipzig 2009 (= Symposium anlässlich des 600-jährigen Jubiläums der Universität Leipzig in der Alten Börse zu Leipzig).
  5. 5Peter Moraw, »Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte«, in Peter Moraw und Volker Press (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte, Marburg 1982, S. 1–43, hier S. 7–23.
  6. 6Dazu zuletzt mit interessanter Akzentsetzung Matthias Asche und Stefan Gerber, »Neuzeitliche Universitätsgeschichte in Deutschland. Entwicklungslinien und Forschungsfelder«, in Archiv für Kulturgeschichte 90 (2008), S. 159–201; Thomas Töpfer, »Bildungsgeschichte, Raumbegriff und kultureller Austausch in der Frühen Neuzeit. ›Bildungslandschaften‹ zwischen regionaler Verdichtung und europäischer Ausstrahlung«, in Michael North (Hg.), Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 115–139. – Von grundsätzlicher Bedeutung: Notker Hammerstein, Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, München 2003; Anton Schindling, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit 1650–1800, 2. Auflage, München 1999.
  7. 7Hierzu nähere Einzelheiten: Die Feier des Fünfhundertjährigen Bestehens der Universität Leipzig. Amtlicher Bericht im Auftrage des akademischen Senats erstattet von Karl Binding, Leipzig 1910, S. 3–17; Werner Fläschendräger, »›… daß eine Universitätsgeschichte in Zukunft noch herausgegeben werde‹. Gescheiterte Bemühungen um eine Geschichte der Alma mater Lipsiensis zur 500-Jahr-Feier 1909«, in Lothar Rathmann (Hg.), Leipziger Beiträge zur Universitätsgeschichte, Heft 1, Leipzig 1987, S. 15–30.
  8. 8Hier folge ich im Wesentlichen den programmatischen Forderungen von Peter Moraw, Peter Baumgart, Notker Hammerstein und Anton Schindling, die in theoretischen Exkursen wie in exemplarischen Fallstudien die Bedeutung, die Reichweite, aber auch die Grenzen einer als modern verstandenen, komparatistisch angelegten Universitätsgeschichtsschreibung mit Nachdruck hervorheben. Dabei stehen in der Regel Konstanz, Reformdruck und Wandlungsfähigkeit der Universitäten im alteuropäischen Kultur- und Zeitkontext im Vordergrund, und zwar sowohl hinsichtlich der normativen Organisationsund Institutionengeschichte als auch im Hinblick auf den curricularen Lehr- und Fächerkanon und die Dynamik der neuzeitlichen Wissenschaftsgeschichte. Vgl. dazu insbesondere Peter Moraw, »Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte«, in Peter Moraw und Volker Press (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte, Marburg 1982, S. 1–43; Peter Baumgart, Universitäten im konfessionellen Zeitalter. Gesammelte Beiträge, Münster 2006; Notker Hammerstein, »Die deutschen Universitäten im Zeitalter der Aufklärung«, in Zeitschrift für historische Forschung 10 (1983), S. 73–89; Anton Schindling, »Deutsche Universitäten in der Neuzeit: Eine Einführung in ihre Erforschung mit Würdigung der Arbeiten von Peter Baumgart«, in Peter Herde und Anton Schindling (Hg.) unter Mitarbeit von Matthias Asche, Universität Würzburg und Wissenschaft in der Neuzeit. Beiträge zur Bildungsgeschichte, gewidmet Peter Baumgart anläßlich seines 65. Geburtstages, Würzburg 1998, S. 15–35.
  9. 9Schindling, »Deutsche Universitäten in der Neuzeit« (Fn. 8), S. 17–24.
  10. 10Vgl. hierzu paradigmatisch den Sammelband: Ulrich von Hehl (Hg.), Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur. Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952, Leipzig 2005, hier besonders die Einleitung des Herausgebers, S. 19–50.
  11. 11Mit der Unterstützung des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst in Form einer Anschubfinanzierung sowie der Mittelausstattung durch das Rektoratskollegium der Universität konnte 2002 eine Koordinierungsstelle im Historischen Seminar mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle eingerichtet werden, die zunächst von dem Theologen Dr. Andreas Gößner, nach dessen Ausscheiden Ende 2005 von dem Bildungshistoriker Dr. Jonas Flöter und dem Historiker Sebastian Kusche M. A. wahrgenommen wurde. Seit Anfang 2007 übernahm der Historiker Uwe John die Aufgabe der wissenschaftlichen Gesamtredaktion der fünfbändigen Universitätsgeschichte.
  12. 12Erleuchtung der Welt. Sachsen und der Beginn der modernen Wissenschaften. Ausstellung zum 600. Jubiläum der Gründung der Universität Leipzig im Alten Rathaus zu Leipzig, 8. Juli – 6. Dezember 2009. Vgl. auch Detlef Döring, »Die ›Erleuchtung der Welt‹. Ein Bericht über die Jubiläumsausstellung anlässlich des 600. Jahrestages der Gründung der Universität Leipzig«, in Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Heft 3 (2009), S. 23–41.
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Heft 5 (2010)
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