Bericht über das interdisziplinäre Symposium »Skin Meets Gut«, Leipzig, 29.–30. Januar 2010
Unter der Schirmherrschaft der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und unter der wissenschaftlichen Leitung von Jan C. Simon1 und Joachim Mössner2
Die Entstehung von Entzündungen in Haut und Darm stand im Mittelpunkt eines zweitägigen Symposiums an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Entzündliche Erkrankungen an Grenzflächen wie der Haut haben in den letzten Jahren dramatisch zugenommen, so ist beispielsweise die Häufigkeit des Vorkommens von Allergien mittlerweile besorgniserregend. Nach dem großen Erfolg der ersten Veranstaltung »Skin Meets Gut« fand dieses interdisziplinäre Symposium nun zum zweiten Mal statt. Es sollte sowohl etablierten Ärzten und Wissenschaftlern als auch dem akademischen Nachwuchs aus den Bereichen Dermatologie, Gastroenterologie und klinische Immunologie ein stimulierendes Diskussionsforum bieten. Trotz der auf allen Seiten immer knapper werdenden Zeit bot dieses Symposium die Gelegenheit, »über den eigenen Tellerrand zu schauen«, Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Ideen und Visionen auszutauschen sowie Kontakte und Kooperationen zu fördern. Neben den wissenschaftlichen Schwerpunktthemen »Barriere«, »antimikrobielle Peptide « und »Genetik« wurden wichtige forschungspolitische Zukunftsthemen mit Vertretern der verschiedenen Fachdisziplinen, Förderinstitutionen und der Industrie diskutiert. Dazu war es gelungen, renommierte Referenten und Moderatoren zu gewinnen.
Damit setzte dieses zweite Symposium die Tradition des 2009 erfolgreich abgehaltenen Symposiums »Skin Meets Gut« fort. Ziel war es, das Einende und das Trennende der beiden Grenzorgane herauszuarbeiten, in erster Linie durch die Betrachtung des angeborenen Immunsystems an Paradebeispielen sehr komplexer Erkrankungen wie der Psoriasis und des Morbus Crohn.
Die erste Sitzung »Aufgaben des angeborenen Immunsystems an den Grenzflächen Haut und Darm« wurde von R. Kalden (Erlangen) moderiert. U. Mrowitz (Kiel) erläuterte am Beispiel der Psoriasis die Komponenten des »innate« Immunsystems, beginnend mit der Barriere der Haut, die sich physikalisch, chemisch, zellulär und immunologisch erklärt. Keratinozyten und interzelluläre Lipide ahmen ein Ziegel-und-Mörtel-Modell (»brick-mortar-model «) nach. Langerhans-Zellen repräsentieren die erste immunologische Barriere, Blutgefäße mit Granulozyten, Makrophagen, dermalen dendritischen Zellen die zweite immunologische Abwehrfront. Natürlich gehen Mechanismen der angeborenen Immunabwehr in solche der erworbenen über. Die antimikrobiellen Peptide vermögen neben der Abtötung von Bakterien zahlreiche andere biologische Vorgänge zu aktivieren. Darüber hinaus wurde auf die sogenannten Toll-like-Rezeptoren eingegangen. Auch die genetisch determinierten Strukturproteine tragen als epidermaler Differenzierungskomplex im Sinne von »late cornified envelope proteins« zur Abwehr bei. Filaggrine gehören aufgrund ihrer hohen Wasserbindungsfähigkeit zum »natural moisturizing factor«. Nicht zuletzt begünstigt der neurohormonale Stress (»corticotropin releasing factor«, Proopiomelanocortine) das Abwehrverhalten der Haut und den »cross talk« mit T-Zell-abhängigen Aktivierungen von Zytokinen wie Interleukin- 22, -17 und Interferon-y. Die Psoriasis wird nach dieser neuen Auffassung als Barrieredefekt definiert, der Entzündungsmechanismen und T-Zellabhängige Immunreaktionen auslöst.
M. F. Neurath (Erlangen) erläuterte die pathogenetischen Vorstellungen beim Morbus Crohn anhand eigener Arbeiten mit genetisch defizienten Mausstämmen. So zeigt sich modellhaft eine chronisch entzündliche Darmerkrankung bei Mäusen, in denen der Inhibitor von NF-kB IkkB defekt ist. Ähnliche Phänotypen lassen sich auch bei Mausstämmen, die defizient für die Zytokine IL-17 und IL-22 sind, beobachten. Besondere Bedeutung scheint in letzteren Modellen den CD11c-positiven dendritischen Zellen in der lamina propria des terminalen Ileums zuzukommen. Desweiteren stellte M. Neurath neue technische Entwicklungen wie die konfokale Laser-Endomikroskopie vor, die eine nahezu der mikroskopischen Histologie gleichwertige Auflösung endoskopischer Bilder erlaubt.
