Kurt Schwabe. Chemiker, Hochschullehrer, Rektor, Akademiepräsident, Unternehmer
Von Heiner Kaden, S. Hirzel, Stuttgart/Leipzig 2011, 285 Seiten, 56 Abbildungen, 4 Tabellen, Festeinband
Die Wahl des Chemikers Kurt Schwabe zum Präsidenten der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig im Jahr 1965 war der Höhepunkt im Leben eines Wissenschaftlers, der stets die wissenschaftliche Arbeit als Elektrochemiker im Mittelpunkt seines Schaffens gesehen hat.
Mit dem jetzt erschienenen Buch liegt erstmals eine ausführliche Schilderung des Lebensweges und der Leistungen von Schwabe vor. Für die Biographie wurden zahlreiche Originaldokumente und Unterlagen von Archiven in Berlin, Bonn, Dresden, Hainichen, Leipzig, Reichenbach/Vogtl. und Waldheim/Sa. ausgewertet. Außerdem wurden Zeitschriften, Buchdokumente, Briefe und andere Quellen zu Rate gezogen.
Das Vorwort des Buches hat Professor Elke Blumenthal, Ordentliches Mitglied der Philologisch-historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, geschrieben. In ihrem Beitrag nimmt sie Bezug auf eine persönliche Begegnung mit Schwabe. Sie macht darauf aufmerksam, dass sich Schwabe in der Zeit seiner Präsidentschaft besonders um die Zuwahl von Geisteswissenschaftlern in die Akademie bemüht hat, um die Ausgeglichenheit der Mitgliederzahl von Naturwissenschaftlern und Medizinern einerseits und Geisteswissenschaftlern andererseits herzustellen.
Von 1949 bis 1970 war Schwabe Ordentlicher Professor für Elektrochemie und physikalische Chemie sowie Direktor des gleichnamigen Instituts der Technischen Hochschule bzw. Technischen Universität Dresden. In dieser Zeit hat er einen bedeutenden Teil seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen verfasst, es sind mehr als 500. Ihre Aufstellung wird erstmals vollständig vorgelegt. Die Publikationen sind zum großen Teil in angesehenen internationalen Zeitschriften erschienen. Mit etwa 520 Diplomanden und 280 Doktoranden, die bei ihm gearbeitet haben, hat er einen wesentlichen Beitrag zur Ausbildung von Studenten in den Naturwissenschaften und zu ihrer Qualifizierung geleistet. Trotz einer gewissen Strenge war er in der Studentenschaft sehr beliebt. Deshalb und wegen seines hohen wissenschaftlichen Ansehens bewarben sich Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen bei ihm, so neben Chemikern u. a. Physiker und Elektroniker.
Im Jahr 1961 wurde Schwabe zum ersten Rektor der Technischen Universität Dresden, die aus der Technischen Hochschule Dresden hervorging, gewählt. Er hatte das Amt bis 1965 inne. Dresden wurde so Standort der erst zweiten Technischen Universität in Gesamtdeutschland – nach Westberlin – überhaupt. Schwabes Arbeit als Hochschullehrer und seine nicht einfache Mission als Rektor werden im Buch ausführlich dargestellt.
In den Forschungsarbeiten Schwabes dominierten zwei Richtungen: die Elektrochemie und die Papier- und Zellstoffforschung. Letztere nahm auf seinen Lebensweg einen entscheidenden Einfluss. Als er 1933, nachdem der Nationalsozialismus in Deutschland Fuß gefasst hatte, nicht in den Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund eintreten wollte, musste er die hauptamtliche Tätigkeit an der Technischen Hochschule aufgeben. Auf Vermittlung seines Studienfreundes Dr. Horst Niethammer konnte er eine Stelle als Chemiker in der Fa. Kübler & Niethammer, Kriebstein im Kreis Hainichen/Sachsen, antreten. Er arbeitete später in einer Zweigstelle dieser Firma in Meinsberg b. Waldheim, im heutigen Landkreis Mittelsachsen gelegen, wo er 1945 ein eigenes Forschungsinstitut gegründet hat. Die Entstehungs- und Erfolgsgeschichte des Instituts, die ersten schwierigen Jahre in der sowjetischen Besatzungszone und die Beibehaltung des privaten Status des Instituts bis an das Lebensende Schwabes werden ausführlich erläutert. Auch wird über die Anbindung des Instituts an die Technische Universität Dresden berichtet; sie hatte allerdings keinen Bestand, denn Schwabe sah sich wenige Jahre vor seinem Tod aus verschiedenen Gründen veranlasst, die Zuordnung des Instituts zu verändern. Die Papier- und Zellstoffforschung, die anfangs in Meinsberg eine wesentliche Rolle gespielt hatte, wurde später zugunsten der elektroanalytischen Chemie, speziell der pH-Messung, allmählich verlassen. Dennoch spielte auch sie in den nachfolgenden Jahren noch eine gewisse Rolle.
