Ouvertüren I, Arrangements für Klavier. Leipziger Ausgabe der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Serie I, Band 8 B
Herausgegeben von Christian Martin Schmidt, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden/ Leipzig/Paris 2010, XVII + 121 Seiten, Festeinband
Der vorliegende Band bietet die vom Komponisten verfassten Arrangements der Konzert-Ouverturen Nr. 2 Die Hebriden / The Isles of Fingal op. 26 MWV P 7 und Nr. 4 zum Märchen von der schönen Melusine op. 32 MWV P 12 für Klavier zu vier Händen. Mendelssohns Arrangements der Konzert-Ouverture Nr. 1 zu Shakespeares Sommernachtstraum op. 21 MWV P 3 für Klavier zu zwei und vier Händen wurden bereits im Zusammenhang mit der Musik zu Ein Sommernachtstraum von Shakespeare op. 61 MWV M 13 in Band V/8 A dieser Ausgabe vorgelegt. Von der vierten Komposition der neuen Gattung, der Konzert-Ouverture Nr. 3 Meeresstille und glückliche Fahrt op. 27 MWV P 5, hat der Komponist kein Arrangement für Klavier hergestellt.
Felix Mendelssohn Bartholdy komponierte zu einer Zeit, als einerseits das musikalische Verlagswesen nach zögerlichen Anfängen im 18. Jahrhundert in einer ersten Blüte stand und andererseits die Komponisten begannen, in Zusammenarbeit mit ihren Verlegern aktiv an der Publikation und Verbreitung ihrer Werke mitzuwirken. So gab man nicht nur die für eine Aufführung unabdingbaren Materialien wie Stimmen und Partitur in Druck, sondern es wurden zunehmend auch Bearbeitungen für Klavier (sei es zu zwei oder vier Händen, sei es für zwei Klaviere) herausgegeben, denen immer mehr die Bedeutung zuwuchs, die Werke – wenngleich in reduzierter Form – einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Mit dieser Publikationsform trug man der spezifischen Ausrichtung des Musiklebens im 19. Jahrhundert Rechnung, das ganz zu Recht als »klavierspielendes Jahrhundert« charakterisiert wird. Solche Klavierbearbeitungen entstanden zum Teil auf Initiative der Verlage und wurden von fremden Autoren ausgeführt, viele Komponisten aber übernahmen mehr oder minder bereitwillig auch selbst die Aufgabe, von reinen Orchesteroder orchesterbegleiteten Vokalwerken Fassungen für Klavier auszuarbeiten und zu verantworten. Mendelssohn ist einer der ersten großen Komponisten, der sich mit beträchtlichem Engagement für diese Form der Verbreitung eingesetzt und großen Wert darauf gelegt hat, dass die jeweilige Bearbeitung dem spezifischen Zweck, den sie erfüllen sollte, und dem Benutzerkreis, für den sie gedacht war, gerecht wurde. Von der Konzert-Ouverture zu Shakespeares Sommernachtstraum op. 21 MWV P 3 beispielsweise hatten bereits kurz nach deren Entstehung die Schwestern des Komponisten Fanny und Rebecka eine Klavierbearbeitung angefertigt; diese entsprach aber nicht den Anforderungen, die der Komponist an eine druckreife Version stellte. Darauf geht er in einem Brief vom 10. März 1832 aus Paris an die Familie in Berlin ein: »[…] die Ouvertüre zum Sommern.str. […] muß ich hier noch 4händig arrangiren, da Ihr, o Schwestern, sie allzuschwer gemacht für ein kunstliebendes Publikum.« (New York Public Library, Family Letters No. 148). Stellte der für »ein kunstliebendes Publikum« angemessene Schwierigkeitsgrad das eine Kriterium dar, das Mendelssohn für die Beurteilung einer Klavierbearbeitung heranzog, so bestand sein zweiter Bewertungsmaßstab in der Frage, inwieweit die kompositorische Substanz des Werkes in der Bearbeitung bewahrt blieb.
Im Anhang der Edition wird die bis dato unbekannte Bearbeitung der Frühfassung der »Melusinen«-Ouvertüre für Klavier zu vier Händen mitgeteilt, deren Abschrift erst 2010 als Kopie von Carl Klingemann identifiziert werden konnte.