In der zweiten Sitzung wurde »die natürliche Barriere an Haut und Darm: antimikrobielle Peptide (AMP)« besprochen (Moderation U.-F. Haustein, Leipzig). R. Gläser (Kiel) betonte, dass das erste AMP 1995 aus Psoriasisschuppen (Psoriasin) in Kiel entdeckt wurde. Seither ist die Zahl der AMP auf über 1 500 angewachsen. Es handelt sich um hoch konservierte Peptide, die bereits bei Bakterien vorkommen (Antibiose). Ein großer Teil wird von Epithelzellen exprimiert, so die ß-Defensine und die RNAse 7. Sie töten grampositive und gramnegative Bakterien (z. B. E. coli) sowie Hefepilze ab und bieten eine Erklärung, warum die Psoriasishaut trotz ihres Barrieredefektes keine bakteriellen Hautinfektionen aufweist. Die erhöhten Werte von ß-Defensin im Serum von Psoriasispatienten korrelieren gut mit der Krankheitsaktivität im PASIScore. Einige AMP stammen aus Granulozyten (Cathelicidin = LL37, Lysozym), Dermcidin aus dem Schweiß. Bei der Psoriasis sind die AMP deutlich erhöht. Bei der atopischen Dermatitis finden sich trotz der erwarteten Erniedrigung weniger deutliche Steigerungen der AMP als bei Psoriasis, wobei Dermcidin, das aus Schweißdrüsenepithelien stammt, bei der atopischen Dermatitis erniedrigt ist. Die Frage bleibt offen, warum die vorhandenen AMP-Konzentrationen bei der atopischen Dermatitis nicht ausreichen, eine Besiedelung und Sekundärinfektion mit Staphylococcus aureus zu verhindern. Im Rahmen experimenteller Barrierestörungen durch »tape-stripping« konnte bei gesunden Probanden eine sehr schnelle und effektive Induktion von Psoriasin erreicht werden.
E. F. Stange (Stuttgart) beschrieb den Morbus Crohn als eine bakterielle Erkrankung, bei der eine defizitäre Bildung von AMP seitens der in der Tiefe der Krypten gelegenen Paneth-Zellen auf der Basis eines genetischen Defektes nachgewiesen wurde. Unter anderem konnte er zeigen, dass durch Probiotika die Synthese von Defensinen induziert wird. Für ihn ist die lange Zeit diskutierte Autoimmungenese von entzündlichen Darmerkrankungen obsolet. Die beobachteten Immunphänomene bei M. Crohn und Colitis ulcerosa seien sekundär zu einer vorbestehenden Barrierestörung.
In der dritten Sitzung wurde die Bedeutung genetischer Faktoren für Ätiologie und Pathogenese chronischer Entzündungen an Haut und Darm unter Moderation von W.-H. Boehnke (Frankfurt) besprochen. K. Reich (Hamburg) erläuterte zunächst moderne Verfahren zur Populationsgenetik. Er ging danach auf krankheitsassoziierte Gene bei der Psoriasis ein. Die größte Assoziation zeigt sich im sogenannten PSORS1-Lokus mit HLA-Cw6. Weitere Loci mit geringeren LOD-Scores wurden kürzlich im TNFa-Locus sowie in den IL12-, IL23- und IL23-Rezeptor-Loci beschrieben. Interessanterweise ergeben sich Unterschiede zwischen einer Psoriasis mit ausschließlicher Hautbeteiligung (Psoriasis vulgaris) und einer Psoriasis Arthritis. W. Schreiber (Kiel) stellte seine umfangreichen Arbeiten zur Genetik des Morbus Crohn vor. Die stärksten Assoziationen finden sich im NOD2-Gen. Interessanterweise prädisponieren »single nucleoptide polymorphisms« (SNPs) im NOD2-Gen auch für eine Reihe anderer chronisch entzündlicher Erkrankungen wie Asthma bronchiale. Gen-Umwelt-Interaktionen sind möglicherweise für diese unterschiedlichen Krankheitsphänotypen verantwortlich. Um diese Interaktionen aufzuklären, sei eine Umkehrung des bisherigen Forschungsansatzes notwendig, d. h. der Rückschluss vom Patientenphänotyp zurück auf den Genotyp.
In der vierten und fünften Sitzung zu den Themen »Translationale Forschung und ihre Umsetzung in klinischen Studien: Was brauchen wir in Deutschland?« (Moderation W. Fleig, Leipzig) und »Förderung klinischer Forschung über Drittmittel und Industrie – ein Interessenkonflikt?« (Moderation J. Mössner, Leipzig) wurden durch die Präsidenten der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (T. Luger, Münster) und der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (G. Adler, Ulm) sowie C. Sorg (Freiburg), B. Witlig (Wiesbaden) und M. Löffler (Leipzig) die Erfordernisse für eine erfolgreiche biomedizinische Forschung in Deutschland diskutiert. Als Ergebnis soll ein Memorandum zur Politikberatung erarbeitet werden. In der abschließenden sechsten Sitzung »Zukunftsthemen in der Forschung« (Moderation J. Simon, Leipzig) stellten M. Röcken (Tübingen) und M. Zeitz (Berlin) dar, welche Forschungsthemen sie für die Grenzflächenorgane Haut und Darm für zukunftsträchtig halten.
- 1Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Leipzig, AöR, Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.
- 2Direktor der Klinik und Poliklinik für Gastroenterologie und Rheumatologie, Universitätsklinikum Leipzig, AöR, Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.