Im Lauf der Jahre widmete Schwabe sich mehreren Spezialgebieten der Elektrochemie, von denen genannt seien: Korrosion und Korrosionsschutz, Theorie der Elektrolyte, elektroanalytische Chemie, speziell die pH-Messung, und die Polarographie. Sein fortwährendes Bestreben, wissenschaftliche Forschungsergebnisse in die Praxis umzusetzen, führte zur Gründung der »Zentralstelle für Korrosionsschutz« in Dresden, einer Einrichtung, die richtungweisende Forschungen über die Ursachen der Korrosion und deren Verhinderung ausführte und mehrere Jahre von ihm geleitet wurde. Forschungen zu galvanischen Stromquellen veranlassten ihn, in Pirna eine praxisnahe Einrichtung für Batterieforschung und -entwicklung zu errichten, die einige Zeit ebenfalls unter seiner Leitung stand.
Bereits 1950, also etwa ein Jahr nach seiner Berufung zum Hochschulprofessor in Dresden, wurde Schwabe zum Ordentlichen Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig gewählt. Er beteiligte sich am Leben der Akademie mit vielen Arbeiten und Vorträgen. In die Zeit seiner Präsidentschaft fiel eine besorgniserregende Entwicklung, die zum Ziel hatte, die Selbständigkeit der Leipziger Akademie aufzuheben und sie der damaligen Akademie der Wissenschaften in Berlin zuzuordnen. Mit großem diplomatischem Geschick und großer Standhaftigkeit konnte er die Eigenständigkeit der Leipziger Akademie bewahren.
Ein gesondertes Kapitel ist der Position Schwabes als Wissenschaftler und Hochschullehrer unter den politischen Umständen in der DDR gewidmet. Dazu wurde die nach 1990 erschienene Literatur kritisch ausgewertet, in der oft eine pauschale Zuordnung von DDR-Wissenschaftlern zu einer sogenannten Systemnähe vorgenommen wird und in der man Vokabeln wie »innere Sowjetisierung «, »Schaffung einer sozialistischen Intelligenz« und »Politisierungsprozess « an den Universitäten findet. Aus Zeugnissen seiner Schüler und Kollegen, aus seinem Handeln geht jedoch hervor, dass er sich, wie zahlreiche andere Wissenschaftler seiner Zeit auch, eine Unabhängigkeit der Weltanschauung bewahrt hat. Er brachte schwierige Zeiten mit Anstand hinter sich, ohne sich moralisch zu verbiegen und ohne zu weitgehende Zugeständnisse an die herrschenden politischen Umstände zu machen.
Schwabes Hingabe an die wissenschaftliche Arbeit und seine Bereitschaft, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, waren legendär. Seinen Mitarbeitern und Studenten nötigte diese Einstellung Bewunderung ab. So wurde er in gewisser Weise zum Vorbild, auch wenn man wusste, dass man ihm nicht nacheifern konnte oder wollte.
Schwabe ist zahlreichen großen Naturwissenschaftlern und Technikwissenschaftlern seiner Zeit, besonders Chemikern und Physikern, begegnet: Heinrich Barkhausen, Fritz Foerster, Erich Müller, Manfred Eigen, Rudolf Mößbauer, Manfred von Ardenne, Klaus Fuchs, Max Steenbeck, Kurt Mothes, den russischen Physikochemikern Alexander N. Frumkin und Pjotr A. Rebinder, aber auch vielen Geisteswissenschaftlern, unter ihnen Theodor Frings und Siegfried Morenz. Als Direktor eines Instituts im Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf bei Dresden hatte er erheblichen Einfluss auf die Ausrichtung der Kernforschung in der DDR. Insgesamt liest sich so der Bericht über das Leben Schwabes wie ein Ausschnitt aus der Wissenschaftsgeschichte Ostdeutschlands, besonders zwischen 1945 und 1983.